Bei der Ölkatastrophe im Nigerdelta handelt es sich um eine anhaltende Ölverschmutzung, bei der in den letzten 50 Jahren nach Expertenschätzungen mehr als zwei Millionen Tonnen Rohöl das Ökosystem des Nigerdeltas verschmutzt haben. Nach Regierungsangaben lief in den vergangenen Jahren durchschnittlich 300 Mal im Jahr an beispielsweise Pipelines oder Bohrinseln Öl aus. Im Vergleich zum Rest des Landes sank die Lebenserwartung der 30 Millionen dort lebenden Menschen durch die Verschmutzung von Luft, Gewässern und Böden um etwa zehn Jahre. Die Umweltverschmutzung, welche wichtige Lebensgrundlagen (landwirtschaftliche Flächen, für Fischerei genutzte Gewässer) der Bevölkerung zerstört, trägt auch zu den gewalttätigen Konflikten in der Region bei.

Nach einer im August 2011 veröffentlichten Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) sind die Umweltverschmutzungen so schwerwiegend, dass eine Sanierung der betroffenen Region 25 bis 30 Jahre in Anspruch nehmen und Kosten von bis zu 1 Mrd. Dollar verursachen wird. UNEP empfahl, dass die nigerianische Regierung und die verantwortlichen Mineralölunternehmen die Gelder in einem Sonderfonds zur Verfügung stellen.

Ursachen

Über 7000 Kilometer zum Teil völlig veraltete Ölpipelines durchkreuzen das Nigerdelta. Aufgrund vieler Lecks und häufiger Öldiebstähle läuft nahezu dauerhaft Öl aus. Der Shell-Konzern macht Sabotage und den organisierten Öldiebstahl für die Verschmutzung verantwortlich; Umweltschützer sehen hingegen die berstenden Bohrköpfe und leckenden Pipelines, also mangelnde Sicherheitsstandards durch Unternehmen wie Shell, als Hauptverursacher.

Ölunfälle

2008

2008 strömte im Bodo-Creek bei Port Harcourt durch ein Leck in einer Ölpipeline des Konzerns Shell Öl aus. Shell bezifferte die Menge mit 1.640 Barrel, das von Amnesty International mit der Untersuchung des Vorfalls beauftragte US-Unternehmen Accufacts kam zu dem Schluss, dass mindestens 72 Tage lang bis zu 4.320 Barrel Öl täglich die Gewässer verunreinigt hätten.

Die Bewohner des Ortes Bodo im Ogoniland erhoben vor einem britischen Gericht wegen des Austritts mehrerer hunderttausend Liter Öls in ihrer Region in den Jahren 2008 und 2009 Klage gegen den Shell-Konzern. Im August 2011 musste dieser dort einräumen, dass ein „Versagen des Equipments“ diese Umweltverschmutzung ausgelöst habe, und zeigte sich zur Zahlung einer Entschädigung bereit. Die Klagenden wollten zivilrechtlich die Zahlung mehrerer 100 Mio. Dollar erreichen.

Im Juni 2014 bot Shell zunächst 37 Millionen Euro als Entschädigung an, etwa 1.250 Euro pro Einwohner. Anfang 2015 gab Shell eine außergerichtliche Einigung bekannt, der zufolge 15.600 geschädigte Bewohner des Niger-Deltas vom Unternehmen individuelle Entschädigungen von insgesamt 35 Mio. Pfund (umgerechnet etwa 44,6 Mio. Euro) erhalten, weitere 20 Mio. Pfund (25 Mio. Euro) erhält die Gemeinde Bodo. Jeder der betroffenen Bewohner erhält somit umgerechnet etwa 2.800 Euro, was der Zahlung des nigerianischen Mindestlohns über einen Zeitraum von drei Jahren entspricht. Shell Nigeria verpflichtete sich zudem auf einen Beginn der Reinigung der verschmutzten Gebiete in den anschließenden drei Monaten. Nigerianische Umweltschützer gehen von einer zur Herstellung des vorherigen Zustands notwendigen Dauer von mindestens zehn Jahren aus.

2010

Aus einer Erdöl-Pipeline einer Joint-Venture-Ölgesellschaft von ExxonMobil und dem nigerianischen Staat trat im Juni 2010 sieben Tage lang Öl aus; es wurden etwa 27.000 bis 95.500 Tonnen Rohöl freigesetzt.

Juristische Aufarbeitung

Im Februar 2021 sprach der Oberste Gerichtshof Großbritanniens den Bewohnern des Nigerdeltas das Recht zu, Royal Dutch Shell vor britischen Gerichten wegen Umweltverschmutzung zu verklagen.

Zuvor hatte bereits ein Berufungsgericht im niederländischen Den Haag entschieden, dass Shell rund 40.000 betroffene Menschen in Nigeria für in den Jahren 2004 und 2005 entstandene Ölverschmutzungen entschädigen muss. Konkret sollen zwei Dörfer für die Verseuchung der Äcker ihrer Bewohner entschädigt werden. Die genaue Summe der Entschädigung wollte das Gericht noch nicht festlegen. Der Konzern selbst vertrat die Ansicht, in Europa nicht haftbar für nigerianische Tochterunternehmen zu sein. Für die Umweltverschmutzungen durch großflächige Öl-Lecks seien Saboteure verantwortlich.

Nachdem das nigerianische Tochterunternehmen (SPDC) von Shell im Jahr 2010 wegen der Umweltverschmutzungen in Nigeria verurteilt worden war, hatte es im 2010er Jahrzehnt erfolglos versucht, das Urteil anzufechten. Im August 2021 stimmte die Shell-Tochter schließlich einem Vergleich über eine Strafzahlung in Höhe von knapp 95 Millionen Euro zu. Shell beharrte auf seinem Standpunkt, dass die Öl-Lecks durch Sabotageaktionen während des Bürgerkriegs in Nigeria von 1967 bis 1970 verursacht worden seien.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Verseuchtes Nigerdelta. n-tv.de, 14. Juli 2010, abgerufen am 23. Juli 2010.
  2. Sebastian Bräuer: Shell gefährdet Ölförderung. ZEIT online, 28. Juni 2006
  3. UNEP Ogoniland Oil Assessment Reveals Extent of Environmental Contamination and Threats to Human Health, Pressemitteilung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen vom 4. August 2011.
  4. 1 2 badische-zeitung.de, Nachrichten, Ausland, 6. August 2011, Johannes Dieterich: Niger-Delta: UNO geißelt Ölkonzerne (7. August 2011)
  5. Die „vergessene Ölpest“ im Nigerdelta. – tagesschau.de (Artikel vom 12. Juni 2010). (Nicht mehr online verfügbar.) tagesschau.de, 12. Juni 2010, archiviert vom Original am 15. Juni 2010; abgerufen am 23. Juli 2010.
  6. Financial Times Deutschland: Ogoniland ist abgebrannt (Memento vom 3. Dezember 2010 im Internet Archive) (2. Dezember 2010)
  7. taz.de: Schwere Vorwürfe gegen Shell, 8. November 2013.
  8. Marcus Theurer, faz.net: Shell zahlt 70 Millionen Euro an Fischer im Niger-Delta. In: FAZ, 7. Januar 2015.
  9. Shell entschädigt Nigerianer nach Ölpest. In: Badische Zeitung, 8. Januar 2015.
  10. Dulue Mbachu: Exxon Nigerian Unit Oil Spill Caused by Corrosion. In: BusinessWeek. 6. Juni 2010, abgerufen am 11. Juni 2010.
  11. Joe Brock: Africa's oil spills are far from U.S. media glare. In: Reuters. 18. Mai 2010, abgerufen am 29. Mai 2010: „100,000 bpd of oil had leaked for a week from a pipeline that has since been mended“
  12. John Vidal: Nigeria's agony dwarfs the Gulf oil spill. The US and Europe ignore it. In: The Observer. Abgerufen am 1. Juni 2010.
  13. Adam Nossiter: Far From Gulf, a Spill Scourge 5 Decades Old. 16. Juni 2010, abgerufen am 6. Juli 2010: „...the company’s recent offshore spill leaked only about 8,400 gallons...“
  14. Michael Radunski: Ölverschmutzung im Niger-Delta: Shell muss zahlen. In: Die Tageszeitung: taz. 29. Januar 2021, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 25. Februar 2021]).
  15. Nigerianer können Shell in England verklagen. In: Zeit online. 12. Februar 2021, abgerufen am 13. Februar 2021.
  16. Shell muss 95 Millionen Euro wegen Umweltschäden in Nigeria zahlen. In: Der Spiegel. Abgerufen am 12. August 2021.

Koordinaten:  19′ 0″ N,  25′ 0″ O

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