Als Paschtunisierung (Pashtu: پښتون‌ جوړونه), auch Afghanisierung oder Pathanisierung genannt, wird der Prozess bezeichnet, die paschtunische Sprache und Kultur zur dominierenden Sprache bzw. Kultur in einer Region zu machen. Dazu werden nicht-paschtunische Völker durch Umsiedlungen, Unterdrückung oder zwanghaften Schulunterricht auf Paschtu dazu bewegt, paschtunisch zu werden. Die Paschtunisierung findet überwiegend in Afghanistan statt und betrifft die Minderheiten (Tadschiken, Hazara, Usbeken usw.). Ähnliche Prozesse von Assimilation und völkischem Nationalismus fanden oder finden auch in den Nachbarstaaten statt, z. B. die Usbekisierung in Usbekistan oder die Persianisierung im Iran und Tadschikistan.

Geschichte in Afghanistan

Die Paschtunisierung begann im Wesentlichen mit der Gründung Afghanistans im 18. Jahrhundert und nahm mit der Zeit an Fahrt auf. Paschtunen wurde empfohlen, sich im persisch dominierten, fruchtbaren Norden niederzulassen. Inzwischen machen Paschtunen in Kundus und der Umgebung die Mehrheit aus, obwohl diese Region weit entfernt von den Paschtunengebieten (Paschtunistans) ist. Hingegen wurden Minderheiten wie Tadschiken und Usbeken in den Paschtunengebieten angesiedelt, um die paschtunische Sprache und Kultur anzunehmen. Dies ist ein Prozess, der bis heute anhält.

Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Hazara verfolgt, sodass viele nach Quetta (heute Pakistan) und Chorasan (Iran) flüchteten. Auch unter Muhammed Nadir Schah im 20. Jahrhundert gab es politische Maßnahmen. Beispielsweise haben viele Aimaken in der Provinz Ghor Paschtu statt Aimaqi Persisch als Muttersprache angenommen und an Nachkommen weitergegeben. Viele kleinere Sprachen sind in dieser Zeit ausgestorben, da die Menschen nun Paschtu sprechen. Mit dem Aussterben der Sprache fehlt oft die Grundlage der ethnischen Identität. Viele, deren Vorfahren Paschai, Nuristani, Aimaken, Ormuri, Roma oder Paratschi waren, gelten heute als Paschtunen. Viele Völker und Sprachen sind daher vorm Aussterben bedroht. Beispiele sind Munji, Ormuri, Nuristani-Sprachen (Waigali u. a.), Pashai, Zebaki. Die Regierung und die Taliban fördern diesen Prozess, statt ihn zu stoppen.

Eine weitere Maßnahme war die Einführung des Begriffs Dari anstelle von Farsi (Persisch) im Jahr 1964, mit dem Ziel, die persischsprachige Bevölkerung vom Iran zu distanzieren. Während Fremdwörter im Paschtunischen entfernt wurden, wurden viele paschtunische Wörter in Dari eingeführt.

Im Bürgerkrieg wurden die Hazara vertrieben und zum Teil ermordet. Viele Hazara wurden in bestimmte Gebiete umgesiedelt, um denen weniger Einfluss zu verschaffen. In den entvölkerten Gebieten wurden Paschtunen angesiedelt. In Hazaristan leben inzwischen zahlreiche Paschtunen. Potentielle Separatisten würden scheitern, da es zu viele Paschtunen im Norden gibt. Die Taliban verteilten die Paschtunen im ganzen Land, da sie einen Großteil der Taliban-Anhängerschaft ausmachen.

Folgen für die afghanische Nation

Immer mehr Gebiete in Afghanistan sind paschtunisch geprägt. Fast überall auf dem Land machen Paschtunen die Mehrheit aus, selbst im persischsprachigen Norden. Nur in den Städten, im Nordwesten, in Hazaristan und kleinen Sprachinseln ist Persisch noch die wichtigste Sprache. Da diese Gebiete die höchste Auswanderungsquote und die niedrigste Geburtenrate haben, sinkt der Anteil dieser Minderheiten. Paschtunen werden in einigen Jahrzehnten die absolute Mehrheit in Afghanistan ausmachen.

Aus paschtunischer Sicht hat die Paschtunisierung zur afghanischen Nation beigetragen. Da überall in Afghanistan Paschtunen leben, ist die paschtunische Kultur mehr im Land verbreitet. Jedoch hat sie dafür gesorgt, dass sich Tadschiken, Hazara, Aimaken und die Turkvölker gemeinsam gegen die Paschtunen verbündet haben.

Ethnischer Separatismus ist entstanden. Viele Turkmenen möchten ihre Siedlungsgebiete an Turkmenistan anschließen, Usbeken an Usbekistan. Die Hazara streben nach einem unabhängigen Hazaristan. Separatismus ist jedoch kaum noch möglich, da die Paschtunen überall in Afghanistan einen großen Bevölkerungsanteil ausmachen. Ethnische Konflikte spielen eine wichtige Rolle im Bürgerkrieg. Viele Bewohner Afghanistans fühlen sich unterdrückt und möchten nicht als „Afghanen“ (persisch für „Paschtunen“) bezeichnet werden. Eskaliert ist die Situation, als es elektrische Personalausweise mit dem Eintrag „Nationalität: Afghane“ geben sollte. Durch die Unterdrückungspolitik der paschtunischen Regierungen sind viele Nicht-Paschtunen ausgewandert. Ein Großteil der afghanischen Diaspora besteht aus Nicht-Paschtunen. Etwa die Hälfte der Hazara lebt nicht in Afghanistan, während sie ursprünglich nur im heutigen Afghanistan lebten.

Paschtunisierung in Pakistan

Paschtunische Separatisten, Lokalpolitiker und Islamisten versuchen in der Provinz Kyber Pakhtunkhwa eine paschtunische Nation aufzubauen und die Provinz an Afghanistan anzuschließen. Dabei werden Minderheiten wie die Kho, Hazara und Kalasha vernachlässigt und diskriminiert.

Einzelnachweise

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  12. 1 2 Emran Feroz: Wer ist ein Afghane? In: Telepolis. Heise, 27. Februar 2018, abgerufen am 4. Juli 2021.
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