Anna Komnene (latinisiert Anna Comnena, mittelgriechisch Ἄννα Κομνηνή Anna Komniní, * 2. Dezember 1083 in Konstantinopel; † ca. 1154) war eine byzantinische Geschichtsschreiberin. Als ältestes von sieben Kindern des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos und dessen Frau Irene Dukaina, Tochter des Caesar Andronikos, beanspruchte sie den Kaiserthron für ihren Ehemann. Mütterlicherseits war sie Nachkommin der letzten Zaren des Ersten Bulgarischen Reiches aus dem Haus Komitopuli. In ihrem Geschichtswerk Alexiade beschrieb sie das Leben ihres Vaters.

Leben

Anna wurde 1083 in der Porphyra des kaiserlichen Palastes geboren und trug daher den Beinamen PorphyrogennetaPurpurgeborene. Ihr Vater Alexios I. Komnenos war zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren byzantinischer Kaiser. Ihre Mutter Irene Dukaina entstammte der einflussreichen, bereits zu kaiserlichen Würden gelangten Adelsfamilie der Dukai. In der Alexiade schildert Anna in einem Abschnitt (Buch 6, Kapitel 8) die Umstände ihrer Geburt sowie diejenigen ihrer nächsten Geschwister Maria und Johannes und betont ihre innige Zuneigung zu ihren Eltern. Sie deutet hier auch an, dass ihr Lebensziel die Thronbesteigung als Kaiserin gewesen sei. Dementsprechend konstatiert sie stolz, dass kurz nach ihrer Geburt ihre Erhebung zur Mitkaiserin erfolgte. Ferner wurde sie noch 1083 mit dem damals neunjährigen Mitkaiser und Thronerben Konstantin Dukas Porphyrogennetos verlobt, dem Sohn Kaiser Michaels VII. (1071–1078), der von Anna als sehr schönes Kind beschrieben wurde. Er war davor bereits mit Helena, der Tochter Robert Guiskards von Sizilien, verlobt gewesen.

In früher Jugend lebte Anna bei ihrer künftigen Schwiegermutter, der früheren Kaiserin Maria von Alanien, der von einigen Historikern eine Affäre mit Alexios I. zugeschrieben wird. 1092 ernannte Alexios jedoch seinen eigenen Sohn, Annas Bruder Kaloioannes (der „schöne Johannes“), zum Thronfolger, gegen den sie in der Folge eine lebhafte Abneigung empfand. Konstantin zog sich auf seine Güter bei Serres zurück, wo er um 1095 starb. Durch die Verschwörung des Nikephoros Diogenes (1094), in die wohl auch Maria eingeweiht war, hatte Konstantin jede Chance auf den Thron verloren, obwohl Gerüchten zufolge er selbst den Kaiser von den Plänen, ihn zu ermorden, informiert hatte.

Allein aus ihrem Geschichtswerk ist bereits ersichtlich, dass Anna eine herausragende Erziehung und Schulbildung erhielt. Sie hebt in der Alexiade ihre umfassenden Kenntnisse in allen Fächern des Triviums (Grammatik, Dialektik, Rhetorik) und Quadriviums (Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Musik) hervor. Georgios Tornikes berichtet in seinem Epitaphios,auf Anna, dass sie in ihrer Jugend antike Dichtungen wie Homers Odyssee heimlich lesen musste, weil ihren Eltern solche Epen wie überhaupt die antike Mythologie wegen deren Darstellung von Polytheismus und anderen Themen vom Standpunkt der Orthodoxie aus suspekt waren. Anna studierte auch Medizin, schrieb einen Traktat über Gicht und leitete ein Krankenhaus in Konstantinopel. Zudem studierte sie Philosophie und war eine Anhängerin des christlichen Aristotelismus, der neuplatonische Züge trug. So ging „eine bemerkenswerte Blüte des Aristotelismus von einem philosophischen Zirkel aus, den die vom politischen Leben ausgeschlossene Kaisertochter Anna Komnene unterhielt“.

Anna heiratete nach dem Tod ihres Verlobten Konstantin Dukas, den Wünschen ihrer Eltern entsprechend, 1097 den Caesar Nikephoros Bryennios, Sohn oder Enkel des Thronprätendenten gleichen Namens. Sie selbst hätte es vorgezogen, ledig zu bleiben.

1118 versuchte Anna zusammen mit ihrer Mutter, den Kaiser auf seinem Sterbebett zu überreden, seinen Sohn Kaloioannes (1118–1143) zu enterben und stattdessen die Nachfolge auf Annas Gemahl zu übertragen. Doch Alexios, fest entschlossen, Johannes zum Nachfolger zu machen, ließ dem Sohn seinen Siegelring heimlich zukommen. Nach anderen Quellen drang Johannes mit seinem Bruder Isaak heimlich in den Mangana-Palast ein und entwendete den Ring. Nach dem Tode von Alexios, vielleicht in Folge einer Lungenentzündung, sicherte sich Johannes jedenfalls den Palast, ließ sich von Heer und Senat zum Kaiser ausrufen und vom Patriarchen von Konstantinopel bestätigen.

Anna und ihre Mutter Irene verschworen sich danach im selben Jahr mit dem Ziel, Annas Gatten Nikephoros auf den Thron zu bringen. Die Verschwörung wurde jedoch aufgedeckt, möglicherweise sogar durch Nikephoros selbst, der keine Lust verspürte, Kaiser zu werden. Die Beteiligten kamen mit leichten Strafen davon. Ihre Besitzungen wurden eingezogen, Irene und Anna ins Kloster verbannt, wo Irene 1123 starb. Bei dem Kloster könnte es sich um das Konvent von Théotokos Kéchairôtoménè gehandelt haben, das Irene selbst gegründet hatte. Anna widmete sich nun, wie ihr Mann, der Geschichtsschreibung. Sie scheint auf Anordnung ihres Bruders unter Überwachung gestanden zu haben und war allem Anschein nach verbittert über den Fehlschlag ihrer politischen Ambitionen.

Nikephoros starb 1137 in Konstantinopel an einer Verwundung, die er sich auf einem Feldzug nach Syrien und Kilikien zugezogen hatte, ohne das Geschichtswerk zu beenden, das er unterwegs begonnen hatte. Wann Anna starb, ist nicht genau bekannt. Meist werden 1153 oder 1154 genannt.

Werk

Inhalt

In ihrem Geschichtswerk, der nach 1137 und bis mindestens 1148 verfassten Alexiade (oder auch Alexias), schilderte die hochgebildete Anna in 15 Büchern den Werdegang ihres Vaters Alexios, genauer gesagt die Jahre von 1069 bis 1118. Es stellt außerdem eine Ergänzung zum Werk ihres Mannes Nikephoros dar (Hyle Historias), der die Zeit von Romanus IV. Diogenes bis Nikephoros Botaniates beschrieben hatte, sein Werk aber wegen seiner Verwundung und seines Todes nicht fertigstellen konnte. Anna zeichnete Porträts der wichtigsten Teilnehmer des ersten Kreuzzuges, wie etwa Bohemund I. von Tarent und Graf Raimund IV. von Toulouse.

Quellen

Anna selbst gibt an, eine Reihe von Ereignissen selbst miterlebt zu haben und sich auf die Darstellungen von Kriegsteilnehmern, die den Kaiser auf seinen Feldzügen begleitet hatten, gestützt zu haben. Sie hatte Zugang zu Archiven sowie zahlreichen Augenzeugen, etwa dem General Tatikios, ihrem Onkel Georgios Palaiologos, ihrem Vetter Johannes Komnenos, dem Statthalter von Dyrrhachion und dem Onkel Johannes Dukas. Auch Konstantin Euphorbenos Katakalon, Marianus Maurokatalon, Manuel Botumides und Konstantin Opos haben vielleicht Berichte beigetragen. Für die frühen Partien ihres Werkes konnte sie sich zudem auf andere Geschichtswerke stützen.

Wertung

Für die Geschichtswissenschaft stellt das Werk eine der wichtigsten Quellen der Kreuzzüge aus der Perspektive der Byzantiner dar. Ihre Darstellung ist damit ein wichtiges Korrektiv der lateinischen Quellen. Allerdings ist sie gegenüber den Teilnehmern des Kreuzzugs nicht immer objektiv. Die Darstellung ihres Vaters ist teilweise positiv überzeichnet, die Franken (so wurden die Kreuzfahrer oft genannt) gelten ihr durchgehend als heimtückisch und verräterisch. Sie gibt selten direkte Jahreszahlen an, manchmal ist die Chronologie offensichtlich irrig, und die geographischen Angaben sind vage. Edward Gibbon hielt ihr Werk noch für gänzlich wertlos, der „bewundernde und mit Vorurteilen behaftete Bericht einer liebenden Tochter“, bei dem „jede Seite die Eitelkeit des weiblichen Autors verrät“, panegyrisch und voll affektierter Gelehrsamkeit. Man warf ihr Lücken in der Darstellung, etwa bei der Ankunft der Kreuzfahrer in Byzanz und der Belagerung von Antiochia, vor. Andere Autoren behaupteten dagegen, eine solche Darstellung könne unmöglich von einer Frau stammen und wollten das gesamte Werk Nikephoros zuweisen. P. Frankopan kommentierte, dass es weniger die Alexiade als die Kommentare über den Text seien, die befangen und mit Vorurteilen behaftet seien.

In der modernen Forschung wird der Quellenwert des Werks, das auch literarisch anspruchsvoll gestaltet ist, sehr hoch veranschlagt. Es stellt die umfangreichste und insgesamt auch zuverlässigste Quelle für die byzantinische Geschichte an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert dar.

Einflüsse

Anna Komnenas Geschichtswerk ist, ganz ihrer Bildung verpflichtet, stark an antike Vorbilder angelehnt, vor allem Thukydides und Polybios. In ihrem Werk finden sich aber auch Zitate von Homer, Herodot, Sophokles, Platon, Aristoteles, Johannes von Epiphaneia u. v. a. Ihr Stil, mit zahlreichen direkten wertenden Kommentaren, ähnelt dem des Michael Psellos, aber auch Einflüsse spätantiker Geschichtsschreiber sind feststellbar. Bei den Schilderungen der erfolglosen Behandlung ihres Vaters durch seine Ärzte zeigt die medizinisch versierte Anna humoralpathologische Kenntnisse des Galenos.

Nachkommen

Anna und Nikephoros hatten vier Kinder:

  • Alexios Bryennios Komnenos
  • Johannes Dukas
  • Irene Dukaina
  • weitere Tochter

Übersetzungen

  • Anna Komnene: Alexias. Übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Diether Roderich Reinsch. DuMont, Köln 1996, ISBN 3-7701-3492-3 (2., um ein Vorwort von Diether Roderich Reinsch ergänzte Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 2001, ISBN 3-11-017195-3).

Literatur

  • Κωνσταντίνος Βαρζός: Η Γενεαλογία των Κομνηνών (= Βυζαντινά Κείμενα και Μελέται. T. 20α, ZDB-ID 420491-8). Τόμος A'. Κέντρο Βυζαντινών Ερευνών – ΑΠΘ, Θεσσαλονίκη 1984, S. 176–197 Nr. 32, Digitalisat (PDF; 264 MB).
  • Friedrich Wilhelm Bautz: Anna Komnena. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Bautz, Hamm 1975. 2., unveränderte Auflage Hamm 1990, ISBN 3-88309-013-1, Sp. 176.
  • Peter Frankopan: Perception and projection of prejudice. Anna Comnena, the Alexiad and the First Crusade. In: Susan B. Edgington, Sarah Lambert (Hrsg.): Gendering the crusades. University of Wales Press, Cardiff 2001, ISBN 0-7083-1698-0, S. 45–59, (Columbia University Press, New York NY 2002, ISBN 0-231-12598-4).
  • Thalis Gouma-Peterson (Hrsg.): Anna Komnene and her Times (= Garland Medieval Casebooks. 29 = Garland Reference Library of the Humanities. 2201). Garland, New York NY u. a. 2000, ISBN 0-8153-3645-4.
  • Herbert Hunger: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner. Band 1: Philosophie, Rhetorik, Epistolographie, Geschichtsschreibung, Geographie (= Handbuch der Altertumswissenschaft. Abt. 12: Byzantinisches Handbuch. Teil 5, 1). Beck, München 1978, ISBN 3-406-01427-5, S. 400 ff.
  • Leonora Neville: Anna Komnene: The Life and Work of a Medieval Historian. Oxford University Press, Oxford und New York 2016, ISBN 978-0-19-049817-7.
  • Jan Olof Rosenqvist: Die byzantinische Literatur. Vom 6. Jahrhundert bis zum Fall Konstantinopels 1453. de Gruyter, Berlin u. a. 2007, ISBN 978-3-11-018878-3, S. 127 ff.
  • Alexios G. Savvides, Benjamin Hendrickx (Hrsg.): Encyclopaedic Prosopographical Lexicon of Byzantine History and Civilization. Band 1: Aaron – Azarethes. Brepols Publishers, Turnhout 2007, ISBN 978-2-503-52303-3, S. 273–276.
  • Warren Treadgold: The Middle Byzantine Historians. Palgrave Macmillan, Basingstoke u. a. 2013, ISBN 978-1-137-28085-5, S. 354 ff.
  • Wolfgang Wegner: Anna Komnene. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 66.
Commons: Anna Komnena – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. Herbert Hunger: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, Bd. 1 (1978), S. 400 f.
  2. Herbert Hunger: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, Bd. 1 (1978), S. 401.
  3. Herbert Hunger: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, Bd. 1 (1978), S. 401 f.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.