Mikrotonale Musik arbeitet mit mikrotonalen Intervallen, d. h. Intervallen, die kleiner als ein Halbtonabstand sind. Entsprechende zwischen den herkömmlichen Tonstufen liegende Töne werden zwar in klassischer Musik oder in Pop und Jazz schon immer eingesetzt (in Glissandi, Portamenti etc.), trotzdem spricht man hier nicht von mikrotonaler Musik. Eine derartige Musik muss vielmehr mit einem mikrotonalen Tonsystem verbunden sein oder mikrotonale Zeichen enthalten, die nicht nur sporadisch eingesetzt werden. Es müssen nicht zwangsläufig mehr als zwölf Töne pro Oktave vorhanden sein.

Abgrenzung

Wenn in Musikstilen, wie etwa im Grunge-Rock, verstimmte Gitarren eingesetzt werden, spricht man eher von „mikrotonalen Elementen“ als von mikrotonaler Musik.

Geschichte

11. bis 20. Jahrhundert des Westens

In der Handschrift Montpellier MS H 159 (11. Jahrhundert) finden sich bei den dort aufgezeichneten Stücken des gregorianischen Gesangs Mikrotonzeichen, die auf altgriechische Tonhöhenzeichen zurückführbar sind. Gmelch gibt als Beispiele: Offertorium: Afferentur, 198,3 und Graduale: Miserere mihi, 184,2 und 4. Gmelch schreibt auf S. 11/12 zu diesen Spezialzeichen: „Über ihre Herkunft kann kaum ein Zweifel obwalten; sie sind geradeso konstruiert, wie in der altgriechischen Tonschrift aus einem Urzeichen durch Umlegen neue Zeichen sich ergaben, ja sie sind nichts anderes als altgriechische Tonzeichen und kommen als solche in den Tabellen des Alypius aus dem 4. Jh. nach Chr. vor … Nur die Bedeutung ist hier eine andere. Man wird sie auf nicht-diatonische Tonstufen beziehen müssen, von denen Guido von Arezzo im 10. Kapitel des Micrologus spricht.“ Willi Apel vermutete für einige Neumen (salicus, oriscus und pressus) einen mikrotonalen Bezug und nahm auf S. 122 f Bezug auf Montpellier H 159.

Die in Montpellier H 159 vorkommenden mikrotonalen Zeichen sind:

Die mitteltönige Stimmung der Renaissance versuchte, naturreine Terzen mit annähernd reinen Quinten zu versöhnen, musste aber die sogenannte Wolfsquinte in Kauf nehmen. Um diese zu umgehen oder in weit entfernte Tonarten zu verschieben, wurden einige Tasten der Klaviatur geteilt. Guillaume Costeley schrieb 1558 einen Chromatischen Chanson, Seigneur Dieu ta pitié, benutzte darin 19 temperierte Stufen pro Oktave mit mikrotonalen Intervallen (63 Cent-Schritte).

Ein weiterer Ansatz zu mikrotonaler Musik stammte vom italienischen Renaissancekomponisten Nicola Vicentino, der bei dem von ihm entwickelten Archicembalo 36 Tasten pro Oktave verwendete. Allerdings galt sein Interesse in erster Linie der klassischen griechischen Musiktheorie und dem Bestreben, akustisch reine Intervalle innerhalb chromatischer Kompositionen zu verwenden. Ein ähnliches Instrument benutzte Gesualdo di Venosa zur Komposition seiner hochchromatischen Madrigale. Der Begriff „Mikroton“ war zu dieser Zeit aber noch nicht bekannt.

Johann Kuhnaus Cembalo-Komposition Der Kampf zwischen David und Goliath, um 1700 entstanden, benutzt die in der Mitteltontemperatur entstehenden exotischen Intervalle, namentlich auch die Wolfsquinte. In dieser Tradition stehen viele Barockkomponisten wie etwa auch François Couperin.

Eine wirklich „mikrotonale“ Komposition (Air à la grecque) wurde 1760 von dem Flötisten Charles de Lusse (* ca. 1723, † ca. 1774) für Flöte und Bass geschrieben. In der nur wenig mehr als eine Minute dauernden Komposition füllt er mehrfach chromatische Linien der Flöte mit Vierteltönen auf.

Sehr selten sind Experimentatoren wie etwa Fromental Halévy, der 1849 ein Werk für Soli, Chor und Orchester mit Vierteltönen schrieb: Prométhée enchaîné (nach Aischylos).

Als eigentlicher Beginn der Erweiterung des westlichen Tonsystems muss das frühe 20. Jahrhundert angesehen werden mit Komponisten wie Ferruccio Busoni (er ließ sich ein Dritteltonharmonium bauen, ohne allerdings für das Instrument zu komponieren) oder Charles Ives (Gebrauch von Vierteltönen in verschiedenen Kompositionen).

Pioniere

Bedeutende Pioniere mikrotonaler Musik im frühen 20. Jh. sind z. B. Julián Carrillo, Alois Hába, Ivan Wyschnegradsky und Harry Partch. Andere wie Charles Ives oder Béla Bartók machten nur sporadischen, unsystematischen Gebrauch von Vierteltönen.

Außereuropäische Musiksysteme

Der Begriff wird auch auf Musiksysteme angewendet, deren Stimmung nicht auf den westlichen Halbtönen basiert, hierzu zählen die indonesische Gamelan-Musik, die klassische indische oder die klassische Arabische Musik sowie die klassische Persische Musik. Während das Tonsystem der westlichen Musik die Oktave (Frequenzverhältnis 2:1 zum Grundton) in 12 Halbtöne unterteilt, verwendet die indische Musiklehre pro Oktave 22 Mikrotöne. Diese werden Shruti genannt. Auch in der arabischen und klassischen persischen Musik finden sich solche „Vierteltöne“ (auf einen vorangehenden Bezugston richtiger als 3/4- bzw. 5/4-Töne begreifbar).

Mikrotonale Kompositionen des Westens

Viele Kompositionen im 20. und 21. Jahrhundert benutzen Mikrotöne. Dabei sind zwei Hauptstränge zu beobachten: Einerseits wird die Oktave weiter geteilt, etwa in 17, 19, 31, 53, 72 temperierte Schritte (auch andere Lösungen wurden individuell gefunden), oder die Oktave wird asymmetrisch (in verschieden große Tonschritte) geteilt. Dies ist besonders in allen Lösungen zu beobachten, die sich naturreinen Stimmungen zuwenden. Des Weiteren werden etwa Sechstel-, Viertel- oder Achteltöne verwendet, um diverse harmonische oder melodische Ideen zu notieren. Es ist auch der Verzicht auf die Oktave als unumstößliches Intervall zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist die Bohlen-Pierce-Skala, die die Duodezime (Oktave+Quinte) in 13 Schritte teilt und keine Oktave enthält.

Die australische Psychedelic-Rock-Band King Gizzard & the Lizard Wizard veröffentlichte 2017 das Album Flying Microtonal Banana mit Viertel-Ton-Kompositionen.

Notationsbeispiel

Die gebräuchlichsten mikrotonalen Zeichen sind:

Mikrotonale Forscher

Schriften zur Mikrotonalität haben publiziert:

Mikrotonale Komponisten

Siehe auch

Commons: Mikrotonale Musik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Joseph Gmelch: Die Vierteltonstufen im Meßtonale von Montpellier, phil.Diss. Freiburg/Schweiz, Eichstätt 1911.
  2. Im kurzen 10. Kapitel des Micrologus spricht Guido in erster Line von „falsitas in canendo“ (falscher Gesang), und die Verwendung von Neumen als Transpositionszeichen von Melodien.
  3. Willi Apel: Gregorian Chant, London o. J. (Burns & Oates), S. 110 ff.
  4. Jean During, Zia Mirabdolbaghi, Dariush Safvat: The Art of Persian Music. Mage Publishers, Washington DC 1991, ISBN 0-934211-22-1, S. 57–59.
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