Kornjude ist ein vom späten 17. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitetes antijüdisches Schimpfwort.

Mit dem Schmähbegriff, der auch in die Behördensprache einging, wurden – gleichwohl nicht zwangsläufig jüdische – Händler bezeichnet, die mit dem Grundnahrungsmittel Getreide spekuliert und sich damit auf Kosten der „kleinen Leute“ rücksichtslos bereichert hätten. Insbesondere in Phasen von allgemeiner Teuerung, in Mangel- und Kriegszeiten wie zwischen 1770 und 1820 fand der Begriff weite Verbreitung. Die Analogbildung Kornchrist ist dagegen nur vereinzelt belegt. Auf jeden Fall aber diente das Klischee vom geldgierigen Juden als Negativfolie, vor der die Kornjuden definiert wurden. Dies zeigt etwa eine Deutung aus dem Jahr 1757, wonach die Kornjuden nicht „Juden nach dem Fleische, sondern nach dem Geist“ seien. Gezielt negativ verwendet hat den Begriff Kornjude – neben dem erst im 20. Jahrhundert belegten Begriff „Profitjude“ – etwa auch noch der antisemitische Verfasser der in der Zeit des Ersten Weltkriegs gefälschten Laichinger Hungerchronik von angeblich 1816/17.

Visualisiert erscheint der Kornjude auf zahlreichen Gedenkmedaillen, die in privater Initiative „für den Massenmarkt“ produziert wurden und „populäre Ressentiments“ bedienten. Das Bildprogramm dieser Medaillen, das auch im Druck verbreitet wurde, lässt den meist wohlgenährten Kornjuden u. a. selbstmörderisch am Strick enden, wo ihn der Teufel in Empfang nimmt. Regelmäßig mitgeliefert werden Zitate einschlägiger Bibelstellen oder entsprechende Verweise darauf, die sich wohl in erster Linie an Christen gerichtet haben dürften. So auch im Falle einer 1765 im Druck reproduzierten Kornjudenmedaille aus dem Jahr 1695: Das im Scheunentor links auf dem Avers zu lesende „LUC 12“ verweist auf das biblische Gleichnis vom reichen Kornbauern im genannten Kapitel des Lukas-Evangeliums, in dem vor Habgier gewarnt wird (Lk 12,16-21 ), SPRVCH·SALOMO·XI·v·26 auf dem abgebildeten Kornscheffel auf dem Revers steht für das salomonische Sprichwort Wer Getreide zurückhält, den verwünschen die Leute, wer Korn auf den Markt bringt, auf dessen Haupt kommt Segen (Spr 11,26 ) aus dem Buch der Sprüche.

Literatur

  • Kornjude. In: Vormalige Akademie der Wissenschaften der DDR, Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Deutsches Rechtswörterbuch. Band 7, Heft 9 (bearbeitet von Günther Dickel, Heino Speer, unter Mitarbeit von Renate Ahlheim, Richard Schröder, Christina Kimmel, Hans Blesken). Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1982, OCLC 832567132, Sp. 1320 (adw.uni-heidelberg.de).

Einzelnachweise

  1. Vgl. z. B. Jacob Daniel Ernst: Die neue historische Schau-Bühne der menschl[ichen] Thorheit und Göttlichen Gerechtigkeit. Leipzig 1702, S. 558: »Es wird in der Welt, und auch unter uns Christen eine gewisse Art geiziger Leute gefunden, welche Korn-Jüden, Vorkäuffer, Auffkäuffer, und bei den Rechts-Gelehrten Dardanarii genennet werden« (online bei Google Books). – Friedrich Just Riedel: Sämmtliche Schriften. Zweyter Theil: Satyren. Zweyter Band. Wien 1787, S. 302: »Ein Kornjude ist also ein Mensch, beschnittener oder unbeschnittener Art, der mit Korn und andern nothwendigen Lebensmitteln Wucher treibt – nicht allemal unerlaubten« (online bei Google Books). – Sebastian Winkelhofer: Sonn- und Festtags-Predigten über die Apostelgeschichte. Bd. 2.: Ein und fünfzigste bis ein hundert und fünfte Predigt. (= Johann Michael Sailer: Herausgegebene Reden. Sonntags-, Fest- und Gelegenheitspredigten. Vierter Theil). Grätz 1820, S. 45: »Das thust du,  K o r n j u d e ,  du sey übrigens Christ oder Jude […]« (Sperrdruck wie Vorlage) (online bei Google Books).
  2. Z. B. »Kornchrist« in einer Anekdote über einen »Kornhändler aus Franken« bei Isidor Täuber: Studiosus jovialis. Wien 1846, S. 268 (online bei Google Books); Hans Jörgel von Gumpoldskirchen. Volksschrift im Wiener Dialekte. Jg. 23. Nr. 45 vom 6. November 1854, S. 15: »die Herren Kornwucherer und Kornjuden, worunter sich ebensoviele Korn-Christen befinden« (online bei Google Books).
  3. Assur Abadja [d. i. Christoph Gottlieb Richter]: Die Bücher der Chronica oder die Geschichte von den Kriegen, welche die Brandenburger, die man sonst nennet die Preussen, geführet haben mit den Oesterreichern. Leiden 1757, S. 20 Nr. 4 (online bei Google Books).
  4. Vgl. Michael Globig: Die verfälschte Not. In: MaxPlanckForschung 1/2008, S. 66. f. (online bei www.mpg.de).
  5. So Dominik Collet: Die doppelte Katastrophe: Klima und Kultur in der europäischen Hungerkrise 1770–1772. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018 ISBN 978-3-525-35592-3, S. 387.
  6. Vgl. dazu die wohl fiktive, gleichwohl aussagekräftige ‚Beichte‘ eines christlich-reformierten Kornhändlers: Sendschreiben eines Kornhändlers, in S. an seinen Freund in L. In: Gelehrte Beyträge zu den Braunschweigischen Anzeigen 11 (1771), Sp. 738–742 (online bei Google Books).
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