Als höhere Mädchenschule oder höhere Töchterschule und regional auch Lyzeum, bzw. funktional auch als Mädchenpensionat, bezeichnete man eine Mädchenschule als Vorläufer der späteren Mädchengymnasien. Von den Schulstufen her waren diese Schulen mit der Sekundarstufe I vergleichbar, also der fünften bis zehnten Klasse des heutigen deutschen Schulsystems.

Begriff

Der ebenfalls gebrauchte Begriff höhere Töchterschule ist eine Zusammensetzung aus höhere Schule und Töchter/Mädchen. Als höhere Schulen wurden Schulen bezeichnet, deren Unterricht über den der Elementarschule und Volksschulen hinausging und eine allgemeinere „geistige Bildung“ (Brockhaus 1896/1897) zum Ziel hatte. Höhere Töchter- oder Mädchenschulen waren demnach weiterführende Schulen für Mädchen.

Die Bezeichnung „höhere Töchterschule“ wurde oft aber auch als Schule für höhere Töchter betrachtet. Der Besuch einer höheren Töchterschule war durch die allgemeine Schulpflicht (meist acht Schuljahre umfassend) teilweise abgedeckt.

Geschichte

Bereits mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurden erste Schulen für eine weiterführende Bildung von Mädchen gegründet. Als erste höhere Mädchenschule gilt das 1709 von August Hermann Francke gegründete Gynaecum. Ein weiteres Beispiel sind die 1717 gegründeten katholischen Töchterinstitute der Englischen Fräulein in Bamberg.

1802 findet sich mit der „städtischen höheren Töchterschule“ in Hannover die erste Schule mit diesem Namen. 1806 gründete Johann Heinrich Meier, der zunächst an der Schule in Hannover tätig gewesen war, eine private Bildungsanstalt für Mädchen in Lübeck, die bis 1871 bestand. Im Jahr 1808 gründete eine „Madame Wippermann“ aus Quedlinburg, die Frau des Kaufmanns und Fabrikanten Wippermann, für 40 Schülerinnen die Neustädter Grundschule Quedlinburg als erste private höhere Töchterschule, die im März 1863 als „Städtische Höhere Töchterschule“ in den Besitz Quedlinburgs überging. Aus der bis ins Jahr 1820 von Johanna Rau, Tochter des Erlanger Professors Johann Wilhelm Rau, nachweisbar privat geführten Erlanger „Höhere Töchterschule“, die im Mai 1877 von der Stadtgemeinde übernommen wurde und Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer „Höheren weiblichen Bildungsanstalt“ mit angeschlossenem Lehrerinnenseminar erweitert wurde, gingen zwei der heutigen Erlanger Gymnasien hervor, das Marie-Therese-Gymnasium und das Christian-Ernst-Gymnasium.

Als weiteres Beispiel kann das Gymnasium am Rotenbühl in Saarbrücken dienen. Als gemischte „Vereinsschule“ mit einer Klasse mit 25 Jungen und Mädchen im Jahr 1832 gegründet, wurde sie 1835 zur reinen Mädchenschule, vor Ort bekannt als „Höhere Töchterschule“, umgewandelt. Ebenfalls 1835 wurde die höhere Mädchenschule in Halle (Saale) durch Hermann Agathon Niemeyer in den Franckeschen Stiftungen gegründet.

Teilweise wurden solche Schulen auch als Stifte von Damen der Gesellschaft eingerichtet: So z. B. die 1857 in Tharandt als Louisenstift errichtete „Anstalt für Töchter höherer Stände“ der Louise Henriette von Mangoldt in Form einer Sammelschule mit verbundenem Pensionat.

Das Hauptziel war die Vorbereitung der jungen Mädchen auf ihre späteren häuslichen Pflichten als Gattin und Mutter. Wohlhabendere großbürgerliche und adlige Familien, die sich ein Schulgeld leisten konnten und denen es um eine etwas ernsterzunehmende Bildung ihrer Töchter zu tun war, schickten sie deshalb lieber in private Bildungsinstitute oder Mädchenpensionate, die den Anforderungen einer „höheren Schule“ eher gerecht wurden. Töchter weniger gut gestellter Familien verließen die höhere Mädchenschule häufig schon vorzeitig, sobald sie ihre Schulpflicht erfüllt hatten, weil andere häusliche Aufgaben auf sie warteten und Bildung in Bezug auf junge Frauen keinen hohen Stellenwert hatte.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Preußen neben 213 öffentlichen höheren Mädchenschulen 656 private.

Im Unterschied zu Gymnasien, den höheren Schulen für Knaben, fehlte in den höheren Mädchenschulen die studiumsvorbereitende Oberstufe, wie sie die heutige Sekundarstufe II bezweckt, und der zu einem Hochschulstudium qualifizierende Abschluss des Abiturs. Die höhere Töchterschule endete etwa mit dem 15. bis 16. Lebensjahr. Damit entsprach die Mädchenbildung in Deutschland den Ansprüchen, die auch in anderen westlichen Ländern galten. Der Besuch eines Lehrerinnenseminars war lange Zeit die einzige Möglichkeit einer weiterführenden und berufsqualifizierenden Schulbildung für junge Frauen. In den 1890er Jahren wurden dann spezielle Mädchengymnasien und -gymnasialkurse eingerichtet, die als Ersatz für die fehlende Oberstufe der Mädchenschule eintreten konnten.

Im Jahre 1908 kam es durch das Engagement von Helene Lange und dem maßgeblichen preußischen Kulturpolitiker Friedrich Althoff, aber auch von zahlreichen anderen Reformern, darunter der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria, zu einer Umgestaltung der Mädchenschulen, die wesentliche Verbesserungen brachten. Die Historikerin Angelika Schaser urteilt über die Reform: „Das Jahr 1908 bildet ohne Zweifel einen bedeutsamen Fortschritt auf dem Gebiete der preußischen Mädchenbildung, und die Reform des Mädchenschulwesens kann als einer der großen Erfolge der deutschen Frauenbewegung angesehen werden.“

Bekannte Höhere Mädchenschulen

Verwendung von „Lyzeum“

Nicht nur in Deutschland wird der Begriff Lyzeum (nach dem griechischen Lykeion) für Schulen benutzt, wobei es sich um Schulen mit anderen Organisationsformen und Bildungszielen handeln kann. So ist beispielsweise ein Lycée in Frankreich und ein Liceum in Polen eine Oberschule für beide Geschlechter, die zum Abitur führt.

Siehe auch

Literatur

  • Helene Lange: Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung. Begleitschrift zu einer Petition an das preußische Unterrichtsministerium und das preußische Abgeordnetenhaus. Berlin 1887.

Einzelnachweise

  1. Dass die Auffassungen, ob „höhere“ sich auf die Art der Bildung oder die Zielgruppe bezog, auseinandergingen, zeigt etwa die Schulgeschichte des Mariengymnasiums Papenburg, das um 1835 von einem „Fräulein Julia Brabant“ aus Neuenkirchen in Oldenburg als eine höhere Töchterschule ausdrücklich für „die weibliche Jugend höherer Stände“ eingerichtet wurde. Mariengymnasium Papenburg. Für die Festschrift zum 300jährigen Bestehen der Gemeinde St. Antonius in Papenburg im Jahr 1980 verfasste Sr. Philomene Schmitz – von 1957 bis 1974 Schulleiterin – einen Beitrag, der die Phasen der Entwicklung und den Bildungsauftrag des Mariengymnasiums darstellt. Obwohl der Aufsatz mittlerweile über zwanzig Jahre alt ist, sind auch die Passagen über den Bildungsauftrag der Schule immer noch lesens- und bedenkenswert. In: www.mgpapenburg.de. Archiviert vom Original am 2. Oktober 2014; abgerufen am 5. April 2021.
  2. Helga Brandes: Frau, in: Werner Schneiders (Hg.): Lexikon der Aufklärung. Deutschland und Europa. München 2000, 127.
  3. Mädchenschulen. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1905 (auf Zeno.org). Abgerufen am 30. Oktober 2010.
  4. Claus-Hinrich Offen: Schule in einer hanseatischen Bürgergesellschaft: zur Sozialgeschichte des niederen Schulwesens in Lübeck (1800–1866), 1990
  5. Die 130-jährige Schulgeschichte der Neustädter Grundschule in Quedlinburg. (Memento vom 29. November 2010 im Internet Archive) In: Chronik der Neustädter Grundschule Quedlinburg. Abgerufen am 30. Oktober 2010.
  6. Emmy Noethers Schulzeit in Erlangen: Aus den Anfängen der städtischen Höheren Töchterschule. In: www.er.myfen.de. Archiviert vom Original am 13. April 2014; abgerufen am 5. April 2021. In: Heinrich Hirschfelder: Erlangen im Kaiserreich 1871–1918. C.C. Buchners Verlag, Bamberg 2007. Kapitel 6.: „Frauen und Schulgeschichte(n).“ Auf der Website des SeniorenNetz Erlangen. Abgerufen am 30. Oktober 2010.
  7. Zeittafel zur Geschichte unserer Schule. (Memento des Originals vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Chronik des Gymnasium am Rotenbühl in Saarbrücken. Abgerufen am 30. Oktober 2010.
  8. Angelika Schaser: Frauenbewegung in Deutschland 1848–1933. Darmstadt 2006, S. 25.
  9. Gegen die Ansicht von Richard J. Evans kann Schaser zeigen, wie groß der tatsächliche Anteil von Helene Lange war; siehe Angelika Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebensgemeinschaft. Böhlau, Köln 2010, S. 120–129, insbes. S. 129.
  10. Angelika Schaser: Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebensgemeinschaft. Böhlau, Köln 2010, S. 120–129.
  11. Angelika Schaser: Frauenbewegung in Deutschland 1848–1933. Darmstadt 2006, S. 35.
  12. Ilse Rüttgerodt-Riechmann: Davenstedter Strasse, in: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland, Baudenkmale in Niedersachsen, Stadt Hannover (DTBD), Teil 2, Bd. 10.2, hrsg. von Hans-Herbert Möller, Niedersächsisches Landesverwaltungsamt – Institut für Denkmalpflege, Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig 1985, ISBN 3-528-06208-8, S. 124ff.; sowie Linden im Addendum: Verzeichnis der Baudenkmale gem. § 4 (NDSchG) (ausgenommen Baudenkmale der archäologischen Denkmalpflege), Stand: 1. Juli 1985, Stadt Hannover, Niedersächsisches Landesverwaltungsamt – Veröffentlichungen des Instituts für Denkmalpflege, S. 22f.
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.