Mit dem Begriff Dachstuhl wird in der Regel das gesamte Gefüge eines Dachtragwerks bezeichnet, wenn es als Traggerüst aus einzelnen Traggliedern (Balken oder Fachwerkträger) zusammengesetzt ist (im Gegensatz etwa zu einem monolithischen gegossenen oder aus großen Betonplatten zusammengefügten Dach) und dabei eine traditionelle Dachform ausbildet. Es besteht üblicherweise aus Holz, bei größeren Gebäuden auch aus Traggliedern aus Schmiedeeisen oder Stahlbeton.
Demgebenüber wird als Dachstuhl bzw. Stuhl im ursprünglichen und engeren Sinne eine Teilkonstruktion verstanden, die das Dachwerk von unten unterstützt, indem sie in Sparren- und Pfettendächern unter der Sparrenlage angeordnet wird. Sie stützt die Dachsparren oder die Kehlbalken und dient der Aussteifung des Dachs. Sie ist in der Regel auch ohne Mitwirkung der aufgelegten Sparren für sich alleine standsicher. Der Stuhl bildet einen unter den Dachsparren liegenden Längsverband, zu dem beim Pfettendach auch die Dachbinder gehören.
Wortherkunft
Das Wort ist im Deutschen seit dem 16. Jahrhundert belegt, der Wortbestandteil „Stuhl“ bedeutet hier „Gestell“, insbesondere eines, auf dem etwas anderes ruht. Insofern gilt der Dachstuhl als ein „Gestell, auf dem die Dachhaut ruht, angebracht ist“, als eine „die Dachhaut tragende [Holz]konstruktion“.
Arten von Dachstühlen
Die meisten Dachstühle der Geschichte waren nach unten offene Konstruktionen wie sie sich in vielen Kirchen, aber auch in Nutzgebäuden wie Scheunen oder Grangien erhalten haben; Zwischendecken wurden erst im Lauf der Zeit eingezogen. Die eher einfachen Konstruktionen der Frühzeit entfalteten später manchmal durch zimmermannstechnische Meisterleistungen (z. B. Kapitelhaus des York Minsters oder Oktogon der Kathedrale von Ely) ein durchaus repräsentatives Eigenleben. Im 19. Jahrhundert entstanden die ersten nicht brennbaren und insgesamt leichteren Dachstühle aus Eisen (z. B. im Kölner Dom), die sich jedoch bis heute weder im Kirchen- noch im Wohnbau durchgesetzt haben.
Konstruktion
Bei einer hölzernen Stuhlkonstruktion in einem Dachtragwerk werden die Stützen beziehungsweise Stiele auch als Stuhlpfosten oder Stuhlsäulen bezeichnet. Eine Reihe davon bildet zusammen mit Schwellen, Rähmen und Streben einen parallel zum First stehenden Längsverband, die Stuhlwand. Die Schwelle zur Lastverteilung unter Stuhlpfosten wird auch Stuhlschwelle genannt.
Durch die Verstrebung der Pfosten und Pfetten zur Stuhlwand, die oft durch Kopfbänder ausgeführt ist, wird die Errichtung des Dachstuhls erleichtert und gemeinsam mit Windrispen die Längsaussteifung des Dachwerks gewährleistet. Die Verbindung der Stuhlsäulen mit den Spannriegeln durch Streben dient der Queraussteifung des Stuhls.
Stehender Stuhl
Ein stehender Stuhl ist ein Stuhl mit lotrechten Stuhlsäulen. Sind diese zur Unterstützung der Firstpfette oder zur mittigen Stützung der Kehlbalken nur in der Längsachse unter dem First angeordnet, wird vom einfach stehenden Stuhl gesprochen, bei einer zweireihigen Stellung vom doppelt oder zweifach stehenden Stuhl. Kombinierte Konstruktionen werden auch als mehrfach stehender Stuhl bezeichnet.
Ein stehender Stuhl ist die Standardkonstruktion des Pfettendachs als Satteldach, wenn die Mittelpfette nicht auf einer Mittelwand bzw. auf Quer- und Giebelwänden aufgelagert werden kann. Ein Sparren- und Kehlbalkendach ist hingegen bei geringen Spannweiten auch ohne Stuhl zu errichten.
Die Kehlbalken eines größeren Kehlbalkendachs werden häufig an den Anschlusspunkten zum Sparren durch zwei Stuhlpfetten (auch Stuhlwandpfetten oder Stuhlrähm) unterstützt. Die Pfetten werden von Stuhlpfosten getragen und bilden mit lotrechten Pfosten einen doppelt stehenden Dachstuhl.
Ein Hängewerk entsteht, wenn die unter dem Dachwerk befindliche Decke an den Stuhlsäulen aufgehängt ist, etwa um einen großen stützenfreien Saal zu schaffen (Abbildung Dachstühle, Fig. 14 und 15). Die Lasten aus der Decke und der gestützten Dachkonstruktion werden dann durch Streben und gegebenenfalls Spannriegel zu den Auflagern am Fußpunkt der Dachsparren abgeleitet.
Liegender Stuhl
Beim liegenden Stuhl sind die Stuhlsäulen schräg geneigt und stützen sich oben am Spannriegel ab. Ihre Fußpunkte befinden sich in der Regel auf dem Dachbalken (Deckenbalken) dicht über der Außenwand oder einer anderen tragenden Wand. Liegende Stühle können sowohl in Pfetten- als auch in Sparren- und Kehlbalkendächer angeordnet sein.
Ein Vorteil dieser Anordnung liegt in einer besseren Nutzbarkeit des stützenfreien Dachraumes. Der liegende Stuhl belastet zudem die darunterliegenden Dachbalken (Deckenbalken) am Rand in der Nähe des Auflagers, und nicht in der Feldmitte. Dies sorgt für ein geringeres Biegemoment. Der liegende Stuhl wird darum auch dann eingesetzt, wenn im Geschoss unter der Balkenlage große stützenfreie Räume entstehen sollen und die Decke nicht durch die Dachkonstruktion belastet werden kann, beispielsweise über dem Mittelschiff einer Kirche.
Ansichten
- Großes Pfettendach: Der Dachstuhl ist als Binder (Dachbinder) ausgeführt, alle fünf Sparrenfelder ein Binder. Der Längsverband, aus Firstpfette und Mittelpfetten, ist mit Kopfbändern ausgesteift (Kopfbandpfetten). Die Hängepfosten mit angehängtem Binderbalken (Bundbalken) sind hier nicht weiter belastet. Die Bundbalken sind mit einer doppelten Brettreihe in Längsrichtung stabilisiert.
- Dachwerk des Kornhausbodens im Vorderschloss der Burg Mildenstein. Die 1394/95 aus Tannenholz gefertigte Konstruktion hat keinen Dachstuhl, da alle Gespärre gleich sind und Längsbalken fehlen.
- Stehender Dachstuhl und Ankerbalken über den Mittelschiffsgewölben der Johanniskirche in Werben (Elbe)
- Realisierung im St. Blasien
Literatur
- Edwin Orsel: The Earliest Development of Roof Construction in Leiden (NL) (PDF). In: Karl-Eugen Kurrer, Werner Lorenz, Volker Wetzk (Hrsg.): Proceedings of the Third International Congress on Construction History. Neunplus, Berlin 2009, ISBN 978-3-936033-31-1, S. 1113–1120
Einzelnachweise
- ↑ So beispielsweise bei Anton Pech und Karlheinz Hollinsky: Dachstühle, Wien, 2005, Springer.
- ↑ Klaus Dierks (Hrsg.): Baukonstruktion, 2. Auflage, Düsseldorf, 1990 S. 447.
- ↑ Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Dachstuhl
- 1 2 Satz nach Kluge Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24. Auflage, 2002.
- ↑ nach Duden online unter www.duden.de, Lemma Dachstuhl, abgerufen am 12. Dezember 2008.
- 1 2 Satz nach Hagen Prehl: Hölzerne Dachkonstruktionen, 2. Auflage, Düsseldorf, 2001, Werner Verlag, S. 43.
- ↑ Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Stuhlwand.
- 1 2 3 Satz nach Hagen Prehl: Hölzerne Dachkonstruktionen, 2. Auflage, Düsseldorf, 2001, Werner Verlag, S. 45.
- ↑ Satz nach Günther Binding (Hrsg.): Fachterminologie für den historischen Holzbau. Fachwerk – Dachwerk. 38. Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln. 2. überarbeitete Auflage, Köln 1990. S. 15.
- ↑ Satz nach Günther Binding (Hrsg.): Fachterminologie für den historischen Holzbau. Fachwerk – Dachwerk. 38. Veröffentlichung der Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln. 2. überarbeitete Auflage, Köln 1990. Grafik S. 14.
- ↑ Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Stuhlwandpfette. „… die 16/18 bis 18/20 starken Pfetten, die zur Unterstützung von über 3,5 bis 4 m langen Kehlbalken dienen …“
Weblinks
- Handwerkskunst! Wie man einen Dachstuhl zimmert, SWR Fernsehen – Landesschau Rheinland-Pfalz vom 14. November 2018 (YouTube vom 25. September 2018)