Unter Graduierung versteht man im mathematischen Teilgebiet der Algebra die Zerlegung einer abelschen Gruppe oder komplizierterer Objekte in Teile eines bestimmten Grades. Das namengebende Beispiel ist der Polynomring in einer Unbestimmten: Beispielsweise ist das Polynom ${\displaystyle X^{3}+3X+5}$ Summe der Monome ${\displaystyle X^{3}}$ (Grad 3), ${\displaystyle 3X}$ (Grad 1) und ${\displaystyle 5}$ (Grad 0). Umgekehrt kann man endlich viele Monome verschiedenen Grades vorgeben und erhält als Summe ein Polynom.

Es sei durchweg ${\displaystyle \Gamma }$ eine feste abelsche Gruppe. Beispielsweise kann man ${\displaystyle \Gamma =\mathbb {Z} }$ oder ${\displaystyle \Gamma =\mathbb {Z} /2\mathbb {Z} }$ wählen.

Graduierte Vektorräume

Es sei ${\displaystyle K}$ ein Körper. Eine ${\displaystyle \Gamma }$-Graduierung auf einem ${\displaystyle K}$-Vektorraum ${\displaystyle V}$ ist ein System ${\displaystyle (V_{\gamma })_{\gamma \in \Gamma }}$ von Untervektorräumen, so dass ${\displaystyle V}$ die direkte Summe der ${\displaystyle V_{\gamma }}$ ist:

${\displaystyle V=\bigoplus _{\gamma \in \Gamma }V_{\gamma }}$

Die Vektorräume ${\displaystyle V_{\gamma }}$ heißen die graduierten Bestandteile von ${\displaystyle V}$.

Elemente ${\displaystyle v\in V_{\gamma }\setminus \left\{0\right\}}$ heißen homogen vom Grad ${\displaystyle \gamma }$ und man schreibt dafür kurz ${\displaystyle \operatorname {deg} v=\gamma }$ oder ${\displaystyle \partial v=\gamma }$. Jedes Element ${\displaystyle v}$ von ${\displaystyle V}$ kann genau auf eine Weise als Summe homogener Elemente verschiedenen Grades geschrieben werden; sie heißen die homogenen Bestandteile (oder Komponenten) von ${\displaystyle v}$.

Graduierte abelsche Gruppen und ${\displaystyle R}$-Moduln für (gewöhnliche, nicht graduierte) Ringe ${\displaystyle R}$ sind analog definiert.

Ist ${\displaystyle \Gamma =\mathbb {Z} }$, so spricht man häufig nicht explizit von einer ${\displaystyle \mathbb {Z} }$-Graduierung, sondern schlicht von einer Graduierung.

Graduierte Algebren

Es sei ${\displaystyle K}$ ein Körper. Eine ${\displaystyle \Gamma }$-Graduierung auf einer ${\displaystyle K}$-Algebra ${\displaystyle A}$ ist eine ${\displaystyle \Gamma }$-Graduierung auf ${\displaystyle A}$ als ${\displaystyle K}$-Vektorraum, d. h. ${\displaystyle A=\bigoplus _{\gamma \in \Gamma }A_{\gamma }}$ für Untermoduln ${\displaystyle (A_{\gamma })_{\gamma \in \Gamma }}$, für die gilt

${\displaystyle A_{\gamma }\cdot A_{\delta }\subseteq A_{\gamma +\delta }}$

für ${\displaystyle \gamma ,\delta \in \Gamma }$, d. h.

${\displaystyle a_{\gamma }a_{\delta }\in A_{\gamma +\delta }}$ für ${\displaystyle a_{\gamma }\in A_{\gamma },a_{\delta }\in A_{\delta }}$

gilt.

Graduierte Ringe

Es sei ${\displaystyle R}$ ein Ring. Eine ${\displaystyle \Gamma }$-Graduierung auf ${\displaystyle R}$ ist eine Familie ${\displaystyle (R_{\gamma })_{\gamma \in \Gamma }}$, so dass

${\displaystyle R=\bigoplus _{\gamma \in \Gamma }R_{\gamma }}$,

und

${\displaystyle R_{\gamma }\cdot R_{\delta }\subseteq R_{\gamma +\delta }}$ für alle ${\displaystyle \gamma ,\delta \in \Gamma }$.

Dies verallgemeinert obige Definition für Algebren. Man beachte, dass für Algebren verlangt wird, dass die direkten Summanden der homogenen Elemente ${\displaystyle K}$-Untervektorräume sind, das heißt, dass eine Ring-Graduierung einer ${\displaystyle K}$-Algebra möglicherweise keine Algebren-Graduierung, wie sie oben definiert wurde, ist.

Graduierte Moduln

Es sei ${\displaystyle R}$ ein ${\displaystyle \Gamma }$-graduierter Ring. Ein ${\displaystyle \Gamma }$-graduierter ${\displaystyle R}$-Modul ${\displaystyle M}$ ist ein ${\displaystyle R}$-Modul

${\displaystyle M=\bigoplus _{\gamma \in \Gamma }M_{\gamma }}$,

so dass

${\displaystyle R_{\gamma }\cdot M_{\delta }\subseteq M_{\gamma +\delta }}$

für ${\displaystyle \gamma ,\delta \in \Gamma }$ gilt.

Diese Definition bezieht sich auf den Fall von Linksmoduln, graduierte Rechtsmoduln sind analog definiert. Bei einer entsprechenden Definition für ${\displaystyle K}$-Algebren verlangt man noch, dass die ${\displaystyle M_{\gamma }}$ in obiger Definition ${\displaystyle K}$-Vektorräume sind.

Beispiele

• Der Polynomring ${\displaystyle A=K[X_{1},\ldots ,X_{n}]}$ in ${\displaystyle n}$ Unbestimmten über einem Körper ${\displaystyle K}$ ist durch den Gesamtgrad graduiert:

${\displaystyle A=\bigoplus _{d\in \mathbb {Z} }A_{d},\quad A_{d}=\langle X_{1}^{e_{1}}\cdots X_{n}^{e_{n}}\mid e_{1}+\ldots +e_{n}=d\rangle _{K}.}$

(Offenbar ist ${\displaystyle A_{d}=0}$ für ${\displaystyle d<0}$.)

Es gibt aber noch andere Graduierungen auf ${\displaystyle A}$: Es seien ${\displaystyle \lambda _{1},\ldots ,\lambda _{n}}$ positive ganze Zahlen. Dann ist durch

${\displaystyle A=\bigoplus _{d\in \mathbb {Z} }{\tilde {A}}_{d},\quad {\tilde {A}}_{d}=\langle X_{1}^{e_{1}}\cdots X_{n}^{e_{n}}\mid \lambda _{1}e_{1}+\ldots +\lambda _{n}e_{n}=d\rangle _{K}}$

ebenfalls eine Graduierung von ${\displaystyle A}$ definiert, bei der jedoch das Monom ${\displaystyle X_{i}}$ Grad ${\displaystyle \lambda _{i}}$ hat.

• Tensoralgebra, symmetrische Algebra und äußere Algebra sind graduierte Algebren.
• Ist ${\displaystyle A}$ ein (kommutativer) noetherscher lokaler Ring mit maximalem Ideal ${\displaystyle {\mathfrak {m}}}$ und Restklassenkörper ${\displaystyle k=A/{\mathfrak {m}}}$, so ist

${\displaystyle \operatorname {gr} A=\bigoplus _{n\geq 0}{\mathfrak {m}}^{n}/{\mathfrak {m}}^{n+1}}$

eine endlich erzeugte graduierte ${\displaystyle k}$-Algebra.

Ist beispielsweise ${\displaystyle A=\mathbb {Z} _{p}}$ für eine Primzahl ${\displaystyle p}$, so ist ${\displaystyle \operatorname {gr} A\cong \mathbb {F} _{p}[T]}$.

ℤ/2ℤ-Graduierung

Eine ${\displaystyle \mathbb {Z} /2\mathbb {Z} }$-Graduierung eines Ringes oder einer Algebra ${\displaystyle A}$ ist eine Zerlegung ${\displaystyle A=A_{0}\oplus A_{1}}$ mit ${\displaystyle A_{i}A_{j}\subset A_{i+j}}$. Dann ist ${\displaystyle \alpha :A\rightarrow A,\alpha (a_{0}+a_{1}):=a_{0}-a_{1}}$ ein Automorphismus auf ${\displaystyle A}$ mit ${\displaystyle \alpha ^{2}=\mathrm {id} _{A}}$. Umgekehrt definiert jeder solche Automorphismus eine Graduierung

${\displaystyle A_{0}:=\{a\in A;\alpha (a)=a\}}$

${\displaystyle A_{1}:=\{a\in A;\alpha (a)=-a\}}$.

Eine ${\displaystyle \mathbb {Z} /2\mathbb {Z} }$-Graduierung ist also nichts weiter als die Auszeichnung eines selbstinversen Automorphismus. Speziell für C*-Algebren ist eine ${\displaystyle \mathbb {Z} /2\mathbb {Z} }$-Graduierung ein C*-dynamisches System mit Gruppe ${\displaystyle \mathbb {Z} /2\mathbb {Z} }$. Unter einer graduierten C*-Algebra versteht man in der Regel eine ${\displaystyle \mathbb {Z} /2\mathbb {Z} }$-graduierte C*-Algebra.

Viele mathematische Konstruktionen werden bei graduierten Objekten so angepasst, dass die vorliegende Graduierung respektiert wird. So definiert man etwa einen graduierten Kommutator für homogene Elemente durch

${\displaystyle [x,y]:=xy-(-1)^{\partial x\cdot \partial y}yx}$

und für allgemeine Elemente durch lineare Fortsetzung. Man erhält dann zum Beispiel eine graduierte Jacobi-Identität

${\displaystyle (-1)^{\partial x\cdot \partial z}[[x,y],z]+(-1)^{\partial x\cdot \partial y}[[y,z],x]+(-1)^{\partial y\cdot \partial z}[[y,z],x]=0}$

für homogene Elemente ${\displaystyle x,y,z\in A}$

Auch die Bildung des Tensorproduktes wird entsprechend angepasst. Die Multiplikation im graduierten Tensorprodukt ${\displaystyle \mathbb {Z} /2\mathbb {Z} }$-graduierter Ringe ${\displaystyle A}$ und ${\displaystyle B}$ wird dann für Elementartensoren homogener Elemente durch

${\displaystyle (a_{1}\otimes b_{1})(a_{2}\otimes b_{2}):=(-1)^{\partial b_{1}\cdot \partial a_{2}}(a_{1}a_{2}\otimes b_{1}b_{2})}$

festgelegt. Sätze wie ${\displaystyle A\otimes B\cong B\otimes A}$ lassen sich auch für die graduierten Tensorprodukte beweisen. Gibt es zusätzlich eine Involution auf den Ringen bzw. Algebren, wie zum Beispiel im Falle von C*-Algebren, so wird eine Involution auf dem graduierten Tensorprodukt durch

${\displaystyle (a\otimes b)^{*}:=(-1)^{\partial a\cdot \partial b}(a^{*}\otimes b^{*})}$, ${\displaystyle a,b}$ homogen,

definiert. Durch Übergang zur einhüllenden C*-Algebra erhält man so ein Tensorprodukt graduierter C*-Algebren.

Literatur

• Serge Lang: Algebra. Revised 3rd Edition, Springer-Verlag, 2002, ISBN 0-387-95385-X

Einzelnachweise

1. ↑ Ernst Kunz: Einführung in die kommutative Algebra und algebraische Geometrie, Vieweg (1980), ISBN 3-528-07246-6, Definition 5.3 für ${\displaystyle \Gamma =\mathbb {Z} }$
2. ↑ Bruce Blackadar: K-Theory for Operator Algebras, Springer Verlag (1986), ISBN 3-540-96391-X, Satz 14.1.3
3. ↑ Bruce Blackadar: K-Theory for Operator Algebras, Springer Verlag (1986), ISBN 3-540-96391-X, Definition 14.4.1