Kamashastra (Sanskrit कामशास्त्र kāmaśastra, von काम kāma, „Begierde“ und शास्त्र śāstra „Lehre, Lehrbuch“) umfasst in der indischen Literatur Lehrwerke über Erotik.

Einordnung

Texte des Kamashastra gehören zur Tradition von Arbeiten z. B. über

Inhalt

Während beispielsweise Arthashastra Könige und Minister über das Regieren anweist oder Dharmashastra persönliche Gewohnheiten, soziale und familiäre Bindungen, Fasten und Feste, religiöse Rituale, Gerechtigkeit und Moral und sogar die Regeln der persönlichen Hygiene und Essenszubereitung bestimmt, gibt Kamashastra dem Bürger (nāgarika) Anleitungen wie man sexuelle Beziehungen und sexuelles Vergnügen und Erfüllung erreicht. Im Hinduismus haben Religion, irdischer Besitz und Seelenheil den gleichen Stellenwert. Das Fehlen oder Vernachlässigen einer dieser Komponenten macht das menschliche Leben unvollständig. Vernachlässigt man beispielsweise die Erotik, wird die menschliche Gesellschaft leiden. Die Kamashastra-Werke behandeln die Erotik umfassend. Zum Beispiel werden Menschen in Bezug auf ihre sexuelle Neigungen und Fähigkeiten kategorisiert, beschrieben welche Klasse von Männern und Frauen kompatibel sind und daher befriedigende sexuelle Beziehungen eingehen können. Es werden unter anderem Sexualpraktiken, Arten des Sex, die Verführung, Erregung, Gestik, Berührungen, das Küssen, Vorspiel, Kurtisanen, medizinischen Behandlung für gesunden Sex, Empfängnis oder Ansprüche an das Schlafzimmer behandelt. Einige Werke wie das Kamasutra, Ratishastra oder Ratiramana gehen auch auf sozialen Themen der Liebe wie etwa das Eheleben ein.

Etymologie

Im Sanskrit hat Kama (काम kāma) die allgemeine Bedeutung von Wunsch, Verlangen und Absicht in Bezug auf Vergnügen und (sexuelle) Liebe oder einem Liebes-Gefühl von Verbundenheit. Als Name bezieht sich das Wort auf Kama, dem hinduistischen Gott der Liebe. Shastra (शास्त्र śāstra) bezeichnet ganz allgemein eine Schrift, Lehre, Lehrbuch oder Anweisung.

Kāvya Poesie

Das Wort Sutra (सूत्र sūtra) bedeutet „Faden“ oder „Kette“ und bezeichnet einen Lehrtext in Versform. Ein Sutra ist kurz und einprägsam und damit für die mündlichen Überlieferung geeignet. Die Aussagen sind oft so komprimiert, dass es einen Interpretationsraum gibt, in dem sich der Sinn der Information nicht unmittelbar erschließt. Kommentare zu einem Werk helfen daher die Originalarbeit zu interpretieren und zu verstehen. Abschriften von Texten galten wegen möglicher, sinnentfremdender Fehler bei der Reproduktion als unsicheres Verfahren für die Weitergabe von Wissen.

Legende

Der Legende und Mythen nach sammelte Nandi (auch Nandikeshvara) der heilige Stier und Türhüter Shivas Informationen über sexuelle Praktiken. Er beobachtete Shiva und seine Frau Parvati 1000 Jahre bei ihren Liebesspielen und schrieb alles in ein Buch mit 1000 Kapiteln fest. Im 2. Jahrhundert v. Chr. soll Auddalaka Shvetaketu, Sohn von Uddalaka Aruni dieses Werk auf 500 Kapitel komprimiert und zusammengefasst haben. Unter dem Namen Babhravya Pancala (auch Vabhravya Pancala) soll ein Gelehrter (Acârya) und seine Schüler diese 500 Kapitel in 150 Kapitel und sieben Abschnitte, Sadharana (Allgemein), Samprayogika (Sex, Liebeskunst), Kanyasamprayuktaka (Vereinigung mit Jungfrauen, Werbung), Bharyadhikarika (von den Pflichten einer Frau, Ehe), Paraarika (von außerehelichen Beziehungen mit verheirateten Frauen), Vaisika (von Kurtisanen) und Oupanisadika (geheime Hilfsmittel) enzyklopädiert haben. Diese sieben Themen sollen anschließend von den Autoren Carayana (Sadharana), Suvarnanabha (Samprayogika), Ghotakamukha Kanyasamprayuktaka (Kanyasamprayuktaka), Gonardiya (Bharyadhikarika), Gonikaputra (Paradarika) und Kucumara (Oupanisadika) in sieben unabhängigen Werken behandelt worden sein. Der Autor Dattaka soll das sechste Thema Vaisika auf eine Anfrage von Kurtisanen der Stadt Pataliputra behandelt haben. Diese Werke sind nicht überliefert.

Kamashastra-Werke

Das älteste überlieferte Kamashastra-Werk in der indischen Tradition von Sex, Liebe und den damit verwandten sozialen Themen ist das Kamasutra von Vatsyayana. In diesem Buch werden die sieben Themen des Babhravya Pancala behandelt. Nach Vatsyayana wurden Kamashastra-Werke von weiteren Autoren geschrieben. Einige dieser Werke kommentieren das Kamasutra, während andere Texte neue Werke über die Erotik sind, die von nachfolgenden Autoren ebenfalls kommentiert wurden. Kommentare zum Kamasutra sind z. B. das Jayamangala oder das Kuttanimata. Neue Werke sind z. B. das Ratirahasya oder das Ananga Ranga. Kommentare zum Ratirahasya sind z. B. das Panchashayaka, das Ratiratnapradipika oder das Ananga Ranga. Einige dieser Werke sind als Palmblatt-Manuskripte z. B. in der Bibliothek der Universität von Dhaka sowie dem Oriental Research Institute in Mysuru erhalten und einige wurden teilweise oder vollständig in andere Sprachen übersetzt und publiziert.

Literatur

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  • Gendün Chöpel, Richard Reschika: Die tibetische Liebeskunst : Eros, Ekstase und spirituelle Heilung. Nietsch, 2006, ISBN 978-3-934647-97-8.
  • Wendy Doniger O'Flaherty: Siva : The Erotic Ascetic. Oxford University Press, 1981, ISBN 978-0-19-520250-2.
  • Wendy Doniger, Sudhir Kakar: Vatsyayana Kamasutra. Oxford University Press, 2009, ISBN 978-0-19-953916-1.
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  • Leo M. Pruden: Karmasiddhiprakarana : The Treatise on Action by Vasubandhu. Asian Humanities Press, 2001, ISBN 978-0-89581-908-6.
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  • Ram Kumar Rai: Encyclopedia of Indian Erotics. Prachya Prakashan, 2005.
  • Richard Schmidt: Beiträge zur indischen Erotik : Das Liebesleben des Sanskritvolkes. Hermann Barsdorf Verlag, Berlin 1922.
  • Richard Schmidt: Liebe und Ehe im alten und modernen Indien (Vorder-Hinter-und Niederländisch-Indien). Hermann Barsdorf Verlag, Berlin 1902.
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Einzelnachweise

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  4. Pinkney Dane: Kama Sutra. Die Kunst der Liebe. Knesebeck, 2002, ISBN 978-3-89660-132-2.
  5. Radhavallabh Tripathi: Kamasutra Of Vatsyayana. Pratibha Prakashan, 2005, ISBN 81-7702-101-X (Sanskrit Text, English Translation and Notes).
  6. Swami Sivapriyananda, Prauḍhadevarāya: South Indian Treatise on the Kamasastra: The Rati-ratna-pradipika of Praudha-Devaraja Maharaja. Abhinav Publications, 2000, ISBN 978-81-7017-388-5, S. 9–17.
  7. Moriz Winternitz: Geschichte der indischen Literatur. 3: Die Kunstdichtung, die wissenschaftliche Literatur, neuindische Literatur. Koehler, Stuttgart 1920, S. 536541.
  8. Kāmasūtra: Leitfaden der Liebeskunst. Alois Payer, 13. März 2007, abgerufen am 21. Mai 2009.
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  10. 1 2 Wendy Doniger, Sudhir Kakar: Vatsyayana Kamasutra. Oxford University Press, 2009, ISBN 978-0-19-953916-1, S. xlvi.
  11. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Richard Schmidt: Beiträge zur Indischen Erotik. Das Liebesleben des Sanskritvolkes. Hermann Barsdorf, Berlin 1922, S. 25–80.
  12. 1 2 3 B. A. Bauer: Encyclopaedic Study of Women and Love. Anmol Publications Pvt Ltd, 2002, ISBN 978-81-261-0260-0, S. 340.
  13. 1 2 3 4 5 6 7 8 Dhundhraj Shastri: Kamakunjalata (A collection of old and rare works of Kama Sastra). Chowkhamba Sanskrit Series Office, 2003, ISBN 81-7080-116-8.
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  16. 1 2 Introduction to the History of Sex Manuals by Kamashastra. kamashastra.com, archiviert vom Original am 12. Dezember 2007; abgerufen am 21. Mai 2009.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
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  21. 1 2 Narendra Nath Bhattacharyya: History of Indian Erotic Literature. Munshiram Manoharlal Publishers Pvt. Ltd., 1975, ISBN 81-215-0307-8.
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  23. Satya Vrata Tripathi: Mysteries of Love: Maratha Miniatures of the Rasamanjari. National Museum, Janpath, 2001, ISBN 81-85832-13-7.
  24. Dalvir Singh Chauhan: Ratikallolini. Krishnadas Prachyavidya Granthamala; 16. Chaukhambha Sanskrit Series Office, 2004, ISBN 81-7080-164-8.
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  28. Vgl. auch Ksemendra’s Samayamatrika. Das Zauberbuch der Hetären. Deutsch von Johann Jacob Meyer. Leipzig 1903
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  34. Srngaramanjari of Saint Akbar Shah. Open Library, abgerufen am 22. Mai 2009.
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  38. Citradhara, Trilokanatha Jha: Srngarasarini. Darabhaṅgānagayāṃ, 1965, OCLC 21100728.
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