In der Mathematik, speziell der Vektoranalysis, sind die beiden greenschen Formeln (manchmal auch greensche Identitäten, greensche Sätze oder Theoreme) spezielle Anwendungen des gaußschen Integralsatzes. Sie sind benannt nach dem Mathematiker George Green. Anwendung finden sie unter anderem in der Elektrostatik bei der Berechnung von Potentialen. Die Formeln sind nicht zu verwechseln mit dem Satz von Green, bei dem es um ebene Integrale geht.

Im Folgenden sei kompakt mit abschnittweise glattem Rand und und seien zwei Funktionen auf , wobei einfach und zweifach stetig differenzierbar sei. ist der Nabla-Operator.

Erste greensche Identität

,

wobei die Normalenableitung von , also die Normalkomponente des Gradienten von auf dem Rand bezeichnet.

Diese Identität lässt sich wie folgt beweisen:

,

wobei im zweiten Schritt der gaußsche Integralsatz in der Form

benutzt wurde.

Zweite greensche Identität

Die zweite greensche Identität folgt aus der ersten greenschen Identität, wobei nun vorausgesetzt wird, dass auch zweimal stetig differenzierbar ist:

,

Subtrahiert man nun die zweite Gleichung von der ersten Gleichung, so ergibt sich die zweite greensche Identität.

Anwendungen in der Elektrostatik (3D)

Eindeutigkeitssatz

Für ein elektrostatisches Potential gilt die Poissongleichung wobei die elektrische Ladungsdichte ist (gaußsches Einheitensystem). Wenn in einem Volumen die Ladungsdichte gegeben ist, und wenn zusätzlich auf dem Rand die Werte von gegeben sind (Dirichlet-Randbedingung), dann gilt:

Innerhalb von ist eindeutig bestimmt.

Beweis: Es seien und zwei Potentiale, die dieselben Vorgaben über Ladungsdichte und Randwerte erfüllen. Für die Differenzfunktion gilt dann

Setzt man in der ersten greenschen Formel für und auch für ein, so folgt

Also muss der Gradient überall in verschwinden, somit konstant sein, und wegen seines Null-Randwerts sogar konstant gleich null sein. Also gilt innerhalb von .

N.B. Bei dem Beweis wird die Poissongleichung und somit die Ladungsdichte nur innerhalb von benutzt.

Abschirmung durch geschlossene Leiterfläche

sei eine geschlossene Leiterfläche, so dass das elektrostatische Potential auf einen konstanten Wert hat (Äquipotentialfläche). Zum Beispiel lässt sich physikalisch realisieren, indem die Leiterfläche geerdet wird. Nach dem Eindeutigkeitssatz ist der Potentialverlauf innerhalb von bereits durch die Ladungsverteilung in und durch den Randwert bestimmt. Folglich haben elektrische Ladungen im Aussenraum keinen Einfluss auf den Potentialverlauf im Innenraum.

Wenn die geschlossene Leiterfläche nicht geerdet ist, dann sind die Randwerte von immer noch konstant, aber mit unbekanntem Wert. Dieser Wert kann davon abhängen, welche Ladungen außerhalb von vorhanden sind. Der Beweis des Eindeutigkeitssatzes lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass die Differenzfunktion noch konstant in , aber nicht mehr gleich null ist. Für die elektrische Feldstärke, die durch Ableitungen aus dem Potential gewonnen wird, spielt die Konstante keine Rolle; die elektrische Feldstärke ist also auch ohne Erdung abgeschirmt.

Symmetrie der greenschen Funktion

Die greensche Funktion mit Dirichlet-Randbedingung und mit vektoriellem Parameter ist definiert durch

Bis auf einen Faktor entspricht das der Poissongleichung für ein Potential , das von einer Punktladung am Ort erzeugt wird, und das auf der geerdeten Oberfläche den Randwert 0 hat. Die Existenz einer solchen Funktion ist physikalisch klar, und wegen des Eindeutigkeitssatzes ist sie eindeutig bestimmt. Obwohl die Rollen von (Messpunkt) und (Position der Ladung) physikalisch verschieden sind, besteht mathematisch eine Symmetrie:

Beweis: Setzt man in der zweiten greenschen Formel

so erhält man auf der linken Seite Integrale mit Delta-Funktionen, die ergeben. Auf der rechten Seite verschwinden die Integranden wegen der Randwerte von .

Potential ausgedrückt durch Ladungsdichte und Randwerte

Verwendet man in der zweiten greenschen Formel als Integrationsvariable und lässt man das elektrostatische Potential sein, so erhält man mit und mit Hilfe der Symmetrie von den expliziten Ausdruck

Integralgleichung für das Potential

Unter Anwendung der oben gezeigten greenschen Formeln lassen sich Ausdrücke für das elektrostatische Potential einer Ladungsverteilung herleiten. Dabei sei die Ladungsdichte am Ort . Mit werde das Potenzial am Ort bezeichnet. Gesucht ist die Funktion .

Wir setzen für . Es gilt dann:

  1. ,
    • wobei der Laplace-Operator ist,
    • der Strich anzeigt, dass dieser Operator auf die gestrichene Variable wirkt
    • und die Delta-Distribution ist.
    Diese Identität ist also im Sinne von distributionellen Ableitungen zu verstehen.
  2. mit der Ladungsverteilung am Ort .

Setzen wir beides in die zweite greensche Identität ein, erhalten wir auf der linken Seite:

.

Die rechte Seite der Identität ist:

.

Als Identität geschrieben:

.

Innerhalb des Volumens gilt an der Stelle wegen der -Funktion

Damit können wir schließlich obige Identität nach dem Potential auflösen und erhalten:

.

Literatur

  • John David Jackson: Klassische Elektrodynamik. Walter de Gruyter, Berlin 2006, ISBN 3-11-018970-4
  • Walter Greiner: Theoretische Physik Band 3 – Klassische Elektrodynamik. Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main, Thun ISBN 3-8171-1184-3
  • Otto Forster: Analysis 3. Integralrechnung im Rn mit Anwendungen. 3. Aufl. Vieweg-Verlag, 1996. ISBN 3-528-27252-X
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