Die Stalingradmadonna ist ein Bild des deutschen Lazarettarztes Kurt Reuber (1906–1944), das zu Weihnachten 1942 in Stalingrad (heute Wolgograd) entstand. Es gelangte während der Schlacht von Stalingrad mit einem der letzten Transportflugzeuge aus dem Kessel.
Zum Gedenken an die Opfer der Schlacht und Mahnung zum Frieden befindet sich das Bild seit 1983 in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Beschreibung
Der evangelische Pastor und Lazarett-Oberarzt Kurt Reuber schuf eine Holzkohlezeichnung, die eine sitzende Frauengestalt zeigt. Ähnlich einer Schutzmantelmadonna birgt sie unter dem Mantel ein Kind, das sie liebevoll ansieht und ihm Schutz und Geborgenheit gibt. Die Darstellung trägt die Umschrift „1942 Weihnachten im Kessel – Festung Stalingrad – Licht, Leben, Liebe“.
„Das Bild ist so: Kind und Mutterkopf zueinandergeneigt, von einem großen Tuch umschlossen, Geborgenheit und Umschließung von Mutter und Kind. Mir kamen die johanneischen Worte: Licht, Leben, Liebe. Was soll ich dazu noch sagen? Wenn man unsere Lage bedenkt, in der Dunkelheit, Tod und Hass umgehen - und unsere Sehnsucht nach Licht, Leben, Liebe, die so unendlich groß ist in jedem von uns!“
Geschichte
Das 105 × 80 Zentimeter große Bild wurde in einem Unterstand auf die Rückseite einer russischen Landkarte gezeichnet.
Aus einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager 1.000 Kilometer nordöstlich von Stalingrad bei Jelabuga (heute in Tatarstan) schrieb Reuber zu Advent 1943 an seine Frau:
„Schau in dem Kind das Erstgeborene einer neuen Menschheit an, das unter Schmerzen geboren, alle Dunkelheit und Traurigkeit überstrahlt. Es sei uns ein Sinnbild sieghaften zukunftsfrohen Lebens, das wir nach aller Todeserfahrung um so heißer und echter lieben wollen, ein Leben, das nur lebenswert ist, wenn es lichtstrahlend rein und liebeswarm ist.“
„Das Bild zieht die Menschen in seinen Bann, Christen und auch Nichtchristen. (…) Die Ruhe und Geborgenheit, die von diesem Bild ausgeht, steht in Spannung zu den verzweifelten Umständen seiner Entstehung im Kessel von Stalingrad 1942. [Kurt Reuber hat dieses Werk] seinen Leidensgenossen in einer Heiligabendandacht „vorgestellt“, als eine anschaubare Predigt des Evangeliums. Der Bericht eines Augenzeugen gibt zu verstehen, dass der enge Bunker durch dieses Bild zu einer Kapelle geworden sei.“
Zusammen mit Reubers Selbstbildnis und etwa 150 weiteren Porträts nahm ein schwer verwundeter Offizier das Bild mit in eine der letzten Ju 52-Transportmaschinen, die noch aus dem Kessel herausflogen. Diese gelangten dann zu Reubers Familie, die es im Pfarrhaus Wichmannshausen (heute Sontra, Nordhessen) aufbewahrte. Auf Anregung von Bundespräsident Karl Carstens übergab die Familie die Zeichnung der Stalingradmadonna am 26. August 1983 der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Zweitfassung: Gefangenen-Madonna
„Ein Jahr später, Weihnachten 1943, malte er im Kriegsgefangenenlager Jelabuga eine zweite Madonna, die in der Lagerzeitung erschien. Später bekam das Bild den Namen »Gefangenen-Madonna«, der Bruch ist deutlich: Maria wirkt deutlich trostloser und zeigt die Verzweiflung Reubers.“
Auch diesmal gelang es, Reubers Frau Wochen später das Bild zu übergeben.
„So ganz am Ende, vor dem Nichts, im Bann des Todes - welch eine Umwertung der Werte hat sich in uns vollzogen! So wollen wir diese Wartezeit nützen als Familie, im Beruf, im Volk. Mitten auf unserem adventlichen Todesweg leuchtet schon das Freudenlicht der Weihnacht als Geburtsfest einer neuen Zeit, in der - wie hart es auch sein möge - wir uns des neugeschenkten Lebens würdig erweisen wollen.“
Gleichzeitig erhielt sie die Nachricht, dass ihr Mann nach schwerer Krankheit (Fleckfieber) am 20. Januar 1944 im Lager gestorben sei.
Reproduktionen
In zahlreichen Kirchen in Deutschland, Österreich, England, Russland sind Reproduktionen dieses Bildes in den verschiedensten künstlerischen Techniken als Mahnung gegen den Krieg ausgestellt.
Deutschland
- Berlin, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (Original)
- Bochum, Heimkehrerdankeskirche-Krypta: gestickt als Wandbehang
- Denkendorf (Oberbayern), freistehendes Steinkreuz mit eingravierter stilisierter Madonna als Symbol des Friedens
- Diestedde, Vorplatz der Friedhofskapelle: Statue
- Dornburg/Westerwald, Jugendhaus Dornburg: Bildkopie
- Fulda, Kirche St. Andreas in Fulda-Neuenberg: geschnitzt als Relief
- Grießem, Turm der ehemaligen Kapelle Maria zum Loskauf der Gefangenen: Tonrelief
- Hannover, Privatbesitz
- Hermeskeil, auf einem Wiesenstück neben der Pfarrkirche St. Martin: Statue aus Sandstein (aufgestellt von Pfarrer Mohr, Stalingradteilnehmer)
- Hoheneiche, Gemeinde Wehretal, Kirchenkreis Eschwege, Kirche, Filial der Pfarrstelle Wichmannshausen (Kurt Reuber, ab 1933), Replik in Originalgröße
- Fürstlicher Park Inzigkofen, Meinradkapelle
- Kassel, Auferstehungskirche, Tauf-, Konfirmations- und Traukirche von Kurt Reuber (Kopie)
- Kloster Kirchberg, Klosterkirche. Dort befindet sich ein Zentrum der Michaelsbruderschaft, bei denen Reber Mitglied war.
- Bad Kohlgrub, Kriegergedächtniskapelle im Kurgarten: Reproduktion von Hans Seitfudem (1992)
- Königswinter, Gedenkhalle auf der Kriegsgräberstätte in Königswinter-Ittenbach
- Külsheim, In der Strassenkapelle, Tonrelief
- Limburg a. d. Lahn, Gedenkstele auf dem Domfriedhof
- Meersburg, kleine vergitterte Kapelle „Zum Frieden“ am Wegesrand des Spazierweges „Am Rosenhag“ vor der Einmündung in die Töbelestraße: Kopie in Form eines Gobelins durch die russische Künstlerin Elena Kikopule
- München, Sanitätsakademie der Bundeswehr, Originalkopie, 1997 als Geschenk der Kaiser-Wilhelm-Gedächtsniskirche erhalten
- Mengshausen, Evangelische Kirche, Holzrelief
- Niedergailbach, Marienkapelle: geschnitzt als Statue
- Oberroth (Gemeinde Schwabhausen, Landkreis Dachau), Waldkapelle: Bildkopie
- Pronsfeld (Verbandsgemeinde Prüm), Alte Kirche: Relief in Buntsandstein
- Rottweil, Ortsteil Hausen, Kapelle am Bollerhofwald, Halbrelief von Maria Klaiber-Kasper
- Schöneberg (Hunsrück): ein Gemälde in der Kirche mit dem Titel Madonna von Stalingrad
- Schwalmstadt Kirche in Loshausen (Hessen) Relief in Bronze von Bildhauer Lutz Lesch
- Wellendorf, Pfarrkirche St. Barbara: Relief in Silberätztechnik
- Wiesbaden, Kirche St. Marien Wiesbaden-Biebrich, Bildkopie
- Wichmannshausen, Kirche, ehemalige Pfarrstelle von Kurt Reuber, Bildkopie
- Wismar, Heiligen-Geist-Kirche, Skulptur aus Elbsandstein
- Wittgensdorf, Privatbesitz
- Wuppertal, Kolpinghaus Barmen
England
- Coventry Cathedral in Coventry, The Millennium Chapel: Bild, Originalkopie, 1990 als Geschenk der Kaiser-Wilhelm-Gedächtsniskirche erhalten
Österreich
- Baden bei Wien, Kirche St. Stephan: geschnitzt als Relief
- Felling, Katastralgemeinde der Stadtgemeinde Hardegg, Pfarrkirche: gestickt
- Fronsburg (Weitersfeld), Bründlkapelle: geschnitzt als Relief
- Langau, Kirche: geschnitzt als Relief
Russland
- Museum Stalingrad, heute Wolgograd
- Wolgograd, Katholische Kirche St. Nikolaus von Myra in Wolgograd, Originalkopie, 1995 als Geschenk der Kaiser-Wilhelm-Gedächtsniskirche erhalten
- Moskau seit 8. Mai 2020 in der Kathedrale Peter und Paul
Sonstige Verwendung
- Das Bild wird zudem im Wappen des Sanitätsregiments 2 der Bundeswehr in Rennerod/Koblenz verwendet. Die Bundeswehr vertreibt ferner eine Druckversion mit den senkrechten Textzeilen (links) „Weihnachten im Kessel“; (rechts) „Licht Leben Liebe“ und der oben angeordneten Jahreszahl 1942.
- Eine Kopie wurde im November 2014 im Aeronauticum in Nordholz im Rahmen einer Gedenkveranstaltung für Kriegsopfer aufgestellt.
- Eine Kupfertreibarbeit der Stalingrad Madonna befindet sich am Grabstein von OSR Johannes Willnauer (1920–1985) am Friedhof in Steyr, Oberösterreich. Er war in Stalingrad Sanitäter bei der Einheit, der auch Kurt Reuber angehörte. Nach dem Krieg wurde er Priester, Religionslehrer an der HTL in Steyr und Präses der Kolpingsfamilie Steyr. Die Arbeit wurde von der Steyrer Goldschmiedemeisterin Barbara Postlbauer-Rus gefertigt.
Siehe auch
Literatur
- Martin Kruse (Hrsg.): Die Stalingrad-Madonna. Das Werk Kurt Reubers als Dokument der Versöhnung. 1. vollständig überarbeitet Auflage. Lutherisches Verlagshaus, Hannover 2012. ISBN 978-3-7859-1076-4.
- Die Weihnachtsmadonna von Pronsfeld, seit 1957 ist sie auch in Pronsfeld „beheimatet“ (Online-Fassung)
- Ein letztes „O du fröhliche …“, Kurt Reubers „Stalingrad-Madonna“ wurde zu einem Symbol der Versöhnung: 1942 tröstete sie die Soldaten, Evangelische Zeitung, 23. Dezember 2012, S. 6.
- Heinz-Georg Hartmann: Die Stalingrad-Madonna in Berlin (Quatember 1983)
Weblinks
- Museum Stalingrad, heute Wolgograd – mit Abbildungen des Werkes und Foto von Kurt Reuber
- Medaille des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge
- Die Deutsche Gedichtebibliothek Gedicht zu Ehren Kurt Reubers
Einzelnachweise
- ↑ Gedenktafel in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
- ↑ Infotafel in der „Kapelle zum Frieden“ in Meersburg mit Kopie der Stalingradmadonna
- ↑ Die Madonna von Stalingrad - Vom Krieg gezeichnet, auf spiegel-online mit einer Reproduktion der „Gefangenenmadonna“ von 1943
- ↑ Reproduktion der „Gefangenen-Madonna“
- ↑ Die Madonna von Stalingrad - Vom Krieg gezeichnet, auf spiegel-online
- ↑ Jörg Raab: Die Toten verpflichten die Lebenden - ein besonderes Jubiläum. In: Stimme & Weg, 4/2010, S. 29.
- ↑
- ↑ Onlineprojekt Gefallenendenkmale: Kopie der Stalingradmadonna in Meersburg, aufgerufen am 20. Dezember 2012
- ↑ Stalingradkapelle in Oberroth, Landkreis Dachau
- ↑ Die Weihnachtsmadonna von Pronsfeld
- ↑ Artikel im Paulinus (Wochenzeitung)
- ↑ Das Relief an der Kirche in Loshausen erinnert an den ehemaligen Vikar in Loshausen (Oktober 1930 bis April 1931).
- ↑ Internetseite des Bildhauers Lutz Lesch.
- ↑ Stalingradmadonna in wichmannshausen
- ↑ Ehrenmal im Kolpinghaus Barmen
- ↑ Храм Св. Николая в Волгограде: описание, история, фото, точный адрес. Abgerufen am 24. Mai 2020 (russisch).
- ↑ lt. Evangelischer Zeitung bom 20. Juni 2021, S. 4