Der Freundeskreis Reichsführer SS, auch: Freundeskreis Reichsführer-SS und Freundeskreis Himmler, ehemals als Freundeskreis der Wirtschaft beim Reichsführer SS Himmler, Freundeskreis der Wirtschaft oder Keppler-Kreis bekannt, war eine Gruppe von deutschen Industriellen in der Zeit des Nationalsozialismus.

Vorgeschichte: Der Keppler-Kreis

Auf Veranlassung Adolf Hitlers gründete Wilhelm Keppler, Mitglied der NSDAP seit 1927, im Frühjahr 1932 den „Studienkreis für Wirtschaftsfragen“. Im Juni 1932 stellte Keppler Hitler etwa 20 Mitglieder des lockeren Kreises vor. Sekretär der Gruppe war Fritz Kranefuß (1900–1945), ein früherer Mitarbeiter und Neffe Kepplers.

Der Keppler-Kreis beschäftigte sich mit der Erstellung eines Wirtschafts- und Finanzprogramms für die NSDAP. In drei Unterausschüssen (Finanz-, Industrie- und allgemeine Wirtschaftsfragen) wurden zahlreiche Denkschriften entworfen. Laut dem Historiker Dirk Stegmann ist im Keppler-Kreis die Keimzelle für wichtige Grundsatzentscheidungen der späteren Wirtschaftspolitik des NS-Regimes zu suchen. Vom Keppler-Kreis ging auch die Initiative zur Industrielleneingabe aus (ein Brief vom 19. November 1932 appellierte an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen).

Für den Historiker Karsten Heinz Schönbach ist das Konzept der Machtergreifung – 1. Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, 2. Wahl, 3. antiparlamentarische Verfassungsänderung (Ermächtigungsgesetz) – im Keppler-Kreis entstanden. So schrieb beispielsweise Keppler an Kurt Freiherr von Schröder am 26. Dezember 1932, dass von einer „Neuwahl nach Ernennung Hitlers unter der Parole: Hindenburg-Hitler, als Regierungswahl durchgeführt“ ein „weit besseres Ergebnis zu erwarten“ sei als von einer Neuwahl unter Schleicher. Und in der Industrielleneingabe hieß es, dass „jede Verfassungsänderung“ von einer breitesten „Volksströmung“ getragen werden müsse.

Die Mitglieder gelten als spätere Nutznießer der Arisierung. Der Historiker Hans-Ulrich Thamer urteilte 1994, dass diesen dem Nationalsozialismus nahestehenden Industriellenzirkeln mit wenigen Ausnahmen bis 1933 „nur Wirtschaftsvertreter aus dem zweiten und dritten Glied der Eisen- und Stahlindustrie angehörten“.

Mitglieder

Der ursprüngliche Keppler-Kreis hatte nach Aussage von Emil Helfferich folgende Mitglieder:

  1. Wilhelm Keppler, mittelständischer Unternehmer
  2. Hjalmar Schacht, Bankier und ehemaliger Reichsbankpräsident (1923–1930)
  3. Albert Vögler, Vorstandsvorsitzender der Vereinigte Stahlwerke
  4. Friedrich Reinhart, Vorstandsmitglied der Ilse Bergbau AG, Vorstandssprecher der Commerz- und Privatbank
  5. Ewald Hecker, Präsident der IHK Hannover, Aufsichtsratsmitglied in mehreren Unternehmen
  6. August Rosterg, Vorstandsvorsitzender der Wintershall AG
  7. Kurt Freiherr von Schröder, Mitglied im Deutschen Herrenklub
  8. Emil Heinrich Meyer, Syndikus bei der Dresdner Bank, Cousin Kepplers
  9. Franz Heinrich Witthoefft, Präsident des Hamburger Übersee-Clubs, Aufsichtsratsmitglied der C. Lorenz AG
  10. Emil Helfferich, Aufsichtsratsvorsitzender der HAPAG
  11. Leopold Plaichinger, Mitarbeiter von Wilhelm Keppler aus den Odin-Werken
  12. Max Luyken, Landwirt, Reichstagsabgeordneter (NSDAP) und SA-Führer
  13. Gottfried von Bismarck-Schönhausen, bis 1929 in der Geschäftsführung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie

Der Historiker Henry Ashby Turner nennt noch:

  1. Otto Steinbrinck, Marineoffizier, führender Manager im Flick-Konzern

Der Freundeskreis Reichsführer SS

Nach der Machtübergabe 1933 wurde der Keppler-Kreis zum Freundeskreis Reichsführer SS umgebildet. Die Mitglieder spendeten von 1935 bis 1944 jährlich ungefähr 1 Million Reichsmark an den Reichsführer SS Heinrich Himmler. Dafür wurde das „Sonderkonto S“ bei der J. H. Stein Bank in Köln eingerichtet, wie aus dem Schreiben vom 25. Februar 1936 von Otto Steinbrinck und Kurt Freiherr von Schröder an Emil Heinrich Meyer, Vorstandsmitglied der Dresdner Bank, hervorgeht. Kurt Freiherr von Schröder war Teilhaber und Verwalter des Kontos. Von den damals 32 nicht der SS angehörenden Mitgliedern erhob Heinrich Himmler 15 in den Rang von SS-Ehrenführern.

In seinem Verhör in den Nürnberger Prozessen benannte Wilhelm Keppler aus dem Gedächtnis eine Reihe von Mitgliedern, die dem Freundeskreis mindestens zeitweise angehört hätten. Dokumente belegen die aktive Beteiligung anhand der Spendenlisten.

Mitglieder

Die Mitglieder sind alphabetisch sortiert; die Nennung der Funktionen ist nicht abschließend.

  1. Hermann Behrends, SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei und SS-Sturmbannführer der Reserve der Waffen-SS, Höherer SS- und Polizeiführer in Serbien und Montenegro sowie Stabsführer der Volksdeutschen Mittelstelle
  2. Rudolf Bingel, Siemens-Halske
  3. Gottfried von Bismarck-Schönhausen, Regierungspräsident in Stettin und später in Potsdam
  4. Karl Blessing, Unilever, später Bundesbankchef
  5. Wilhelm Börger, Arbeitsministerium
  6. Heinrich Bütefisch, I.G. Farben
  7. Kurt Dellmann, SS-Obersturmführer
  8. Friedrich Karl Dermietzel, Stellvertreter des Reichsarztes SS und Polizei, SS-Brigadeführer
  9. Hans Fischböck, Reichskommissar im Vierjahresplan
  10. Friedrich Flick, Mitteldeutsche Stahlwerke
  11. Rudolph Firle, Norddeutscher Lloyd
  12. Herbert Göring, Wirtschaftsministerium, Vetter von Hermann Göring
  13. Karl Ritter von Halt, Deutsche Bank
  14. Franz Hayler, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium
  15. Ewald Hecker, Ilseder Hütte
  16. Emil Helfferich, Aufsichtsratsvorsitzender der Hapag, Direktor der DAPG
  17. Otto Heuer, Generaldirektor der Schütte AG
  18. Erich Hilgenfeldt, Leiter der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt
  19. Richard Kaselowsky, Dr. August Oetker KG, Bielefeld
  20. Hans Kehrl, SS-Oberführer
  21. Wilhelm Keppler, ab 1938 Staatssekretär im Außenministerium
  22. Fritz Kiehn, Papierfabrikant und SS-Obersturmbannführer
  23. Wilhelm Kleinmann, Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium
  24. Friedrich Carl Arthur Kranefuß, BRABAG, Himmlers Adjutant
  25. Carl Vincent Krogmann, Erster Bürgermeister von Hamburg
  26. Karl Lindemann, Direktor der Dresdner Bank, Deutsche Reichsbank, DAPG Norddeutscher Lloyd, Melchers & Co., Bremen
  27. Freiherr von Lüdinghausen
  28. Emil Heinrich Meyer, Vorstand der Dresdner Bank
  29. Werner Naumann, Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda
  30. Otto Ohlendorf, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium
  31. Alfred Olscher, Reichs-Kredit-Gesellschaft
  32. Oswald Pohl, Leiter des Wirtschaftsamtes der SS
  33. Karl Rasche, Mitglied im Vorstand der Dresdner Bank
  34. Herbert Reichenberger, SS-Untersturmführer
  35. Friedrich Reinhart, Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank
  36. Hellmuth Röhnert, Rheinmetall-Borsig
  37. Erwin Rösener, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, Mitglied des Reichstages
  38. August Rosterg, Kali-Konzern Wintershall AG
  39. Hjalmar Schacht, Reichsbankpräsident
  40. Ernst Schäfer, SS-Sturmbannführer des SS-Amtes Ahnenerbe
  41. Walther Schieber, Leiter des Rüstungslieferungsamtes im Rüstungsministerium
  42. Heinrich Schmidt, Wintershall Kali-Konzern
  43. Kurt Schmitt, früher Wirtschaftsminister, Vorstandsvors. der Allianz AG
  44. Kurt Freiherr von Schröder, Bankier, J. H. Stein Bank
  45. Wolfram Sievers, Leiter des Amtes Ahnenerbe
  46. Otto Steinbrinck, Gewerkschaft Preußen
  47. Albert Vögler, Vereinigte Stahlwerke AG – seine Mitgliedschaft wird aus gewichtigen Gründen bezweifelt.
  48. Wilhelm Voß, Reichswerke Hermann Göring
  49. Hermann Waldhecker, Direktor der Reichsbank
  50. Hans Walz, Boschwerke
  51. Franz Heinrich Witthoefft, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Commerz- und Privatbank
  52. Karl Wolff, persönlicher Adjutant Himmlers
  53. Walther Wüst, Professor für Indogermanistik, SS-Oberführer, Amtschef der SS-Forschungs- und Lehranstalt „Das Ahnenerbe

Siehe auch

Literatur

  • Reinhard Vogelsang: Der Freundeskreis Himmler. Musterschmidt. Göttingen / Zürich / Frankfurt (Main) 1982, ISBN 978-3-7881-1666-8.

Einzelnachweise

  1. Karsten Heinz Schönbach: Faschismus und Kapitalismus. Bündnis zur Zerschlagung von Demokratie und Arbeiterbewegung. Berlin 2020, S. 145, 151, 292, 303.
  2. Hans-Ulrich Thamer: Verführung und Gewalt. Deutschland 1933–1945. Siedler Verlag, Berlin 1994, ISBN 978-3-442-75528-8, S. 211.
  3. Dirk Stegmann: Zum Verhältnis von Großindustrie und Nationalsozialismus 1930–1933. In: Archiv für Sozialgeschichte, XIII, Bonn-Bad Godesberg 1973, S. 427 f.
  4. Henry Ashby Turner: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers. Siedler Verlag, Berlin 1985, S. 299 f.
  5. Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS. Weltbild Verlag, 1992, ISBN 3-89350-549-0, S. 132.
  6. zum Beispiel enthält das Schreiben des Bankiers Kurt Freiherr von Schröder an Heinrich Himmler vom 21. September 1943 eine Liste von Beiträgen (Gesamthöhe 1.100.000 RM) für das Jahr 1943; als Beweisstück im Nürnberger I.G.-Farben-Prozess hat es die Nummern US-322 bzw. EC-453.
  7. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 Liste nach Aussage von Wilhelm Keppler, Nürnberg Military Tribunal, Volume VI, Page 287 (online).
  8. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 Friedemann Bedürftig, Christian Zentner: Das große Lexikon des Dritten Reiches.; 1992; ISBN 3-89350-563-6.
  9. Tobias Bütow, Franka Bindernagel: Ein KZ in der Nachbarschaft. Das Magdeburger Außenlager der Brabag und der „Freundeskreis Himmler“. Köln 2003, ISBN 3-412-09303-3, S. 48. Anmerkung: Der Schreibfehler im Namen „Behrens“ resultiert aus den Angaben der alliierten Dokumente.
  10. 1 2 3 4 Karl-Heinz Thieleke (Hrsg.): Fall 5. Anklageplädoyer, ausgewählte Dokumente, Urteil des Flick-Prozesses, mit einer Studie über die „Arisierungen“ des Flick-Konzerns. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1965, S. 301.
  11. 1 2 3 4 5 Hartmut Rübner: Konzentration und Krise der deutschen Schiffahrt. Maritime Wirtschaft und Politik im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Bremen 2005, ISBN 3-89757-238-9.
  12. 1 2 Antony C. Sutton: Wall Street and the rise of Hitler. 1976, ISBN 978-0-89245-004-6, Kapitel 4 (online).
  13. Statistisch-wissenschaftliches Institut des Reichsführers-SS. (Memento vom 27. September 2007 im Webarchiv archive.today) Bundesarchiv.
  14. Hartmut Berghoff, Cornelia Rauh-Kühne: Fritz K. – Ein deutsches Leben im 20. Jahrhundert. Stuttgart und München (Deutsche Verlags-Anstalt), 2000, ISBN 3-421-05339-1, (Info (Memento vom 17. Februar 2001 im Internet Archive)).
  15. Veröffentlicht ist ein Veranstaltungsprogramm für eine Tagung am 12. Dezember 1943 und eine Einladungsliste, also keine Teilnehmerliste mit Unterschriften. Unter Nr. 35 erscheint ein Freiherr von Lüdinghausen ohne SS-Dienstgrad, Titel oder Berufsbezeichnung. Ein Rückschluss auf eine konkrete Person ist damit nicht möglich.
  16. Horst Bartel u. a. (Hrsg.): Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung. Band 1, Dietz Verlag, Berlin, 1969, S. 639.
  17. 1 2 Hermann Weiß: Personen Lexikon 1933–1945, Wien 2003.
  18. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Zweite aktualisierte Auflage, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-596-16048-8, S. 522.
  19. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, 2003, ISBN 3-10-039309-0, S. 105. Anmerkung: Die inkorrekte Schreibweise „Fritz Dermitzel“ ist auf alliierte Dokumente zurückzuführen.
  20. Erich Stockhorst: 5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich. 2. Auflage. Arndt, Kiel 2000, ISBN 3-88741-116-1 (Anmerkung: Der Name „Rösener“ wird in der Literatur auch inkorrekt mit „Roesener“ angegeben).
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