Enlil (sumerisch 𒀭𒂗𒆀 EN.lil, deutsch ‚Herr Wind‘; akkadisch Ellil) ist der Hauptgott des sumerischen und akkadischen Pantheons. Er ist VorgĂ€nger und Vorbild spĂ€terer Gottheiten diverser altorientalischer Völker.

Als Sohn des Himmelsgottes An wurde Enlil als oberster Gott verehrt und als „König von Himmel und Erde, König der LĂ€nder, Vater der Götter“ bezeichnet. Sein Hauptheiligtum war der Tempelkomplex E-Kur (Haus Berg) in Nippur, aber auch der Tempel E-Adda (Haus des Vaters) in Lagas, E-Ugal in Dur Kurigalzu und der Tempel E-am-kur-kur-ra (Haus des Wildstiers) in Assur waren ihm gewidmet.

Seine Gemahlin ist die Göttin Ninlil, in manchen Überlieferungen auch die Göttin Mami (Anzu-Mythos) oder die Göttin Ninhursanga. GrundsĂ€tzlich ist er auch mit der Göttin Sud (Stadtgöttin von Ć urrupag) verheiratet, diese wird aber mit Ninlil gleichgesetzt.

Vater der Götter

Er gilt als Vater mehrerer der wichtigsten Götter des sumerischen Pantheons wie Ninurta, Ningirusu, Nergal, Nanna (Sin) und Ischkur (Adad). Sein Bote war Nusku, seine Nebenfrau Ơuzianna.

Durch die ME-Tafeln, mit denen er ĂŒber das Schicksal gebieten konnte, herrschte er ĂŒber die Menschen, aber auch ĂŒber die anderen Götter.

In der babylonischen Religion wurde Enlils Rolle durch den Machtaufstieg von Babylon durch den lokalen Stadtgott Marduk ersetzt, der dessen Werke vollbrachte und auch seine 50 Ehrentitel ĂŒbernahm. ErzĂ€hlt wird diese MachtĂŒbernahme einer neuen Religion im berĂŒhmten babylonischen Schöpfungsmythos Enuma Elish. In der assyrischen Kultur wurde Enlil oft mit dem Hauptgott AĆĄĆĄur gleichgesetzt, dem dementsprechend stand diesem die Gemahlin Ninlil zur Seite[1].

Etymologie

Der Name EN.lil ist sumerisch und bedeutet wörtlich ĂŒbersetzt ‚Herr Wind‘ entsprechend ist der Sturmwind das Element des Gottes Enlil, welches sich am weitesten zurĂŒckverfolgen lĂ€sst. Weitere Überlegungen gehen auch zur Interpretation „Herr der Menschen“ (EN.lillu) ĂŒber, was nicht ganz abwegig ist, da er im Allgemeinen als Schöpfer der Menschen gilt.

Enlils Name kann auf Inschriften auch durch weitere Bezeichnungen ersetzt werden. So sind Nunamnir, der WĂŒrdige und Kurgal, der große Berg, aber auch die sieben Titel Enlils („Herr der LĂ€nder“, „Herr des verlĂ€sslichen Wortes“, „Vater des Landes“, „Hirt der Schwarzköpfigen“ (Selbstbezeichnung der Sumerer), „Held, der aus sich selbst Gesichte hat“, „Herr, der sein Heer leitet“, „Er, der dem gestörten Schlaf Ruhe gibt“) gelĂ€ufige Synonyme fĂŒr den Gott Enlil.

Hauptkultort

Sein Hauptkultort und wichtigstes Zentrum der sumerischen Religion war der Tempelkomplex E-Kur in Nippur. Enlil war wahrscheinlich von Anbeginn an der Schutzgott von Nippur. Als besondere Auszeichnung wurde Nippur auch mit dem Logogramm EN.lili KI geschrieben, was „Ort des Enlil“ bedeutet.

Die anderen Götter reisten als reale Götterstelen einmal im Jahr nach Nippur, um den Segen Enlils zu erhalten. Diverse literarische Reisebeschreibungen dieser Götter auf ihrem Weg nach Nippur sind uns ĂŒberliefert.

Diese Verehrung des Hauptgottes brachte Nippur einen besonderen Status unter den Stadtstaaten ein. Viele Könige bis hin zu den Assyrern rĂŒhmten sich das Heiligtum des Enlil restauriert, wiederaufgebaut oder erweitert zu haben, und entsprechend hoch war das Ansehen der Stadt, ohne das Nippur jemals eine mĂ€chtige Dynastie hervorgebracht hatte.

Ikonographie

Hauptattribut von Enlil ist die Hörnerkrone auf einem Thron. Dieses Symbol bezeichnet grundsĂ€tzlich die Göttlichkeit in der mesopotamischen Ikonographie und war, bis auf wenige Ausnahmen in der SpĂ€tzeit, den Göttern vorbehalten. Als Symbol fĂŒr Enlil reichte es aus, nur die Hörnerkrone auf einem Thron darzustellen.

Seine Hauptwaffe war das Netz, das Szepter und die Schicksalstafeln.

Sein Emblem war das abajEnlil-dim „Wer ist wie Ellil?“, von dem wir aber nicht wissen wie es aussah.

In der sumerischen Numerologie war die FĂŒnfzig die Zahl Enlils. Am Himmel reprĂ€sentiert ihn das Sternbild BĂ€renhĂŒter.

Mythologische Darstellungen

In der sumerischen und akkadischen Dichtung wurde Enlil mehrfach behandelt. Selten ist er der Hauptakteur, aber oft hat er eine herausragende, schlichtende oder ursÀchliche Stellung in den Texten.

Das Lied von der Hacke

In einem Lehrgedicht, welches wohl das Augenmerk auf die besondere Textstruktur legen sollte, wird von Enlil als Schöpfer der Welt und der Menschen berichtet. Das Wort Hacke (al oder ar) wird hier in allen Variationen so oft wie möglich in anderen Wörtern verwendet und bezeichnet das Werkzeug, welches Enlil verwendete, um alles zu erschaffen.

Enlil und Ninlil

Enlil begehrt die schöne Ninlil. Da diese seinen Avancen widersteht, verfĂŒhrt er sie mit seinen ZauberkĂŒnsten und schwĂ€ngert sie mit dem Gott Nanna. Als Enlil zu den Göttern zurĂŒckkehrt, wird er von diesen als unrein bezeichnet und in die Unterwelt verstoßen. Ninlil, die davon erfĂ€hrt, folgt ihm daraufhin. Auf dem Weg zur Unterwelt muss sie an drei Toren vorbei. Doch Enlil gibt sich mehrfach als TorwĂ€chter dieser Tore aus und ĂŒberredet Ninlil, sie schwĂ€ngern zu dĂŒrfen. Das entstandene Kind solle an Nannas Statt in die Unterwelt gehen. Ninlil willigt jedes Mal ein und zeugt so die Unterweltgötter Nergal, Nianzu und Enbilulu. Diese bleiben in der Unterwelt, wĂ€hrend Nanna, als Gott des Mondes, immer wieder die Unterwelt verlassen darf.

Enlil und Sud

In diesem Mythos wird erzÀhlt, wie sich Enlil in Sud verliebt und um ihre Hand anhÀlt. Im Text wird davon gesprochen, dass Sud nach der Heirat mit Enlil zu Ninlil wird.

Atrahasis-Epos

In der akkadischen Flutlegende, die sowohl als eigenstĂ€ndige Überlieferung als auch im Gilgamesch-Epos erwĂ€hnt wird, schickt der oberste Gott Enlil die Plagen, die Krankheiten und die Sintflut, um die Menschheit zu vernichten.

Anzu-Mythos

Im Anzu-Mythos wird Enlil beim Baden der Schicksalstafeln beraubt. Ninurta, der eigentliche Hauptcharakter in diesem Mythos, besiegt Anzu und stellt damit die göttliche Ordnung wieder her.

Enuma Anu Enlil

In der 70 Tafeln umfassenden kanonischen Keilschrifttafelserie Enuma Anu Enlil werden in 7000 Omina ominöse Erscheinungen von Mond, Sonne, Planeten und Fixsternen behandelt.

Literatur

  • Brigitte Groneberg: Die Götter des Zweistromlandes. Kulte, Mythen, Epen. Artemis & Winkler, Stuttgart 2004, ISBN 3-7608-2306-8.
  • Michael v. Streck (Hrsg.): Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen ArchĂ€ologie. Band 2, S. 382 ff.
  • Manfred Krebernik: Götter und Mythen des Alten Orients. 1. Auflage. Beck, MĂŒnchen 2012, ISBN 978-3-406-60522-2.
  • Samuel Noah Kramer: History begins at Sumer. Thirty-nine firsts in man's recorded history. 3. Auflage. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 1981, ISBN 0-8122-7812-7.
  • Gwendolyn Leick: A Dictionary of Ancient Near Eastern Mythology. 2002.

Einzelnachweise

  1. 1 2 3 4 Michael v. Streck (Hrsg.): Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen ArchĂ€ologie. Band 2, S. 382 ff.
  2. ↑ Brigitte Groneberg: Die Götter des Zweistromlandes. Kulte, Mythen, Epen. Artemis & Winkler, DĂŒsseldorf 2004, ISBN 3-7608-2306-8.
  3. ↑ Manfred Krebernik: Götter und Mythen des Alten Orients. 1. Auflage. Beck, MĂŒnchen 2012, ISBN 978-3-406-60522-2.
  4. ↑ Samuel Noah Kramer: History begins at Sumer. Thirty-nine firsts in man’s recorded history. 3. Auflage. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 1981, ISBN 0-8122-7812-7 (englisch).
  5. ↑ Otto Kaiser (Hrsg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Band 2, S. 175.
  6. ↑ The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature. Abgerufen am 1. Januar 2019 (englisch).
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