Das Marienstiftsgymnasium war ein Gymnasium in der Domstraße von Stettin. Das Fürstliche Pädagogium Stettin aus dem 16. Jahrhundert, aus dem das Marienstiftsgymnasium hervorging, erreichte zeitweise den Rang einer zweiten Landesuniversität nach Greifswald. Einer langanhaltenden Krise, bedingt durch die Kriege im 17. Jahrhundert, folgte im 19. Jahrhundert der Aufstieg zur führenden Schule der Provinz Pommern. Mit der Evakuierung des Marienstiftsgymnasiums während des Zweiten Weltkriegs endete die 400-jährige Geschichte der Bildungseinrichtung.

Geschichte

Nach der Einführung der Reformation in Pommern entstand die Notwendigkeit, ein evangelisches Schulwesen aufzubauen. Hierdurch sollten Geistliche und Beamte herangebildet werden, die das Land benötigte. In Betracht gezogen wurde auch, neben der Universität Greifswald, die zu dieser Zeit nur wenige Studenten besuchten, eine zweite Hochschule in Pommern einzurichten. Im Jahr 1543 stifteten die Herzöge Barnim IX. (XI.) von Pommern-Stettin und Philipp I. von Pommern-Wolgast in Stettin als Zwischenlösung ein Pädagogium.

In der am 25. Oktober 1543 in Jasenitz unterzeichneten Stiftungsurkunde wurde festgelegt, dass in dieser Schule 24 Jungen unterrichtet werden sollten. Sie sollten älter sein als zwölf Jahre. Die Dauer der Schulzeit wurde mit acht Jahren angegeben. Die Finanzierung erfolgte aus den Einnahmen des bisherigen Marienstifts und des bisherigen Ottenkapitels, die jährlich zwischen 8000 und 12.000 Talern lagen. Dazu kamen noch Spenden und das Schulgeld, das die Schüler zu entrichten hatten. Das erste Statut der Schule wurde von Paul vom Rode entworfen.

Hauptfach war die lateinische Sprache, die gleichzeitig Unterrichtssprache war. Dazu kamen Griechisch und Hebräisch. Anhand der klassischen Literatur sowie der Bibel wurden Rhetorik und Dialektik studiert. Ebenso wichtig war die Theologie, die nach Lehrwerken Martin Luthers und besonders Philipp Melanchthons unterrichtet wurde. In der Praxis erlernten die Schüler die christliche Liturgie und das religiöse Zeremoniell, Gesang und Orgelspiel eingeschlossen. Neben der im Theologieunterricht behandelten Philosophie, später auch Biologie und Geographie, bildeten Mathematik, Astronomie und Rechtswissenschaften geringere Anteile der durchschnittlich 30 Wochenstunden.

Die Schule fand durch ihr akademisches Niveau bald Anerkennung. Die Mehrheit der Schüler stammte aus Pommern, die anderen aus Brandenburg, Mecklenburg, Schweden, Ungarn und Polen. Viele Schüler kamen aus Familien des deutschen Landadels. Von der Eröffnung 1544 bis zur Übernahme Stettins durch die Schweden im Dreißigjährigen Krieg hatte die Schule etwa 5500 Absolventen.

Während des Krieges geriet das Pädagogium in eine Krise. Die schlechte finanzielle Lage und der starke Rückgang der Schülerzahl bewog die Schwedische Regierung in Pommern 1667 dazu, das Pädagogium zu schließen. An seiner Stelle wurde das Regnum Gymnasium Carolinum gegründet, das nach dem König Karl XI. von Schweden benannt war. Als der Große Kurfürst von Brandenburg in den Jahren 1676 und 1677 Stettin belagerte, brannte das Gebäude des Gymnasiums nieder. Nach dem Wiederaufbau 1687 wurde es nur von 27 Schülern besucht.

Nach der Einnahme Stettins durch brandenburgische Truppen 1715 ließ der neue preußische Landesherr Friedrich Wilhelm I. die Schule unter dem Namen „Akademisches Gymnasium“ weiterführen und ordnete das Kuratorium neu. Die Schülerzahlen blieben im weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts gering, so waren es 1768 nur sechs Schüler. 1777 schrieben sich 17 Schüler ein. Eine von den Professoren Nikolaus Maaß und Heinrich Moritz Titius mit einigen Studierenden 1751 gegründete Redner- und Dichtergesellschaft zu Stettin ging bereits 1753 wieder ein.

Schließlich erließ Friedrich Wilhelm III. von Preußen 1805 eine Kabinettsorder, womit das Gymnasium mit dem Ratslyzeum zum „Vereinigten Königlichen und Stadt-Gymnasium“ zusammengelegt wurde. Beeinflusst durch die Bildungsreformen Wilhelm von Humboldts entwickelte sich das Gymnasium zur führenden Schule der preußischen Provinz Pommern. Als Bildungseinrichtung, die sich dem Programm des Neuhumanismus verpflichtet fühlte, gehörte neben dem Sprachunterricht (Griechisch, Hebräisch, Latein, Englisch, Französisch) der Unterricht in Geschichte und Geographie sowie Zeichnen und Kalligraphie zu den bevorzugten Bildungsgebieten an der Schule. Seit 1804 wurden an einem Lehrerseminar Grundschullehrer ausgebildet. Die Schülerzahl an der vom Bürgertum sehr geschätzten Schule nahm wieder stark zu und erreichte 1863 rund 750 Personen. Im Jahr 1869 erfolgte daher eine Aufteilung in das Stadtgymnasium und das Marienstiftsgymnasium, dem das Jageteufelsche Collegium angeschlossen wurde. Trotz der Teilung blieb die Schülerzahl hoch. So besuchten 1879 655 und 1905 725 Schüler das Marienstiftsgymnasium.

Bei seinem humanistischen Hintergrund wurde das Marienstiftsgymnasium im Dritten Reich die Schule der Bekennenden Kirche. Im Zweiten Weltkrieg wurde es denn auch zum Feldlazarett umgewidmet.

Wegen der Gefahr von Luftangriffen erfolgte 1943 eine Verlegung beider Stettiner Gymnasien nach Stargard, 1944 dann ins Innere Deutschlands, womit die Geschichte des Marienstiftsgymnasiums ihr Ende fand.

Zwischen den ehemaligen Schülern des Marienstiftsgymnasiums und dem Katharineum zu Lübeck entstand in den 1950er Jahren eine Patenschaft, die bis heute besteht.

Gebäude

An der Stelle der 1789 durch ein Feuer zerstörten St.-Marien-Kirche wurde 1830–1832 das „Alte Marienstiftsgymnasium“ im klassizistischen Stil gebaut. Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gebäude wurde originalgetreu wieder aufgebaut und beherbergt heute wieder ein Gymnasium.

1915 wurde in der Schlutowstraße (ul. Henryka Pobożnego) das Neue Marienstiftsgymnasium eingeweiht. In diesem Gebäude befindet sich heute die 2. Allgemeinbildende OberschuleMieszko I.“ Stettin (II Liceum Ogólnokształcące im. Mieszka I w Szczecinie).

Bekannte Schüler und Lehrer

Schüler

Lehrer

ZeitraumNameLehrtätigkeitSonstige Tätigkeiten
1554–1557Caspar LandsidelRektor
1556–1588Christoph StymmeliusTheologievon 1570 bis 1572 Generalsuperintendent von Pommern-Stettin
1579–1592Konrad BergiusRektor, Rhetorik, Theologie
1587–1630Philipp DulichiusMusik
1589–1592Salomon GesnerRektor, Theologie
1592–1594Friedrich RungeTheologie
1594–1636Daniel CramerTheologie
1612–1649Heinrich KielmannKonrektor. Griechisch, Poesie
1615–1623Valentin von WintherDirektor;
1641–1648Andreas FrommMusik
1641–1658Johannes MicraeliusRektor
1642–1654Jakob FabriciusTheologie
1647–Johann SithmannRecht
1650–1660Heinrich SchaeviusGriechisch, Poesiespäter Rektor am Thorner Gymnasium
1668–1668Konrad Tiburtius RangoTheologie
1668–1676Johann Georg EbelingMusik, Griechisch
1668–1678Andreas Gottfried AmmonRektor
1672–1676Martin LipeniusRektor
1678– ?Johann Ernst von PfuelRektorspäter Hofprediger des Herzogs zu Mecklenburg, Kirchenrat von Mecklenburg-Güstrow
1710–1721Laurentius David BollhagenTheologie, orientalischen Sprachen
1716–1752Johann Samuel HeringRecht
1716–1757Michael Friedrich QuadeRektor, Philosophie und Stil
1751–1753Johann Daniel DensoBeredsamkeit und Dichtkunst
1752–1773Johann Carl Conrad OelrichsRecht
1764–1774Johann Adolph SchinmeierRektor, Theologie und Orientalistik
1774–1797Johann Jacob MeyenPhysik, Mathematik
1788–1816Johann Jakob SellRektor, Geschichte und Rhetorik
1797–1815Georg Wilhelm BartholdyMathematik, Physik
1803–1854Karl Friedrich Wilhelm HasselbachRektor (ab 1828)
1805–1828Friedrich KochKonrektor (ab 1805), Rektor (1816–1828)zunächst gleichzeitig, ab 1828 vollzeitlich Schulrat der Provinzialregierung
1810–1813Georg Friedrich PohlNaturwissenschaften
1816–1866Ludwig GiesebrechtDeutsch, Geschichte, Theologie
1820–1866Carl LoeweMusik
1822–1876Herrmann HeringGeschichte, Latein und Deutsch
1827–1842Wilhelm BöhmerPhilologeveröffentlichte zur Geschichte Pommerns
1829–1840Karl Gottfried ScheibertReligion, Sprachen, Mathematik und Geschichte
1841–1883Ludwig MostKunst
1847–1866Paul Heinrich BalsamMathematikMathematikhistoriker, später besoldeter Stadtrat und Stadtschulrat in Stettin
1847–1855Hermann Rassowspäter Oberschulrat im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach
1849–1852Karl SachsSprachen, Mathematik, Geschichteschuf mit Césaire Villatte das Langenscheidt Großwörterbuch Französisch Sachs-Villatte
1851–1856Gustav WendtAltphilologiespäter Oberschulrat im Großherzogtum Baden
1852–1859Franz KernDeutsch, Sprachen
1852–1877Hermann GraßmannMathematik, Sprachen
1853–1857Hugo IlbergDeutsch
1856–1877Albert HeydemannDirektor
1866–1910Karl Adolf LorenzMusik
1871–1912?Hugo RühlSport
1873–1881Hugo LemckeOberlehrer
1884–1912Martin WehrmannOberlehrer
1914–1930Carl FredrichDirektor; Deutsch, Geschichte
1914–1945Ernst ZahnowGeographie, Germanistik und Romanistik
1919–1944Wilhelm BormesStudienrat; Kunst

Quellen

  • Festschrift zum dreihundertfünzigjährigen Jubiläum des Königlichen Marienstifts-Gymnasiums zu Stettin am 24. und 25. September 1894. Herrcke & Lebeling, Stettin 1894 (mit Verzeichnis der Lehrer 1805–1894, S. 166 ff.; Scan in der Google-Buchsuche).

Literatur

  • Martin Wehrmann: Zur Geschichte des Stettiner Pädagogiums. In: Monatsblätter (Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alterthumskunde, Hrsg.). Fünfter Jahrgang, Stettin 1891, Nr. 5, S. 71–75 (Google Books), Nr. 6, S. 82–87 (Google Books), Nr. 7, S. 101–106 (Google Books), Nr. 8, S. 121–124 (Google Books), Nr. 10, S. 152–156 (Google Books), S. 152–156 (Google Books), Nr. 12, S. 180–183 (Google Books).
  • Martin Wehrmann: Geschichte des Marienstifts-Gymnasiums 1544–1894. In: Festschrift zum dreihundertfünfzigjährigen Jubiläum des Königlichen Marienstifts-Gymnasiums zu Stettin am 24. und 25. September 1894. Herrcke & Lebeling, Stettin 1894 (Scan in der Google-Buchsuche).
  • Martin Wehrmann: Geschichte von Pommern. Band 2. Friedrich Andreas Perthes, Gotha 1919–21. Reprint: Weltbild Verlag 1992, ISBN 3-89350-112-6, S. 44 ff. (Scan Internet Archive).
  • Sylwia Wesołowska: Das Fürstliche Pädagogium bzw. Gymnasium Carolinum in Stettin. In: Dirk Alvermann, Nils Jörn, Jens Olesen: Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums (= Nordische Geschichte. Band 5). LIT Verlag, Berlin/Hamburg/Münster 2007, ISBN 978-3-8258-0189-2, S. 105 ff. (Scan in der Google-Buchsuche).

Einzelnachweise

  1. Hugo Lemcke: Studierende aus Pommerschen und anderen Adelsgeschlechtern auf dem Pädagogium, später Gymnasium Academicum, aufgenommen 1543 und 1576–1665. Mitgetheilt aus der Stiftungsurkunde und dem Album studiosorum. In: Vierteljahresschrift für Heraldik, Sphragistik und Genealogie. IX. Jg., Berlin 1881, S. 71–89 (Scan in der Google-Buchsuche).
  2. Andreas Erb: „Dem Gymnasio mehr schädlich, als nützlich gewesen“? – Die „Redner- und Dichtergesellschaft zu Stettin“ (1751–1753). In: Baltische Studien. N. F. Band 96, 2010, ISSN 0067-3099, S. 67–80.
  3. Hans Vogel: Friedrich Schinkel und die Stettiner Baukunst des Klassizismus. In: Unser Pommerland. Heft 8/1927, S. 351 (enthält auch eine Ansicht des Gebäudes nach einer alten Lithografie).
  4. Zu Fuß durch Szczecin. (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Februar 2020. Suche in Webarchiven.) In: zamek.szczecin.pl, 2008.
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