Ein Fluggerät extrem geringer Streckung besitzt eine konstruktive Auslegung, bei der Tragflächen mit relativ geringer Spannweite und relativ großer Fläche verwendet werden. Die Streckung ist definiert als Verhältnis der quadrierten Spannweite zur Tragflügelfläche.

Definition

Eine allgemein gültige Definition für „extrem geringe Streckung“ ist in der Literatur nicht zu finden. Es wird jedoch ein Wert von = 3 für geringe Streckung, = 5 bis 6 für mittlere Streckung (6 bis 10 für „gewöhnliche“ Flugzeuge) und > 20 als hohe Streckung angegeben. „Sehr geringe“ Werte werden dagegen für den transsonischen und Überschallbereich verwendet. Flugzeuge der Allgemeinen Luftfahrt haben eine Streckung zwischen 6 und 8.

Beispiele
Baumuster Spannweite Flügelfläche Streckung
Handley Page HP.1156,10 m39,95 m²0,9
Chance Vought V-1737,12 m39,67 m²1,3
Arup S 25,80 m19,60 m²1,7
Canova PC 1005,90 m17,80 m²2,0
Dyke JD-2 Delta6,87 m16,00 m²2,95
Konventionelle Flugzeuge
Cessna 17210,97 m16,17 m²7,4
Boeing 737 MAX35,92 m124,60 m²10,4
Scheibe SF 25C15,30 m18,20 m²13,4

Einfluss auf die aerodynamische Effizienz

Bei geringer Streckung und geringer Geschwindigkeit dominiert der induzierte Widerstand das „Auftriebsverhalten“. Der induzierte Widerstand hat bei Flugzeugen im Langsamflug einen Anteil von über 50 % am Gesamtwiderstand. Die Streckung einer Tragfläche ist deshalb im Unterschallbereich ein maßgeblicher Parameter für die aerodynamische Effizienz eines Flugzeugs. Bei gleicher Flügelfläche haben Tragflächen mit der größeren Streckung eine höhere Effizienz im Hinblick auf den Auftrieb. Deshalb wird bei der Konstruktion von Flugzeugen im Allgemeinen eine möglichst große Streckung angestrebt. Im Überschall gilt dies jedoch nicht, weshalb hier auf eine hohe Streckung verzichtet werden kann. Ein Beispiel hierfür ist der Deltaflügel, die X-15 oder die F-104.

Zur Gesamteffizienz einer Tragfläche trägt neben dem induzierten Widerstand auch der parasitäre Widerstand bei. Letzterer wächst proportional zur Flügelfläche. Fluggeräte mit geringer Streckung besitzen damit neben einem großen induzierten Widerstand auch einen hohen parasitären Widerstand. Es gibt jedoch trotz dieser Nachteile durchaus Gründe, ein Unterschall-Flugzeug derart auszulegen.

Meist ist der Grund für solche Konstruktionen das Fliegen mit sehr hohem Anstellwinkel (= Auftriebsbeiwert.) Schon sehr frühzeitig stellten Luftfahrtpioniere fest, dass der klassische rhombusförmige oder sechseckige Kinderdrachen am Seil einen sehr hohen Anstellwinkel hat und er dabei dennoch viel Auftrieb erzeugt. Viele dieser Versuche zielten also darauf ab, ein völlig überziehfestes Fluggerät zu schaffen oder eines, das mit sehr hohem Anstellwinkel noch fliegbar bleibt. Die rhombusförmigen Gleiter des Italieners Flaminio Piana Canova sollen bis zu 35° erreicht haben, bevor der Strömungsabriss eintrat. Gleiches gilt für den Diskoplan von Suchanow und das Facettomobile der Familie Wainfan. Den meisten dieser Konstruktionen ist gemein, dass sie keine herkömmliche Umströmung der tragenden Fläche haben, sondern ein Wirbelsystem über dem Flügel den notwendigen Auftrieb erzeugt.

Anwendungen

Es gab Varianten mit separatem Höhenleitwerk, aber der überwiegende Teil war schwanzlos ausgelegt. Die Nemeth „Parasol“ war ein Hochdecker mit einem ganz normalen Rumpf und einer scheibenförmigen Tragfläche. Andere Anwendungen für Fluggeräte extrem geringer Streckung wie zum Beispiel die „Wingless“ von William Horton zielten eher in die Richtung eines Flugautos oder eines kompakten „Volksflugzeuges“.

Wieder andere Entwürfe dienten schlicht der Erforschung des Strömungsverhaltens von Flügeln mit extrem geringer Streckung wie z. B. die Handley Page HP.115. Einige Versuche waren darauf ausgerichtet herauszufinden, inwieweit solche Fluggeräte sich als Wiedereintrittskörper für die Raumfahrt eignen. Letzte Stufe dieser Überlegungen sind die sogenannten Lifting Bodies.

Nicht zuletzt mag der Wunsch Pate gestanden haben, ein absolut einzigartiges Fluggerät zu Showzwecken zur Verfügung zu haben, wie im Fall von David Rowe. Der Australier hat im Selbstbau ein kleines Kreisflugzeug namens UFO (= Useless Flying Object) gebaut und führt es auf Flugtagen vor. Seit 2015 hat es ein einziehbares Fahrwerk, was den Eindruck eines UFOs verstärkt.

Im Flugmodellbau waren jahrelang fliegende Scheiben populär, wobei die aufgesetzte Seitenflosse oft als Comic-Figur etc. gestaltet war. Hier machte man sich gar nicht erst die Mühe, den „Flügel“ zu profilieren, sondern verwendete eine Styroporplatte mit senkrechten Kanten, die mit einem umlaufenden Holzstreifen verstärkt waren.

Grafische Darstellungen

Von den dargestellten Fluggeräten wurde lediglich die Dyke JD2 in größeren Stückzahlen (≈50) produziert. Alle anderen blieben Einzelstücke.

Literatur

  • Rudolf Storck u. a.: Flying Wings. Die historische Entwicklung der Schwanzlosen- und Nurflügelflugzeuge der Welt. Bernard und Graefe, Bonn 2003, ISBN 3-7637-6242-6.
  • Vincenzo Pedrielli, Francesco Camastra: Italian Vintage Sailplanes. EQIP Werbung & Verlag GmbH, Königswinter 2011, ISBN 978-3-9808838-9-4, S. 198f

Einzelnachweise

  1. A. C. Kermode: Mechanics of Flight, Pearson, 12. Auflage 2012, S. 97 und 100
  2. David F. Anderson, Scott Eberhardt: Understanding Flight, McGraw Hill, 2. Auflage 2010, S. 267
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