Das Massaker von Kafr Qasim geschah zu Beginn des Sinaifeldzuges am 29. Oktober 1956 im Dorf Kafr Qasim, das auf der israelischen Seite des „Dreiecks“ liegt. Israelische Grenzpolizisten ermordeten dabei 48 arabische Israelis, darunter 23 Kinder und Jugendliche. Ein weiterer Mann starb an einem durch das Massaker ausgelösten Herzinfarkt.
Es handelte sich um Rückkehrer von der Arbeit, die unwissentlich eine unmittelbar zuvor vorgezogene nächtliche Ausgangssperre für arabische Grenzorte verletzt hatten. Dem Kommandanten war diese Tatsache bewusst, er gab aber Befehl, jeden zu erschießen, der nach 17 Uhr noch auf der Straße war. Palästinensische Staatsbürger Israels standen damals noch immer unter Militärverwaltung und galten der jüdischen Mehrheit als Gefahr im eigenen Land. Die deshalb vor dem Feldzug verhängte Ausgangssperre für alle arabischen Orte an der damaligen Grenze zu Jordanien (heute Westjordanland) wurde kurzfristig von 22 Uhr auf 17 Uhr vorverlegt, als viele betroffene Bewohner außerhalb der Orte bei der Arbeit waren. Während alle anderen Einheiten in den benachbarten Orten den Schießbefehl ignorierten und die Arbeiter passieren ließen, wurde er in Kafr Qasim an mehreren Stellen befolgt. Die Erschießungen erfolgten in neun Wellen zwischen 17 und 18 Uhr.
Arabische Berichte sprechen oft von 49 Toten, weil dort ein ungeborenes Kind mitgezählt wird. Die Toten wurden in einem Massengrab begraben, die Verletzten wegen der Ausgangssperre erst am nächsten Tag geborgen. Erst anderthalb Monate später, nach Abschluss einer von der Regierung eingeleiteten Untersuchung und nach Zahlung von Entschädigungsgeldern an die Familien der Opfer, informierte Regierungschef David Ben-Gurion die Öffentlichkeit in einer Ansprache vor der Knesset über die Vorkommnisse und kündigte ein Gerichtsverfahren an.
Acht der Täter wurden im Oktober 1958 zu bis zu 17 Jahren Haft verurteilt, die Strafen wurden jedoch wiederholt reduziert; schließlich wurden die verbliebenen Offiziere bereits im folgenden Jahr nach Begnadigung durch Ben-Gurion aus der Haft entlassen.
Im Dezember 2007 entschuldigte sich der damalige israelische Präsident Schimon Peres für das Massaker. Reuven Rivlin nahm am 26. Oktober 2014 als erster amtierender Staatspräsident an der Gedenkzeremonie für die Opfer des Massakers teil. Initiativen palästinensisch-arabischer Abgeordneter zu einer offiziellen Anerkennung der staatlichen Verantwortung für das Verbrechen durch die Knesset blieben bisher jedoch ohne Erfolg. 2021 steht ein Gesetzesentwurf zur Abstimmung, der die offizielle Anerkennung und insbesondere das Unterrichten an Schulen als Beispiel für einen „offenkundig rechtswidrigen Befehl“, dem Soldaten nicht gehorchen müssen, zum Thema hat.
Literatur
- Adam Raz: Das Massaker von Kafr Kassem. Eine politische Biographie (hebräisch), Carmel, Jerusalem 2018 (hebräisch)
- Rezension von Joseph Croitoru: Operation Maulwurf in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Oktober 2018, S. 16
- Danny Orbach: Black Flag at a Crossroads: The Kafr Qasim Political Trial (1957-58) In: International Journal of Middle East Studies Jg. 45, Nr. 3, August 2013, S. 491–511 (englisch)
- Shira Robinson: Local Struggle, National Struggle: Palestinian Responses to the Kafr Qasim Massacre and Its Aftermath, 1956-66. In: International Journal of Middle East Studies Jg. 35, Nr. 3, August 2003, S. 393–416 (englisch),
- Yagil Henkin / Danny Orbach: From Deception to Mass Murder: Operation Mole and the Kafr Qasim Massacre Reconsidered. In: The Journal of Military History. Bd. 87 (2023), Nr. 2, April 2023, S. 438–470.
Weblinks
- Kafr Qasim Massacre kommentierte Dokumentensammlung der israelischen Nichtregierungsorganisation Akevot, abgerufen am 2. Februar 2021 (englisch/hebräisch/arabisch)
- Tom Segev: If the eye is not blind nor the heart closed, Artikel auf der Webseite der Organisation Partners for Progressive Israel, ursprünglich veröffentlicht in Haaretz vom 29. Oktober 2006 (englisch)
- Memorial on the 50th Anniversary of the Kafr Qasem Massacre
- Peres apologizes for 1956 massacre in Jerusalem Post vom 22. Dezember 2007, abgerufen am 8. Oktober 2012 (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ Yoav Stern: 50 years after massacre, Kafr Qasem wants answers. (Nicht mehr online verfügbar.) Haaretz, S. 1, archiviert vom am 1. Oktober 2007; abgerufen am 6. April 2009 (englisch). Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Local struggle, national struggle: Palestinian responses to the Kafr Qasim massacre and its aftermath, 1956–66. In: http://journals.cambridge.org/. Cambridge University Press, S. 1, abgerufen am 6. April 2009 (englisch).
- ↑ Kafr Qasim Massacre: Timeline, Zeitleiste in der kommentierten Dokumentensammlung der israelischen Nichtregierungsorganisation Akevot, abgerufen am 2. Februar 2021 (englisch/hebräisch/arabisch)
- ↑ 48 Arabs Killed: Israel Penitent. In: New York Times vom 13. Dezember 1956, S. 1 (englisch).
- ↑ Constanze Krakau: Die Rolle der palästinensischen Minderheit im politischen Leben Israels 1976–1996. Lit, Münster 2005, S. 48 Fn. 136.
- ↑ President Peres apologizes for Kafr Qasem massacre of 1956. Haaretz. 21. Dezember 2007. Abgerufen am 14. September 2014.
- ↑ Hundreds march through Kafr Qasim to mark 64th anniversary of massacre. In: The Times of Israel vom 29. Oktober 2020 (englisch)
- ↑ Israel’s Next Political Battle: Recognition of 1956 Massacre of Arab Citizens. In: Haaretz. (haaretz.com [abgerufen am 26. Oktober 2021]).
Koordinaten: 32° 6′ 54″ N, 34° 58′ 30″ O