Der Codex Hersfeldensis war eine frühmittelalterliche Handschrift des 9. Jahrhunderts. Der Codex wurde zwischen 830 und 850 geschrieben und befand sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in der Abtei Hersfeld. 1455 durch Enoch von Ascoli nach Italien verbracht, wurde der Codex aufgeteilt, kopiert und ist seitdem verschollen. Der Codex Hersfeldensis gilt als Urhandschrift für die heutigen überlieferten Handschriften der Opera minora – die kleineren Werke Tacitus’, unter anderem die sogenannte Germania.

1425 wurde der Apostolische Sekretär, Humanist und Sammler lateinischer Handschriften Poggio Bracciolini durch den Hersfelder Mönch Heinrich von Grebenstein während dessen Aufenthalt in Rom über den Fund von Abschriften antiker Werke informiert. Grebenstein sandte Poggio eine Bestandsliste der Schriften. Poggio erkannte den Wert der Funde und sandte daraufhin seinen Agenten Niccolò Niccoli zur genauen Bestandsaufnahme nach Hersfeld. Dieser nannte 1431 als in dem Codex enthaltene Werke drei Schriften des Tacitus (Germania, Agricola, Dialogus de oratoribus) und ein Fragment von Suetons De grammaticis et rhetoribus aus De viris illustribus mit ihrem Incipit und Umfang in Folia:

  • Cornelii Taciti De origine et situ Germanorum liber, […] xii folia
  • Cornelii Taciti De vita Iulii Agricolae, […] xiiii folia
  • Dialogus de oratoribus, […] xviii folia
  • Suetonii Tranquilli De grammaticis et rhetoribus, […] folia vii

Poggio versuchte vergeblich, die Handschrift für sich persönlich zu erwerben. Der Codex gelangte erst im Rahmen der Büchersuche von Papst Nikolaus V. in Deutschland und dem nördlichen Europa durch Enoch von Ascoli nach Rom. Danach und nach der Anfertigung einiger Abschriften der einzelnen Werke verliert sich jede Spur der Handschrift.

Die einzige heute noch erhaltene Handschrift, die als direkte Abschrift aus den Codex Hersfeldensis gilt, ist der 1902 entdeckte Codex Aesinas Latinus 8 (Cod. Vitt. Em. 1631 der Biblioteca Nazionale Centrale di Roma). Der Aesinas wurde in der Zeit nach der Beschreibung Decembrios bis spätestens 1474 durch den Humanisten Stefano Guarnieri erstellt und enthält Teile des Agricola und die volle Germania und einer weiteren Schrift. Im Agricola-Teil sind vier Folioblätter in karolingischer Minuskel eingebunden. Dieses Agricola-Fragment gilt in der Forschung als das einzig heute erhaltene Originalstück des Codex Hersfeldensis.

Literatur

  • Bernhard Bischoff: Das benediktinische Mönchtum und die Überlieferung der klassischen Literatur. In: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige, Jg. 92 (1981), S. 165–190, hier S. 181.
  • Michael Fleck: Der Codex Hersfeldensis des Tacitus: eine abenteuerliche Geschichte aus der Zeit der Renaissance. In: Hersfelder Geschichtsblätter. Band 1 (2006), S. 98–113.
  • Heinz Heubner: Die Überlieferung der Germania des Tacitus. In: Herbert Jankuhn, Dieter Timpe (Hrsg.): Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus. Bericht über die Kolloquien der Kommission für die Altertumskunde Nord- und Mitteleuropas im Jahr 1986. Teil 1. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1989, ISBN 3-525-82459-9, S. 16–26.
  • Harald Merklin: ′Dialogus′-Probleme in der neueren Forschung. In: Wolfgang Haase et al. (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II. Prinzipat, Band 33, 3. Walter de Gruyter, Berlin/New York 1991. ISBN 3-11-012541-2, S. 2255–2283.
  • Dieter Mertens: Die Instrumentalisierung der „Germania“ des Tacitus durch die deutschen Humanisten. In: Heinrich Beck (Hrsg.): Zur Geschichte der Gleichung „germanisch–deutsch“: Sprache und Namen, Geschichte und Institutionen. Walter de Gruyter, Berlin/New York 2004, ISBN 978-3-11-017536-3, S. 37–101 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, 34; online als PDF).
  • Charles E. Murgia: Review Article: The Minor Works of Tacitus. A Study in Textual Criticism Cornelii Taciti Opera minora by M. Winterbottom, R. M. Ogilvie. In: Classical Philology 72, 4 (1977), S. 323–343.
  • Charles E. Murgia, R. H. Rodgers: A Tale of Two Manuscripts. In: Classical Philology 79 (1984), S. 145–153.
  • Ludwig Pralle: Die Wiederentdeckung des Tacitus. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte Fuldas und zur Biographie des jungen Cusanus. Verlag Parzeller, Fulda 1952.
  • Rodney P. Robinson: The Inventory of Niccolo Niccoli. In: Classical Philology 16 (1921), S. 251–255. (online)
  • Franz Römer: Kritischer Problem- und Forschungsbericht zur Überlieferung der taciteischen Schriften. In: Wolfgang Haase et al. (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Teil 2: Prinzipat, Band 33,3. de Gruyter, Berlin/New York 1991, ISBN 3-11-012541-2, S. 2299–2339.
  • Rudolf Till: Handschriftliche Untersuchungen zu Tacitus Agricola und Germania, mit einer Photokopie des Codex Aesinas. Berlin-Dahlem 1943.
  • Michael Winterbottom: The Manuscript Tradition of Tacitus’ Germania. In: Classical Philology, Jg. 70 (1975), S. 1–7.
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