Jakob Stainer (auch Jacob oder Jacobus; * 1619 in Absam; † Oktober oder November 1683 ebenda) war ein Tiroler Geigenbauer.
Leben
Stainer war Sohn eines Bergknappen. Er bekam von 1626 bis 1630 seine Ausbildung, eventuell auch Lateinunterricht durch den Schulmeister von Absam. Seine späteren Briefe und sein Schriftzug lassen auf eine gute Bildung und italienische Sprachkenntnisse schließen. Möglicherweise war er Sängerknabe im adeligen Damenstift in Hall in Tirol und am Innsbrucker Hof. Er absolvierte vermutlich in dieser Zeit eine Tischlerlehre. Geigenmacherlehrlinge mussten, wenn sie nicht Söhne von Meistern waren, zuvor eine Tischlerlehre abgeschlossen haben.
Zwischen 1630 und 1644 wurde Jakob Stainer zum Geigenmacher ausgebildet. Innsbruck und Füssen scheiden als Ausbildungsstätten wegen Unruhen auf Grund des Dreißigjährigen Krieges aus. Stainer erhielt seine Ausbildung offenbar in Italien, vermutlich in Venedig. Zu den fünf Jahren Lehrzeit kamen noch einige Wanderjahre hinzu. Einige Hinweise deuten darauf, dass dies zum Teil in der Werkstatt von Amati in Cremona gewesen sein könnte.
Ab 1644 begann die eigenständige Karriere Stainers als Geigenmacher. Er verkaufte seine Instrumente an Klöster und Höfe nach Salzburg, Innsbruck, München, Venedig, Kirchdorf, Bozen, Nürnberg, Kremsier und Meran. Er nahm keine Lehrlinge auf, so dass seine Kunst des Geigenbauens nicht weitergegeben wurde.
Am 26. November 1645 heiratete Stainer in Absam Margareta Holzhammer. Von nun an arbeitete er als Geigenmacher hauptsächlich in Absam, war aber sehr oft auf Reisen, um entweder Geigen zu verkaufen oder Materialien einzukaufen. Er lieferte 1646 sieben Instrumente an den Innsbrucker Hof. Ein Jahr darauf hielt er sich in Kirchdorf (Oberösterreich) auf und hinterließ Schulden, was 1667 zu einer Gerichtsverhandlung führte. Stainer war 1649 als Altist und Assistent des Pfarrchores in Meran tätig, drei Jahre darauf erhielt er erneut einen Auftrag für den Innsbrucker Hof.
Im Jahr 1656 wurde Stainer Eigentümer eines Hauses im Absamer Oberdorf (heute das „Stainer-Haus“). Der Erzherzog Ferdinand Karl verlieh ihm zwei Jahre später den Titel eines „erzfürstlichen Dieners“, der mit dem Tode des Erzherzoges 1662 erlosch; von Kaiser Leopold I. erhielt er 1669 den Titel „Kaiserlicher Diener“.
1668 begann ein Streit mit der Kirchenbehörde wegen des Besitzes „ketzerischer Bicher“. Stainer wurde nach Brixen, dem Sitz des Fürstbischofs, zitiert. Da er nicht erschien, wurden eine Hausdurchsuchung und geheime Inquisition angeordnet. Ein Jahr danach musste Stainer wegen „besorgendter Entweichung“ in Innsbruck in Arrest. Von 1670 bis 1679 erhielt er dennoch Aufträge aus Meran, Salzburg, Schwaz, München und Nürnberg.
Ab 1680 litt Stainer zunehmend unter Depressionen. Im späten Oktober oder frühen November 1683 starb er in Absam – nach neuesten Forschungen nicht verarmt, sondern wohlhabend – aber in geistiger Umnachtung.
Ehrungen
1942 wurde die Jakob-Stainer-Gasse in Wien-Hietzing nach ihm benannt. Auch in Innsbruck und Absam erinnert eine Stainerstraße an den Geigenbauer, seine Heimatgemeinde hat außerdem ihm zu Ehren eine Geige ins Wappen aufgenommen.
Stainers Instrumente
Merkmale
Stainers Instrumente unterscheiden sich zwar deutlich von dem Baustil in Brescia, aber nicht grundsätzlich von den Baumerkmalen der Cremoner Amati-Zeit. Im Allgemeinen werden gegenüber Cremona folgende Unterschiede angegeben:
- Hohe Wölbung von Decke und Boden – breiteres und kürzeres Format.
- Während die Wölbung des Bodens in Längsrichtung kontinuierlich zur Mitte ansteigt, ist sie bei der Decke eher plateauartig konzipiert.
- Erwähnenswert ist die Ausarbeitung der Platten (Decke und Boden): wegen der hohen Wölbung hält Stainer von oben nach unten in der Mitte die Deckenstärken am größten, um den Saitenzug in Längsrichtung abzufangen. Demgegenüber sieht das Konzept im Cremoneser Geigenbau nach 1700 (A. Stradivari, Guarneri del Gesù) vor, bei relativ flacherer Wölbung das „Klangzentrum“ (im Bereich des Stegs, der ff-Löcher) am dicksten zu belassen.
- Stilistisch steht Stainer damit Amati näher als den Cremoneser Geigenbauern des 18. Jahrhunderts.
- Senkrechter stehende ff-Löcher, zierlich und kurz, die unteren Enden in kreisrunde Löcher auslaufend
- die Schnecken weit und bogig geschweift
Instrumentenlieferungen
Einige nachgewiesene Instrumentenlieferungen Stainers:
1644 | 1 Viola bastarda für die fürstbischöfliche Hofmusikkapelle nach Salzburg; 4 Instrumente für Kloster Marienberg (Südtirol) |
1645 | 1 Bassviola nach München |
1646 | 7 Instrumente an den Innsbrucker Hof |
1648 | Bestellungen der Pfarrkirche Bozen |
1650 | 1 Violoncello an die Hofkapelle von Köthen |
1668 | 1 Violone an den Hof von Kremsier |
1669 | Stift Lambach bestellt 10 Instrumente; Kremsier 6 Instrumente, darunter ein großer Violone |
1670–72 | 5 Instrumente für die Hofmusik in Salzburg |
1674 | Auftrag für Meran, 1 Violine für Salzburg |
1677 | 2 Violinen für das Kloster St. Georgenberg in Fiecht |
1678 | 1 Viola da gamba nach Meran |
1679 | Aufträge für den Hof in München |
1680 | Nachfolgeaufträge für München, 3 Instrumente nach Nürnberg |
Überliefertes
- In Francesco Maria Veracinis Nachlass von 1715 werden 26 Musikinstrumente erwähnt, darunter 10 Geigen von Stainer. Seine beiden Lieblingsstainer gingen 1746 bei einem Schiffbruch im Ärmelkanal verloren.
- Heinrich Ignaz Franz Biber hatte persönlichen Kontakt mit Stainer.
- Francesco Geminiani spielte auf einer Stainer.
- Giuseppe Tartini hat zeitweise auf einer Stainer gespielt.
- Ein Kloster tauschte einen Kelch im Wert von 100 Dukaten gegen eine Stainer-Geige ein.
- Von J. S. Bachs Orchester ist überliefert, dass sie auf mehreren Tiroler Geigen und Celli musizierten.
- Im 18. Jahrhundert bezahlte man für Stainer-Geigen einen wesentlich höheren Preis als für „cremonesische“ Geigen (Amatis oder Stradivaris).
Touristisches
- Das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck besitzt als einziges ein komplettes Quintett des heimischen Geigenbaumeisters.
- Ein Originalinstrument befindet sich in der Stainer-Ausstellung im neuen Dorfmuseum in Absam.
Stainer-„Kopien“
Stainer verwendete sowohl handgeschriebene als auch gedruckte Zettel, nach 1670 aber nur noch handgeschriebene. Schon im 18. Jahrhundert war es in Mittenwald üblich, dort hergestellte Instrumente mit „Stainer“-Geigenzetteln zu versehen. In den meisten Fällen enthalten diese die Inschrift „Jacobus Stainer Absam prope Oenipontum 16..“ (deutsch: Jacobus Stainer aus Absam bei Innsbruck). Da man zu dieser Zeit Stainers Todesdatum nicht kannte, wurden „echte“ Stainergeigen bis 1712 datiert. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden zehntausende billiger Schülerinstrumente vor allem aus sächsischen Manufakturen zu „Stainers“ gemacht. Drucker boten die nachgedruckten Zettel gleich bogenweise feil. Auf diese Weise gehörte Stainer neben Stradivari und Amati zu den scheinbar über ihren Tod hinaus produktivsten und am meisten plagiierten Geigenbauern der Geschichte.
Literatur
- Rudolf Hopfner, Wilfried Seipel: Jacob Stainer. „… kayserlicher diener und geigenmacher zu Absom“; eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums Wien; Schloß Ambras, 4. Juni bis 31. Oktober 2003. Kunsthistorisches Museum Wien, 2003, ISBN 3-85497-060-9.
- Walter Senn: Jakob Stainer – der Geigenmacher zu Absam. Die Lebensgeschichte nach urkundlichen Quellen (= Schlern-Schriften. Band 87). Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 1951.
- Walter Senn, Karl Roy: Jakob Stainer. Leben und Werk des Tiroler Meisters 1617–1683 (= Das Musikinstrument. Band 44). Bochinsky, Frankfurt/M. 1986, ISBN 3-923639-69-4.
Beiträge
- Heinrich Noë: Eine Heimstätte deutschen Fleißes. In: Die Gartenlaube. Heft 1, 1873, S. 9–11 (Volltext [Wikisource]).
- Walter Senn: Der Geigenmacher von Absam Jakob Stainer. In: Österreichische Musikzeitschrift, Band 25, 1970, S. 680 ff.
Artikel in Lexika
- Erich Tremmel: Stainer, Jacob. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 5, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2006, ISBN 3-7001-3067-8.
- Rudolf Hopfner: Stainer, Jacob. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 25, Duncker & Humblot, Berlin 2013, ISBN 978-3-428-11206-7, S. 39 (Digitalisat).
- Wilhelm Joseph von Wasielewski: Stainer, Jacobus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 35, Duncker & Humblot, Leipzig 1893, S. 413 f.
- Constantin von Wurzbach: Stainer, Jacob. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 37. Theil. Kaiserlich-königliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1878, S. 97–99 (Digitalisat).
- Stainer, Jakob. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 28, Bautz, Nordhausen 2007, ISBN 978-3-88309-413-7, Sp. 1457–1474.
Weblinks
- Jakob Stainer – der Wanderer. Ein Geigenbauer im Zeitalter des Zweifels
- jakob-stainer.de Website von Heinz Peller mit biographischen Daten Stainers, Instrumentenliste, Literaturliste und Aufnahmen, auf denen Stainer-Instrumente zu hören sind
- Sammlung von vier Stainer-Instrumenten des Musikkollegium Winterthur
Museen
- Stainer-Ausstellung im Dorfmuseum in Absam
- Jakob Stainer: „Vater der deutschen Geige“ mit Informationen zu acht Stainer-Instrumenten im Tiroler Landesmuseum, Innsbruck
- Violine und Viola im National Music Museum, Vermillion, South Dakota, USA
- Vier Stainer-Instrumente im Kunsthistorischen Museum, Wien
Anmerkungen
- ↑ Im Artikel Anmerkungen zu Jakob Stainers Geburtsjahr auf jakob-stainer.de kommt der Autor nach Abwägung aller relevanten und derzeit bekannten Daten zum Schluss, dass ein Geburtsjahr von Ende 1619 bis Anfang 1620 wahrscheinlich ist. Da sein Bruder Martin am 25. Oktober 1618 getauft wurde, ist eine Geburt Jakob Stainers im Jahr 1618 kaum möglich.