Linsenräume sind geometrische Gebilde, die in der Mathematik vor allem in der 3-dimensionalen Topologie vorkommen. Sie sind die einfachste Klasse 3-dimensionaler geschlossener Mannigfaltigkeiten. Erstmals beschrieb sie 1908 Heinrich Tietze. Mit den von Tietze eingeführten Linsenräumen gelang es James Waddell Alexander 1919, eine Vermutung von Henri Poincaré zu widerlegen, da sie Beispiele für nicht-homöomorphe Räume mit gleicher Fundamentalgruppe liefern. Weiterhin waren Linsenräume die ersten Beispiele homotopieäquivalenter, aber nicht homöomorpher Mannigfaltigkeiten: Kurt Reidemeister entwickelte 1935 die später nach ihm benannte Reidemeister-Torsion, um den Homöomorphietyp von Linsenräumen zu unterscheiden.

Definition

Seien für natürliche Zahlen, so dass für alle . Der Linsenraum ist definiert als der Bahnenraum der durch die Formel

gegebenen freien Wirkung der zyklischen Gruppe auf der Einheitssphäre .

Invarianten

Die Fundamentalgruppe des Linsenraums ist unabhängig von .

Die Homologiegruppen berechnen sich wie folgt:

für , für alle anderen .

Klassifikation

Weil die Fundamentalgruppe des Linsenraums ist, können zwei Linsenräume nur dann homotopieäquivalent sein, wenn die Zahl übereinstimmt.

Die Linsenräume und sind

  • homotopieäquivalent genau dann, wenn

    für ein .
  • homöomorph genau dann, wenn es eine Permutation und ein gibt, so dass
    für .

3-dimensionale Linsenräume

3-dimensionale Linsenräume sind die einzigen 3-Mannigfaltigkeiten, die eine Heegaard-Zerlegung vom Geschlecht besitzen.

Sie sind sphärische 3-Mannigfaltigkeiten: ihre universelle Überlagerung ist die 3-Sphäre. Insbesondere tragen sie eine Riemannsche Metrik konstanter positiver Schnittkrümmung.

Literatur

  • Ralph Stöcker, Heiner Zieschang: Algebraische Topologie. Eine Einführung. Zweite Auflage. Mathematische Leitfäden. B. G. Teubner, Stuttgart 1994, ISBN 3-519-12226-X
  • Nikolai Saveliev: Lectures on the topology of 3-manifolds. An introduction to the Casson invariant. Second revised edition. de Gruyter Textbook. Walter de Gruyter & Co., Berlin 2012, ISBN 978-3-11-025035-0
  • Claude Weber: Lens spaces among 3-manifolds and quotient surface singularities, RACSAM 112, 2018, S. 893–914.

Einzelnachweise

  1. Jean Dieudonné: A history of algebraic and differential topology, 1900–1960 (= Modern Birkhäuser Classics). Nachdruck der 1989 Auflage. Birkhäuser, Boston 2009, ISBN 978-0-8176-4906-7, S. 42, doi:10.1007/978-0-8176-4907-4.
  2. H. Tietze: Über die topologischen Invarianten mehrdimensionaler Mannigfaltigkeiten. In: Monatshefte für Mathematik und Physik. Band 19, Nr. 1, Dezember 1908, ISSN 0026-9255, S. 1–118, doi:10.1007/BF01736688.
  3. Kurt Reidemeister: Homotopieringe und Linsenräume. Abh. Math. Sem. Univ. Hamburg 11: 102–109 (1935)
  4. P. Olum: Mappings of manifolds and the notion of degree. In: Ann. of Math., (2) 58, 1953, S. 458–480. JSTOR:1969748
  5. E. J. Brody: The topological classification of the lens spaces. In: Ann. of Math., (2) 71, 1960, S. 163–184. JSTOR:1969884
  6. John Milnor: Whitehead torsion. In: Bull. Amer. Math. Soc., 72, 1966, S. 358–426. maths.ed.ac.uk (Memento vom 29. Mai 2016 im Internet Archive; PDF)
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