Editae saepe ist eine Enzyklika von Papst Pius X., die auch „Borromäus-Enzyklika“ genannt wird. Sie datiert vom 26. Mai 1910 und ist dem Andenken des heiligen Karl Borromäus gewidmet.

Eine strittige Enzyklika

Die Enzyklika wird, da sie auch „falsche Reformatoren“ behandelt, teilweise als gegen den Modernismus gerichtet interpretiert. Sie erregte in Deutschland viel Aufsehen, nicht so sehr wegen ihres Gesamtinhaltes, sondern wegen einiger Passagen, die als Beleidigung von Protestanten verstanden werden konnten. In entstellter und verschärfter Übersetzung rasch bekannt geworden, entfachte sie einen Entrüstungssturm und führte zu parlamentarischen Interpellationen, Kundgebungen der protestantischen Kirchenbehörden und diplomatischen Aktionen. Um den konfessionellen Frieden besorgt, kam der Papst der deutschen Regierung soweit entgegen, dass er den deutschen Bischöfen die Anweisung erteilte, das Apostolische Rundschreiben, das am 29. Mai 1910 im Osservatore Romano und in der offiziellen lateinischen Version wenig später in den Acta Apostolicae Sedis erschien, nicht in Deutschland zu publizieren. Das konnte die Kampagnen etwa des Evangelischen Bundes gegen den Ultramontanismus jedoch nicht aufhalten. Hans Delbrück und Friedrich Naumann redeten am 12. Juni 1910 auf einer Protestversammlung gegen die Enzyklika im Zirkus Busch in Berlin, zu der der Evangelische Bund eingeladen hatte.

Zum Gedenken an den Heiligen Borromäus

Die Enzyklika ist dem Andenken des hl. Karl Borromäus anlässlich des 300. Jahrestages seiner Heiligsprechung gewidmet. Karl Borromäus gilt im Sinne des Papstes als der unermüdliche Vorkämpfer und Berater der wahren Reform. Indem der Papst den Unterschied zwischen wahren und falschen Reformatoren beschreibt, weist er besonders hin auf die Sorge für die Reinerhaltung des Glaubens und auf die Bedeutung der christlichen Ausbildung. Er lehnt die sogenannten neutralen Laienschulen ab, er fordert die gewissenhafte Verwaltung des Predigtamtes und weist auf die katholische Aktion hin, die alle Werke christlicher Barmherzigkeit umfasse. All dieses sei im Sinn des hl. Karl Borromäus und mit seinem Leben verknüpft.

Gegen die Reformation

Von der ursprünglich lateinisch verfassten Enzyklika kursierten damals verschiedene Varianten. Da die Enzyklika fast nur in Deutschland für Furore sorgte, sind die damaligen Übersetzungen entscheidend. Die folgende Version findet sich bei dem katholischen Zentrumspolitiker und Historiographen der Zentrumspartei Karl Bachem:

„Damals tobten die Leidenschaften; die Kenntnis der Wahrheit war verwirrt und verdunkelt; es herrschte ein beständiger Kampf mit den Irrlehren; die menschliche Gesellschaft stürzte sich allem Unheil entgegen und schien dem Verderben preisgegeben. Inmitten solcher Verhältnisse traten hochmütige und aufrührerische [widerspenstige] Männer auf, ‘Feinde des Kreuzes Christi’, Menschen von ‘irdischer Gesinnung, deren Gott der Bauch ist‘ (Phil. III., 18, 19). Diese richteten ihr Augenmerk nicht auf die Verbesserung der Sitten, sondern auf die Leugnung der Dogmen; sie vermehrten die Unordnung und ließen zu ihrem eigenen und zu anderer Nutzen der Zügellosigkeit freien Lauf; oder doch untergruben sie, indem sie die autoritative Leitung der Kirche ablehnten, nach dem Belieben gerade der verkommensten Fürsten oder Völker wie unter einem Joch die Lehre, Verfassung und Disziplin der Kirche. Sodann ahmten sie jene Gottlose nach, denen die Drohung gilt ‘Wehe euch, die ihr das Böse gut und das Gute böse nennt’ (Js. V, 20), und nannten diese aufrührerische Erhebung und die Verderbnis des Glaubens wie der Sitten Reform und sich selbst Reformatoren. Allein in Wahrheit waren sie Verführer, und dadurch, dass sie durch Streit und Kriege die Kräfte Europas erschöpften, haben sie die Revolutionen und den Abfall der Neuzeit vorbereitet, in denen sich die drei Arten des Kampfes, welche früher getrennt waren und aus denen die Kirche immer siegreich hervorgegangen war, zu einem einzigen Angriffe vereinigten: nämlich die blutigen Verfolgungen der ersten Jahrhunderte, sodann die innere Pest der Häresien und schließlich unter dem Vorwand der evangelischen Freiheit eine Verderbtheit der Sitten und eine Verkehrtheit der Disziplin, welche das Mittelalter in diesem Grade vielleicht nicht einmal erreicht hat.“

Bachem selber urteilte 1930:

„Auch in dem übrigen Wortlaute der Enzyklika begegneten Urteile über die protestantische Reformation, welche nach dem Stande der geschichtlichen Forschung in ihrer Allgemeinheit als einseitig anerkannt werden mußten. Der Text war offenbar gearbeitet nach Vorbildern aus der Polemik früherer Jahrhunderte, welche eine kräftigere Sprache liebte, als sie den Ohren unserer Zeit annehmbar klingt.“

Deshalb sind zentral zum Verständnis der damaligen Debatte die pazifizierenden bzw. verschärfenden Übersetzungen zu erwähnen: Aus „Männer irdischer Gesinnung“ (qui terrena sapiunt) wurden „Männer viehischer Gesinnung“; dass es sich bei dieser Charakterisierung um ein Bibelzitat handelte, wurde unterschlagen, womit sie als päpstliche Semantik ausgegeben werden konnte. Selbst unter Katholiken herrschte peinliche Beklommenheit. Die katholischen Zeitungen Germania und die Augsburger Postzeitung publizierten den Text, aber viele katholische Zeitungen druckten die Enzyklika nicht ab. Trotzdem schürte sie den für das „zweite konfessionelle Zeitalter“ (1830–1970) so charakteristischen Konfessionalismus.

Hohe Wellen schlug die Enzyklika in Sachsen, dem Mutterland der Reformationsbewegung. Der katholische König von Sachsen, Friedrich August, sorgte sich um den konfessionellen Friedens. In einem Handschreiben an den Papst verwahrte er sich dagegen, wie die Enzyklika die Reformatoren darstellte. Entgegen dem höfischen Protokoll antwortete der Papst nicht selbst, sondern ließ den König durch seine Kanzlei abkanzeln. In deren Brief hieß es: „Für die Geschichtsschreiber zur Zeit Pius X. oder Leo XIII. muß es dereinst zum Totlachen sein, daß ein Duodezkönig, der über noch nicht 15 000 Quadratkilometer Kulturboden regiert, dem Papst einen Protestbrief schreibt, dem Papste, welcher Gläubige in fast 2000 Bistümern, Vikariaten, Präfekturen und Delegationen leitet.“

Zahlreiche katholische Rechtfertigungspamphlete widmeten sich der antiklerikalen Kampagne besonders des Evangelischen Bundes, aber auch liberaler Zeitungen. In der katholischen Presse war von einer Enzyklikahetze die Rede, „protestantische Hetzblätter“ bemühten sich, so der Vorwurf, den Wortlaut der Enzyklika „zu verdrehen und zu entstellen und für ihre Hetzzwecke zurechtzustutzen.“ Dass auch „jüdisch-liberale Blätter in die Hetze einstimmten“, sah man als Bestätigung des Sprichworts „Wenn Katholiken und Protestanten miteinander in Streit geraten, dann macht der Jude die Musik dazu.“ Noch im Reichstagswahlkampf 1912 klagte man in der katholischen Presse: „Die Borromäus-Enzyklika hat man anfänglich im liberalen Lager breit gefälscht, um das protestantische Volk aufzuregen. Man schiebt ihr auch heute noch einen ganz falschen Sinn unter und hat die unwissende Frechheit, sie als eine ‚unfehlbare Äußerung‘ hinstellen zu wollen. Sie enthält ein historisches Werturteil über die Zustände zur Reformationszeit, ein Urteil, das noch sehr mild genannt werden muss gegenüber den historischen Urteilen aus dem evangelischen Lager, die täglich über den Katholizismus dort ausgesprochen werden.“

Der Chronist der Zentrumspartei, Karl Bachem, mutmaßte noch 1930, der Papst habe wohl den Text nicht sorgfältig studiert, bevor er ihn unterzeichnet habe. Trotz solcher Abschwächungen nutzte Bachem 20 Jahre nach diesem Ereignis erneut die Chance, um den Protestantismus als im Niedergang begriffen darzustellen, denn dies sei der Grund gewesen, warum die Protestanten damals derart gereizt reagiert und die „Machtgelüste“ des Papsttums in den „brennendsten Farben“ geschildert hätten. Die Borromäus-Enzyklika blieb für Jahrzehnte geeignet, die Stimmung gegen den jeweiligen „Glaubensgegner“ anzufachen.

Literatur

  • Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei. Bd. 7, Köln 1930 (ND Aalen 1968), S. 329–77.
  • Olaf Blaschke: Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter. Göttingen 2002.
  • Olaf Blaschke: Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter? In: Geschichte und Gesellschaft 26 (2000), S. 38–75.
  • Johannes Kalwoda: Die antimodernistische Borromäus-Enzyklika „Editae saepe“ von 1910 und die österreichische Regierung unter Ministerpräsident Richard Freiherr von Bienerth. In: Österreichisches Archiv für Recht & Religion 52, 1/2005, S. 53–62.
  • Armin Müller-Dreier: Konfession und Politik, Gesellschaft und Kultur des Kaiserreichs. Der Evangelische Bund 1886–1914. Gütersloh 1998.
  • Mariano Delgado: Die Borromäus-Enzyklika »Editae saepe« Pius’ X. vom 26. Mai 1910 und die Folgen. In: Mariano Delgado, Markus Ries (Hrsg.): Karl Borromäus und die katholische Reform: Akten des Freiburger Symposiums zur 400. Wiederkehr der Heiligsprechung des Schutzpatrons der katholischen Schweiz (2010), S. 340–364.

Einzelnachweise

  1. Gegen die Enzyklika, in: Vossische Zeitung Nr. 272, 13. Juni 1910, S. 1.
  2. Karl Bachem: Vorgeschichte, Geschichte und Politik der Deutschen Zentrumspartei. Bd. 7, S. 332.
  3. Zitiert nach Walter Fellmann: Sachsens letzter König, Friedrich August III. Koehler und Amelang, Berlin 1992, S. 137–141.
  4. vgl. B. Mock: Die Hetze gegen die Borromäus-Enzyklika. Paderborn 1910; J. Diefenbach: Rechtfertigung der Borromäus-Enzyklika Pius’ X. durch evangelische Prediger und Gelehrte. Mainz 1910; A. Albring: Wir Katholiken und die – anderen. Apologetische Randglossen zur Borromäus-Enzyklika-Entrüstung. Freiburg 1910.
  5. Die Enzyklikahetze, in: Germania Nr. 172, 30. Juli 1910, S. 1.
  6. Die Früchte der Hetze, in: Germania Nr. 146, 29. Juni 1910, S. 1.
  7. Was die Gegner wollen, in: Germania Nr. 5, 9. Januar 1912, S. 1.
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