Michael Huppertz (* 3. Oktober 1953 in Koblenz) ist ein deutscher Psychiater, Psychotherapeut und Soziologe, der vor allem die Bedeutung des Konzepts der Achtsamkeit in Therapie, Lebenskunst und Spiritualität erforscht und dazu publiziert.

Leben

Michael Huppertz studierte Soziologie, Philosophie und Medizin an der FU Berlin. Es folgten Aufenthalte und Kontakte zur Reform der Psychiatrie in Italien und ein Praktikum in Neapel. Die Diplomarbeit in Soziologie schrieb er über Harry Stack Sullivan (1978, bei Hans Joas), die Dissertation in Philosophie an der TU Darmstadt „Zur Phänomenologie schizophrener Krisen“ (1999, bei Gernot Böhme). 1984–1991 absolvierte er eine Facharztausbildung im PKH Riedstadt, arbeitete in der Institutsambulanz und engagierte sich für die Enthospitalisierung. 1991–2007 psychiatrische und psychotherapeutische Tätigkeit in einer Gemeinschaftspraxis in Darmstadt, Supervisionstätigkeit.

Ab 1997 beteiligte er sich in Darmstadt am Aufbau eines ambulanten Teams, das die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT), eine achtsamkeitsbasierte Psychotherapieform für Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung, umsetzte. 2010 erfolgte die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft in Darmstadt, die achtsamkeitsbasierte Arbeitsformen für verschiedene psychotherapeutische Indikationen, aber auch zur Prävention und Beratung entwickelt. Seit 2013 besteht eine Zusammenarbeit mit Verena Schatanek (Naturschulen Zürich) in der Entwicklung theoretischer und praktischer Grundlagen der Arbeit mit Achtsamkeit in der Natur. Seine Vortrags- und Weiterbildungstätigkeit beinhaltete u. a. die Leitung einer Jahresfortbildung in achtsamkeitsbasierter Therapie und Beratung am Centrum für Integrative Psychotherapie (CIP) in München. Er ist Autor von Veröffentlichungen zur achtsamkeitsbasierten Therapie und Beratung und verwandten Themen.

Seit 2015 setzt er sich für die Entwicklung einer gemeindenahen Versorgung in Ländern ein, in denen eine psychiatrische Versorgung so gut wie nicht existiert und in denen die Lebenssituation vieler schwer psychisch oder epileptisch erkrankter Menschen von Vernachlässigung, Ausgrenzung und Menschenrechtsverletzungen geprägt ist. Außerdem engagiert er sich bei Amnesty International gegen diese Menschenrechtsverletzungen. 2018 war er Mitgründer einer Stiftung, die psychiatrische Projekte in der Elfenbeinküste und Burkina Faso unterstützt. Zu diesem Thema schreibt er immer wieder Veröffentlichungen.

Werk

Mit den Texten zur schizophrenen Erkrankung bewegte sich Huppertz in der Tradition der anthropologischen und phänomenologischen Psychiatrie. Er interessiert sich für folgende Frage: Gibt es eine Logik in den massiven Veränderungen des subjektiven Erlebens, die zu einer schizophrenen Symptomatik führen? Seiner Auffassung nach steht im Zentrum des Geschehens eine Instabilität des vorintentionalen Weltbezugs, v. a. der selbstverständlichen Interaktionen mit anderen Menschen. Diese Instabilität geht mit einer gegenstandslosen Angst einher. Damit knüpft er u. a. an Arbeiten von Eugène Minkovski, Wolfgang Blankenburg und Louis Sass an. Die Betroffenen versuchen die Angst durch notfallartige kognitive Strategien zu überwinden. Wenn sie diese Strategien von der Realität und anderen Menschen entfernen, verstärkt sich die Angst, was wiederum die Entwicklung einer eigenen starren Weltsicht befördert. Die Erkrankung sollte daher besser als ein übertriebener Rationalismus, nicht als ein Durchbruch irrationaler Kräfte verstanden werden, die Symptomatik als Folge des Versuchs, eine existenzielle Verunsicherung zu bewältigen.

Moderne achtsamkeitsbasierte Therapien setzen aus der Sicht von Huppertz die phänomenologische Tradition in der Psychiatrie und Psychotherapie fort und bereichern sie mit therapeutischer Kreativität. Sie können als eine Form existenzieller Therapie verstanden werden, weil sie die Lebenseinstellung und -philosophie der Patienten auf heilsame Weise beeinflussen, indem sie eine wahrhaftige und offene Haltung im Umgang mit Gefühlen, Leid, Glück, Zeit usw. anstreben. Nach seiner Auffassung sollte sich dabei die Haltung der Achtsamkeit auch und gerade auf unsere Mitwelt und die Beziehungen, die wir zu ihr haben, erstrecken. Wenn man alle Aspekte und Möglichkeiten der Achtsamkeit nutzt, kann dies zu einer bunten, individualisierten, kreativen, alltäglichen Praxis führen. Dadurch eröffnen sich neue therapeutische Möglichkeiten, auch für schwer psychisch erkrankte Menschen. Darüber hinaus bewahrt dieses Verständnis die Achtsamkeit vor Weltflucht und Indifferenz. Sie kann auch hilfreich sein, wenn Sinnfindung, moralische Orientierungen und soziales oder politisches Engagement gefragt sind. Patienten wie Therapeuten sind dabei in gleicher Weise gefordert und begegnen sich auf Augenhöhe.

Die Lage der psychisch Kranken ist in vielen Ländern, die keine entwickelte psychiatrische Versorgung haben, miserabel. Sie ist von Vernachlässigung und Menschenrechtsverletzungen geprägt. Zu den Ländern, in denen diese Missstände besonders eklatant sind, gehören die Länder Westafrikas. Im Sinne des Grundprinzips der Sozialpsychiatrie, sich vor allem für die besonders kranken und hilfsbedürftigen Patienten zu engagieren, versucht die Mindful-Change-Foundation, die er 2018 mit Kollegen in Darmstadt gegründet hat, auf diese stille Katastrophe aufmerksam zu machen. Die Stiftung unterstützt psychiatrische Projekte in der Elfenbeinküste und Burkina Faso bei der Entwicklung einer gemeindenahen Versorgung.

Literatur (Auswahl)

Bücher

  • Michael Huppertz: Die Kunst da zu sein. Häufig, selten und nie gestellte Fragen. Mabuse Verlag, Frankfurt 2021, ISBN 978-3-86321-555-2
  • Michael Huppertz (Hrsg.): Achtsamkeitsbasierte Therapie und Beratung. Zur Anwendung von Achtsamkeit in verschiedenen psychosozialen Kontexten. Mabuse Verlag, Frankfurt 2021, ISBN 978-3-86321-556-9
  • Michael Huppertz, Verena Schatanek: Achtsamkeit in der Natur. 101 naturbezogene Achtsamkeitsübungen und theoretische Grundlagen. Veränderte und erweiterte Auflage. Junfermann Verlag, Paderborn 2021. ISBN 978-3-7495-0195-3
  • Michael Huppertz: Achtsamkeitsübungen: Experimente mit einem anderen Lebensgefühl. Veränderte und erweiterte Auflage. Junfermann Verlag, Paderborn, 2015. ISBN 978-3-95571-405-5
  • Michael Huppertz: Achtsamkeit. Befreiung zur Gegenwart. Achtsamkeit, Spiritualität und Vernunft in Psychotherapie und Lebenskunst. Junfermann Verlag, Paderborn 2009, ISBN 978-3-87387-727-6
  • Michael Huppertz: Schizophrene Krisen, Bern usw.: Huber Verlag, Bern usw. 2000, ISBN 3-456-83493-4

Ausgewählte Artikel und Buchbeiträge

  • Michael Huppertz: Zur Veränderung atmosphärischer Erfahrung im schizophrenen Erkrankungsprozess. In: Wieland Machleidt, Horst Haltenhof et al. (Hrsg.), Schizophrenie – eine affektive Erkrankung?: Grundlagen, Phänomenologie, Psychodynamik und Therapie. Schattauer, Stuttgart 1999. ISBN 978-3-7945-1994-1
  • Michael Huppertz: Die Bedeutung des Zen-Buddhismus für die Dialektisch-Behaviorale Therapie. In: PPmP, Jahrgang 53, Nr. 9/10, 2003, S. 376 – 383 (PDF; 125 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz: Schizophrenie und Wirklichkeitserfahrung. In: Thomas Bock, Dieter Naber, et al. (Hrsg.) Anstöße. Zu einer anthropologischen Psychiatrie, 6. Auflage Psychiatrie Verlag, Bonn 2004, ISBN 978-3-88414-368-1 (PDF; 149 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz mit Hans Gunia, Jürgen Friedrich: Evaluation eines ambulanten DBT-Netzwerks – Erste Ergebnisse. In: Rudi Merod (Hrsg.), Behandlung von Persönlichkeitsstörungen: Ein schulenübergreifendes Handbuch, dgvt-Verlag, Tübingen 2004, ISBN 3-87159-054-1
  • Michael Huppertz: Wissen und Können in der Psychotherapie. In: Psycho-logik 1, Freiburg / München 2006, (PDF; 128 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz: Spirituelle Atmosphären. In: Stephan Debus, Roland Posner (Hrsg.), Atmosphären im Alltag: Über ihre Erzeugung und Wirkung, Psychiatrie Verlag, Köln 2008, ISBN 978-3-88414-445-9, (PDF; 690 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz, Simone Saurgnani, et al. Ein pluralistisches Achtsamkeitskonzept für die therapeutische Praxis. In: Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 45. Jg. (2), S. 381–397, 2013 (PDF; 1223 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz: Meditation und Psychiatrie. Über die Verseelung und Vergeistigung der Meditation. In: Almut Renger, Christoph Wulf. Paragrana – Zeitschrift für Historische Anthropologie, 2, S. 115–129, Berlin 2013 (PDF; 132 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz: Erleuchtung – Erlebnis oder Einsicht? Zur Struktur von Erleuchtungserfahrungen aus Sicht der Phänomenologie und der Kognitionswissenschaft. In: Almut Renger (Hrsg.). Erleuchtung: Konzepte – Rollen – Modelle, Herder, Freiburg, 2016 (PDF; 201 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz: Der Wert der Gefühle. Achtsamkeit und Emotionsregulation. In: Psychotherapie 1, 2017 (PDF; 133 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz: Miteinander. In: Eckhard Frick, Lydia Maidl (Hrsg.), Spirituelle Erfahrung in philosophischer Perspektive. De Gruyter Verlag, Berlin, 2019, ISBN 978-3-11-063456-3
  • Michael Huppertz mit Hans-Werner Eggemann-Dann: Achtsamkeitstraining mit jungen männlichen Gefangenen. In: Forum Strafvollzug 5, S. 363–367, 2020
  • Michael Huppertz: Geht es psychisch kranken Menschen in armen Ländern besser? In: Soziale Psychiatrie, 03, 2020 (PDF; 682 KB; www.mihuppertz.de/download)
  • Michael Huppertz: Soziale Psychiatrie in Westafrika. Die Arbeit einer deutsch-ivorischen Stiftung. In: Dr. med. Mabuse, Januar/Februar 2021 (PDF; 1859 KB; www.mihuppertz.de/download)
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