Strukturformel
Allgemeines
Freiname Dimethylsulfoxid
Andere Namen
  • DMSO
  • Methylsulfoxid
  • Methylsulfinylmethan
  • Sulfinyldimethan
  • Dimethylis sulfoxidum
Summenformel C2H6OS
Kurzbeschreibung

farb- und geruchlose Flüssigkeit

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 67-68-5
EG-Nummer 200-664-3
ECHA-InfoCard 100.000.604
PubChem 679
ChemSpider 659
DrugBank DB01093
Wikidata Q407927
Eigenschaften
Molare Masse 78,13 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,10 g·cm−3 (20 °C)

Schmelzpunkt

18 °C

Siedepunkt

189 °C

Dampfdruck
  • 0,556 hPa (20 °C)
  • 2,18 hPa (40 °C)
  • 4,04 hPa (50 °C)
Löslichkeit

mischbar mit Wasser, Alkoholen, Aceton, Chloroform und Benzol, nicht aber mit Alkanen

Dipolmoment

3,96(4) D (1,3 · 10−29 C · m)

Brechungsindex

1,4793 (20 °C)

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze
MAK

Schweiz: 50 ml·m−3 bzw. 160 mg·m−3

Toxikologische Daten

14500 mg·kg−1 (LD50, Ratte, oral)

Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

−204,2 kJ/mol

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Dimethylsulfoxid (Abkürzung DMSO) ist ein organisches Lösungsmittel und zählt zur Verbindungsklasse der Sulfoxide.

Darstellung und Gewinnung

Technisch wird Dimethylsulfoxid aus Dimethylsulfid z. B. durch katalytische Oxidation mit Distickstofftetroxid in Anwesenheit von Sauerstoff hergestellt. Im Labor kann der Thioether Dimethylsulfid mit stöchiometrischen Mengen Wasserstoffperoxid oder verdünnter Salpetersäure oxidiert werden. Das Dimethylsulfoxid kann allerdings weiter zu Dimethylsulfon oxidiert werden:

DMSO fällt daneben als Nebenprodukt bei der Zellstoffherstellung an.

Eigenschaften

Physikalische Eigenschaften

Dimethylsulfoxid ist eine farblose, stark hygroskopische Flüssigkeit. Zur Kennzeichnung der Reinheit („pharmazeutische Qualität“) „wird häufig die

  • UV-Licht-Absorption bei 270...300 nm, vorzugsweise bei 275 nm sowie eine
  • völlige Geruchsfreiheit[!]

herangezogen.“ Jede Geruchsnote (ob „faulig“ oder „schwefelartig“ oder „leicht an Knoblauch erinnernd“) deutet auf Verunreinigungen mit anderen Schwefelverbindungen hin, meist mit Dimethylsulfid, das nach dem Syntheseprozess (s. o.) verblieben sein kann, sich aber auch bei längerer Lagerung bildet. Zur Herstellung der Reinsubstanz müssen daher geeignete Reinigungsverfahren, wie

oder eine Kombination dieser Verfahren angewendet werden.

Mit einem Schmelzpunkt bei 18 °C kann DMSO nur wenig unterhalb der Raumtemperatur erstarren. Die Schmelzenthalpie beträgt 14,37 kJ·mol−1. Bei Normaldruck siedet die Verbindung bei 189 °C. Die Dampfdruckfunktion ergibt sich nach Antoine entsprechend log10(P) = A−(B/(T+C)) (P in bar, T in K) mit A = 4,49107, B = 1807,002 und C = −60,995 im Temperaturbereich von 325,5 bis 442,1 K bzw. mit A = 5,23039, B = 2239,161 und C = −29,215 im Temperaturbereich von 293 bis 323 K. Es ist in jedem Verhältnis mit Wasser mischbar, weiterhin mit vielen organischen Lösemitteln wie Alkoholen, Carbonsäureestern, Ketonen, und chlorierten Kohlenwasserstoffen. Es gehört der Gruppe nukleophiler, aprotischer, dipolarer Lösemittel an (wie zum Beispiel Dimethylformamid).

Chemische Eigenschaften

Die Verbindung beginnt sich am Normaldrucksiedepunkt bei 189 °C thermisch zu zersetzen, was heftig bis explosionsartig erfolgen kann. Die Zersetzung wird durch Säuren oder Basen katalysiert, so dass diese schon bei wesentlich niedrigeren Temperaturen relevant werden kann. Eine heftige bis explosionsartige Zersetzung erfolgt auch in Gegenwart von Halogenverbindungen, Metallnitraten, Metallperchloraten, Natriumhydrid, Periodsäure und von Fluorierungsmitteln.

Dimethylsulfoxid kann mit Natriumhydrid oder Natriumamid unter Bildung eines Methylsulfinylcarbanions (Dimsylanion) deprotoniert werden, welches als sehr starkes nucleophiles Reagenz in der organischen Synthese verwendet wird. Die Reaktionsgemische können sich oberhalb von 70 °C explosionsartig zersetzen. Es besteht auch beim Isolieren des festen Natriumsalzes Explosionsgefahr.

Sicherheitstechnische Kenngrößen

Dimethylsulfoxid bildet oberhalb des Flammpunktes bei 88 °C entzündbare Dampf-Luft-Gemische. Die untere Explosionsgrenze liegt bei 1,8 Vol.‑% (58 g/m³). Eine obere Explosionsgrenze (OEG) kann wegen der thermischen Zersetzung der Substanz nicht bestimmt werden. Die Sauerstoffgrenzkonzentration wurde bei 200 °C mit 3,9 Vol% bestimmt. Die Zündtemperatur beträgt 270 °C. Der Stoff fällt somit in die Temperaturklasse T3. Die elektrische Leitfähigkeit ist mit 2·10−7 S·m−1 eher gering.

DMSO-d6

Vollständig deuteriertes DMSO (DMSO-d6) – in dem alle sechs Wasserstoffatome durch Deuterium ausgetauscht sind – wird als Lösungsmittel in der NMR-Spektroskopie benutzt.

Verwendung

DMSO ist ein weitverbreitetes Lösungsmittel in Labor und Technik. So wird es in Spinnlösungen von Polyacrylnitril, als Abbeizmittel, als Lösungsmittel bei der Aromatenextraktion und als Reaktionsmedium bei organischen Synthesen verwendet. Auch viele anorganische Salze haben eine gute Löslichkeit in DMSO.

In der organischen Synthesechemie dient es in der Swern-Oxidation und der Parikh-Doering-Oxidation als Oxidationsmittel. In der Pharmazie dient es als pharmazeutischer Hilfsstoff als Bestandteil von Salben (siehe Pharmakologie).

In der Zellkultur findet DMSO Verwendung in Einfriermedien bei der Kryokonservierung von eukaryotischen Zellen. Als Gefrierschutzmittel verhindert es während des Einfrierprozesses die Bildung von Eiskristallen; diese können Zellorganellen zerstören und so zum Absterben der Zellen führen. DMSO hemmt die Kristallbildung etwas besser als Glycerin.

Auch die meisten Substanzbibliotheken verwenden DMSO als Lösungsmittel. Da das Lösungsmittel jedoch nicht komplett inert ist, kann dies zu einer Verschlechterung der Probenreinheit führen.

DMSO als Arzneimittel

Vorgeschichte

Die beiden amerikanischen Wissenschaftler Edward E. Rosenbaum und Stanley W. Jacob entdeckten Anfang der 1960er Jahre die medizinische Verwendung von DMSO. Es sollte bei einer Vielzahl von Krankheiten des Bewegungsapparates sowie außerdem bei Verletzungen eine überraschende Heilwirkung entfalten. Die Datenlage dazu war dünn, „qualitativ und quantitativ bei weitem noch nicht zureichend“, sie genügte aber dem Bundesgesundheitsamt, um dem Antrag von fünf westdeutschen Pharmaunternehmen auf Zulassung von DMSO Ende August 1965 stattzugeben.

Mitte September 1965 berichtete dann die Fachpresse über zwei nicht aufgeklärte Todesfälle nach DMSO-Therapie, ein Kausalzusammenhang war jedoch nicht nachzuweisen. Außerdem untersuchte die FDA drei Sterbefälle aufgrund fraglicher allergischer Reaktion auf DMSO.

Zwei Monate später kam aus zwei Laboren in England und den USA gleichzeitig die Nachricht, dass bei monatelang mit DMSO behandelten Tieren eine „Veränderung des Brechungsindex der Augenlinse“ aufgetreten sei. Die FDA reagierte als Erste sofort und konsequent mit einem Verbot aller DMSO-Tests an amerikanischen Kliniken (betroffen gewesen sein sollen etwa 50.000 Probanden). Der FDA-Chefmediziner Dr. Joseph F. Saduk konstatierte: „Weitere Versuche mit Menschen sind nicht mehr zu rechtfertigen“.

Erst vier Tage nach Bekanntwerden dieses Ergebnisses, am 17. November 1965, veranlassten die längst informierten westdeutschen Hersteller einen Lieferstopp des vorher als Wundermittel („Geradezu dramatische Erfolge“ (Schering)) angepriesenen Stoffs. Das bedeutete de facto die Marktrücknahme von DMSO. Das deutsche Gesundheitssystem erfuhr von der Misere erst zwei Tage später. DMSO war also in Deutschland weniger als drei Monate als Einzelsubstanz zugelassen.

Die anbietende deutsche Pharmaindustrie war sich keines Versäumnisses bewusst. Jedoch hatte schon Wochen vor dem Lieferstopp die Arzneimittelkommission der amerikanischen Ärzteschaft gewarnt: „Bis jetzt sind weder seine positiven Wirkungen noch seine möglichen Gefahren hinreichend erforscht.“

Aktuelle Rechtssituation

Der freie Handel mit der Substanz ist weiterhin nicht verboten, solange sie nicht als Arzneimittel angeboten wird.

  • In Deutschland ist Dimethylsulfoxid als Arzneimittel nicht zugelassen und daher im Pharmahandel als Einzelsubstanz nicht gelistet. Es wird lediglich (Stand April 2023) bei einzelnen fluoruracilhaltigen Warzenmitteln als pharmazeutischer Hilfsstoff („sonstiger Bestandteil“), nicht als Inhaltsstoff („enthält ...“) aufgeführt.
    In topischen Antiphlogistica wurde DMSO als Transportvermittler ersetzt durch 2,5-Dimethylisosorbid.
  • In der Schweiz wird folgendermaßen differenziert: „Dimethylsulfoxid ist in der Schweiz als Arzneistoff zugelassen und ausschliesslich in Kombination mit anderen Wirkstoffen im Handel. Es handelt sich um Sprays, Gele und Cremen. Die DMSO-Salbe 50 % wird in Apotheken hergestellt. Der Reinstoff ist in Apotheken und Drogerien erhältlich. Medikamente zur Einnahme sind nicht freigegeben.“
  • In Österreich sind antiphlogistische Lokaltherapeutika mit DMSO in Apotheken erhältlich. Gele mit einem DMSO-Gehalt ≥20 % wurden 2004 noch als rezeptpflichtige Medizinprodukte (nicht als Arzneimittel) verkauft.
  • In den USA ist DMSO seit 1978 ausschließlich zur Instillation in die Harnblase bei interstitieller Zystitis von der FDA zugelassen. Trotz Teilerfolgen bei der Therapie des Hirnödems erteilte die FDA bisher (2022) keine Zulassung für diese Indikation.

Pharmakologie

Dimethylsulfoxid hat entzündungshemmende (antiphlogistische) und schmerzlindernde (analgetische) Eigenschaften. Es findet daher trotz ungeklärter Nebenwirkungen und hiesiger rechtlicher Beschränkungen therapeutische Verwendung als perkutanes (lat. durch die Haut) Arzneimittel zur Behandlung lokaler Schmerzzustände (beispielsweise bei Sportverletzungen oder rheumatischen Beschwerden). Da DMSO bei Blutergüssen zum schnellen Abschwellen beiträgt, wird es bei Bedarf besonders in Kampfsportarten angewandt. Eine Studie aus Brasilien konnte zeigen, dass DMSO-Gel in Kombination mit therapeutischem Ultraschall gegenüber anderen Behandlungsformen (bzw. keiner Behandlung) signifikant bessere Ergebnisse im Hinblick auf das Abschwellen stumpfer Verletzungen aufweisen.

Seine besondere Fähigkeit ist das leichte Eindringen in Haut und das Passieren von Zellmembranen. Es dringt in die Haut ein „wie ein heißes Messer durch Butter gleitet.“ und erreicht auch bis dahin unzugängliche Körperregionen. Schon wenige Minuten nach dem Auftragen auf die Haut riecht der Atem des Patienten nach Knoblauch. Es dient daher als Trägersubstanz bei auf der Haut angewendeten Arzneimitteln (Salben, Gele, Pflaster, Tinkturen) zur Einschleusung der Wirkstoffe wie Schmerzmittel als sogenannter Transportvermittler (auch Penetrationsverstärker oder Schleppersubstanz genannt), d. h., in DMSO gelöste Substanzen werden leicht vom Organismus durch die Haut aufgenommen.

Die guten Penetrations- und Transporteigenschaften von DMSO können sich in Kombinationspräparaten auch negativ auswirken:
Zwei junge Mädchen litten an unerklärlichem Haarausfall. Beide hatten – die eine nur kurzfristig, die andere zwei Jahre lang – einzelne Warzen mit einer Warzentinktur aus Fluorouracil, Salizylsäure und DMSO behandelt. Wegen eines messbaren Serumspiegels von Fluorouracil und nach Ausschluss anderer Ursachen musste man schließlich davon ausgehen, dass das gut resorbierte Zytostatikum Fluorouracil den Haarausfall bewirkt hatte – eine seiner typischen Nebenwirkungen.

Eine unerwünschte Penetration kann auch bei Giften eintreten, die sonst keine oder schwach wirksame Kontaktgifte darstellen, wie Cyanide. Daher müssen Lösungen von als toxisch geltenden Verbindungen sofort, wenn diese auf die Haut gelangen, mit geeigneten Mitteln (z. B. Wasser) abgespült werden.

Alternativmedizin

DMSO wird in der Alternativmedizin vermarktet. Seine Popularität als alternatives Heilmittel soll auf eine 60-Minuten-Dokumentation aus dem Jahr 1980 zurückgehen, in der ein früher Befürworter zu Wort kam. DMSO ist jedoch Bestandteil einiger Produkte, die von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA als gefälschte Krebsmedikamente gelistet sind, und die FDA setzt sich mit den Vertreibern juristisch auseinander. Die Verwendung von DMSO als alternative Behandlung von Krebs ist besonders besorgniserregend, da es nachweislich mit einer Reihe von Chemotherapie-Medikamenten, einschließlich Cisplatin, Carboplatin und Oxaliplatin, interferiert.

Es gibt keine ausreichenden Beweise für eine medizinische Wirksamkeit von DMSO als Arzneistoff.

PubMed-Suche mit Stichwort „Dimethyl Sulfoxide“ im Titel (ohne Berücksichtigung des Folgeworts): 2742 Ergebnisse (1962–2023).

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 4 5 6 7 8 Eintrag zu CAS-Nr. 67-68-5 in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 17. April 2018. (JavaScript erforderlich)
  2. Hans Beyer, Wolfgang Walter: Lehrbuch der Organischen Chemie. 23. Auflage. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-7776-0808-4.
  3. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Dipole Moments, S. 9-55.
  4. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Physical Constants of Organic Compounds, S. 3-210.
  5. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte (Suche nach 67-68-5 bzw. Dimethylsulfoxid), abgerufen am 2. November 2015.
  6. Eintrag zu Dimethyl sulfoxide in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM), abgerufen am 25. März 2021. (Seite nicht mehr abrufbar)
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  29. Spätere Pressemitteilung von Schering, zit. n. DER SPIEGEL
  30. Zit. n. DER SPIEGEL
  31. Zit. n. DER SPIEGEL
  32. zit. n. DER SPIEGEL
  33. wie Ethanol, Ethylacetat, Pyroxylin etc.
  34. PharmaWiki
  35. z. B. Dolobene® ratiopharm Gel
  36. z. B. Dolobene® pur
  37. https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2004/daz-3-2004/uid-11272
  38. Maria Karim et al.: Dimethyl sulfoxide (DMSO): a solvent that may solve selected cutaneous clinical challenges. Archives of Dermatological Research 2022. doi:10.1007/s00403-022-02494-1
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  51. DMSO at WebMD

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