Umm Kulthum (* zwischen 1898 und 1910, vermutlich am 4. Mai 1904 in Tammai az-Zahaira; † 3. Februar 1975 in Kairo; arabisch أمّ كلثوم, DMG ʾUmm Kulṯūm, Alternativschreibweise Oum oder Om Kalsoum sowie Umm Kultum u. a.; wissenschaftliche Umschrift des vollständigen Namens: ʾUmm Kulṯūm Fātima ʾIbrāhīm as-Sayyid al-Baltaǧī) war eine ägyptische Sängerin und Musikerin. Ihr Ruhm in der arabischen Welt ist mit dem von Maria Callas und den Beatles in der westlichen Welt vergleichbar. Ihr wurde der Ehrentitel „Kawkab el-sharq“ („Stern des Orients“) verliehen, in ihrer Heimat Ägypten gilt sie als nationale Ikone. Sie wurde „die Stimme Ägyptens“, „Dame des arabischen Liedes“ und „Ägyptens vierte Pyramide“ genannt.
Leben
Kindheit und Jugend
Umm Kulthum wuchs mit zwei Geschwistern in einer armen Familie in einem kleinen Dorf im Gouvernement ad-Daqahliyya auf, ihr frommer Vater war Imam der örtlichen Moschee. Auf ihr Drängen hin erlaubten ihre Eltern ihr den Besuch der Koranschule.
Um das Familieneinkommen aufzubessern, arbeitete ihr Vater auf religiösen Feiern als Sänger, begleitet von einem kleinen Orchester und seinem Sohn, und als Koranrezitator. Mit ungefähr fünf Jahren begann Umm Kulthum ihren Vater heimlich zu imitieren; als er das bemerkte, ließ er sie vorsingen und bemerkte, dass sie sich viele seiner Stücke gemerkt hatte und vortragen konnte. Noch am selben Tag durfte sie erstmals vor Fremden auf einer Feier singen; in der Folgezeit unterrichtete ihr Vater sie zusammen mit ihrem Bruder im Gesang, und ihr wurde erlaubt, das väterliche Ensemble bei seinen Auftritten zu verstärken.
Nicht zuletzt wegen Umm Kulthums herausragender Stimme erwarb das Ensemble des Vaters Berühmtheit in ihrer Heimatregion und bereiste weite Teile des Nildeltas. Als Umm Kulthum heranwuchs, geriet ihr Vater in ein moralisches Dilemma: Auftritte der jungen Frau vor einem männlichen Publikum waren mit den Regeln des Anstands jener Zeit unvereinbar. Um seine Tochter als Sängerin nicht zu verlieren, ließ er sie Jungenkleider anziehen. Aufgrund ihrer Bekanntheit war es jedoch bald nicht mehr möglich, dem Publikum ihr wahres Geschlecht zu verheimlichen, und ihr Vater verbot ihr weitere Auftritte und forderte sie auf, sich einen Ehemann zu suchen. Umm Kulthum wies jedoch alle Bewerber ab, da keiner bereit war, sie in der Öffentlichkeit singen zu lassen. Unterdessen wurden die Engagements des väterlichen Ensembles seltener, sodass er ihrem Wunsch schließlich nachgab und sie wieder auftreten ließ.
Erste Jahre in Kairo
Im Jahr 1920 begegnete Umm Kulthum Scheich Zakariyya Ahmad, dem sie vorsang. Er sagte später, er habe ihre Stimme nicht mehr vergessen können,, daher verschaffte er ihr Engagements in Kairo und versuchte, sie dazu zu bewegen, sich dort auch niederzulassen. Diesem Plan widersetzte sich ihre Familie anfangs. Trotzdem trafen sich Ahmad und Umm Kulthum weiter, um ihre Zusammenarbeitet fortzusetzen. Ahmad begann für sie Stücke zu komponieren. In späteren Jahren stritten sie über die Aufteilung der Tantiemen, die diese Kompositionen abwarfen; Ahmad verklagte Umm Kulthum deshalb, und ihre Freundschaft zerbrach.
1923 begegnete sie dem von ihr bewunderten Scheich Abu al-Ila, seinerzeit der führende religiöse Sänger Ägyptens und ein Hauptvertreter der klassischen islamischen Gesangstradition, Abu al-Ila unterrichtete Umm Kulthum und lehrte sie, so die Darstellung der Orientwissenschaftlerin Stefanie Gsell, „wie man die Bedeutung der Worte in Tönen ausdrückt“. Auch er befürwortete, dass sie nach Kairo ziehe, da nur dort ihr Talent angemessen gefördert werden könne. Nach einem heftigen Streit mit Umm Kalthums Vater gab dieser endlich nach, und sie zog gemeinsam mit ihrem Vater und ihrem Bruder in die ägyptische Hauptstadt.
Ihr ländlicher, konservativer Gesangsstil galt in Kairo als veraltet, ihrer Stimme wie auch ihrer Erscheinung fehlte es noch an Schliff. Mit finanzieller Unterstützung ihres Vaters nahm Umm Kalthum Gesangsunterricht, lernte das Spiel der Ud, erneuerte ihr Repertoire und nahm (spätestens) 1924/1925 erstmals eine Schallplatte auf. 1928 galt sie bereits als eine der führenden Sängerinnen der Stadt. Im Mai 1934 sang Umm Kulthum zur Einweihung des ersten ägyptischen Rundfunksenders, Radio Cairo.
Internationale Karriere
Im Jahr 1932 führte ihre erste internationale Tournee Umm Kulthum unter anderem nach Damaskus, Bagdad, Beirut und Tripolis, 1935 begann sie eine vorübergehende Filmkarriere. Die 1940er und 1950er Jahre gelten gemeinhin als goldenes Zeitalter ihres Gesangs, zugleich gelang es ihr in dieser Zeit, die vollständige künstlerische Kontrolle über ihre Karriere zu erlangen und wichtige Funktionen im Musikgeschäft zu übernehmen.
Über die Jahrzehnte führte Umm Kulthum ihre Karriere erfolgreich fort, ihr Ruhm wuchs dabei kontinuierlich, und sie wurde zu einem nationalen Symbol Ägyptens und der ganzen arabischen Welt. Nach der ägyptischen Niederlage im Sechstagekrieg unternahm Umm Kulthum eine Tournee durch viele arabische Länder und trat zweimal im Olympia in Paris auf, ihre einzigen Auftritte im Westen während ihrer gesamten Karriere. Die Einnahmen dieser Tournee spendete sie dem Wiederaufbau der ägyptischen Armee.
Tod und Nachruhm
Nach einer fast sechzigjährigen Bühnenkarriere und vielen Hunderten Schallplattenaufnahmen starb Umm Kulthum 1975 an einer Nephritis, nachdem sie bereits in den 1930er Jahren ähnliche gesundheitliche Probleme an Leber und Galle gehabt hatte. Bei ihrer Beerdigung versammelten sich mehrere Millionen Trauernde in den Straßen Kairos, der Sarg mit ihrem Leichnam wurde den eigentlichen Trägern entwunden und über drei Stunden in zahlreichen Windungen durch die dichtgedrängten Straßen der Stadt gereicht.
Berühmt sind bis heute ihre abendfüllenden monatlichen Konzerte z. B. in der Kairoer Oper, die in der ganzen arabischen Welt über den ägyptischen Rundfunk gehört wurden und in zahlreichen Schallplatten- und Filmaufnahmen festgehalten sind, die noch heute regelmäßig von Medien des Nahen Ostens gesendet werden.
Literatur
- Gabriele Braune: Umm Kultūm: Ein Zeitalter der Musik in Ägypten. Die moderne ägyptische Musik des 20. Jahrhunderts. Lang, Frankfurt 1994, ISBN 3-631-47145-9.
- Virginia Danielson: The Voice of Egypt – Umm Kulthūm, Arabic Song, and Egyptian Society in the Twentieth Century. University Press, Chicago 1997, ISBN 0-226-13611-6.
- Stefanie Gsell: Umm Kulthum – Persönlichkeit und Faszination der ägyptischen Sängerin. Lang, Frankfurt 1994, ISBN 3-631-47145-9.
- Hossein Kamaly: Umm Kulthum (ca. 1904–1975). Lodestar of Union. In: ders.: A history of Islam in 21 women. Oneworld, London 2019, ISBN 978-1-78607-878-0, S. 195–202.
Film
- Die Diva von Kairo, Oum Kalthoum. (OT: Oum Kalthoum, la voix du Caire.) Dokumentarfilm, Frankreich, 2017, 52:19 Min., Buch und Regie: Xavier Villetard, Produktion: Illégitime Défense, arte France, Erstsendung: 21. Juni 2017 bei arte, Inhaltsangabe von ARD, unter anderem mit Robert Solé, Musikerkollegen und Verwandten.
- Auf der Suche nach Oum Kulthum (Looking for Oum Kulthum), Spielfilm, Deutschland/Österreich/Italien/Marokko, 2017, Regie: Shirin Neshat, Drehbuch: Shirin Neshat und Shoja Azari, Premiere im Rahmen der 74. Filmfestspiele von Venedig
Weblinks
- Literatur von und über Umm Kulthum im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Umm Kulthum. University Libraries Digital Collections: Al Mashriq, 22. April 2020
- Umm Kulthum Museum auf der Nilinsel Roda mit zahlreichen Gegenständen, Bildern, Original-Garderobe von Oum Kalthoum (englisch)
- Umm Kalthoum In: Tour Egypt, Biografie mit Fotos (englisch)
- Melahat Simsek: 03.02.1975 - Todestag der Musikerin Umm Kulthum WDR ZeitZeichen vom 3. Februar 2020. (Podcast)
Einzelnachweise
- ↑ Süddeutsche Zeitung: Selbst ist die Dame. Abgerufen am 10. Januar 2023.
- ↑ Umm Kulthum-Ausstellung: Hommage an Ägyptens "vierte Pyramide" - Qantara.de. Abgerufen am 10. Januar 2023.
- 1 2 3 4 Stefanie Gsell: Umm Kulthum - Persönlichkeit und Faszination der ägyptischen Sängerin. Lang, Frankfurt 1994, ISBN 3-631-47145-9.
- ↑ Stefanie Gsell: Umm Kulthum - Persönlichkeit und Faszination der ägyptischen Sängerin. Lang, Frankfurt 1994, ISBN 3-631-47145-9, S. 167.
- ↑ Stefanie Gsell: Umm Kulthum - Persönlichkeit und Faszination der ägyptischen Sängerin. Lang, Frankfurt 1994, ISBN 3-631-47145-9, S. 166.
- ↑ Ghada Talhami in: Historical Dictionary of Women in the Middle East and North Africa. Lanham (Maryland), Scarecrow Press. 2013, ISBN 978-0-8108-6858-8.