Trudeln (engl. spin, franz. vrille, auch in der deutschsprachigen Schweiz Vrille) ist ein Flugzustand, bei dem sich das Flugobjekt nach einem einseitigen Strömungsabriss an einer Tragfläche in einer steilen Spirale oder auch Schraubenlinie um die vertikale Achse Richtung Boden bewegt.
Vieles deutet darauf hin, dass der Absturz des Gleitflug-Pioniers Otto Lilienthal 1896 der erste Trudelunfall in der Geschichte der modernen Luftfahrt war.
Bedeutung des Trudelns
Beim normalen Fliegen ist das Trudeln ein unerwünschter Flugzustand, der schon oft zu Flugunfällen geführt hat und den es zu vermeiden gilt. Beim Kunstflug ist das Trudeln eine Kunstflugfigur, die bewusst herbeigeführt und bewertet wird.
Einleiten des Trudelns
Ein Flugzeug gerät ins Trudeln, wenn bei einem großen Anstellwinkel die Strömung einseitig an einer Tragfläche abreißt. Dadurch bricht der Auftrieb an diesem Flügel zusammen, während gleichzeitig der Widerstand stark zunimmt, wodurch diese Fläche nach unten kippt und das Flugzeug sich korkenzieherähnlich nach unten zu drehen beginnt. Die Strömung am inneren Flügel bleibt dabei abgerissen, während sie am äußeren Flügel je nach Flugzeugmuster zumindest teilweise weiterhin anliegen oder auch ganz abreißen kann. Jedenfalls ist der Anstellwinkel der beiden Flügel und damit auch ihr Luftwiderstand unterschiedlich, wodurch der äußere Flügel in einer Kreisbahn um den inneren herumfliegt. Auch wenn die Sinkgeschwindigkeit beim Trudeln hoch ist, bleiben die eigentliche Fluggeschwindigkeit sowie auch die g-Belastung durch den hohen Strömungswiderstand gering.
Der Strömungsabriss ist nicht abhängig von der Geschwindigkeit, sondern vom Anstellwinkel. Da aber diese beiden Parameter zusammenhängen, wird beim Normalflug trotzdem – und für den Normalflug praxisgerecht – von der Strömungsabrissgeschwindigkeit gesprochen.
Beim Kunstflug wird das Trudeln gewollt eingeleitet, indem bei einer niedrigen Fluggeschwindigkeit der Anstellwinkel durch weiteres Ziehen des Höhenruders immer weiter erhöht und durch Auslenken des Seitenruders eine Drehung um die Hochachse ausgelöst wird, wodurch die Strömung einseitig zum Abreißen gebracht wird.
Die Standardmethode zum Einleiten des Trudelns:
- Geradeausflug – alle Ruder neutral
- Motor in Leerlauf bringen
- Nase leicht über den Horizont, so dass die Fluggeschwindigkeit langsam abnimmt. Warten bis Trudeleinleitgeschwindigkeit erreicht ist
- Seitenruder voll in die gewünschte Drehrichtung auslenken und Höhenruder durchziehen
- Idealerweise sollte das Flugzeug vom Geradeausflug direkt ins Trudeln gehen, ohne sich zuerst aufzubäumen. Ein Aufbäumen gibt im Wettbewerb Abzüge.
Das Trudeln lässt sich auch bei hoher Geschwindigkeit einleiten, indem die Flächenbelastung durch Ziehen erhöht wird, wodurch der kritische Anstellwinkel bereits bei höheren Geschwindigkeiten erreicht wird. Diese Situation kann (meist ungewollt) bei Steilkurven auftreten. Im Kunstflug wird sie durch plötzliches Ziehen bewusst herbeigeführt (gerissene Rolle), dies stellt aber wegen der hohen Drehbeschleunigung um die Längsachse erhebliche Anforderungen an die Torsionsfestigkeit des Rumpfes und ist daher nicht mit jedem Flugzeug zulässig.
Ausleiten des Trudelns
Die Zulassungsvorschriften schreiben vor, dass das Trudeln bei jedem Flugzeug – sofern sich Beladung und Schwerpunkt innerhalb der zugelassenen Grenzen befinden – jederzeit mit der Standardmethode beendbar sein muss.
Die Standardmethode zum Ausleiten des Trudelns ist nach JAR wie folgt definiert:
- Motor in Leerlauf (falls anwendbar)
- Querruder neutral
- Seitenruder voll entgegen der Drehrichtung ausschlagen
- kurze Pause
- Höhenruder nach vorne drücken
- Sobald die Strömung wieder anliegt: alle Ruder neutral und den Sturzflug weich abfangen
Die Reihenfolge (zuerst Seiten- dann Höhenruder) ist wichtig, da sonst das Seitenruder durch das Höhenruder abgeschattet wird, was das Ausleiten verzögern oder gar vollständig verhindern kann. Die unter Punkt 4 aufgelistete Pause zwischen Seiten- und Höhenruder ist in den JAR so nicht enthalten (Stand 2006). Sie ist aber wichtig, da ein zu frühes und/oder zu starkes Drücken wegen der erwähnten Abschattung statt des Ausleitens einen accelerated spin auslösen kann, der nicht mehr direkt, sondern nur über die vorgängige Wiederherstellung des normalen Trudelns durch Ziehen ausgeleitet werden kann. Vermutlich sind viele Trudelunfälle, vor allem solche, bei denen das Flugzeug in geringer Höhe ins Trudeln geraten war, darauf zurückzuführen, dass der Pilot in der Hektik zu früh drückte.
Daneben sind noch andere Ausleitverfahren beschrieben worden (bekannt ist z. B. „Müller-Beggs“). Diese funktionieren aber allesamt nicht bei allen Flugzeugmustern oder in allen Trudelzuständen. (Was übrigens auch Eric Müller selbst, der Erfinder obgenannter Methode, in seinem Lehrbuch „Flight Unlimited“ betont.)
Die Standardmethode funktioniert bei allen Flugzeugen, die nach JAR zugelassen wurden. Allerdings ist sie nur auf den ersten Blick eindeutig formuliert, bei näherer Betrachtung bleiben viele Fragen offen. Wie lange muss die Pause sein? Wie weit ist das Höhensteuer nachzulassen? Es gibt nach JAR zugelassene Flugzeuge, die sich nur mit voll gedrücktem Höhensteuer aus dem Trudeln bringen lassen. Andere jedoch schlagen bei voll gedrücktem Höhensteuer nahtlos ins Rückentrudeln um, anstatt zu retablieren, so dass bei ihnen der Knüppel nur bis in die Neutralstellung nachgelassen werden sollte. Wieder andere retablieren zwar bei gedrücktem Höhensteuer, jedoch erst nach einer Verzögerung von mehreren Umdrehungen, während sie mit gezogenem Höhensteuer sofort aus dem Trudeln gehen. Es ist daher trotz der definierten Standardmethode unbedingt notwendig, das Flughandbuch zu lesen und die darin beschriebene Ausleitmethode zu kennen. Erst recht gilt dies bei Flugzeugmustern, die nach älteren Normen zugelassen wurden. Diese retablieren nach der Standardmethode unter Umständen gar nicht. Manche Flugzeugmuster lassen sich durch Gasgeben, besser angeströmte Ruder wieder oder besser ausleiten. Dem entgegen wirkt die Beschleunigung so, dass oft die Treibstoffversorgung des Motors unterbrochen wird.
Flachtrudeln
Je nach Neigung der Flugzeuglängsachse wird zwischen Steil- (bzw. normalem) Trudeln und Flachtrudeln unterschieden. In manchen Quellen wird als Grenze zwischen den beiden Zuständen eine bestimmte Längsneigung genannt (meist 45° oder 60°). Das ist aber aus folgenden Gründen falsch: Erstens pendeln viele Flugzeuge während des Trudelns mehr oder weniger stark um die Querachse, so dass die Angabe eines bestimmten Neigungswinkels von vornherein sinnlos ist. Außerdem besteht der wesentliche Unterschied nicht in einem bestimmten Neigungswinkel, sondern in den Strömungsverhältnissen am Seitenruder.
Beim normalen (Steil-)Trudeln liegt auch während des Trudelns am Seitenruder immer Strömung an. Das Trudeln kann dadurch durch einen beherzten Einsatz des Seitenruders jederzeit einwandfrei ausgeleitet werden (vgl. Standardmethode weiter oben). Beim Flachtrudeln ist das nicht der Fall. Gerät ein Flugzeug wegen falscher Beladung (Schwerpunkt zu weit hinten) ins Flachtrudeln, so gibt es oft keine Möglichkeit mehr, dieses auszuleiten. Zuerst sollte versucht werden, mit stoßartigem Drücken bis zum Anschlag die Längsneigung zu erhöhen, um ins Normaltrudeln zurückzukommen. Es soll auch schon Fälle gegeben haben, bei denen es dem Piloten gelungen sein soll, durch Losschnallen und Verlagern des Schwerpunkts nach vorne das Flachtrudeln zu beenden, doch ist der Erfolg dieser Verzweiflungstat keineswegs garantiert.
Im Kunstflug kann bei propellergetriebenen Flugzeugen mit Hilfe der Leistungssetzung und der dadurch bewirkten unterschiedlichen Kreiselwirkung des Motors die Trudellage beeinflusst und so auch bei korrektem Schwerpunkt ein Flachtrudeln erzeugt werden. Dieses geht dann wieder in ein normales Trudeln über, sobald die Leistung zurückgenommen wird. Bei manchen Segelflugzeugmustern kann mit Hilfe geeigneter Querruderausschläge ein Flachtrudeln herbeigeführt werden, welches durch geeignete Querruderausschläge auch wieder beendet werden kann. Dabei muss ein Pilot aber ganz genau wissen, wie sich sein Flugzeug mit der aktuellen Beladung verhält.
Die Zulassungsvorschriften bzgl. Trudelverhalten implizieren, dass ein Flugzeug bei korrekter Beladung nicht von sich aus ins Flachtrudeln geraten darf.
Spiralsturz
Nicht mit dem Trudeln zu verwechseln ist der Spiralsturz. Auch hier dreht sich das Flugzeug auf einer engen senkrechten Spirale nach unten, aber im Gegensatz zum Trudeln liegt beim Spiralsturz die Strömung an beiden Flügeln an, wodurch der große Strömungswiderstand des gestallten inneren Flügels wegfällt und die Geschwindigkeit sowie die g-Belastung sehr schnell ansteigen. Der Spiralsturz muss sofort beendet werden, da sonst die Belastungsgrenzen des Flugzeugs (hohe g-Belastung, Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit) und auch die des Piloten (Bewusstseinsverlust durch hohe g-Belastung) sehr schnell überschritten werden.
Manche Flugzeuge gehen, besonders bei Beladung im vorderen Schwerpunktbereich, von sich aus nach kurzer Zeit vom Trudeln in den Spiralsturz über. Ein aufmerksamer Pilot merkt das aber sofort, da sich die beiden Flugzustände vollkommen unterschiedlich anfühlen. Beim Trudeln ist die Beschleunigung zur Seite gegen die Drehbewegung fühlbar, beim Spiralsturz fast senkrecht auf den Sitz wirksam. Wegen der Gefahr des Übergangs in den Spiralsturz wird auch mittlerweile ausdrücklich davon abgeraten, bei einem ungewollten Einflug in eine Wolke das Trudeln als Rettungsmaßnahme zu verwenden, so wie das in der älteren Literatur zum Teil noch empfohlen wurde.
Etymologie
Das Wort trudeln ist seit dem 18. Jahrhundert belegt. Seine Herkunft ist unklar. Damals hatte es natürlich noch nichts mit der Fliegerei zu tun, sondern bedeutete allgemein langsam und ungleichmäßig rollen oder um sich selbst drehend langsam fallen. Wie zum Beispiel Blätter im Herbst ohne sicheres Ziel von den Bäumen fallen und wirbeln. Diese allgemeine Bedeutung lebt noch im Wort eintrudeln weiter. Trudeln selbst existiert in diesem allgemeinen Sinn heute nicht mehr, landschaftlich wird es noch für würfeln benutzt, anlehnend an die trudelnde Bewegung der Würfel.
Abgesehen von diesem landschaftlichen Spezialfall wird das Wort trudeln heute nur noch als genau definierter technischer Begriff der Fliegerei mit der oben beschriebenen Bedeutung verwendet. Insbesondere ist ein Flugzeug nicht bei jedem beliebigen Kontrollverlust ins Trudeln geraten, wie man es oft liest. Meist liegt durch einen überzogenen Flugzustand (Flugzeug zu langsam, Pilot will nicht nach unten und zieht unwillkürlich am Höhenruder) ein Strömungsabriss vor und das Flugzeug fällt wie ein Stein zu Boden.
Theorie
Eine physikalische Theorie des Trudelns wurde erstmals von Frederick Lindemann während des Ersten Weltkriegs formuliert. Lindemann war Mitglied des Royal Flying Corps und verifizierte seine Theorie im erfolgreichen Selbstversuch.
In den 1930er Jahren wurden in Berlin der Trudelturm und der 130 m lange Große Windkanal errichtet.
Es gibt zahlreiche Bücher und Schriften zum Thema Trudeln. Das Trudeln hängt aber von so vielen Parametern ab und die möglichen Prozesse sind so vielfältig, dass es noch keine abschließende, alle möglichen Modi umfassende Theorie gibt.
Literatur
- Eric Müller, Arnette Carson: Flight unlimited ’95. Penrose Press, 1994, ISBN 0-620-18774-3, Kapitel 15: The Spin.
Weblinks
- Trudeln in einer Cessna 152, YouTube.com
- Flachtrudeln mit YAK52, YouTube.com
- Trudeln: Was läuft da ab? – von Gerhart Berwanger, langjähriger Leiter der Segelflugschule Oerlinghausen
Einzelnachweise
- ↑ Duden Bd. 7