Nikolaus Joachim Lehmann (obersorbisch Mikławš Joachim Wićaz; * 15. März 1921 in Camina; † 27. Juni 1998 in Dresden), meist nur kurz N. J. Lehmann genannt, war einer der bedeutendsten Informatiker der DDR. Außerdem ist er für Leistungen in der Numerischen Mathematik bekannt.
Leben
Lehmann wurde 1921 als Sohn eines Bautechnikers und Sägewerksbesitzers und einer Schneiderin in Camina geboren. Von 1927 bis 1931 besuchte er die Volksschule in Radibor. Der Vater verstarb bereits 1933. Nach dem bestandenen Abitur 1939 leistete Lehmann den Reichsarbeitsdienst in Seifhennersdorf ab.
Von 1940 bis 1945 absolvierte er ein Mathematik- und Physikstudium an der TH Dresden, unter anderem unter Friedrich Adolf Willers und Heinrich Barkhausen. Nach Kriegsende schloss er 1946 seine inzwischen zweite Diplomarbeit ab, da die Unterlagen zu seiner ersten Arbeit bei den Bombenangriffen auf Dresden vernichtet wurden. Im Jahr 1948 promovierte er zum Dr.-Ing. mit Auszeichnung. Im Jahr 1952 wurde Lehmann zum Dozenten an der TH Dresden ernannt, ein Jahr später zum Professor für angewandte Mathematik. Zwischen 1956 und 1968 war Lehmann Direktor des neuen Instituts für Maschinelle Rechentechnik in Dresden, anschließend bis zu seiner Emeritierung 1986 Leiter des Bereichs Mathematische Kybernetik und Rechentechnik.
Lehmann verstarb 1998 und wurde auf dem Striesener Friedhof beigesetzt.
Wirken
In der Numerischen Mathematik befasste er sich mit Randwertaufgaben und Integralgleichungen, Fehlerschranken für Näherungslösungen von Differentialgleichungen und optimalen Schranken für lineare Eigenwertaufgaben. Nach ihm ist das Lehmann-Maehly-Verfahren benannt (zusätzlich nach Hans Jakob Mähly) und das Lehmann-Goerisch-Verfahren (Schranken für Eigenwerte, zusätzlich nach Friedrich Goerisch).
Während seiner Zeit an der Technischen Hochschule in Dresden entwickelte er diverse Rechenmaschinen, darunter auch den ersten Tischrechner der DDR. Am bedeutendsten sind wohl die Rechner der Dresden-Serie (Bezeichnung D). Die D1 und D2 waren noch mit Röhren und Relais ausgestattet, D3 und D4 waren in Halbleitertechnik ausgeführt. Die wichtigsten sind hier:
Die Entwicklung der D5 wurde 1966 eingestellt.
Unter seiner Leitung wurde außerdem Leibniz’ mechanische Rechenmaschine nachgebaut. Obwohl diese zu Leibniz’ Lebenszeiten nie korrekt funktionierte, konnten kleinere Fehler behoben werden, sodass heute in den Technischen Sammlungen Dresden ein voll funktionsfähiger Nachbau zu besichtigen ist. Damit war endgültig der Nachweis erbracht, dass das Funktionsprinzip korrekt war und lediglich Fertigungsprobleme der korrekten Funktion im Wege standen.
Lehmanns Nachlass befindet sich seit 1999 im Deutschen Museum in München.
Vorlesung Maschinelle Rechentechnik
Im Jahre 1969 wurde Maschinelle Rechentechnik als Vollstudium in der DDR eingeführt (siehe Informatikstudium).
Nebenstehende historische Aufnahme aus dem Jahr 1967 zeigt die erste Stunde, die Einführung in die Vorlesungsreihe Maschinelle Rechentechnik im Großen Mathematik-Hörsaal der TU Dresden im Trefftz-Bau am Zelleschen Weg.
Die Einführung begann Lehmann mit einer Analogie, die Arbeitsweise eines Rechenbüros mit mechanischen Rechenmaschinen (Vier-Spezies-Maschine) für Auftragsarbeiten. Große Aufträge werden an mehrere Bearbeiter verteilt mit Arbeitsanweisungen auf Papier. Papier ist der Speicher mit der Programmsteuerung, und die Weitergabe der Zwischenresultate erfolgt auch auf dem Papier (Speicher).
Die Kreidezeichnung auf der Tafel zeigt die Von-Neumann-Architektur mit
und die Befehlsausführung in den hier durchnummerierten Einzelschritten 1-2-3-4-5 des Von-Neumann-Zyklus.
Auszeichnungen und Ehrungen
- Nationalpreis der DDR III. Klasse für Wissenschaft und Technik – 1964
- Orden Kyrill und Methodius (Bulgarien) – 1970
- Mitglied und Vizepräsident der Generalversammlung der IFIP
- Hervorragender Wissenschaftler des Volkes – 1986
- Konrad-Zuse-Medaille für Verdienste um die Informatik (BRD) – 1989
- Ehrendoktor der Universität Rostock – 1989
Nach ihm benannt ist das Lehmann-Zentrum für „Integrated Engineering“, eine mit dem Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen verbundene zentrale wissenschaftliche Einrichtung der TU Dresden mit einem Petaflops-Rechner von Bull.
Schriften
- Fehlerschranken für Näherungslösungen bei Differentialgleichungen, Numerische Mathematik, Band 10, 1967, S. 261–288
- Berechnung von Eigenwertschranken bei linearen Problemen, Arch. Math. (Basel), Band 2, 1949/50, S. 139–147
- Beiträge zur numerischen Lösung linearer Eigenwertprobleme, 2 Teile, Zeitschrift für Angewandte Mathematik und Mechanik, Band 29, 1949/50, S. 341–356, Band 30, 1949/50, S. 1–16
- Optimale Eigenwerteinschließungen, Numerische Mathematik, Band 5, 1963, S. 246–272
Literatur
- Kurzbiografie zu: Lehmann, Nikolaus Joachim. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
- Evelyn Paul: Zum 100. Geburtstag von Prof. N. J. Lehmann. In: Dresdner Universitätsjournal, Ausgabe 05/2021 vom 16. März 2021.
- Trudla Malinkowa: Sorbische Denkmale. Handbuch sorbischer Gedenk- und Erinnerungsstätten. Domowina Verlag, Bautzen 2022, ISBN 978-3-7420-2647-7, S. 52f., S. 278–280.
Weblinks
- Literatur von und über Nikolaus Joachim Lehmann im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- TUD-Poster über Lehmann (PDF; 2,65 MB)
- Torsten Klaus: „Wer ist Lehmann?“ – Kleincomputer aus der DDR. In: heise Online, 29. April 2003
- Foto, Vorlesung über Rechnerarchitektur 1967 Lehmann
- Manfred Ludwig: Leben und Wirken von Professor N. J. Lehmann (PDF), TU Dresden
- Karl Hantzschmann: N. J. Lehmann, der sächsische Computerpionier (PDF; 2,3 MB), 2011
Einzelnachweise
- ↑ Zentrale Einrichtungen: Lehmann-Zentrum (Memento vom 26. März 2015 im Internet Archive), TU Dresden