Lungenschnecken

Hain-Bänderschnecke (Cepaea nemoralis)

Systematik
Stamm: Weichtiere (Mollusca)
Klasse: Schnecken (Gastropoda)
Unterklasse: Orthogastropoda
Überordnung: Heterobranchia
Ordnung: Lungenschnecken
Wissenschaftlicher Name
Pulmonata
Cuvier in Blainville, 1814

Die Lungenschnecken (Pulmonata, von lat. pulmo „Lunge“) sind eine formenreiche Gruppe der Schnecken (Gastropoda) und werden traditionell als Ordnung bezeichnet. Sie gehören zu den wenigen Vertretern der Weichtiere, die das Festland besiedelt haben, kommen aber auch im Süßwasser und teilweise auch im Meer vor. Bei den Landformen dient die Mantelhöhle der Luftatmung, woraus sich die Bezeichnung Lungenschnecken ableitet.

Lungenschnecken repräsentieren nach heutiger Erkenntnis kein natürliches Taxon, sondern eine paraphyletische Gruppe, weil sie nicht alle Nachkommen ihres letzten gemeinsamen Vorfahren enthalten. Sie werden daher in phylogenetisch-systematischen Darstellungen als Gruppe bezeichnet und/oder in Anführungszeichen geschrieben („Pulmonata“, „Lungenschnecken i.w.S.“). Ein echtes monophyletisches Taxon bilden nach heutiger Erkenntnis allerdings die Eupulmonata (Lungenschnecken i. e. S.), die im Wesentlichen die bisher als „Landlungenschnecken“ bezeichneten Taxa zusammenfasst.

Merkmale

Die Lungenschnecken besitzen die im Bauplan der Schnecken angelegten Kiemen nicht mehr, doch haben zahlreiche Wasserbewohner sekundäre Kiemen entwickelt. An der gefäßreichen Decke der der Atmung dienenden Mantelhöhle befindet sich eine sich regelmäßig öffnende und schließende Öffnung (Pneumostom), die in einen Hohlraum führt. Infolge seiner Funktion als Atmungsorgan wird er auch als Lunge bezeichnet und war namengebend für die Gruppe. Viele aquatische Lungenschnecken brauchen aber nicht an die Wasseroberfläche zu steigen, um Luft in die Mantelhöhle zu pumpen, sondern können den Gasstoffwechsel direkt über die Wasserphase vornehmen.

Zum Grundmuster der Merkmale der Lungenschnecken gehört ein Gehäuse, in das sich das Tier völlig zurückziehen kann. Ein Operkulum zum Verschließen des Gehäuses ist jedoch in der Evolutionslinie zu den Lungenschnecken verloren gegangen. Das Gehäuse ist in einigen Gruppen so stark verkleinert worden, dass sich das Tier nicht mehr ganz in das Gehäuse zurückziehen kann. Teilweise fehlt das Gehäuse äußerlich völlig. Bei einigen Gruppen der sog. „Nacktschnecken“ ist im Mantel nur noch ein kleines Kalkplättchen erhalten, das als Kalkspeicher dient. Das Gehäuse der Lungenschnecken ist im Grundmuster spiralig aufgerollt und besteht aus drei Schichten: einer äußeren organischen Schicht (Periostrakum), einer mittleren aragonitischen Prismenschicht und einer inneren aragonitischen Kreuzlamellenschicht. Die Schale wird von Drüsen am Mantelrand gebildet. Ein (geringes) Dickenwachstum und die Reparatur der Schale kann fast an der gesamten Manteloberfläche stattfinden. Die zum Grundmuster der Schnecken gehörende Torsion (Verdrehung des Weichkörpers) ist bei einigen Nacktschneckengruppen konvergent wieder rückgängig gemacht worden („Detorsion“).

Fortpflanzungsbiologie

Lungenschnecken sind Zwitter, die sich wechselweise befruchten. Bei manchen Arten treten (in unterschiedlichem Ausmaße) auch Selbstbefruchtungen auf. Lungenschnecken legen bis zu mehrere hundert dotterreiche oder eiklarreiche Eier ab, aus denen nach einigen Wochen die jungen Schnecken schlüpfen. Die Entwicklung ist direkt, also ohne Larvenstadium.

Lebensweise

Die Lungenschnecken haben sich mit der Landoberfläche einen Lebensraum erschlossen, der den meisten anderen Weichtieren verschlossen blieb. Sie kommen im Intertidalbereich, in Natur- und Kulturlandschaften und sogar in menschlichen Behausungen vom Flachland bis ins Hochgebirge in 6000 m Höhe vor. Einige Arten leben überwiegend im Boden. Sogar in die Trockengebiete und Wüsten der Erde sind sie vorgedrungen. Sehr erfolgreich besiedeln sie auch die limnischen Ökosysteme, teilweise auch Brackwasser und Meer.

Lungenschnecken als Schädlinge

Im Vergleich mit anderen Schneckengruppen befinden sich unter den Lungenschnecken relativ viele Arten, die vom menschlichen Standpunkt aus als Schädlinge bezeichnet werden können oder als Krankheitsüberträger fungieren. Dies liegt natürlich an der terrestrischen und limnischen Lebensweise der meisten Arten der Lungenschnecken, die damit leicht in Kontakt mit Menschen und deren Nutzpflanzen kommen. Es muss aber betont werden, dass es in absoluten Zahlen ausgedrückt nur wenige Arten sind, die tatsächlich spürbare Schäden an Nutzpflanzen verursachen. Häufig wurden Arten erst dann problematisch, wenn sie aus ihrem ursprünglichen Lebensraum in anderen Regionen verschleppt wurden. Die ganz große Mehrzahl der Lungenschnecken sind harmlos und spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem. Sie sollten auf keinen Fall bekämpft oder wahllos abgesammelt werden. Hier eine Zusammenstellung der wichtigsten Lungenschneckenarten, die Schäden verursachen können (nach Godan, 1999). Viele der aufgeführten Arten sind inzwischen weltweit verbreitet.

Lungenschnecken als Krankheitsüberträger

In den Ländern der Tropen werden verschiedene Arten von Lungenschnecken (z. B. Bulinus und Biomphalaria) als Zwischenwirte des Pärchenegels Schistosoma (verschiedene Arten) bekämpft, der die Schistosomiasis auslösen kann. Bei einigen Arten von Schistosoma ist der Mensch der Hauptwirt, bei anderen Arten Weidetiere, Geflügel und Haustiere. Verschiedene Arten der Lymnaeidae sind Zwischenwirte für den Großen Leberegel (Fasciola hepatica), der im Endwirt (Säugetiere) die Fasziolose auslösen kann. Einige Lungenwürmer benötigen als Zwischenwirte Schnecken, meistens Lungenschnecken. Lungenschnecken spielen aber auch als Überträger von Pflanzenkrankheiten eine große Rolle. Der Tabakmosaikvirus kann von Deroceras reticulatum übertragen werden. Diese Art kann auch das Bakterium Corynebacterium insidiosum übertragen, das Luzerne schädigt. Das Bakterium Pectobacterium carotovorum verursacht das Verrotten von verschiedenen Kreuzblütengewächsen. Pilzsporen werden sehr häufig von Lungenschnecken übertragen.

Artenzahl

Die Angaben über die Artenzahl der Lungenschnecken ist stark variabel. Dies hängt mit der vielfach umstrittenen Aufteilung der oft formenreichen Gruppen in jeweils mehr oder weniger Arten zusammen. Es werden Gesamtzahlen von 16.000 bis über 30.000 Arten genannt. Die überwiegende Artenzahl lebt auf dem trockenen Festland. Manche Gruppen leben auch im Süßwasser, einige im Brackwasser und im Meer. Die Gefährdungssituation ist unterschiedlich; besonders gefährdet gelten viele Süßwasserarten, von denen auch viele schon ausgestorben sind.

Systematik

Die Gruppe der Lungenschnecken wurde lange Zeit als monophyletisches Taxon betrachtet. Wichtige Grundlage waren gewisse morphologische Eigenheiten, wie die sogenannte streptoneure Innervation der Kopftentakel und das Fehlen eines Rhinophor-Nerven. Neben verfeinerten morphologischen Analysen sind es aber insbesondere eine rasch gewachsene Zahl an molekulargenetischen Untersuchungen, die gezeigt haben, dass die "Lungenschnecken" eine paraphyletische Gruppe darstellen.

Die folgende orientierende Zusammenstellung folgt dem Prinzip nach der Einteilung von Bouchet & Rocroi (2005). Bei diesen Autoren sind die „Lungenschnecken“ als Gruppe („informal group“), nicht als Ordnung bezeichnet. Ebenso haben diese Autoren in ihrer Klassifikation auf alle Kategorienbezeichnungen oberhalb der Überfamilie verzichtet. Auch die „Basommatophora“ bilden lediglich eine solche (paraphyletische) Gruppe. Monophyletische Taxa sind aber auch nach neuesten Befunden die Eupulmonata und auch die Stylommatophora.

Einzelnachweise

  1. Philippe Bouchet, Jean-Pierre Rocroi: Part 2. Working classification of the Gastropoda. In: Malacologia, 47: 239-283, Ann Arbor 2005 ISSN 0076-2997
  2. Klussmann-Kolb, A., Dinapoli, A., Kuhn, K., Streit, B., Albrecht, C.: From sea to land and beyond – New insights into the evolution of euthyneuran Gastropoda (Mollusca). BMC Evolutionary Biology 2008, 8:57. doi:10.1186/1471-2148-8-57 (2008)
  3. Christina Grande, José Templado, Rafael Zardoya: Evolution of gastropod mitochondrial genome arrangements. BMC Evolutionary Biology 8:61 doi:10.1186/1471-2148-8-61 (2008)

Literatur

  • Winston Ponder & David Lindberg: Towards a phylogeny of gastropod molluscs; an analysis using morphological characters. In: Zoological Journal of the Linnean Society. 119: 83-265, London 1997 ISSN 0024-4082
  • Dora Godan: Molluscs Their significance for Science, Medicine, Commerce and Culture. 203 S., Parey Buchverlag Berlin 1999 ISBN 3-8263-3228-8
  • Christopher M. Wade, Peter B. Mordan und Fred Naggs: Evolutionary relationships among the Pulmonate land snails and slugs (Pulmonata, Stylommatophora). In: Biological Journal of the Linnean Society, 87: 593-610, Oxford 2006 ISSN 0024-4066
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