Als Enkelrecht (auch: Enkel-Nutzungsrecht) bezeichnet man insbesondere im Urheberrecht ein Nutzungsrecht, das nicht vom originären Rechteinhaber selbst, sondern seinerseits vom Inhaber eines Nutzungsrechts („Tochterrechts“) eingeräumt wurde.

Einordnung

(Die nachfolgende Darstellung ist an der Rechtslage in Deutschland orientiert, sinngemäß aber auch auf andere Rechtsordnungen übertragbar.) Originärer Rechteinhaber des Urheberrechts ist der Urheber. Dieser kann sein Urheberrecht zwar nicht auf einen Dritten übertragen (§ 29 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz [UrhG]). Allerdings kann er einem Dritten ein Nutzungsrecht einräumen (§ 31 UrhG). Ein Nutzungsrecht ist ein durch Rechtsgeschäft (Vertrag) begründetes Recht am (fremden) Urheberrecht; es wird bisweilen auch, in Anlehnung an den Sprachgebrauch bei den gewerblichen Schutzrechten, als Lizenz bezeichnet. Das vom originären Rechteinhaber eingeräumte Nutzungsrecht bezeichnet man auch als Nutzungsrecht erster Stufe oder „Tochterrecht“, weil es unmittelbar vom Urheberrecht (als „Mutterrecht“) abgeleitet ist. Unter bestimmten Umständen kann nun anschließend der Inhaber eines solchen Nutzungsrechts erster Stufe seinerseits einem Dritten ein Nutzungsrecht einräumen. Dieses bezeichnet man dann analog als Nutzungsrecht zweiter Stufe oder auch „Enkelrecht“. Teilweise ist auch die Rede von einer „Unterlizenz“ (in Abgrenzung zur auf erster Stufe angesiedelten „Hauptlizenz“).

Folgen des Untergangs des Tochterrechts (Deutschland)

Durch die Einräumung solcher mehrstufiger Nutzungsrechte entstehen so genannte Lizenzketten (auch: Rechteketten). Eine besondere Problematik in dieser Konstellation besteht im Einfluss von Störungen im Bereich eines Tochterrechts auf den Bestand von Nutzungsrechten nachgelagerter Stufen. Als Beispiel mag etwa die Konstellation dienen, dass der Urheber von seinem Rückrufsrecht wegen Nichtausübung Gebrauch macht. Nach § 41 Abs. 1 UrhG kann ein Urheber ein von ihm eingeräumtes ausschließliches Nutzungsrecht zurückrufen, wenn dessen Inhaber das Recht nicht oder nur unzureichend ausübt und dadurch berechtigte Interessen des Urhebers erheblich verletzt werden. Rechtsfolge der wirksamen Erklärung eines solchen Rückrufs ist das Erlöschen des Nutzungsrechts. Dies wirft die Frage auf, welche Auswirkungen der Rückruf des Tochterrechts wegen Nichtausübung auf den Fortbestand von Enkelrechten hat, die vor dem Rückruf eingeräumt worden sind.

Im urheberrechtlichen Schrifttum herrscht in dieser Frage große Uneinigkeit. Die wohl überwiegende Zahl von Autoren vertritt die Auffassung, dass mit dem Wegfall des Tochterrechts auch die Enkelrechte erlöschen. Demgegenüber wird, üblicherweise unter Hinweis auf unmittelbare Konsequenzen aus dem Abstraktionsprinzip, vertreten, ein Fortfall des Tochterrechts lasse Enkelrechte unberührt. Eine weitere Ansicht will vermittelnd nach dem Grund des Erlöschens des Tochterrechts unterscheiden, wobei zumeist danach differenziert wird, ob das Tochterrecht aufgrund ordentlicher oder außerordentlicher Gründe (Rückruf, Kündigung etc.) untergegangen ist.

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied 2009 in der Sache Reifen Progressiv – gegen die vorherrschende Meinung im Schrifttum –, dass abgeleitete Enkelrechte jedenfalls beim Rückruf des Tochterrechts wegen Nichtausübung nicht erlöschen. Hierzu stellte er begründend darauf ab, dass die Enkelrechte ihre Grundlage in der Vereinbarung mit dem Inhaber des Tochterrechts (und nicht mit dem Urheber selbst) haben und das Erlöschen des ersten Verpflichtungsgeschäfts grundsätzlich nicht das Erlöschen dieser weiteren Vereinbarung zur Folge habe; auch einfachen Nutzungsrechten komme dinglicher Charakter zu, sodass das Enkelrecht nach Abspaltung vom Tochterrecht von dessen Fortbestand unabhängig sei. Schließlich spreche im Rahmen einer Interessenabwägung die Ausgestaltung des Rückrufsrechts wegen Nichtausübung gegen ein Erlöschen einfacher Enkelrechte: Bei Enkelrechten ausschließlicher Natur könne der Urheber den Rückruf wegen Nichtausübung ohnehin unmittelbar gegenüber dem Inhaber des Enkelrechts erklären. Bei einfachen Enkelnutzungsrechten ist dies zwar nicht möglich, doch falle ins Gewicht, dass der Urheber wegen deren bloß einfachen Charakters in seinen Rechten nicht übermäßig beeinträchtigt werde und der Einräumung von Enkelrechten durch den Inhaber des Tochterrechts ursprünglich selbst zugestimmt habe, sodass er es anschließend auch hinnehmen müsse, wenn das ausschließliche Nutzungsrecht beim Rückfall mit einem einfachen Nutzungsrecht belastet ist.

Inwieweit diese Rechtsprechung auch auf andere Fälle des Wegfalls des Tochterrechts übertragbar ist, ist in der Literatur umstritten. Der BGH hat sie inzwischen jedoch jedenfalls ausgeweitet. In der Entscheidung M2Trade entschied er für Fälle, in denen der Hauptlizenznehmer dem Unterlizenznehmer ein einfaches Nutzungsrecht gegen fortlaufende Zahlung von Lizenzgebühren eingeräumt hat, dass das Erlöschen des Tochterrechts auch dann nicht zum Erlöschen des Enkelrechts führt, wenn das Tochterrecht nicht durch einen Rückruf wegen Nichtausübung, sondern aus anderen, nicht in der Sphäre des Unterlizenznehmers liegenden, Gründen erlischt (im Streitfall: Kündigung des Hauptlizenzvertrags wegen Zahlungsverzugs).

Literatur

  • Stephan Carduck: Die Rechtsstellung des Unterlizenznehmers nach dem Fortfall der Hauptlizenz: Auswirkungen der Rechtsprechung des BGH (M2Trade/TakeFive). Kovač, Hamburg 2016, ISBN 978-3-8300-8992-6.
  • Louis Pahlow: Von Müttern, Töchtern und Enkeln: Zu Rechtscharakter und Wirkung des urhebervertraglichen Rückrufs. In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Band 111, 2010, S. 112–119.
  • Jennifer Pfingsten: Das Schicksal von Enkelrechten bei Fehlen bzw. nach Wegfall des Tochterrechts. Peter Lang, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-653-04784-4.
  • Gerald Spindler: Lizenzierung nach M2Trade, Take five und Reifen Progressiv: Eine Analyse mit besonderem Blick auf das Konzern- und auf das Kollisionsrecht. In: Computer und Recht. Nr. 9, 2014, S. 557–567, doi:10.9785/cr-2014-0903.
  • Dominik Sebastian Stier: Die Unterbrechung urheberrechtlicher Lizenzketten. V&R unipress, Göttingen 2014, ISBN 978-3-8471-0195-6.

Anmerkungen

  1. Vgl. etwa Berger in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 1 Rn. 184.
  2. Vgl. Berger in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 1 Rn. 40. Die Bezeichnung urheberrechtlicher Nutzungsrechte als „Lizenzen“ ist allerdings Gegenstand uneinheitlichen Sprachgebrauchs. Hierzu näher Mary-Rose McGuire, Die Lizenz. Eine Einordnung in die Systemzusammenhänge des BGB und des Zivilprozessrechts, Mohr Siebeck, Tübingen 2012, ISBN 978-3-16-150425-9, S. 59–67, sowie Louis Pahlow, Lizenz und Lizenzvertrag im Recht des Geistigen Eigentums, Mohr Siebeck, Tübingen 2006, ISBN 978-3-16-148937-2, S. 188–191.
  3. Vgl. Loewenheim/J. B. Nordemann in Loewenheim, Handbuch Urheberrecht, 2. Aufl. 2010, § 25 Rn. 9; BGH, Urteil vom 26. März 2009, I ZR 153/06 = BGHZ 180, 344 = GRUR 2009, 946 – Reifen Progressiv, Rn. 9.
  4. So etwa der Sprachgebrauch in BGH, Urteil vom 19. Juli 2012, I ZR 70/10 = BGHZ 194, 136 = NJW 2012, 3301 – M2Trade. Synonym etwa auch bei Stier, Die Unterbrechung urheberrechtlicher Lizenzketten, 2014, op. cit., S. 19 f.
  5. Vgl. Berger in Berger/Wündisch, Urhebervertragsrecht, 2. Aufl. 2015, § 1 Rn. 184. Näher zur Natur der entstehenden Lizenzketten auch Pfingsten, Das Schicksal von Enkelrechten bei Fehlen bzw. nach Wegfall des Tochterrechts, 2014, op. cit., S. 11 ff.
  6. Vgl. Schricker/Peukert in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 41 Rn. 24 mit weiteren Nachweisen.
  7. So etwa Schricker/Peukert in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 41 Rn. 24; Stier, Die Unterbrechung urheberrechtlicher Lizenzketten, 2014, op. cit., S. 127 ff. Ausführlich zum Meinungsstand im Schrifttum: Pfingsten, Das Schicksal von Enkelrechten bei Fehlen bzw. nach Wegfall des Tochterrechts, 2014, op. cit., S. 65–71, sowie Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrechtsgesetz, 4. Aufl. 2014, § 35 Rn. 7 ff.
  8. Vgl. Pfingsten, Das Schicksal von Enkelrechten bei Fehlen bzw. nach Wegfall des Tochterrechts, 2014, op. cit., S. 69 f.; Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrechtsgesetz, 4. Aufl. 2014, § 35 Rn. 8, jeweils mit entsprechenden Nachweisen.
  9. Vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2009, I ZR 153/06 = BGHZ 180, 344 = GRUR 2009, 946 – Reifen Progressiv.
  10. Vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2009, I ZR 153/06 = BGHZ 180, 344 = GRUR 2009, 946 – Reifen Progressiv, Rn. 19 f.
  11. Vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2009, I ZR 153/06 = BGHZ 180, 344 = GRUR 2009, 946 – Reifen Progressiv, Rn. 22.
  12. Vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2009, I ZR 153/06 = BGHZ 180, 344 = GRUR 2009, 946 – Reifen Progressiv, Rn. 22–24.
  13. Vgl. Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, Urheberrechtsgesetz, 4. Aufl. 2014, § 35 Rn. 8 f., mit entsprechenden Nachweisen.
  14. Vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2012, I ZR 70/10 = BGHZ 194, 136 = NJW 2012, 3301 – M2Trade, Rn. 23 ff.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.