Die Kapelle Notre Dame du Haut von Ronchamp (französisch Chapelle Notre-Dame-du-Haut de Ronchamp, deutsch Unsere Liebe Frau von der Höhe) ist eine der Jungfrau Maria geweihte katholische Wallfahrtskirche in der französischen Gemeinde Ronchamp bei Belfort.

Der 1950 bis 1955 nach Plänen des französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier errichtete Kirchenbau zählt zu den berühmtesten seiner Art in der Moderne. Er gilt aufgrund seiner zahlreichen visuellen Metaphern, des Reichtums seiner Raumgliederung sowie seines Vorbildcharakters als Ikone der Architektur. Seit 17. Juli 2016 ist er außerdem offiziell als UNESCO-Weltkulturerbe gelistet. Stilistisch gehört die Kapelle dem nach dem französischen Wort für Sichtbeton „béton brut“ als Brutalismus bezeichneten Architekturstil an.

Lage

Die Stadt Ronchamp liegt auf 353 Metern über Meer am Fuß der Vogesen im Osten des Départements Haute-Saône in der Franche-Comté. Die Kapelle Notre Dame du Haut, zu der eine steile Straße hinaufführt, befindet sich auf dem 472 Meter über Meer gelegenen Hügel Bourlémont. Die Anhöhe besteht aus einer größtenteils von einem Gras- und Pflanzenteppich bewachsenen Lichtung, die sich in alle vier Himmelsrichtungen öffnet.

Die Kapelle ist weithin sichtbar und ihr Standort ermöglicht einen weiten Panoramablick auf die umliegende Landschaft. Im Süden erstreckt sich die lange Linie der Juragipfel, nach Norden hin ist mit dem Mont de Vanne ein erstes Vorgebirge der Vogesen zu erkennen. Im Westen liegt die Talebene der Saône, im Osten die drei Belchengipfel der Planche des Belles Filles sowie die Burgundische Pforte.

Geschichte

Kultstätte und Vorgängerbauten

Der Hügel von Ronchamp diente möglicherweise bereits zur Zeit der Kelten als Kultstätte. Urkundlich gesichert ist die Existenz einer Kirche seit Ende des 11. Jahrhunderts, als Wallfahrtsort bezeugt ist Ronchamp seit dem 15. Jahrhundert. Das bis zur Französischen Revolution bestehende Gotteshaus gehörte zu einer Abtei in Besançon und war Mariä Geburt geweiht.

Nach einem Erlass König Ludwigs XV. wurde Mitte des 18. Jahrhunderts im Dorfkern von Ronchamp, das in nächster Nähe der protestantischen württembergischen Exklave Montbéliard lag, eine Kirche erbaut, die Notre Dame du Bas genannt wurde, im Unterschied zur Kapelle auf dem Hügel, der Notre Dame du Haut, die fortan nur noch als Wallfahrtskapelle genutzt wurde.

Im Zuge der Französischen Revolution wurde 1789 die Kapelle an einen Händler aus Luxeuil verkauft, der darin Tiere und Futter aufbewahrte. Einige Jahre später schlossen sich 40 Familien aus Ronchamp zusammen, um die Kapelle zu kaufen und sie ihrer sakralen Bestimmung zurückzuführen. Seither ist die Kirche Privateigentum.

Im 19. Jahrhundert hatten die Wallfahrten einen neuen Aufschwung. Gefördert vom Erzbischof von Besançon, Kardinal Jacques-Marie-Adrien-Césaire Mathieu, wurde die Kapelle vergrößert und nach mehrjähriger Bauzeit 1857 ein oktogonales Vorwerk errichtet, das von vier bekrönten Türmen flankiert war. Auf einem der Türme ragte in der Mitte eine große Marienstatue auf, jedoch mussten weitere Arbeiten 1864 aus Geldmangel eingestellt werden.

Am 8. September 1873 fand eine Wallfahrt zu der Kapelle statt, an der sich schätzungsweise 20.000–30.000 Pilger beteiligten. Es war eine der größten Manifestationen der Legitimisten, die nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und dem Sturz des zweiten Kaiserreichs versuchten, in Frankreich erneut die Monarchie einzuführen und den bourbonischen Thronanwärter Henri, Graf von Chambord als Henri V. zum König zu erheben.

Nachdem die Wallfahrtskirche im August 1913 infolge eines Blitzschlags ausgebrannt war, wurde von 1923 bis 1926 ein Neubau im neugotischen Stil errichtet.

Im Zweiten Weltkrieg war der Hügel von Bourlémont ein wichtiger Beobachtungsposten und Riegel zur Burgundischen Pforte. Im September 1944 wurde die Kirche bei einem Artillerieangriff auf den hart umkämpften Hügel zerstört. Deutsche Einheiten hatten den 35 Meter hohen Glockenturm der Kapelle in einen militärischen Beobachtungsposten umfunktioniert. Am 29. September 1944 stürmten zwei Züge mit senegalesischen Infanteristen den Hügel und überraschten die Deutschen, die noch am selben Tag kapitulierten. Die Schlacht forderte 250 Tote und 700 Verletzte. Am 2. Oktober wurde auch die Gemeinde Ronchamp durch eine französische Panzerdivision zurückerobert. Zum Gedenken an die Kämpfe und „als Zeichen des Opfers und als Mahnmal für den Frieden“ wurden eine kleine Stufenpyramide und ein Friedensdenkmal auf dem östlichen Platz vor der Kirche errichtet.

Die heutige Kapelle

Im Zweiten Weltkrieg wurden in Frankreich rund 2000 sakrale Bauwerke zerstört. Namhafte Geistliche wie Marie-Alain Couturier setzten sich dafür ein, für den Neuaufbau dieser Gebäude renommierte Künstler und Architekten zu gewinnen. Für den Wiederaufbau der Kapelle von Ronchamp wurde im September 1949 eine Immobiliengesellschaft gegründet.

Die Commission d’Art Sacré von Besançon, der Maurice Jardot, Mitarbeiter des Kunsthändlers Daniel-Henry Kahnweiler, François Mathey, staatlicher Inspektor der Historischen Monumente und der Domherr Lucien Ledeur angehörten, nahm Kontakt zu Le Corbusier auf. Dieser lehnte es zunächst ab, für eine „tote Institution“ zu arbeiten. Dank der Vermittlung von Marie-Alain Couturier und der Beharrlichkeit von einigen Gläubigen nahm der Architekt den Auftrag aber doch an.

Einen ersten Entwurf zeichnete Corbusier nach einem Besuch vor Ort im Juni 1950; das erste Modell stellte er im Dezember 1951 vor. Corbusiers Recherchen und Gedanken zu diesem Projekt sind überliefert und dokumentieren, dass seine anfängliche Ablehnung in Begeisterung umschlug. Besonders die exponierte Lage der Kirche und dass „man sie so schön von weitem sah“ war für ihn wichtig. Die Lage war jedoch auch eine Herausforderung für den Bau der neuen Kapelle, da bis dahin keine Straße auf den Hügel führte. Corbusier entschied bereits zu diesem Zeitpunkt, Beton als Baumaterial zu verwenden und sämtliche Arbeiten mit einer einzigen Mannschaft auszuführen.

Die Bauarbeiten begannen am 9. September 1953 mit dem Abbruch der Ruine des Vorgängerbaus. Nach fünf Jahren Planung und zweijähriger Bauzeit wurde die Kapelle am 25. Juni 1955 ihrer Bestimmung übergeben.

Anlässlich der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils fand am 14. Oktober 1962 eine große Wallfahrtsmesse an der Notre Dame du Haut statt. An dieser bedeutendsten Wallfahrt zu der Kapelle nahmen rund 250.000 Pilger teil. 1974 war das aufgenommene Darlehen für den Bau zurückgezahlt.

Erweiterungsbauten

Die steigende Zahl von Besuchern veranlasste die Eigentümerin des Bauwerks, die Association Œuvre Notre Dame du Haut, die Planung von Erweiterungsbauten in Auftrag zu geben, und sie entschied sich, Renzo Piano mit der Aufgabe zu betrauen. Pianos Entwurf für ein Besucherzentrum und ein Klarissenkloster stieß bei der Fondation Le Corbusier auf Kritik, weil die geplanten Bauwerke der Kirche zu nahe kämen. Die heftige Kontroverse führte zu zwei gegensätzlichen Petitionen für und gegen die von Piano geplanten Bauten ans französische Kulturministerium, das die Erweiterungsbauten Anfang 2009 schließlich billigte. Gebaut wurden ein Empfangsgebäude für die jährlich ca. 80.000 Besucher und ein Kloster mit zwölf Zellen, in dem sieben Ordensschwestern leben sollen. Im September 2011 wurden die Gebäude eingeweiht, die so in den Hügel eingegraben wurden, dass sie von der Kirche aus nicht zu sehen sind.

Beschreibung

Die Kapelle Notre Dame du Haut von Ronchamp hat einen etwa 30 auf 40 Meter großen, asymmetrischen Grundriss. Der französisch-schweizerische Architekt und Maler Le Corbusier konstruierte eine kombinierte Außen- und Innenkirche. Im Innenraum bietet die Wallfahrtskapelle 200 Menschen Platz. An der Ostseite befindet sich ein Freiluftaltar für Gottesdienste mit bis zu 1200 Personen.

Außen

Die Wände bestehen aus Beton mit einer Oberfläche aus weißem, sehr grobkörnigem Verputz. Die Wandstärke variiert zwischen 90 Zentimetern und 2,72 Metern. Die Mauer verläuft von Süden nach Norden in konkaver bzw. konvexer Formgebung und rollt sich im Norden zwischen zwei kleineren, 20 Meter hohen Türmen scheinbar in das Innere des Sakralbaus ein. In der Nische zwischen den beiden Kapellentürmen befindet sich der sogenannte Werktagseingang. Die Sakristei ist über eine außen angebrachte kleine Freitreppe zu erreichen.

Auf der konkaven Ostwand befindet sich ein Freiluftaltar mit einem eigenen Chorraum, einer Sängerempore und einer Kanzel. Ein schlichter Betontisch dient als Altar. Die Mauer bildet zwischen dem Freiluftaltar und der Südseite einen spitzen Winkel. An dieser Stelle befindet sich eine dominierende Wand, auf der sich das muschelförmige Dach bis auf etwa neun Meter erhebt. Damit verfügt die Kapelle über mehrere grundsätzlich unterschiedliche Fassaden.

Die Südseite wird von 27 rechteckigen Fenstern von unterschiedlicher Größe durchbrochen, die schachtartig in die Mauer eingelassen sind. Die teilweise farbigen Gläser haben einfache Grundfarben und meist nur wenige Formen oder Ornamente. Auf manche Fenstergläser schrieb Corbusier mit sorgfältiger Schreibschrift einige Sätze aus den Mariengebeten der Pilger, insbesondere aus dem Ave Maria und den Litaneien zu Ehren der Jungfrau Maria.

Untypischerweise auf dieser Seite und nicht im Westen befindet sich eine monumentale, in ihrer Oberfläche beidseitig, künstlerisch emaillierte Haupttür, die nur an Pilgertagen geöffnet wird. Die Gestaltung des Emails der 3 Meter × 3 Meter quadratischen, gusseisernen Tür beruht auf einer die Fläche ordnenden und klar ausgeprägten geraden Linienführung. Daran ausgerichtet sind bunte Bäume, Wolken, Sterne, Wege und Hände. Diese Motive verwendete Corbusier oft in seiner Malpraxis. Er rechtfertigte die Verwendung von Email damit, dass es die „Schönheit des Sichtbetons zum Vibrieren“ bringe. Die Türe ist 33 Zentimeter dick und 2,3 Tonnen schwer. Die acht emaillierten Tafeln haben jeweils eine Fläche von 1,13 Meter × 0,70 Meter. Corbusier führte die Emaillierung selbst aus. Als Vorlage dienten Zeichnungen von André Maisonier, die im Mai 1955 gefertigt wurden.

Links des Hauptportals erhebt sich der etwa 27 Meter hohe, zur Südseite abgerundete Hauptturm, der einer weiteren Kapelle als Sonnenfalle dient. Das durch deren obere Öffnung einfallende Licht wird innen an der weißen konkaven Wandfläche des Turmes sanft reflektiert und fällt gedämpft über den Altarbereich der Kapelle ein. Dieses Prinzip findet auch für die anderen beiden Kapellen Anwendung. Auf der oberen Turmwölbung steht neben einem Blitzableiter ein schlichtes dünnes Metallkreuz. Die Westfront ist fensterlos und rollt sich an ihren beiden Enden um die Nebenkapellen im Nordwesten und Südosten ein. Auf der Westseite befindet sich an der Dachkante ein schlichter, den Nüstern eines Pferdes abstrakt nachgebildeter Wasserspeier, der die plastische Formsprache des Gesamtgebäudes auch im Detail fortsetzt; das Wasser aus der Dachfläche wird somit nicht über ein simples Regenfallrohr in den Boden abgeleitet, sondern über den Speier in eine Brunnenskulptur gelenkt.

Etwas weiter südlich liegt das ebenfalls von Le Corbusier entworfene Gebäude für die Pilger und den Kaplan. Corbusier wandte für die Proportionen der Innenräume das von ihm selbst entwickelte Proportions-System Modulor an; dieses System verwendet Maße und Maßverhältnisse, die sich an der Größe des Menschen orientieren. Auch die Innenausstattung geht auf die Gestaltung Corbusiers zurück, der die Wände mit Fotografien von mittelalterlichen Fresken schmückte, deren großer Bewunderer er war.

Glocken

Das Geläut der Kapelle befindet sich wenige Meter westlich des Bauwerks auf freiem Feld.

Drei Bronzeglocken in den Schlagtönen e1, fis1 und a1 hängen nebeneinander in einem einfachen Stahlglockenstuhl.

Le Corbusier wollte keine Glocken für die Kapelle. Vielmehr plante er eine elektrische Beschallungsanlage, die jedoch nicht zur Ausführung kam. Zum 20. Jahrestag der Einweihung von Notre Dame du Haut errichtete der Architekt Jean Prouvé den Glockenstuhl. Da zwei Glocken aus der Vorkriegszeit erhalten geblieben waren, lag es nahe, diese in das Geläut einzubeziehen. Die neue und kleinste der drei Glocken trägt eine offene Hand als Relief und ist der Mutter und der Ehefrau Le Corbusiers gewidmet.

Dach- und Wandkonstruktion

Das Dach, das aus zwei Betonschalen besteht und einer Krebsschale nachempfunden ist, kragt wie ein riesiger, pilzförmiger Hut teilweise über die Außenwand hinaus. Es bietet so dem Außenaltar, einer Sängerempore und der Kanzel Wetterschutz. Im Inneren der Kapelle hat das Dach die Form eines lockeren, leicht durchhängenden Tuches. Lichtstreifen vermitteln die scheinbare Leichtigkeit der Konstruktion. Das Dach liegt weder auf der Süd- noch auf der Ostwand auf, sondern ruht auf 16 Zentimeter dicken Stahlbetonpfeilern, die in die Mauern eingelassen sind. Die Südmauer hat somit im Inneren optisch keine tragende, sondern eine reine Schutzfunktion.

Aus Kostengründen und zur Vermeidung unnötigen Materialaufwandes für die extrem dicke, sich nach oben verjüngende Wand besteht die Grundkonstruktion aus vertikalen, dreieckigen Stahlbeton-Elementen mit breiter Grundseite, die in Schottenbauweise quer zum Wandverlauf errichtet wurden. Die Zwischenräume dieser Schotten wurden wegen Materialmangels der Nachkriegszeit zum Teil aus einem Materialmix aus grob abgeviertem Bruchstein, Mauerwerk und Bauschutt der alten Kirche verfüllt und innen- und außenseitig mit einem Gitter überspannt; abschließend wurde eine vier Zentimeter dicke Spritzbetonschicht mittels einer „Betonkanone“ aufgebracht. Durch diese einheitliche Oberfläche suggeriert die Mauer zusammen mit dem weißen Deckanstrich einen einheitlichen Baustoff; ihre äußere Form wirkt zugleich wie ein Lichtsegel, das zur Sonne ausgerichtet ist. Mit tiefen Einschnitten in das Mauerwerk wurden Öffnungen für die Fenster hergestellt, um die Sonnenstrahlen ins Innere der Kapelle zu lenken. Corbusier bezeichnete diese Wand als „ausgehöhltes Hochrelief“.

Das Dach, die gerundeten, verputzten Mauern, die farbigen Glasöffnungen, welche im Innern ein Farbenspiel entwickeln, und die Türme aus Steinmauerwerk sind Hauptbestandteile des Gebäudes. Es vermittelt gleichzeitig Erdverbundenheit und Leichtigkeit. Die Erdbezogenheit wird durch die Massivbauweise und die Verwendung des Werkstoffes Beton hervorgerufen. Die Leichtigkeit entsteht durch die in der Mitte nach oben gebogene Form des Daches, das zudem über dem horizontalen Lichtschlitz zu schweben scheint. Das auf der anderen Seite tief herabgezogene Dach betont den behütenden Schutzgedanken.

Zu den Gründen der Verwendung von Beton als dominierenden Baustoff der Kapelle in Ronchamp sagte Le Corbusier:

„Exzellenz, ich übergebe Ihnen diese Kapelle aus verlässlichem Beton …
Ich mache meine Studie, es gibt keinen brauchbaren Weg, der für herkömmliche
Transporte auf den Hügel geeignet wäre. Folglich werde ich mich mit Sand und
Zement begnügen.

Tatsächlich scheint es möglich, den Beton als Verbundstein anzusehen, der es würdig
ist, in seiner natürlichen Erscheinungsform gezeigt zu werden.

Ich habe Sichtbeton verwendet. Das Ergebnis: Absolute Originaltreue, völlige
Exaktheit im Vergleich zum Abguss; Beton ist ein Material, das nichts anderes vorgibt
… der Sichtbeton sagt: «Ich bin Beton.»“

Neben dem künstlerischen Aspekt für den Baustoff sprach auch die Feuerfestigkeit. Corbusier berücksichtigte diesen Sachverhalt, da in einem Führer auf die verschiedenen Brände hingewiesen wurde, welche die früheren Kapellen zerstört hatten.

Innenraum und Ausstattung

Wie das Äußere der Kapelle wird auch der Innenraum von der weißen rauen Grundmauer dominiert. Er ist karg eingerichtet und enthält neben den zur Fensterfront verlagerten Bänken einen auf ein leichtes Podest erhobenen Altarraum, der traditionsgemäß orientiert ist. Die gewölbte Wand des Altarraums ist von einem „Sternenmeer um die Marienstatue“ durchbrochen. Das 13 × 25 m große Hauptschiff bietet Platz für rund 200 Personen.

Die Mitte des Kirchenraums ist bis auf die Bankreihen leer; bemerkenswert ist der gewölbte, nicht ebenerdige Fußboden. Die Bänke sind auf einem Betonpodest angeordnet. Die Sitzflächen und Rückenlehnen der acht Bankreihen bestehen aus Irokoholz.

Zu dieser minimalistischen Anordnung bemerkte Corbusier „Wenn ich sie nicht hätte aufstellen müssen, ich wäre auch ohne sie zufrieden gewesen. Bestimmung des Menschen ist es, im Stehen zu beten.“

Auf der Nordseite befinden sich zwei Nebenkapellen, welche so angelegt sind, dass sie durch sogenannte Sonnenfallen das Oberlicht der zwei kleineren, 20 Meter hohen Türme erhalten.

Neben zwei Weihwasserbecken an den Eingängen der Nebenkapellen befindet sich eine unauffällige Kanzel an der Nordwand. Der Betonkubus ist nicht überdacht und hat ein ebenfalls aus Beton bestehendes Lesepult. Im hinteren Teil der Kirche befinden sich Beichtstühle, die teilweise in die Westwand eingelassen sind. Die Einlassung ist äußerlich durch eine Wölbung an der Stelle der Brunnenskulptur sichtbar. An den sakralen Stellen der Kapelle wurden Steinplatten, Pflastersteine für den Fußboden, Gusseisen für die Kommunionbank, die große Tür und Geländer verwendet.

Die Kapellen sind vom Hauptschiff räumlich abgetrennt und ermöglichen unabhängig voneinander das Abhalten von Gottesdiensten.

Die Schlichtheit des Innenraums gilt auch für die Gestaltung der Altäre in den Kapellen. Der Tabernakel des Hauptaltars ist ein auf drei Füßen stehender Würfel mit farbigen Emailmotiven auf weißem Grund. Auf dem Würfel befindet sich ein Kreuz. Auf der Tür des Tabernakels ist das Osterlamm dargestellt, welches von Blumen, Schmetterlingen, Wolken und anderen Motiven umgeben ist. Das dünne, aber monumentale Kreuz aus Ulmenholz hat Corbusier mit dem Modulor berechnet. Es weist eine Höhe von 2,16 und eine Breite von 1,75 Metern auf. Rechts des Altars steht ein ausladender Kerzenständer aus Metall, der die Kerzen der Pilger aufnimmt.

Bedeutung für Architektur und Religion

Die katholische Wallfahrtskapelle Notre Dame du Haut in Ronchamp ist seit ihrer Einweihung am 25. Juni 1955 ein Anziehungspunkt für Pilger und Touristen. Sie verzeichnet jährlich rund 80.000 Besucher.

Die Kapelle hat für Pilger und christliche Besucher eine große spirituelle Bedeutung. Die Wallfahrt am 8. September, dem Namenstag der Gottesmutter (→ Mariä Geburt), sowie einem großen Fest am 15. August zu Mariä Himmelfahrt gehören zu den größten Feierlichkeiten der Kapelle. In der Osternacht wird zudem ein großes Feuer auf dem Vorplatz entzündet und zu Weihnachten wird in der Mitternachtsmette bei Kerzenschein die Geburt des Jesuskindes gefeiert.

Trotz ihrer bescheidenen Bestimmung und Ausmaße gilt Notre Dame du Haut als die berühmteste und wegweisende Kirchenarchitektur der Moderne und stieg zur Architekturikone auf.

In Abkehr von der rationalen Logik des Funktionalismus, die bislang Le Corbusier wesentlich mitgetragen hatte, bietet Ronchamp ein frühes Beispiel des internationalen „Plastischen Stils“. Der fantasievolle, stilistisch völlig neuartige Kirchenbau erregte bereits zur Entstehungszeit größtes Aufsehen, einmal wegen seiner bautechnisch-gestalterischen Originalität, zum anderen durch die Beauftragung eines der einflussreichsten modernen Architekten, der zum Pantheismus neigte und sich selber als atheistisch bekannte. Nach der Fertigstellung des Bauwerks reagierten sowohl Kritiker wie auch Weggefährten Corbusiers gleichermaßen irritiert und konstatierten, er habe mit dieser Formgebung seine Prinzipien verraten. Nikolaus Pevsner bezeichnete die Kapelle als „Manifest des neuen Irrationalismus“; Peter Meyer versah es mit dem Etikett des „romantisch, ultra-subjektiven Projektes“. Die Kapelle von Ronchamp ist Le Corbusiers erstes und neben dem Kloster Sainte-Marie de la Tourette einziges von ihm selbst realisiertes religiöses Bauwerk. Neben Ronchamp und La Tourette sollte die Kirche Saint-Pierre von Firminy-Vert, bestehend aus einer hyperbolischen Schale, einen dritten neuartigen Kirchentyp darstellen. Schon zu Lebzeiten Le Corbusiers war die Erbauung mit großen Schwierigkeiten verbunden. Im Jahre 1965 verzichtete der Pfarrgemeinderat endgültig auf eine Realisierung. Von Le Corbusier gab es keine Ausführungspläne für das inzwischen verkleinerte Bauwerk. Bis zum Jahre 1978 setzte José Oubrerie den Bau fort, dann erfolgte der Baustopp. José Oubrerie war seit 1954 bis zum Tode von Le Corbusier, 1965, in dessen Büro tätig. Erst im Jahre 2003 konnten die Bauarbeiten, wieder unter der Leitung von José Oubrerie, jetzt Lehrender an der Ohio State University Knowlton School of Architecture, aufgenommen werden, um das Werk zu vollenden. Die Einweihung ist im Herbst 2006 erfolgt.

Heutzutage versteht man die Kapelle Notre Dame du Haut in der Retrospektive zu Corbusiers Gesamtwerk allerdings durchaus in der Kontinuität und Synthese dazu. Pevsner hatte sogar vor einer Wiederholung des „Experimentes“ gewarnt – ohne Erfolg. Zehn Jahre vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) verwiesen Befürworter radikal neuer Lösungen auf Ronchamp als Musterbeispiel für moderne Kirchenarchitektur. Die Kapelle wurde zum Vorbild vieler Kirchen in den folgenden Jahrzehnten. Ein Beispiel für die Vorbildfunktion ist die moderne Kirche der Mutter Gottes, der Königin von Polen von Nowa Huta aus dem Jahr 1977. Daher wird Notre Dame du Haut oft als Wendepunkt des modernen Kirchenbaus, als Inkunabel der Versöhnung zwischen Kirche und moderner Kunst bezeichnet.

Eine im Originalmaßstab nachgebaute Kopie der Kapelle existierte von 1994 bis 2008 im chinesischen Zhengzhou. Aus rechtlichen Gründen ließ die lokale Regierung das Gebäude wieder abreißen.

Kandidatur und Ernennung zur Welterbestätte

Im Januar 2008 ließ Frankreich vierzehn Gebäude und Anlagen von Le Corbusier in die Tentativliste der UNESCO eintragen, darunter auch die Kapelle. Ein solches Vorgehen ist Voraussetzung dafür, um zu einem späteren Zeitpunkt die Anerkennung als Welterbestätte zu beantragen. In diesem Falle aber geschah dies zeitgleich: unter Federführung Frankreichs und unter Beteiligung der Fondation Le Corbusier wurden diese vierzehn und zunächst neun Werke Le Corbusiers aus sechs weiteren Ländern unter dem Titel „Das urbanistische und architektonische Werk von Le Corbusier“ (französisch Œuvre urbaine et architecturale de Le Corbusier) für die Aufnahme als Weltkulturerbe nominiert. Trotz zwischenzeitlicher Überarbeitung und Reduzierung auf 19 Objekte fand diese Kandidatur nicht die Mehrheit des Welterbekomitees bei dessen Jahrestagung im Juni 2011. Am 17. Juli 2016 wurde Notre-Dame-du-Haut schließlich gemeinsam mit 16 anderen Gebäuden Le Corbusier’s in die Liste der Welterbestätten aufgenommen.

Literatur

  • Maria Antonietta Crippa, Françoise Caussé: Le Corbusier – Ronchamp: Die Kapelle Notre-Dame du Haut. Schnell & Steiner 2014, ISBN 978-3-7954-2892-1.
  • Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut von Le Corbusier. Geschichte – Architektur – Liturgie. Schnell & Steiner, Regensburg 2008, ISBN 978-3-7954-2048-2.
  • Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Notre-Dame du Haut. Schnell & Steiner, Regensburg 2008, ISBN 978-3-7954-2048-2.
  • Ralf van Bühren: Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils (Konziliengeschichte Reihe B: Untersuchungen). Ferdinand Schöningh, Paderborn 2008, ISBN 978-3-506-76388-4.
  • Yves Bouvier, Christophe Cousin: Ronchamp. Eine Kapelle des Lichts. CRDP de Franche-Comté, Besançon 2005, ISBN 978-2-84093-161-4.
  • Wolfgang Jean Stock: Architekturführer. Christliche Sakralbauten in Europa seit 1950 / Architectural Guide. Christian Sacred Buildings in Europe since 1950. Prestel, München 2004, ISBN 3-7913-3183-3.
  • Daniele Pauly: Le Corbusier. Die Kapelle von Ronchamp. Le Corbusier, La Cappella di Ronchamp. Birkhäuser Verlag, Basel 1997, ISBN 978-3-7643-5760-3 (deutsch, italienisch). (teilweise abrufbar).
  • Barbara Kahle: Deutsche Kirchenbaukunst des 20. Jahrhunderts. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1990, ISBN 3-534-03614-X.
Commons: Notre-Dame-du-Haut (Ronchamp) – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Vgl. hierzu: Jean-Louis Cohen: Le Corbusier, 1887–1965, Köln 2004, S. 65f.
  2. 1 2 Sabine Thiel-Siling: Architektur! Das 20. Jahrhundert, Prestel Verlag, ISBN 3-7913-2013-0, Seite 82
  3. France24: Le Corbusier buildings named UNESCO world heritage sites, 17. Juli 2016
  4. architekturzeitung.com
  5. 1 2 Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Notre-Dame du Haut. S. 13.
  6. Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Notre-Dame du Haut. S. 14.
  7. Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut von Le Corbusier. Geschichte – Architektur – Liturgie. S. 3, 4.
  8. 1 2 Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Notre-Dame du Haut. S. 19.
  9. Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Notre-Dame du Haut. S. 22–23.
  10. Daniel de Roulet: Die bösen Tage von Vichy. In: Der Tagesspiegel, 15. August 2009.
  11. Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut von Le Corbusier. Geschichte – Architektur – Liturgie, S. 4.
  12. Daniele Pauly: Le Corbusier, Die Kapelle von Ronchamp. Le Corbusier, La Cappella di Ronchamp, S. 99.
  13. Daniele Pauly: Le Corbusier, Die Kapelle von Ronchamp. Le Corbusier, La Cappella di Ronchamp. S. 103.
  14. Bouvier, Cousin: Ronchamp. Eine Kapelle des Lichts. S. 81.
  15. Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut von Le Corbusier. Geschichte – Architektur – Liturgie. S. 9.
  16. Bollwerk gegen den Tourismus, Pianos Pläne für Ronchamp in der Diskussion. BauNetz, 21. Februar 2008; abgerufen am 26. Juni 2009
  17. Online-Krieg um Ronchamp, Gegensätzliche Petitionen zu Piano-Entwurf. BauNetz, 4. Juni 2008; abgerufen am 26. Juni 2009
  18. Architektur: Grünes Licht für Neubauten an Le Corbusiers Kirche. In: Die Welt, 12. Februar 2009; abgerufen am 28. Juni 2009
  19. Zwölf Zellen für sieben Klarissen. Pianos Bauten in Ronchamp eingeweiht. BauNetz, 12. September 2011
  20. Bouvier, Cousin: Ronchamp. Eine Kapelle des Lichts. S. 72.
  21. Bouvier, Cousin: Ronchamp. Eine Kapelle des Lichts. S. 58.
  22. Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut von Le Corbusier. Geschichte – Architektur – Liturgie. S. 18.
  23. Bouvier, Cousin: Ronchamp. Eine Kapelle des Lichts. S. 42.
  24. YouTube-Video mit Glockengeläut von Notre Dame du Haut (Stand: 18. Oktober 2008, 14:10 Uhr)
  25. Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut von Le Corbusier. Geschichte – Architektur – Liturgie. S. 10.
  26. Bouvier, Cousin: Ronchamp. Eine Kapelle des Lichts. S. 49.
  27. Bouvier, Cousin: Ronchamp. Eine Kapelle des Lichts. S. 50.
  28. Association de l’Œuvre Notre-Dame du Haut (Hrsg.): Ronchamp: Die Wallfahrtskirche Notre-Dame du Haut von Le Corbusier. Geschichte – Architektur – Liturgie. S. 15.
  29. Willy Boesiger: LeCourbusier. Birkhäuser, Basel 1998, S. 118.
  30. Le Courbusier Notre Dame du Haut, aufgerufen am 21. März 2022.
  31. Notre-Dame du Haut: une histoire tourmentée (Memento vom 19. Februar 2009 im Internet Archive)
  32. Ralf van Bühren: Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert, Paderborn 2008, S. 156–160 (Abb.)
  33. Chinese Archi-Image Phenomena (CAIP)
  34. Karina Moraes Zarzar: Le Corbusier, Notre Dame du Haut. Methods and Analisis BK8040. (Memento vom 4. Juli 2009 im Internet Archive) (PDF) S. 3
  35. Baunetzwoche, 34/2007. (Memento vom 4. Juli 2009 im Internet Archive) (PDF) S. 6/7
  36. L’œuvre architecturale et urbaine de Le Corbusier. Eintrag in der Tentativliste der UNESCO auf deren Website, abgerufen am 10. April 2014 (französisch)
  37. UNESCO-Dossier Le Corbusier in Paris unterzeichnet. Pressemitteilung des Schweizer Bundesamts für Kultur, 30. Januar 2008, abgerufen am 7. April 2014
  38. Joseph Hanimann: Ganz oder gar nicht. In: Süddeutsche Zeitung, 29. Juni 2011, abgerufen am 7. April 2014
  39. Le Corbusier buildings named UNESCO world heritage sites. France24, 17. Juli 2016
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Koordinaten: 47° 42′ 16″ N,  37′ 14,5″ O

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