Als Matriphage (von lateinisch mater für „Mutter“ und griechisch φαγεῖν phagein für „verzehren“, „aufessen“) bezeichnet man in der Zoologie bestimmte Tierarten, deren Jungtiere das eigene Muttertier fressen.
Beschreibung
Das Phänomen, dass Jungtiere ihr eigenes Muttertier unmittelbar nach dem Schlupf auffressen, ist vor allem von diversen Tausendfüßer- und Spinnenarten bekannt, in seltenen Fällen auch von Käfern. Das Verhalten wird als Matriphagie bezeichnet. Hintergrund dieser Veranlagung dürfte sein, dass den frisch geschlüpften Jungtieren genügend Nahrung zur Verfügung stehen soll, sobald sie ihr Ei oder ihre schützende „Kinderstube“ (zum Beispiel den Spinnenkokon) verlassen haben. Während die Jungtiere schlüpfen, schwindet im Muttertier der angeborene Instinkt der Selbsterhaltung und es hört auf zu fressen oder Beute zu fangen. Da das Muttertier hierdurch ohnehin bald an Erschöpfung zugrunde gehen würde, opfert es sich quasi dem eigenen Nachwuchs, um dessen Überleben zu sichern: Erst mästet es sich noch während der Eiablage und der „Kinderbetreuung“, dann produziert es so viel Verdauungssaft, dass sein Körper buchstäblich aufweicht. Die Jungtiere saugen das Muttertier dann einfach bis auf das Exoskelett oder den Chitinpanzer aus. Die Mütter sind in der Regel semelpar, das bedeutet, sie vermehren sich nur einmal im Leben.
Beispiele
Spinnen
- Fensterspinne Amaurobius fenestralis
- Die Röhrenspinne Stegodyphus lineatus. Bei der Unterart Stegodyphus dumicola, wo jungfräuliche Schwestern die Spinnenmutter bei der Brutpflege unterstützen, werden auch diese vom Nachwuchs gefressen.
- Bei Pseudoskorpionen der Unterart Paratemnoides nidificator wurde beobachtet, dass diese sich in Zeiten von extremer Nahrungsknappheit nicht gegen Angriffe durch ihren eigenen Nachwuchs wehren, sondern sich fressen lassen.
Käfer
- Glanzkäfer Micromalthus debilis, sind nur zum Teil Matriphagen – lediglich die Larven, aus denen sich männliche Käfer entwickeln, fressen ihre eigene Mutter.
- Der Ohrwurm der Art Anechura harmandi pflanzt sich in der kalten Jahreszeit fort, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Da es allerdings auch keine Nahrung für die Larven gibt, lebt diese Spezies matriphag.
Literatur
- Martina Nicolls: Similar but Different in the Animal Kingdom. Strategic Book Publishing & Rights Agency, Houston (Texas) 2017, ISBN 9781681819419, S. 31.
- David Shuker, Leigh Simmons: The Evolution of Insect Mating Systems. Oxford University Press, London/Oxford (UK) 2014, ISBN 9780191030888, S. 213.
Weblinks
- Austa Somvichian-Clausen: Spinnenmütter lassen sich von ihrem Nachwuchs fressen. Internetartikel vom 9. November 2017 auf nationalgeographic.de (deutsch); zuletzt aufgerufen am 29. April 2019.
Einzelnachweise
- ↑ Rainar Nitzsche: Spinnen. BoD – Books on Demand, 2018, ISBN 978-3-837-03669-5, S. 299–303 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ M. Salomon, E. D. Aflalo u. a.: Dramatic histological changes preceding suicidal maternal care in the subsocial spider (Araneae: Eresidae). In: Journal of Arachnology. 43, 2015, S. 77, doi:10.1636/b14-15.1.
- ↑ Mor Salomon, Jutta Schneider, Yael Lubin: Maternal investment in a spider with suicidal maternal care, (Araneae, Eresidae). In: Oikos. 109, 2005, S. 614, doi:10.1111/j.0030-1299.2005.13004.x.
- ↑ Soziale Spinnen: Tanten opfern sich WDR, aufgerufen am 20. Oktober 2021
- ↑ D. A. Pollock, B. B. Normark (2005): Matriphagy in the neotropical peseudoscorpion PARATEMNOIDES NIDIFICATOR (Balzan 1888) (Atemnidae) In: The J. of Arachnology, 33(3):873-877 (2005). doi:10.1636/S03-61.1.
- ↑ D. Pollock, B. Normark (2002): The life cycle of Micromalthus debilis LeConte (1878) (Coleoptera: Archostemata: Micromalthidae): Historical review and evolutionary perspective (engl)Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research. 40(2):105 - 112 doi:10.1046/j.1439-0469.2002.00183.x (open access)
- ↑ Seizi Suzuki, Masashi Kitamura, Kei Matsubayashi: Matriphagy in the hump earwig, Anechura harmandi (Dermaptera: Forficulidae), increases the survival rates of the offspring. In: Journal of Ethology. 23, 2005, S. 211, doi:10.1007/s10164-005-0145-7.