Das Latinische Bürgerrecht, auch Latinisches Recht (lateinisch ius Latii), war im Römischen Reich zunächst das Bürgerrecht der Latiner, der Bundesgenossen Roms. Es entsprach in seinen Rechten weitgehend, aber nicht vollständig, dem römischen Bürgerrecht. Später verlieh die römische Verwaltung das latinische Bürgerrecht auch an Bewohner der römischen Provinzen, die noch nicht das volle römische Bürgerrecht erhalten sollten.
Geschichte
Während der römischen Eroberung Italiens im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde neben dem römischen Bürgerrecht ein neues Bürgerrecht für die latinischen Bundesgenossen Roms geschaffen. Es stellte ihre Bürger den Römern privatrechtlich gleich. Sie durften die römische Volksversammlung besuchen und erwarben durch Übersiedelung nach Rom automatisch das römische Bürgerrecht.
Daneben gab es eine zweite Gruppe von Gemeinden latinischen Rechts: Es waren die Siedlungen, die Rom als Kolonien anlegte. Die Bürger dieser Kolonien genossen in etwa die gleichen Rechte wie die Altlatiner (sogenannte „Latinität“). Solche Kolonien mit Latinischen Bürgerrecht gab es vor allem in Spanien, Nordafrika und Südfrankreich.
An der Frage des gleichberechtigten Bürgerrechts für Bundesgenossen entzündete sich gegen Ende der Republik der Bundesgenossenkrieg (91–88 v. Chr.), der durch das Lex Plautia Papiria aus dem Jahr 89 v. Chr. beendet wurde, das allen freien Bewohnern Italiens südlich des Po das römische Bürgerrecht verlieh. Im gleichen Jahr wurde mit dem Lex Pompeia de Transpadanis („über die Transpadaner“) des Konsuls Gnaeus Pompeius Strabo den Bewohnern nördlich des Po das latinische Bürgerrecht verliehen. Gaius Iulius Caesar weitete das römische Bürgerrechtsgebiet dann vier Jahrzehnte später bis an den Alpenrand aus; die ihm nachfolgenden Herrscher Roms verliehen in der Folgezeit auch diversen Städten in den restlichen Provinzen des Reiches das latinische Bürgerrecht. Üblicherweise erhielten die ranghöchsten Einwohner dieser Orte, die Magistrate beziehungsweise in manchen Fällen auch sämtliche Mitglieder des Stadtrats (Dekurionen) das reguläre römische Bürgerrecht. Damit konnten sie, anders als ihre nur mit dem latinischen Bürgerrecht ausgestatteten Mitbürger, auch in den Ritter- und Senatorenstand aufsteigen.
Im Lauf der römischen Kaiserzeit erhielten immer mehr Personen und Personengruppen das römische Bürgerrecht, bis es durch die Constitutio Antoniniana des Jahres 212 fast allen freien Reichsbewohnern verliehen wurde, so dass das Latinische Bürgerrecht weitgehend seine Bedeutung verlor.
Literatur
- Géza Alföldy: Die römische Gesellschaft. Ausgewählte Beiträge (= Heidelberger Althistorische Beiträge und Epigraphische Studien. Band 1). Franz Steiner, Stuttgart 1986, ISBN 3-515-04610-0, S. 282.
- Altay Coşkun: Großzügige Praxis der Bürgerrechtsvergabe in Rom? Zwischen Mythos und Wirklichkeit (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse. Jahrgang 2009, Nummer 1). Akademie der Wissenschaften und der Literatur/Franz Steiner, Mainz/Stuttgart 2009, ISBN 978-3-515-09350-7.
- Hartmut Galsterer: Latinisches Recht. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 6, Metzler, Stuttgart 1999, ISBN 3-476-01476-2, Sp. 1172–1174.
- Ralph W. Mathisen: Peregrini, Barbari, and Cives Romani: Concepts of Citizenship and the Legal Identity of Barbarians in the Late Roman Empire. In: American Historical Review. Band 111, Nummer 4, 2006, S. 1011–1040, doi:10.1086/ahr.111.4.1011.
- Theodor Mommsen: Abriss des römischen Staatsrechts. 2. Auflage, Duncker & Humblot, Leipzig 1907.
- A. N. Sherwin-White: The Roman citizenship. 2. Auflage, Clarendon Press, Oxford 1973, ISBN 0-19-814813-5.
- Artur Steinwenter: Ius Latii. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band X,1, Stuttgart 1918, Sp. 1260–1278.