Byssus, Byssos (griechisch: βύσσος) im Sinne von Muschelseide ist eine Bezeichnung für das Sekret aus den Fußdrüsen verschiedener Arten der Muscheln. Dabei bilden die einzelnen Sekrete mehrerer Drüsen im Fuß der Muscheln vor allem phenolische Proteide, die gemeinsam zu Haftfäden vereinigt werden und erhärten. Während viele Muschelarten nur als Jungmuscheln Byssus produzieren, kann diese Sekretion bei anderen zeitlebens andauern. Bekannte Beispiele für Muscheln mit Byssusfäden sind die Miesmuscheln, die sich mit den Byssusfäden an Strukturen der Brandungszone festsetzen und diese bei schlechten Umweltbedingungen auch wieder lösen können, sowie die Feigenmuscheln, die ganze Netze aus Byssusfäden spinnen und damit Fremdkörper fixieren.
Weiterhin bezeichnet Byssus auch Fasern aus Seide, Baumwolle oder Flachs, aus denen feine Gewebe erzeugt wurden. Byssus war früher eine nichttaxonomische Sammelbezeichnung für Moderpilze mit faserartiger Struktur, die zu den Hyphomycetes-Dematiei gezählt wurden.
Geschichte
Seit dem Altertum werden die Fasern der im Mittelmeer lebenden Edlen Steckmuschel (Pinna nobilis L.) gewonnen. Die erste eindeutige Textquelle, und damit der erste schriftliche Nachweis von Muschelseide, stammt von Tertullian (De pallio III,6) aus dem 2. Jahrhundert. Das älteste noch vorhandene Objekt aus Muschelseide ist eine gestrickte Mütze aus dem 14. Jahrhundert, die 1978 in Saint Denis bei Paris gefunden wurde. Die aus Muschelseidefasern hergestellten Gewebe werden als Byssus bezeichnet. Die Mehrzahl der antiken Vorkommen des Wortes Byssos bezieht sich jedoch auf kostbares, feines Leinen bzw. kostbare, feine Baumwolle. Auch die neutestamentlichen Vorkommen des Wortes Byssos (bzw. dessen Ableitungen) in Lk 16,19 , Offb 18 ,12.16 sowie Offb 19 ,8.14 bedeuten feines Leinen. Die Faser ist goldglänzend, sehr dünn und extrem fest und haltbar, insofern mit modernen Nylonfäden vergleichbar. Die Steckmuschel ist die weitaus größte Muschel des Mittelmeers. Sie kann bis zu einem Meter lang werden. Heute ist die Steckmuschel geschützt, das Handwerk nahezu ausgestorben.
In der Antike war der aus Byssus oder Steckmuschelwolle gewebte Stoff, die sogenannte Muschelseide oder Meerseide, ein sehr kostbarer textiler Werkstoff. Häufig wird behauptet, Byssus sei um ein „Vielfaches feiner als Seide“, jedoch haben die Byssusfasern einen Querschnitt von etwa 10–50 µm, entbastete Seide hat einen Querschnitt von 7–20 µm, nur Tussahseide (Wildseide) mit einem Durchmesser von 20–40 µm ist im Vergleich viel gröber. Wegen seiner Haltbarkeit und der aufwändigen Gewinnung ist Byssus sehr wertvoll. Textilien aus Muschelseide waren vor allem im Mittelalter unter hohen kirchlichen Würdenträgern und im Hochadel sehr begehrt.
Die kommerzielle Fertigung von Byssustextilien in Sardinien endete in den 1940er-Jahren. Byssus wird heute nur noch auf Sardinien in Sant’Antioco verarbeitet, wo sich auch ein Byssus-Museum befindet.
Zusammensetzung
Byssus wird von verschiedenen Muschelarten produziert, z. B. Pinna spp. Mytilus spp. Bathymodiolus thermophilus, Guekensia demissa, Modiolus modiolus und Dreissena polymorpha (Zebramuschel).
Byssusfäden besitzen im Vergleich zu Haaren eine glatte Faseroberfläche ohne Schuppen, der Faserquerschnitt ist elliptisch und kann dadurch von Seidenfasern unterschieden werden. Der Durchmesser der Fasern liegt zwischen 10 und 45 Mikrometer, womit die feineren Fasern darunter, nach Sortierung, zu den feinsten tierischen Naturfasern gehören. Byssusfäden sind insbesondere im trockenen Zustand wenig reißfest, denn unter den tierischen Naturfasern wird Byssus in seiner Zugfestigkeit von Spinnenseiden (z. B. von Araneus diadematus), Seiden und Tierhaaren übertroffen. Die Zugfestigkeit beträgt für den proximalen Teil der Faser 35 Megapascal und für den distalen Teil 75 Megapascal. Der proximale Teil des Byssus kann auf die dreifache Länge gedehnt werden und besitzt damit eine vergleichsweise hohe Dehnbarkeit, die unter den tierischen Naturfasern nur von Spinnenseide übertroffen wird. Der reißfestere, distale Teil der Faser kann auf das Doppelte seiner Länge gedehnt werden.
Die Byssusfäden der Salzwassermuschelart Mytilus sp. bestehen aus einem Faserkern aus drei Kollagen-artigen Proteinen preCol-NG, preCol-D und preCol-P (von engl. Precollagen) und einem Fasermantel aus den Proteinen Mfp 1–6 (von engl. Mussel foot protein). Mfp-1 ummantelt als Faserhülle (lat. Cuticula) die preCol-Proteine des Faserkerns und vermindert die Korrosion der Faser im Meerwasser. Mfp-3 und Mfp-5 sind darübergelagert und hauptsächlich für die Adhäsion verantwortlich. Unter den drei Proteinen des Faserkerns ist preCol-NG (von engl. non-gradient ‚gleichmäßig verteilt‘) über die gesamte Faser verteilt, preCol-D tritt im distalen Bereich auf und preCol-P tritt im proximalen Bereich auf. Die mittelbraune Farbe entsteht durch die Einlagerung von Phäomelanin. Das Mfp-1 ist über Calciumionen und Eisenionen an den Dihydroxyphenyl-L-Alaninen nicht-kovalent quervernetzt, was die Festigkeit erhöht. Das Dihydroxyphenyl-L-Alanin im Mfp-1 entsteht aus Tyrosin durch posttranslationale Modifikation. In der aus Mfp-1 bestehenden Faserhülle gibt es knäuelförmige Bereiche mit besonders stark quervernetztem und festerem Mfp-1, welche in einer Schicht aus weniger quervernetztem Mfp-1 eingebettet sind. Das Dihydroxyphenyl-L-Alanin trägt auch zu einer erhöhten Lichtabsorption und somit zu einem UV-Schutz der preCol-Proteine des Faserkerns bei.
Trotz der niedrigeren Strömungsgeschwindigkeiten im Habitat besitzen unter den genannten Muschelarten die Byssusfäden der Süßwassermuschel Dreissena polymorpha die höchste Zugfestigkeit der Faser über die gesamte Länge, vermutlich da deren Byssusfasern keine Kollagen-artigen Proteine enthält. Die Byssusproteine von Dreissena sp. sind ebenfalls durch Dihydroxyphenyl-L-Alanin quervernetzt, und besitzen eine untypisch elektronendichte Kontaktfläche. Bei den Salzwassermuscheln gibt es deutliche Festigkeitsunterschiede zwischen proximalen und distalen Bereichen der Byssusfäden, die entfernteren (distalen, preCol-D-enthaltenden) Teile sind, für sich betrachtet, fester als diejenigen der Süßwassermuschel Dreissena sp.
Literatur
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- Felicitas Maeder, Ambros Hänggi, Dominik Wunderlin: Bisso marino. Fili d'oro dal fondo del mare. = Muschelseide. Katalog zur Ausstellung im Naturhistorischen Museum Basel. Naturhistorisches Museum u. a., Basel 2004, ISBN 88-7439-114-5.
- Felicitas Maeder: Nicht überall, wo Byssus draufsteht, ist Muschelseide drin. Sprachliche und materielle Aspekte eines Missverständnisses – und die Folgen. In: Karlheinz Dietz, Christian Hannick, Carolina Lutzka, Elisabeth Maier (Hrsg.): Das Christusbild. Zu Herkunft und Entwicklung in Ost und West. Akten der Kongresse in Würzburg, 16.–18. Oktober 2014, und Wien, 17.–18. März 2015 (= Das Östliche Christentum, Neue Folge, Band 62). Würzburg 2016, S. 790–848.
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- Franz Olck: Byssos. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band III,1, Stuttgart 1897, Sp. 1108–1114.
- Cecie Starr, Ralph Taggart: Biology: The Unity and Diversity of Life. 10th. Edition, Thomson Learning, Belmont, CA 2004, ISBN 978-0-5343-8800-3.
- Ruth D. Turner, Joseph Rosewater: The Family Pinnidae in the Western Atlantic. In: Johnsonia. Band 3, Heft 38, 1958, S. 285–326.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Johann Georg Krünitz: Byssus. In: Oeconomische Encyclopädie (1773–1858), Band 7.
- ↑ Eugen Pierer: Pierer's Universal-Lexikon 4. Auflage (1857–1865).
- ↑ Felicitas Maeder: Nicht überall, wo Byssus draufsteht, ist Muschelseide drin. Sprachliche und materielle Aspekte eines Missverständnisses - und die Folgen. In: Karlheinz Dietz, Christian Hannick, Carolina Lutzka, Elisabeth Maier (Hrsg.): Das Christusbild. Zu Herkunft und Entwicklung in Ost und West. Akten der Kongresse in Würzburg, 16.–18. Oktober 2014, und Wien, 17.–18. März 2015 (= Das Östliche Christentum, Neue Folge, Band 62). Würzburg 2016, S. 790 – 848 (S. 810).
- ↑ Felicitas Maeder: Nicht überall, wo Byssus draufsteht, ist Muschelseide drin. Sprachliche und materielle Aspekte eines Missverständnisses - und die Folgen. In: Karlheinz Dietz, Christian Hannick, Carolina Lutzka, Elisabeth Maier (Hrsg.): Das Christusbild. Zu Herkunft und Entwicklung in Ost und West. Akten der Kongresse in Würzburg, 16.–18. Oktober 2014, und Wien, 17.–18. März 2015 (= Das Östliche Christentum, Neue Folge, Band 62). Würzburg 2016, S. 809.
- ↑ Vgl. hierzu ausführlich: Franz Olck: Byssos. In: RE. Band III, 1, 1897, S. 1108–1114.
- ↑ Vgl. die einschlägigen Wörterbücher: Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament; Bauer/Aland: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments zum Wort.
- ↑ Peter M. Latzke, Rolf Hesse: Textile Fasern. Rasterelektronenmikroskopie der Chemie- und Naturfasern. Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-87150-274-X, S. 55–56.
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