Gehsteigbelästigung ist ein politisches Schlagwort, mit dem Anhänger der Wahlfreiheit für Frauen legale Protestaktionen von Abtreibungsgegnern in der Nähe von Beratungsstellen, Krankenhäusern oder Arztpraxen bezeichnen, welche Schwangerschaftskonfliktberatungen anbieten oder Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wobei Personal, welches in den Einrichtungen arbeitet, oder Menschen, welche sie betreten um sich dort betreuen zu lassen, in Sichtweite der Demonstranten vorbeigehen müssen.

Problematik

Vor Beratungsstellen gibt es immer wieder Protestaktionen von Abtreibungsgegnern. Dabei wird mit Plakaten und kollektiven Aktionen gegen Schwangerschaftsabbrüche demonstriert und zu einer Fortsetzung der Schwangerschaft aufgerufen. Betroffene empfinden dies mitunter als belästigend und psychisch belastend.

Der Vorwurf von Gehsteigbelästigungen wird erhoben, wenn Menschen, welche die Einrichtung betreten, persönlich in den Protest mit einbezogen und angesprochen werden, wenn auf sie eingeredet oder ihnen hinterhergerufen wird. Aber auch die bloße Anwesenheit von Protestierenden ohne persönlichen Kontakt kann als belästigend empfunden werden, weil zwangsläufig an ihnen vorbeigegangen werden muss und dem Protest und der damit verbundenen moralischen Verurteilung nicht entgangen werden kann. Die Arbeit der Ärzte und des Personals wird dadurch erschwert, und Betroffene werden unter psychischen Druck gesetzt.

Schwangere, welche eine Abtreibung durchführen möchten, sind gesetzlich verpflichtet, eine Schwangerschaftskonfliktberatung aufzusuchen. Gehsteigbelästigungen erschweren nach Meinung der Kritiker diesen Weg, weil Betroffene mit Vorwürfen und Beschuldigungen konfrontiert werden. Der Bundesverband Pro familia spricht in diesem Kontext von „Stigmatisierungen“ und „Demütigung“ der Ratsuchenden, der Weg zur Beratung werde zu einem „Spießrutenlauf“.

Bewegungen wie 40 Days for Life (deu. 40 Tage für das Leben) haben sich die Schließung beratender und durchführender Einrichtungen zum Ziel gemacht und sind in Deutschland unter anderem in Frankfurt, München oder Pforzheim aktiv. Sie berufen sich auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Außerdem würden sie nur friedlich protestieren, ohne belästigend oder blockierend aufzutreten.

Rechtslage

Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel müssen der zuständigen Behörde vorher angemeldet werden. Die zuständige Behörde kann die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist (§ 14 Abs. 1, § 15 Abs. 1 VersammlG).

Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport hat dazu eine Handreichung zur Lösung von Konflikten vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Arztpraxen und Kliniken herausgegeben. In Frankfurt am Main wurde daraufhin Anfang 2020 ordnungsbehördlich verfügt, dass eine vierzigtägige „Gebetswache“ zwar außerhalb der Öffnungszeiten vor der betreffenden Beratungsstelle stattfinden dürfe, während der Öffnungszeiten aber nur außer Sicht- und Rufweite. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main stellte im Dezember 2021 fest, dass diese Verfügung insoweit rechtswidrig gewesen sei, als darin die angemeldete Versammlung zeitlich und örtlich beschränkt werde. Das ohnedies nicht abschließend definierte allgemeine Persönlichkeitsrecht vermöge nicht, vor der Konfrontation mit einer Meinung zu schützen, die von schwangeren Frauen, die die Beratungsstelle während der Versammlungen aufsuchten, als Stigmatisierung und Anprangerung durch die Versammlungsteilnehmer empfunden werde. Für einen solchen Konfrontationsschutz vor nicht gewünschten anderen Ansichten bestehe in der vorgegebenen Rechtsordnung kein Raum. Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof teilte diese Ansicht. Ebenfalls zugunsten von Mahnwachen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim in jüngerer Zeit entschieden.

Die obergerichtliche Rechtsprechung ist in diesem Punkt eindeutig. Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit sind hohe Güter und genießen entsprechend hohen verfassungsrechtlichen Schutz. Handlungen, die unfriedlichen Charakter haben und rechtlich relevante Grenzen überschreiten (etwa: Nötigung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung), sind bereits nach geltender Rechtslage untersagt. Dennoch beschloss die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag Maßnahmen gegen sog. „Gehsteigbelästigungen“. So soll es sich zukünftig um eine Ordnungswidrigkeit handeln. Bundesfamilienministerin Lisa Paus begründet die Neuerung damit, dass es nichts mit dem Demonstrationsrecht zu tun habe, wenn Frauen vor Einrichtungen belästigt werden würden.

Einzelnachweise

  1. Christoph Schmidt-Lunau: Fundamentalisten vor Pro Familia: Beten gegen Abtreibung. In: Die Tageszeitung: taz. 28. September 2022, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 7. Januar 2023]).
  2. Rechtsgutachten zu "Gehsteigbelästigungen". In: doctorsforchoice.de. 2. Juni 2021, abgerufen am 7. Januar 2023.
  3. Abtreibungsgegner - So üben sie Druck auf Schwangere aus | STRG_F. Abgerufen am 7. Januar 2023.
  4. 1 2 Presse. In: profamilia.de. Abgerufen am 7. Januar 2023.
  5. vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 8. Juni 2010 - 1 BvR 1745/06 Rz. 21 ff. zur Abwägung der Meinungsfreiheit eines Demonstranten gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffener Frauenärzte.
  6. Keine „Blockade“ von Pro Familia durch Abtreibungsgegner. In: juraforum.de. Abgerufen am 7. Januar 2023.
  7. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 5 K 403/21.F
  8. Frankfurt Palmengarten: 40-tägige Gebetswache. Pressemitteilung des VG Frankfurt, 16. Dezember 2021.
  9. VG Frankfurt am Main, Urteil vom 16. Dezember 2021 - 5 K 403/21.F, Rz. 38.
  10. Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshof: Mahnwachen vor Pro Familia bleiben erlaubt. Journal Frankfurt, 21. März 2022.
  11. VGH zu Abtreibungsgegner-Demo vor einer Beratungsstelle. In: lto.de. Abgerufen am 15. März 2023.
  12. "Gehsteig-Belästigung" - Abtreibungsgegnern drohen Strafen. In: br.de. 28. September 2022, abgerufen am 7. Januar 2023.

This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.