Klassifikation nach ICD-10
G44.4 Arzneimittelinduzierter Kopfschmerz, anderenorts nicht klassifiziert
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen sind alle Arten von Kopfschmerz, die allein aus der Einnahme von Medikamenten, häufig Schmerzmitteln, oder deren Entzug resultieren. Sie stellen eine Untergruppe der substanzinduzierten Kopfschmerzen dar. Zu unterscheiden ist zwischen Kopfschmerzen durch übermäßigen Gebrauch von Schmerzmitteln bzw. deren Entzug und Kopfschmerzen als direkter Nebenwirkung anderer Medikamente.

IHS-Klassifikation

8. Kopfschmerz, zurückzuführen auf eine Substanz oder deren Entzug
8.1. Kopfschmerz, induziert durch akuten Substanzgebrauch oder akute Substanzexposition
8.2. Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch
durch Ergotamine, Triptane, Analgetika, Opioide, Schmerzmittelmischpräparate, andere Medikamente
8.3. Kopfschmerz, als Nebenwirkung zurückzuführen auf eine Dauermedikation
8.4. Kopfschmerz, zurückzuführen auf den Entzug einer Substanz

(Die aktuelle Klassifikation der International Headache Society wurde 2004 veröffentlicht.)

Epidemiologie

Der Häufigkeitsgipfel befindet sich im mittleren Lebensalter. 5 bis 8 % aller Kopfschmerzpatienten entwickeln eine Medikamentenabhängigkeit. Frauen sind mit einem Verhältnis von 10:1 deutlich überrepräsentiert.

Ätiologie

Die Entstehung medikamenteninduzierter Kopfschmerzen setzt eine primäre Kopfschmerzerkrankung (zumeist Migräne oder Spannungskopfschmerz) voraus. Sie ist der ursprüngliche Grund der Schmerzmitteleinnahme.

Die häufige Einnahme von Analgetika bewirkt, dass das Nervensystem seine Empfindlichkeit für Schmerzen steigert, die Schmerzschwelle (unterschwellige Reize werden nicht als Schmerz wahrgenommen) also sinkt. Dadurch werden Reize, die andernfalls nicht schmerzhaft wären, als Schmerz wahrgenommen, was eine vermehrte Einnahme der Schmerzmittel nach sich zieht. Verhaltenstherapeutisch gesehen liegt somit ein Lernprozess vor.

Grundsätzlich können alle Analgetika zu einem medikamentenbedingten Kopfschmerz führen. Vorwiegend werden von den Betroffenen jedoch Mischpräparate eingenommen, die psychotrope Substanzen enthalten (Koffein, Codein). Hierin besteht eine enge Beziehung zu den Suchterkrankungen.

Eine Sonderform stellt der Kopfschmerz als direkte Nebenwirkung anderer Substanzen dar. Unter den Medikamenten spielen besonders Nitrate, Calciumantagonisten, Amiodaron, Lithium und Steroidhormone eine wichtige Rolle. Daneben können viele Rauschmittel (Alkohol, Cannabis, Kokain) zu Kopfschmerzen führen. Weitere Stoffe sind u. a. Natriumglutamat, Kohlenmonoxid und Phosphodiesterase-Hemmer.

Symptome

Der Kopfschmerz tritt zumeist täglich auf, wenigstens aber an 15 Tagen pro Monat. Er ist ein- oder beidseitig lokalisiert, seine Intensität mäßig bis stark. Die Schmerzen werden als dumpf oder drückend, aber auch als stechend oder pulsierend beschrieben. Sie sind nicht selten von Übelkeit, Ruhebedürfnis, Licht- oder Geräuschempfindlichkeit begleitet. Somit erscheint dieser Kopfschmerz als eine Mischung aus einem migränösen und einem chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp dar.

Der Schmerz wird durch die Einnahme der Medikamente gedämpft, kehrt aber mit dem Ende von deren Wirkung unvermindert zurück (rebound).

Therapie

Die einzige wirksame Behandlung besteht im Medikamentenentzug. Die dazu erforderliche hohe Motivation des Patienten sollte durch dessen eingehende Aufklärung über die Ursache der Beschwerden und mögliche Spätfolgen (besonders Nieren- und Magenschäden) hergestellt werden. Ferner muss über den zu erwartenden Ablauf des Entzuges informiert werden.

Als erster Versuch ist ein ambulantes Vorgehen gerechtfertigt. Dazu muss auf die auslösenden Medikamente verzichtet werden. Dies kann durch physikalische Maßnahmen (Kühlung, Ruhe, Bewegung an frischer Luft) unterstützt werden.

Ist der ambulante Versuch erfolglos oder von vornherein problematisch, bleibt nur ein stationärer Entzug. Dieser sollte immer in einer spezialisierten Klinik erfolgen und dauert zumeist 10 bis 14 Tage. Problematisch kann die Kostenübernahme durch die Krankenkassen sein.

Bei erfolgreichem Entzug behält der Patient in jedem Fall seine primäre Kopfschmerzerkrankung. Sie muss anschließend professionell behandelt werden, da sonst die Gefahr eines Rückfalls sehr hoch ist.

Prognose

Je nach Statistik liegt die Rückfallquote nach erfolgreichem Entzug bei einem Drittel bis zwei Dritteln innerhalb von 1 bis 5 Jahren. Auch diese Zahlen legen die enge Beziehung zu den Suchterkrankungen nahe.

Komplikationen des fortbestehenden Analgetikamissbrauches sind insbesondere Schädigungen des Magens (Magengeschwür) und der Nieren (analgetikainduzierte Glomerulonephritis).

Quellen

  • H-C. Diener: Kopf- und Gesichtsschmerzen. 2. Auflage. Thieme, 2002.
  • Pschyrembel Klinisches Wörterbuch. 259. Auflage. deGruyter.
  • K. Poeck, W. Hacke: Neurologie. 11. Auflage. Springer, 2001, S. 427.
  • Marco Mummenthaler, H. Mattle: Grundkurs Neurologie. Thieme, 2002.
  • J. Klingelhöfer, M. Rentrop: Klinikleitfaden "Neurologie, Psychiatrie". Urban & Fischer, 2003, S. 249.

Literatur

  • Hartmut Göbel: Die Kopfschmerzen. 2., bearb. und akt. Auflage. Springer, Berlin u. a. 2004, ISBN 3-540-03080-8. (Wissenschaftliche Grundlagen)
  • Hartmut Göbel: Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne. 4., akt. und erg. Auflage. Springer, Berlin u. a. 2004, ISBN 3-540-40777-4 (Patienten Ratgeber)
  • V. Limmroth, Z. Katsarava, G. Fritsche, S. Przywara, H. C. Diener: Features of medication overuse headache following overuse of different acute headache drugs. In: Neurology. 2002 Oct 8; 59(7), S. 1011–1014. PMID 12370454 Neurology®
  • S. D. Silberstein, K. M. Welch: Painkiller headache. In: Neurology. 2002 Oct 8; 59(7), S. 972–974. Review. PMID 12370449 Neurology®
  • H. C. Diener, F. Antonaci u. a.: European Academy of Neurology guideline on the management of medication‐overuse headache. In: European Journal of Neurology. 27, 2020, S. 1102–1116, doi:10.1111/ene.14268.

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