Über den Fluss und in die Wälder ist ein Roman von Ernest Hemingway, der 1950 unter dem englischen Titel Across the River and into the Trees erschien. Die Übertragung ins Deutsche erfolgte durch Annemarie Horschitz-Horst.
Wir wollen über den Fluss setzen und im Schatten der Wälder ruhen soll der sterbende Konföderations-General Thomas J. Jackson gesagt haben. Der Held des Romans erwähnt diesen Schlüsselsatz, der dem Roman seinen Titel gegeben hat, erst ganz zuletzt im Gespräch mit seinem Chauffeur, der ebenfalls Jackson heißt.
Handlung
Erzählt wird vom Sterben des Weltkriegsveteranen Richard Cantwell, Infanterieoberst. Der Sterbende erzählt teilweise selbst und zwar seiner Geliebten, der wunderschönen Venezianerin Contessa Renata bzw., wenn sie nicht präsent ist, ihrem Abbild, einem Gemälde. Der Roman, streckenweise der Abgesang des verbitterten, kriegsmüden Soldaten, ist im Ganzen eine Huldigung an das Leben, dargebracht der Stadt Venedig und der Liebe zu der jungen Frau. Liebe wird verstanden als Gegenspielerin zum Tod. Der Colonel fürchtet die Hölle nicht, denn er kennt alle ihre Winkel aus zwei Weltkriegen.
Cantwell ist nach dem Zweiten Weltkrieg bei den US-Besatzungstruppen in Triest stationiert. Der 51-jährige, mehrfach verwundete, kranke Berufssoldat war 1944 an der Landung alliierter Truppen in der Normandie beteiligt, kämpfte bei der Befreiung von Paris und bei der Schlacht im Hürtgenwald erbittert mit und tötete mindestens 122 Feinde.
Nun macht der Colonel im Winter von Triest aus einen Ausflug ins benachbarte Venetien. In jener Gegend hatte er 1918 als blutjunger Leutnant zusammen mit den Italienern gegen die Österreicher gekämpft. Namen von Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkrieges fallen: die Piave, der Monte Grappa, der Isonzo. Besonders in Venedig hat der Colonel etliche Kriegskameraden. An diese denkt er, als ihn ein Gondoliere auf dem Canal Grande zum Gritti Palace Hotel, dem Ort der Handlung, fährt. Im Hotel trifft sich Cantwell mit einer Handvoll überlebender Italiener aus dem Jahr 1918. Die erklärten Kriegsgegner haben einen Orden ins Leben gerufen – Die streitbare, edle und hochherzige Vereinigung der Brusadelli-Ritter. Der Namensgeber ist ironischerweise ein Mailänder Kriegsgewinnler. Die fünf Ordensmitglieder sind die wahren Verlierer. Cantwell äußert sich sarkastisch über sein elendes Leben. Obwohl der herannahende Tod den Colonel von Zeit zu Zeit mit stechendem Schmerz peinigt, nimmt der Gequälte das drohende Verhängnis mit soldatischem Humor. Der Barmixer, kein ordentliches Ordensmitglied, wird mit Herr Staatsrat angesprochen. Der Großmeister des Ordens, der Gran Maestro, ist Oberkellner im Gritti. Er hat Kreislaufbeschwerden, Schwären und Schulden. Als Cantwell und der Gran Maestro gemeinsam kämpften, hatten sie 1918 über 140.000 Tote. Deswegen vermeiden sie hohlen Pathos. Die Hotelbar wird zum Geheimkabinett erklärt. Der Colonel wird mit mein oberster Feldherr tituliert.
Cantwell erhält Besuch im Hotel. Contessa Renata, venezianische Schönheit und dunkle Kindfrau zugleich, erscheint und gesteht dem kranken, durch den Krieg ramponierten Colonel mit tiefer, zarter Stimme in vorsichtigem Englisch ihre Liebe. Cantwell gibt zurück, die 18-Jährige sei schön, bezaubernd und er liebe sie. Über die Verkrüppelungen des Colonel wollen sie nicht länger sprechen. So sehen sie sich die Leute im Hotel an und reden über sie. Renata, schmiegsam und von vollkommener Form, weiß, dass sie einen alten Mann liebt, der nicht mehr lange leben wird. Und sie sagt ihm das. Renata meint auch noch, sein bevorstehender Tod habe den Vorteil, dass er sie nicht verlassen könne. Er nimmt ihr das überhaupt nicht übel. Es ist ja die Wahrheit. Renata will sogar ihr Venedig verlassen und mit ihm gehen. Er kann das nicht annehmen. Und sie sagen sich wieder und wieder, dass sie sich lieben, wie das Liebende eben tun. Renata will, er soll sie an sich pressen, sie eng umschließen. Cantwell macht es. Er will Renata heiraten. Der Gedanke an eine Hochzeit mit ihm schmerzt sie angenehm. Renata entschließt sich, ihn nicht zu ehelichen. Cantwell ist mit dem Entschluss nicht einverstanden, muss aber zugeben, dass er im Leben weit verhängnisvollere Fehlentschlüsse gefasst hat als Renata. Drei Bataillone und drei Frauen hat Cantwell durch eigene Dummheit verloren. Renata bleibt dabei, sie will seine Tochter sein und ihm aufs Erdenklichste entgegenkommen. Renata liebt Cantwell auch darum, weil er ihr Vater und Geliebter sein möchte. Die Liebenden wollen vergnügt sein und sich etwas Dauerhaftes schenken, an dem sie sich jeden Tag erfreuen können. Während Cantwell und Renata im Gritti dinieren, probieren die beiden Feinschmecker nur ausgesuchte Delikatessen. Der Gran Maestro serviert einen Hummer, den er wegen seines horrenden Preises selber bezahlen will. Ein Wochengehalt reicht. Der Colonel protestiert und will einen Tagessold aufwenden. Renata dankt dem Gran Maestro für das Dinner in venezianischem Amerikanisch. Cantwell war General und Renata lässt nicht locker. Sie verlangt die Charakterisierung eines solchen. Cantwell entgegnet, ein General gönne sich nur eine kurze Nachtruhe und dürfe tagsüber keinen einzigen Denkfehler zulassen. Renata drängt sich dicht an ihn. Er bewundert ihren rundlich vollen Busen. In der Gondel und im Hotelzimmer liebt sich das Paar so, dass es der Colonel kaum aushalten kann. Renata will über die Kriegsereignisse in Frankreich hören, als Cantwell noch General war. Er soll alles artikulieren, damit sie die Last gemeinsam tragen können. Cantwell meint, ein Zivilist könne den Krieg nicht begreifen; nicht einmal Renata. Beim Erzählen kommt der über den Verlust seiner Bataillone Verzweifelte ins Fluchen. Während er das Grauen der Schlacht im Hürtgenwald schildert, sagt er nicht, wie die eigenen Toten ausgesehen haben. Renata dankt Cantwell, dass er so lange hintereinander freundlich gewesen ist, und horcht ihn über seine letzte Frau aus; sie möchte wissen, weshalb es auseinanderging. Er sei zu viel fort gewesen, entgegnet Cantwell. Aber der Colonel hat seine Grundsätze: Über Verluste wird hinweggegangen. Cantwell soll Renata festhalten und küssen.
Bevor der Colonel abreist, ernennt der Gran Maestro Renata zur Außerordentlichen Ehrenamtlichen Sekretärin des Ordens, und der Colonel verrät ihr das Ordenshauptgeheimnis. Der Abschied von Renata ist schlimm.
Die Handlung ist eingerahmt von zwei Entenjagden am Romananfang und -ende. Nach der letzten Jagd tritt der Tod so forsch an Cantwell heran, dass er spürt, nun kann er nicht mehr weiterleben.
Veröffentlichung
Im Dezember 1949 schloss Hemingway die erste Fassung ab. Der Literaturagent A. E. Hotchner des Magazins Cosmopolitan sorgte für den Vorabdruck in fünf Folgen, für den Hemingway 85.000 Dollar erhielt.
In der New York Times bekam das Buch gute Kritiken.
Ausgaben
- Ernest Hemingway: Across the river and into the trees. New York : Scribner’s, 1950
- Ernest Hemingway: Across the river and into the trees. London : Cape, 1950
- Ernest Hemingway: Über den Fluss und in die Wälder. Autorisierte Übertragung von Annemarie Horschitz-Horst. Rowohlt Hamburg 1951. 340 Seiten. Farbig illustrierter Umschlag von Adriana Ivancich
Literatur
- Jobst C. Knigge: Hemingway's venetian muse Adriana Ivancich. Berlin : Humboldt-Universität zu Berlin, 2012 PDF
Verfilmung
Mit Across the River and Into the Trees wurde 2022 eine Verfilmung veröffentlicht. Die Hauptrolle übernahm Liev Schreiber.
Einzelnachweise
- ↑ Siehe auch E. Hemingway, In einem andern Land
- ↑ Albert J. DeFazio (Hrsg.): Dear Papa, dear Hotch : the correspondence of Ernest Hemingway and A. E. Hotchner. Preface by A. E. Hotchner. Columbia, Mo. : University of Missouri Press, 2005, S. x und weitere Fundstellen
- 1 2 Hans-Peter Rodenberg, : Ernest Hemingway. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2011 (5. Auflage), S. 119
- ↑ nicht gemeinfreier Scan des Umschlags der amerikanischen Erstausgabe in der englischen Wikipedia (Urheberrechte beachten)