Mit indischer Literatur werden zusammenfassend die Literaturen bezeichnet, die auf dem indischen Subkontinent und insbesondere seit der Unabhängigkeit des Staates Indien 1947 in Indien bzw. von indischen Schriftstellern verfasst wurden. Wegen der Vielzahl der Sprachen, die in Indien gesprochen und geschrieben werden, kann von indischer Literatur nur im Plural gesprochen werden.
Die indischen Literaturen zählen zu den ältesten literarischen Traditionen der Welt. Sie wurden jahrhundertelang nur mündlich überliefert. Bei alten Texten sind Datierung und Verfasserfrage daher oft ungeklärt. Hinzu kommt ein schwach entwickelter Sinn für Chronologie aufgrund eines übergeschichtlichen Weltbildes, das auch den Gedanken der zyklischen Wiederkehr der Weltzeitalter und der Einzelwesen enthält. Mit einigen wenigen halbwegs sicheren Datierungen ist erst seit den Eroberungen Alexander des Großen um 330 v. Chr. und ersten chinesischen Berichten seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. zu rechnen. Lange Zeit blieben die Grenzen zwischen religiöser und weltlicher, dichterischer und wissenschaftlicher Literatur fließend. Die Verwendung von meist einfachen Metren und komprimierten Sätzen (Sutra) für fast alle Formen der Literatur unterstützte die phänomenale Gedächtnisleistung der Inder bei der mündlichen Weitergabe der frühen Texte.
Die klassische Sanskrit-Dichtung wurde im Mittelalter durch die Literaturen indischer Regionalsprachen wie Hindi oder Tamil abgelöst. In den Mogulreichen im Norden Indiens kam ab dem 16. Jahrhundert die vorwiegend in Urdu verfasste islamische Lyrik hinzu. Durch die britische Kolonisierung Indiens kam Englisch als eine weitere Literatursprache Indiens hinzu. Die romantische Literatur der indischen Regionalsprachen erfuhr mit der Unabhängigkeit des Landes eine modernistische Gegenbewegung, mit der neue Themen wie soziale Fragen ins Blickfeld gerieten.
Vielfalt der Sprachen und Schriften
Die ältesten indoarischen Schriften können aus semitischen Schriften abgeleitet werden. Die Kharoshthi-Schrift wurde in Nordwestindien und im heutigen Pakistan u. a. zur Zeit des Ashoka genutzt und geriet im 5. Jahrhundert n. Chr. außer Gebrauch. Die Brahmi-Schrift war eine Kombination aus Buchstaben- und Silbenschrift, die wohl aus der nordsemistischen aramäischen Schrift hervorging. Sie wurde wohl von Kaufleuten eingeführt, zumindest wurde sie meist merkantil genutzt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie in vorchristlicher Zeit zur Aufzeichnung von literarischen Werken gedient hätten. Von ihre stammen jedoch zahlreiche der modernen indischen Schriften ab, so auch die am weitesten verbreitete Devanagari.
Heute gibt es in Indien Literatur in 24 offiziell von der indischen Literaturakademie anerkannten Sprachen, darüber hinaus noch Literatur in zahlreichen Dialekten. Die sogenannten neu-indoarischen (nordindischen) Sprachen stammen vom Sanskrit ab, bei den meisten Sprachen des Südens handelt es sich um drawidische Sprachen.
Die indischen Sprachen werden mit etwa einem Dutzend verschiedener Schriften des indischen Schriftenkreises geschrieben, die sämtlich zwischen Silben- und Alphabetschriften stehen. Dabei wird beispielsweise das kurze a nach Konsonant nicht geschrieben. Auch das in arabisch-persischer Schrift geschriebene Urdu hat keine eigenen Vokalbuchstaben; die Vokale werden durch eine Kombination von Digraphen und diakritischen Zeichen angezeigt. Die in literarischen Werken oft verwendete Nastaʿlīq-Schrift ist in satztechnischer Hinsicht kompliziert und erfordert einen im Verhältnis zur Zahl der in Urdu existierenden Phoneme einen weitaus größeren Zeichenvorrat. Diese Diversität ist die Ursache für die begrenzte wechselseitige Kenntnisnahme der indischen Literaturen über die internen Sprachgrenzen hinweg und verstärkt die Tendenz zur Nutzung des Englischen.
Indische Literatur in klassischen altindischen Sprachen
Die ältesten Texte der indischen Literatur wurden in vedischer Sprache mündlich durch die Brahmanen überliefert, die ihr heiliges Wissen vor allem wiederum an Brahmanen weitergaben. Die Angehörigen der untersten Kaste, die Shudra, waren durch abschreckende Strafen vom Zugang zu diesem Wissen ausgeschlossen. Wegen des feuchtheißen Klimas sind viele der alten landestypischen Schriftmaterialien wie Palmblätter oder Baumrinde nicht erhalten. Papier wurde erst im 13. Jahrhundert eingeführt. Daher gilt die mündliche Überlieferung im Vergleich zur schriftlichen, welche abgesehen von Hartmaterialien wie Steininschriften erst etwa mit dem 11. Jahrhundert einsetzt, meist als sicherer. Ein Gebildeter ist in Indien jemand, „der viel gehört hat“ (ein bahushruta). Im Unterschied zu den religiösen Texten wurden die epischen Erzählungen von den Barden, die sie vortrugen, immer wieder variiert. Diese Barden gehörten der Kshatriya, also der Kaste des Adels und der Krieger an; ihre Sprache war volkstümlicher als die der Brahmanen.
Schriften des Hinduismus
Die Werke in vedischer Sprache, der direkten Vorläuferin der Dardischen Sprachen und des Sanskrit, bilden die wichtigsten heiligen Texte des Hinduismus. Sie wurden anonym von vielen Gelehrten und Priestern erstellt. Die wichtigste Textsammlung ist der Veda („Wissen“), eine Sammlung von Götterhymnen, religiösen Formeln und Vorschriften sowie theologischen Texten, die zwischen dem zweiten Jahrtausend v. Chr. und 500 v. Chr. entstanden sind. Er besteht aus vier Teilen: Rigveda, Samaveda, Yajurveda und Atharvaveda. Der früheste und literarische bedeutsamste Teil der Veda ist die Rigveda (um 1500 v. Chr.?), eine Sammlung von Hymnen an die Götter, vor allem an Indra, den kriegerischen Götterkönig und Eroberer. In ihnen spiegelt sich die Eroberung des Subkontinents durch die indoarischen Einwanderer aus dem Norden und deren Glaube an einen älteren, gemein-indoiranischen Götterhimmel, der letztlich aus übersteigerten menschlichen Gestalten besteht, mit denen man auch feilscht und kämpft. Im Anschluss an die Veden entstanden die Brahmanas (Ritualtexte), Aranyakas („Waldbücher“) und die Upanishaden (philosophische Lehren), die geographisch erweiterte Szenerie und eine Wendung in Spekulative und Meditative erkennen lassen.
Weitere wichtige literarische Werke der vedischen Zeit sind zwei Epen: das Mahabharata, das wohl einen historischen Kern besitzt und vom Kampf der Nachkommen des blinden Königs Dhritarashtra mit denen seines Halbbruders, des Königs Pandu handelt, sowie das Ramayana über die Taten des Rama. Bestandteil des Mahabharata ist die Bhagavadgita, ein spirituelles Gedicht, der heute vielleicht wichtigste Text für Hindus. In diesen von Barden vorgetragenen und immer wieder ausgeschmückten Epen schimmert bereits das Mittelindisch durch. Darin spiegelt sich wie in anderen spätvedischen Werken das Erstarken der Kriegerkaste gegenüber den Brahmanen.
Für den volkstümlichen Hinduismus sind auch die Puranas eine unentbehrliche Quelle. Die Puranas sind poetische Erzählungen, die unter anderem über die Entstehung der Welt sowie über die Taten von Göttern und Helden berichten. Das bekannteste Purana ist das Bhagavatapurana, das für die Vishnu-Verehrung wichtig ist. In fast jeder Episode dieser Epen und Erzählungen ist eine praktische Moral – zumindest in Form von Symbolen und Metaphern – verkörpert. Der vieldeutige Begriff des Dharma bezeichnet (nicht nur im Hinduismus, sondern in ähnlicher Weise auch im indischen Buddhismus, Jainismus und Sikhismus) die spirituelle oder kosmische Ordnung, das moralische Gesetz, die religiöse Pflicht, die geistige Verbindung mit der Gemeinschaft, der rechte Weg oder der Pfad der Tugend, der die Individuen und Familien im Alltag und in jedem Lebensalter leiten soll.
Von großer praktischer Bedeutung ist auch das Arthashastra (etwa 200 v. Chr. ?), das oft mit Machiavellis Il Principe verglichen wird. Es handelt sich um ein Staatslehrbuch, das das notwendige Wissen des Königs, seiner Minister, und Beamten, ihre Pflichten und strategische Prinzipien beschreibt. Die Manusmriti, das „Gesetzbuch des Manu“, ist eine moralische Anleitung, die ethische Regeln und Normen des gesellschaftlichen Lebens aufstellt. Im Westen bekannt geworden ist auch das Kamasutra, das älteste erhaltene Lehrbuch der Erotik aus Indien.
Schriften des Buddhismus und des Jainismus
Die Lehren des indischen Weisen Siddharta Gautama, genannt Buddha (gestorben ca. 480 v. Chr.), sind in einer großen Zahl von Schriften überliefert, worunter einige zur Weltliteratur gezählt werden. Gautama brach bewusst mit der brahmanisch geprägten Tradition des Sanskrit und predigte in der Volkssprache des östlichen Indiens. Viele frühe buddhistische Schriften sind dementsprechend nicht in Sanskrit verfasst, sondern in Pali, das neben Sanskrit und Tamil zu den klassischen Literatursprachen Indiens gehört und strukturell und im Vokabular viele Ähnlichkeiten mit dem Sanskrit aufweist. Zu den wichtigsten literarischen Werken des frühen Buddhismus in Indien zählen Sammlungen von Lehrvorträgen wie der Pali-Kanon, das Digha-Nikaja und das Kuddaka-Nikaja. Das bedeutendste Werk des Buddhismus in einem (hybriden) Sanskrit ist ein Leben des Buddha, verfasst von Ashvaghosha um 100 n. Chr., der auch als erster buddhistischer Dramatiker gilt. Mit dem Buddhismus aus Indien verschwand auch das Pali, die Schriftsprache der heiligen Texte, das jedoch in Sri Lanka, Thailand und Birma überlebte. Eng verwandt mit dem Sanskrit und dem Pali ist das Gandhari, eine der ersten mittelindischen Schriftsprachen des Nordwestens, in der buddhistische Texte überliefert wurden und das mit dem Pali unterging.
Auch Mahavira, der etwa zur gleichen Zeit wie Gautama lebende Stifter des Jainismus, sagte sich vom Veda und seiner Autorität los. Seine ältesten überlieferten Lehrreden wurden schon in einer mittelindischen Sprache, dem Ardhamagadhi, überliefert. Der Jainismus mit seiner Kombination aus volkssprachlichem Erzählen und poetischer Gelehrsamkeit beeinflusste später vor allem die Gujarati- und Kannada-Literatur, wobei Jainas und Hindus oft die gleichen Motive benutzten. Im Kontext der buddhistischen und Jain-Texte wurden zahlreiche volkstümliche Märchen in mittelindischen Sprachen überliefert.
Klassische Kunstdichtung in Sanskrit (ca. 200 v. Chr. bis 1200 n. Chr.)
Das klassische Sanskrit entwickelte sich aus der vedischen Sprache. Die klassische Sanskrit-Dichtung (ab ca. 200 v. Chr.) war meist höfische Dichtung. Sie erlebte zwischen 400 und 700 n. Chr. ihre Blüte, und zwar vor allem infolge des Wiedererstarkens der Brahmanen, die den Einfluss des Buddhismus fast vollständig zurückdrängten. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der „Hindu-Gegenreformation“.
Die Prosa des klassischen Sanskrit ist durch Künstlichkeit der Sprache und Hypertrophie der Formen bei „wucherndem“, fast formlosem Inhalt gekennzeichnet. Sie arbeitet mit überlangen Komposita, die ganze Nebensätze ersetzen, mit extremen Nominalstil, Alliteration, Doppelsinn, Lautspielereien und zahlreichen Metaphern. Die Stilmittel variieren dabei regional. Werke wie das romantische Vasavadatta (ca. um 400/450) zeichnen sich durch festgefügte schematisch-klischeehafte Schilderungen, ausgefallene Vokabeln, reiche rhetorische Verzierungen, seltene grammatische Formen und komplizierten Sätze aus, die über Druckseiten gehen‚ was nur in der Prosa, nicht aber bei festen Metren funktionieren kann. Im 7. Kapitel der aus dem 7. Jahrhundert stammende Dasakumacarita („Die Erlebnisse der zehn Prinzen“), einer Prosaromanze des Dandin (Dandi), kommen keine Labiale vor, weil die Lippen des erzählenden Prinzen im vorhergehenden Liebesspiel zergebissen worden waren. Diese Art der Prosa dient dem Dichter vor allem dazu, Gelehrsamkeit in allen möglichen Bereichen – der Politik, der Erotik, der Mythologie oder der Grammatik – zu demonstrieren.
Bedeutende Sanskrit-Dichter waren der Poet und Dramatiker Kalidasa (ca. Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr.) sowie der Spruchdichter Bhartrihari (5./7. Jahrhundert?) und Amaru (8. Jahrhundert?), der für seine erotische Dichtung bekannt wurde. Kalidasas Drama Shakuntala (nach einer Gestalt aus der Mahabharata) faszinierte auch Johann Wolfgang von Goethe, der ein Gedicht mit dem Titel Sakontala verfasste. Kalidasas Naturschilderungen vermenschlichen die Natur und übertragen das Naturgeschehen auf das menschliche Leben. Als indisches Hohelied hat man die Dichtung des bengalischen Autors Dshajadeva bezeichnet.
Auch zahlreiche der Volksdichtung entnommene Tierfabeln wurden in klassischem Sanskrit niedergeschrieben und – wie beispielsweise das Panchatantra (um 400-500?) – zur politisch-moralischen Erziehung der Prinzen am Hofe genutzt. Das Buch wurde so bekannt, dass es ins Mittelpersische, Syrische, Arabische (unter dem Titel Kalīla wa Dimna), Hebräische, Lateinische, byzantinisch-Neugriechische und Altspanische übersetzt wurde.
Einen kritischen Gegenakzent zur klassischen Sanskrit-Literatur setzt Anandavardhana '(9. Jahrhundert) mit seiner Theorie des dhvani (Klang, Resonanz, Suggestion), also des impliziten Sinns, der „Seele“ der Dichtung im Unterschied zu ihrem „Leib“, dem wörtlichen Sinn. Diese Ästhetik konnte sich besonders im kaschmirischen Shivaismus entfalten, z. B. im Werk des Abhinavagupta.
Einfacher aufgebaut als die Kunstepen sind viel älteren volkstümlichen Epen wie das Ramayana mit seinen immerhin 14.000 Versen, die Geschichte des Prinzen Rama, der von seinem Vater zu einem 14-jährigen Exil gezwungen wurden. Während die ältesten Teil wohl aus dem 7.-4. Jahrhundert v. Chr. stammen, erhielt es im 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. seine endgültige Form. Es gibt zahlreiche Versionen und Synopsen des Epos, die in verschiedenen Regionalsprachen und auch in ganz Südostasien und in der buddhistischen Welt verbreitet wurden. Das Ramayana fand auch seinen Niederschlag in der heutigen Populärkultur.
Im 5. Jahrhundert wurde das Sanskrit, das inzwischen durch die Brahmanen im gesamten indischen Kulturbereich verbreitet worden war, aber bereits seinen Formenreichtum der Vedenzeit eingebüßt hatte, durch die Grammatik des Panini verbindlich festgeschrieben und erhielt den Namen Sanskrit („zurechtgemachte Sprache“) im Unterschied zur Volkssprache. Es wurde weiterhin als Sprache hochgestellter Schichten und als Bildungssprache verwendet; seine Rolle entsprach also ungefähr der des Lateinischen im europäischen Mittelalter.
Die philosophisch-religiöse Literatur Kaschmirs wie das Tantraloka des Abhinavagupta, eine Sammlung magischer Anrufungen des Shiva, wurde bis um das Jahr 1000 noch in klassischem Sanskrit verfasst. Das streng metrische Rajatarangini („Fluss der Könige“) des Kalhana ist ein Werk aus der Zeit der Spätblüte des klassischem Sanskrit in Kaschmir und zugleich einer der frühesten dichterisch ausgestalteten Chroniken aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Sie enthält eine Genealogie der Rajas von Kaschmir.
Prakrit und Avahatta
Die Rolle des Sanskrit als kastengebundene Sprache der hinduistischen Überlieferung wurde nicht zuletzt durch den Aufstieg des Buddhismus im 3. Jahrhundert v. Chr. eingeschränkt. Regionale Dialekte mit reduzierter Grammatik wie das Ardhamagadhi, die man als Pakrit-Sprachen bezeichnet, gewannen zuerst im buddhistisch beeinflussten Reich des Ashoka sowie im Jainismus an Bedeutung, soweit sich dies an schriftlichen Zeugnissen ablesen lässt. Die ältesten Zeugnisse weiblicher Spiritualität in Indien sind die „Verse der älteren Nonnen“ (Therigatha) aus dem 6. bis 3. Jahrhundert v. Chr. Es handelt sich um 73 Gedichte, den Weg zur Erleuchtung beschreiben, in Magadhi-Prakrit mündlich überliefert und erst später niedergeschrieben wurden. Überliefert sind auch viele Prakrit-Verserzählungen wie das Gaudavaho aus dem 8. Jahrhundert über die Eroberungen des Königs Yashovarman. Im Sanskrit-Theater wurden die Unterschichten durch ihren Prakrit-Dialekt charakterisiert.
Das indische „Drama“ ist wohl pakritischen Ursprungs. Tragödien waren zunächst unbekannt, es gibt aber eine lustige Person, den „Schimpfer“. Die Akteure sind stark typisiert, es gibt zehn Typen. Personen niederen Standes führen dabei Dialoge in mittelindischer Volkssprache; nur Götter, Brahmanen und Könige sprechen Sanskrit. Hoffmann bezeichnet sie als Libretti, da sie stets von Gesang, Instrumentalmusik und Tanz begleitet waren.
Seit dem 8. Jahrhundert wurde die Position des klassischen Sanskrit weiter geschwächt; durch den Aufstieg neuer Schichten und ethnischer Gruppen verlor es vor allem im Nordosten Indiens an Bedeutung und wurde grammatisch weiter vereinfachte Avahatta (Abahattha) als Lingua franca verdrängt. Diese kann wiederum als Vorläufer der altbengalischen und altassamischen Sprache sowie des Oriya (heute meist Odia genannt) und Maithili gelten. Ein wichtiges Werk der buddhistischen Vajrayana-Schule ist das Charyapada aus dem 8. bis 12. Jahrhundert, eine Sammlung mystischer Lieder und Gedichte des Tantrismus von angeblich 33 Autoren, die erst um 1900 wiederentdeckt wurde und heute als das früheste literarische Zeugnis aus Bangladesch gilt.
Alttamilische Literatur
In Südindien entwickelte sich als erstes Tamil zur klassischen Literatursprache. Tamil ist neben Sanskrit und Pali die dritte klassische Literatursprache Indiens. Es kann auf eine über 2000 Jahre zurückreichende Literaturtradition zurückblicken. Aus der Blütezeit des frühen Tamil stammt die höfische Sangam-Literatur, die noch unbeeinflusst vom Sanskrit war. Sie umfasst neben der Verherrlichung heroischer Taten von Königen und Kriegern vor allem Liebeslyrik. Das bedeutendste Werk der klassischen tamilischen Literatur ist der Kural aus dem 1. bis 3. Jahrhundert, ein Lehrgedicht mit Aphorismen zu den Themen Tugend, Wohlstand und Genuss, das von dem (historisch nicht belegten) Jain- oder Hindu-Priester Thiruvalluvar stammen soll.
U. V. Swaminatha Iyer edierte Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche wiederentdeckte Manuskripte der weitgehend vergessenen Sangam-Literatur heraus und gilt als Begründer der tamilischen Renaissance.
Indisches Mittelalter: Der Aufstieg der Regionalsprachen und der persisch-islamische Einfluss
Das indische Mittelalter als literarische Epoche reicht vom 10. bis zum 18. Jahrhundert. Ab dem 12. Jahrhundert verlor Sanskrit seine Bedeutung als Literatursprache. Die folgende Epoche ist durch eine Vielzahl von Literaturen in den verschiedenen Regionalsprachen gekennzeichnet, die nicht nur als Volks-, sondern auch als Literatursprachen Bedeutung erlangten.
Aus dem Sanskrit bzw. den mittelindischen Prakritsprachen (bzw. Avahatta) gingen im Norden Indiens neue Sprachen hervor. Hier entstanden die Sprachen Bengalisch, Gujarati, Hindustani (die Vorläuferin von Hindi und Urdu), Oriya, Panjabi (die Sprache des Sikhismus) und Sindhi, die allesamt ihre eigene Literaturtradition entwickelten. Das Kashmiri, eine ältere Dardische Sprache, die zahlreiche Archaismen aufweist, wurde vom Sanskrit stark beeinflusst. Im Westen entwickelte sich eine literarische Tradition in Marathi.
Die religiösen Bewegungen des Shivaismus und Vishnuismus hinterließen literarische Spuren vor allem in den drawidischen Sorachen und in Bengalen. In Assam herrschte zunächst eine nicht mit den übrigen indischen Sprachen verwandte ibeto-birmanische Sprache vor, die nach dem Übertritt der Herrscher zum Hinduismus im 16. Jahrhundert in assameischer Schrift geschrieben wurde.
Literatur in Regionalsprachen
Um 1070–1090 wirkte Bilhana als erster bedeutender Verfasser lyrischer, epischer und dramatischer Dichtungen in Kaschmiri. Er blieb als Hofdichter des Königs Vikramaditya VI. der westlichen Chalukya-Dynastie durch ein Werk zu deren Ruhm in Erinnerung, das in ganz Indien zirkulierte. Als Verfasser mystischer Liebeslyrik in Kashmiri wurde Lalleshwari (Lal Ded, „Mutter Lal“, 1320–1392) bekannt, die einen gewissen Einfluss auf den Sufismus ausübte. Wichtig für die Sufi-Mystik waren auch die religiösen Gedichte ihres Ziehsohns, des Ordensgründers Nund Rishi.
Um 1400 schrieb Vidyapati Hunderte von Liedern über die Liebe Krishnas zur Schäferin Radha in Avahatta, mit denen er einerseits die Sanskritdichtung zu einer Spätblüte brachte und andererseits großen Einfluss auf die sich entwickelnde mittelbengalische Literatur ausübte. Bengali ist heute die indische Sprache mit der zweitgrößten Zahl der Sprecher nach Hindi. Gleichzeitig gilt Vidyapati auch als Vorgänger der Maithili-Dichtung, die sich ebenfalls aus dem Avahatta entwickelte und auch in Nepal eine Blüte erlebte. In der Folgezeit ging die Bedeutung des Maithili als Literatursprache zurück; Nationalisten betrachteten es als einen Hindi-Dialekt. Erst 2002 wurde es in Bihar als offizielle Sprache anerkannt.
Das Marathi, das nach der Zahl der Sprecher auf Platz drei der Sprachen Indiens steht, ging aus dem in West- und Südindien weit verbreiteten Maharashtri-Prakrit hervor. Als erster Marathi-Dichter gilt der als Heiliger verehrte Philosoph Dnyaneshwar im 13. Jahrhundert, der einen 9000 Verspaare (Couplets) umfassenden Kommentar zur Bhagavad Gita verfasste. Nach der islamischen Invasion in West- und Mittelindien mit der Errichtung der Dekkan-Sultanate nahm die Textproduktion in Marathi stark ab. Dnayeshwars wichtigster Nachfolger im 16. Jahrhundert war Eknath, der seine Texte wieder zugänglich machte und selbst religiöse Texte und eine Variante des Ramayana verfasste. Aus dem 16. Jahrhundert ist ein christliches Purana des Engländers Thomas Stephens überliefert.
Heroische und romantische Gedichte (Rasas) auf Gujarati entstanden seit dem 12. Jahrhundert, Prosatexte seit dem 14. Jahrhundert. Als wichtigster Poet der Gujarati-Literatur seiner Zeit galt Narsinh Mehta (1415–1481), dessen Preislieder in der Ursprungssprache nur mündlich überliefert wurden. Diese Literatur nimmt eine Sonderstellung ein, da sie im Unterschied zu anderen indischen Literaturen kaum eine Patronage durch eine herrschende Dynastie erfuhr, sondern von Jain-Mönchen verfasst und tradiert wurde.
Auf dem Gebiet des heutigen Orisha entstand seit dem späten 15. und frühen 16. Jahrhundert neben gehobener Sanskrit-Dichtung eine spirituelle Literatur in Oriya (Odia). Seit dem 17. Jahrhundert gibt es Romane in Versform. Upendra Bhanja (ca. 1670–ca. 1740) verfasste obszöne Werke mit einem obskuren Vokabular.
Im Süden Indiens bildeten sich neben Tamil die Sprachen Telugu, Kannada und Malayalam aus, für die etwa seit dem 9. bis zum 13. Jahrhundert erste literarische Werke verfasst wurden. Ein Tamil-Epos verfasst der italienische Jesuit Constanzo Beschi im Jahr 1724.
Telugu ist die Sprache mit der viertgrößten Zahl von Sprechern. Sie entstand aus dem Sanskrit und drawidischen Sprachen und ist heute Amtssprache in Andhra Pradesh und Telangana. Srinatha verfasst im 15. Jahrhundert historische und mythologische Schriften im sogenannten Prabandha-Stil mit striktem Metrum und übersetzte andere Schriften aus dem Sanskrit in Telugu. Aus der Zeit seit dem 16. Jahrhundert ist überwiegend sind überwiegend religiöse Schriften, vor allem Puranas, überliefert. Viele dieser Werke wurden erst im 19. Jahrhundert von Veturi Prabhakara Sastri wiederentdeckt und entziffert. Auch christliche Telugu-Puranas sind erhalten, die im 18. Jahrhundert von Brahmanen im Auftrag christlicher Missionare verfasst wurden.
Akka Mahadevi (ca. 1130–1160) war eine bedeutende Kannada-Dichterin und Mystikerin, die als Heiliger verehrt wird und deren literarischer Einfluss noch im 20. Jahrhundert spürbar war. Die Sprache entwickelte sich auch unter dem Einfluss der Portugiesen, die in Goa 1566 die erste Druckpresse Indiens aufstellten. Vom Einfluss des Kannada geprägt ist die wenig umfangreiche Tulu-Literatur, von der zwei Epen aus dem 17. Jahrhundert überliefert sind.
Die große Malayalam-Gedichtsammlung Ramacharitham entstand um 1200. Später entwickelten sich das Tanztheater und Drama, wobei lexikalische Sanskrit-Einflüsse zur Entwicklung des von den Gebildeten gepflegten Manipravalam führten.
Bakhti-Literatur
Durch den Einfluss der mystischen Bhakti-Bewegung und zahlreicher anderer Hindu-Sekten entstanden zunehmend religiöse Dichtungen und Lieder in den Regionalsprachen oder Übersetzungen älterer Sanskrit-Schriften, die damit größeren Kreisen des Volkes zugänglich waren. Wie im Islam der Sufismus, ist in der Hindu-Tradition der Bhakti-Weg eine besondere Art von Mystik. Beide haben viele gemeinsame Züge. Die Bhakti-Schriften („Verehrung“, „Hingebung“, „Liebe“) und -Sänger (tamilisch: nayanar) widmeten sich der hingebungsvollen Verehrung eines meist persönlich verstandenen Gottes. Herausragende Vertreter dieser neuen Literatur sind unter anderem Kabir (1440–ca. 1518) in Hindi und Chandidas (15. Jahrhundert) sowie der Hofpoet Ramprasad Sen (18. Jahrhundert) in Bengali. Das lyrische Bengali-Versdrama Shreekrishna Kirtana aus dem 14. Jahrhundert – als Autor wird Chandidas genannt – handelt von der Liebe Radhas und Krishnas; es gründet auf der erotischen Volkspoesie und orientiert sich an dem Vorbild Vidyapatis.
Die Dichterin Mirabai (1498–ca. 1546) schrieb ihre Liebes-, Preis- und Klagelieder in Rajasthani, wurde aber von den Hindi-Liedern der Bhakti-Dichter beeinflusst. Ihre Lieder sind in mehreren Regionalsprachen überliefert. Bihari Lal versuchte um 1630 mit seiner in einem Hindi-Dialekt der Region Braj verfassten Gedichtsammlung Satasaī (auch: Satsai, „700 Verse“) in Distichen (Dohas) die Verskunst der Sanskrit-Dichter zu übertreffen. Das Gedicht, dass von der Liebe zweier Getrennter handelt, spricht vor allem die visuellen Sinne an und ist entsprechend einer von rhetorischen Regeln vorgegebenen Ordnung der Empfindungen der Liebe aufgebaut.
Auch das Werk des Feldherrn, Astrologen, Linguisten und Hofdichters am Hof der Großmoguln Abdur Rahim Khan-i-Khanan (Rahim, 1556–1627) wird oft zur Bakhti-Literatur gezählt. Er ist bekannt für sein Hindi-Gedicht im Dialekt von Braj Nagar-shobhā („Die Stadtschönheit“) und für Dohas, die er in Urdu unter persischem Einfluss dichtete. Von diesen sind allerdings nur wenige überliefert, z. B. das folgende:
Kher, khoon, khaansi, khushi, preet, madpaan
Rahiman daabe na daben, jannat shakal jahan.
(Tugend, Blut, Husten, Glück, Liebe und Gift,
O Rahim, unterdrücke sie nicht, sie zeigen dir den Himmel.)
Persisch-islamischer Einfluss
Mit der Invasion iranischer islamischer Völker um 1200 stieg der Einfluss des Islams auf die indische Kunst, Architektur und Literatur in großen Teilen Indiens. Das führte zu einer langdauernden kulturellen Nord-Süd-Teilung des Landes, wobei sich die Grenze des islamischen Einflusses immer wieder verschob. Die persische Elite brachte das Persische als Literatursprache und die arabisch-persische Schrift nach Indien und drängte den Einfluss des Hinduismus und Buddhismus zurück. Bis etwa 1230 hatte das muslimische Sultanat von Delhi die Kontrolle über große Teile Nordindien und das heutige Pakistan gewonnen, während sich im Süden des Subkontinents unabhängige hinduistische Fürsten halten konnten. Doch schon nach kurzer Zeit verfassten immer mehr Dichter am Hofe ihre Werke nicht mehr in Persisch, sondern in der jeweiligen Regionalsprache. Einer der wichtigsten Dichter des Sultanats Delhi, der sich sowohl der persischen Sprache als auch des Urdu bediente, war der volkstümliche Amir Khusrav (1253–1325), der durch seine Ghaselen und historische Epen sowie durch seine Musiktheorie berühmt wurde. Sein Werk Die Geheimnisse der vier Derwische liegt in einer deutschen Nacherzählung von Amina Shah vor.
Der vom Islam geprägte und in persisch-arabischer Schrift verfasste Zweig der Hindustani-Literatur, die Urdu-Literatur, erlebte ihre Blüte in den Mogul-Reichen des 16. Jahrhunderts an den Höfen von Delhi, Bijapur, Golkonda und Lucknow, wo sie von den Regenten und dem Adel gefördert wurde. Die Urdu-Dichtung verschmolz islamisch-persische und indische Elemente miteinander, vor allem weil viele Werke der persischen Volksepik nun in andere indische Sprachen übersetzt wurden. Mystische Dichtung in Sindhi verfasste der Sufi-Gelehrte Shah Abdul Latif (1689–1752). Auch in bengalischer Sprache entstand islamische Literatur bis in die Küstenprovinzen von Burma, darunter die vom Sufismus beeinflussten Gedichte des Alaol (1607–1680).
19. Jahrhundert: Westlicher Einfluss und Säkularisierung der Literatur
Im 19. Jahrhundert verstärkte sich der westliche Einfluss auf die indische Literatur. 1857 wurde Indien direkt der britischen Krone unterstellt. Die Feudalstrukturen lösten sich zum Teil auf, während die Kolonialherren mit neuen Eliten aus den oberen Kasten kooperierten und die Marginalisierung von Gruppen am Rande der Gesellschaft zunahm. Gleichzeitig wurden neue (vor allem christlich geprägte) Printmedien in lokalen Sprachen sowie seit etwa 1860 neue Genres aus Europa eingeführt, vor allem der Roman und die Prosaerzählung. Ein großer Teil der frühen säkularen, wenngleich christlich-sentimental beeinflussten Literatur diente in den Augen ihrer Verfasser der Zivilisierung und moralischen Verbesserung der Leser, was als Antwort auf die moralische Krise verstanden werden kann, die die Kolonisierung und der Sturz des Mogulreichs hervorgerufen hatte. Mittels christlicher Moral versuchten nicht nur die Missionare, sondern auch sozial und politisch engagierte Literaten in sanfter Form auf das häusliche Leben der Hindus, auf Ehe, Erziehung der Kinder und die Rolle des Mannes einzuwirken. Das gilt zuerst und vor allem für Bengalen.
Bengali-Literatur
Der Missionar William Carey gründete die erste Zeitung, die in der lokalen Sprache der englischen Kronkolonie Bengalen erschien. Doch waren es letztlich nicht die Missionare, sondern die dem Westen gegenüber aufgeschlossene Reformbewegung mit Vertretern wie Raja Ram Mohan Roy (auch Ray), die den Anstoß für die weitere Entwicklung der neuindischen Literaturen gab. Roy entstammte einer Brahmanenfamilie, zweifelte jedoch an der Legitimität vieler Hindu-Traditionen und Tabus. Er strebte unter islamischem wie auch christlichem Einfluss nach der Erneuerung eines „natürlichen“ vedischen Monotheismus (Neohinduismus). Er starb 1833 in England.
Seit den 1850er Jahren entwickelte sich Bengalen mit der Hauptstadt Kalkutta zu einem der wichtigsten Industriezentren Indiens und spielte in der indischen Politik und Kultur eine führende Rolle. 1857 wurde hier (wie gleichzeitig auch in Bombay) eine Universität gegründet. Dadurch erfuhr die bengalische Literatur einen Aufschwung.
Als Begründer der „Bengalischen Renaissance“ gilt Michael Madhusudan Dutt (Madhusudan Datta, 1824–1873), ein im heutigen Bangladesch geborener Verfasser von Epen (Die Tötung des Meghanada 1861, eine Version des Ramayana, in der Rama durch den bengalischen Helden Ravana ersetzt wird), Lyrik, Dramen im europäischen Stil mit Akt- und Szeneneinteilung und Schöpfer des bengalischen Sonetts. Er führte den Blankvers nach dem Vorbild John Miltons in die bengalische Dichtung ein. Der Bewegung der Bengalischen Wiedergeburt gehörte auch Bankim Chandra Chattopadhyay an, der in den 1880er Jahren historische und politisch-satirische Romane schrieb, aber zuvor schon durch einen englischen Roman bekannt wurde (siehe unten) und auch die Hindi- und Malayalam-Prosa anregte. Ein Förderer des bengalischen Theaters schon in jungen Jahren war Kaliprasanna Singha (ca. 1841–1870). Der Bengali-Autor Dinabandhu Mitra schrieb 1859 das Stück Nil Darpan („Der Indigo-Spiegel“), durch das die Indigo-Unruhen befeuert wurden, in deren Verlauf sich die Bauern gegen den von der Kolonialbehörde verordneten Pflichtanbau von Indigo wehrten. Das Drama war wichtig für die Entwicklung des Theaters in Bengalen und beeinflusste Girish Chandra Ghosh (1844–1912), der 1872 das Bengalische Nationaltheater in Kalkutta (Kolkata) gründete, wo die ernsten kommerziell inszenierten Stücke aufgeführt wurde. Swarnakumari Devi, eine ältere Schwester Rabindranath Thakurs, verfasste in den 1870er Jahr Romane in Bengali und förderte die Entwicklung eines modernen Vokabulars. Der ältere Bruder der beiden, Dwijendranath Thakur, übersetzte klassische Sanskrit-Texte in Bengali und verfasste Lyrik.
Malayalam-Literatur
Das moderne Malayalam – vor allem die Wirtschaft – wurde seit dem 16. Jahrhundert durch arabische, portugiesische und niederländische Einflüsse geprägt, die von den Handelsniederlassungen an der Malabar-Küste ausgingen. Als Vater der modernen Sprache und Schrift gilt Thunchaththu Ezhuthachan, der im 16./17. Jahrhundert lebte. Die Malayalam-Schrift ist mit einigen zusätzlichen Sanskrit-Zeichen in der Lage, alle anderen indischen Sprachen hinreichend abzubilden.
Der Hof der Könige von Travancore war ein Zentrum von Literatur, Gesang, traditionellem Tanz bzw. Tanzdrama (Kathakali), die unter anderem auch von Ritualen der Thomaschristen geprägt waren. Beliebt waren Verserzählungen mit Hintergrundmusik. Unter dem Einfluss von Missionaren, insbesondere der Grammatik und der Bibelübersetzung des Deutschen Hermann Gundert, und der im 19. Jahrhundert aufkommenden vielfältigen Presse wurde die Sprache, die besonders viele Angehörige unterer Kasten im heutigen Kerala sprechen. zur modernen Literatursprache. Im Prosawerk Venmani Achhan Nambudiripads (1817–1890) verschmolzen westliche Elemente mit Sanskrit-Traditionen. Seine Gedichte wurden nur mündlich überliefert. Als moderner Prosaautor und Verfasser der ersten Kurzgeschichten in Malayalam gilt der Grundbesitzer, Lokalpolitiker und Journalist Vengayil Kunhiraman Nayanar (1861–1914), als erster Romanautor Appu Nedungadi (Kundalatha, 1887).
Hindi-Literatur
Hindi-Literatur entstand vor allem in Rajputana (dem heutigen Rajasthan) und Avadh (einem Teil des heutige Uttar Pradesh). Hier trug Suryamal Misran (1815–1868) mit seiner Verherrlichung der Hindu-Heroen zur Entwicklung des modernen Hindu-Nationalismus bei und unterstützte den Aufstand von 1857. Bharatendu Harishchandra gilt als der Vater der modernen Hindi-Prosa und des Hindi-Theaters, der bei Wahrung der religiösen Traditionen die sozialen Fragen thematisierte und sich neuer Formen und Medien bediente. Die Ansätze zu einer realistischen Literatur wurden jedoch gegen Ende des Jahrhunderts durch eine starke neuromantische Strömung abgelöst.
Urdu-Literatur
Während des Mogulreichs, das bis 1857 bestand, gelangte die traditionelle Dichtung in Urdu (in persisch-arabischer Schrift), vor allem die Liebesdichtung, zur späten Blüte. Der letzte Mogulherrscher Bahadur Shah Zafar (Bahadur Shah II.) war Poet und Kalligraph und soll die Verse auf seinem eigenen Epitaph verfasst haben. Das erste Buch in Urdu wurde jedoch 1803 am Fort William College in Kalkutta gedruckt, wo britische Beamte in den Landessprachen geschult und zahlreiche Übersetzungen angefertigt wurden.
Zu den bedeutenden Urdu-Poeten gehörten Nazeer Akbarabadi (1735–1830), der „Vater des nazm“, eines nicht an Formen gebundenen, aber gereimten Gedichts, Mirza Ghalib (Asadullah Han Ghalib, 1797–1869), der im Alter von 11 Jahren begann, Gedichte in Urdu und in persischer Sprache zu verfassen und am Hof des letzten Moguls in Delhi mystisch-metaphysisch inspirierte Ghaselen mit einem weiteren Themenspektrum schrieb, die bis heute in Indien und Pakistan populär sind, sowie Suroor Jahanabadi (1873–1910) aus Uttar Pradesh, ein Meister des im Unterschied zur Ghasele nicht durch metrische Regeln oder feste Reimschemata beschränkten nazm, der patriotische Gedichte verfasste und die Sprache von Hindi-Vokabeln reinigte.
Gujarati-Literatur
Anders als andere indische Regionalliteraturen wurde die Gujarati-Literatur nicht von feudalen Mäzenen oder lokalen Dynastien gefördert — anders als das traditionelle Musiktheater (Akhyana). Seit etwa 1850 kam die Gujarati-Literatur, die zuvor auf einer der unteren Stufen der literarischen Hierarchie Indiens stand, unter europäischen Einfluss. Dieser wurde von vielen Kritikern der sozialen und religiösen Hindu-Tradition, unter denen sich viele Anhänger das Jainismus befanden, durchaus begrüßt. Es entstanden zwei Bewegungen, die entweder die Notwendigkeit religiöser oder aber sozialer Reformen fokussierten. Der Kolonialbeamte und Poet Bholanath Sarabhai Divetia (1822–1886) stammte aus einer alten Brahmanengemeinschaft; er wirkte als religiöser Autor und Mitbegründer einer deistischen und monotheistischen Reformbewegung. Dalpatram Dahyabhai Travadi (1820–1898), der schon als Jugendlicher die poetischen Konventionen des Sanskrit beherrschte, war ein Vertreter der eher sozial orientierten Reformbewegung. Er wurde von dem britischen Administrator Alexander Kinloch Forbes ermutigt, in seiner Heimatsprache zu dichten und Stücke in Gujarati zu schreiben, wobei er erstmals Alltagsthemen wie die Zwangsverheiratung von Witwen und Kindern und den verbreiteten Aberglauben kritisch aufgriff.
Ein weiterer wichtiger Begründer der modernen Gujarati-Dichtung und -Prosa, Narmada Shankar (Narmad, 1833–1886), setzte sich in seiner Prosa und seinen Theaterstücken für die Bildung von Frauen ein und bekämpfte das Kastenwesen und die Hindu-Orthodoxie, akzeptierte anders als Dalpatram die Kolonialherren jedoch nicht als Modernisierer. Er gab den Lehrerberuf auf und wurde einer der ersten indischen Autoren, die von ihren Einkünften leben konnten. Seine Essaysammlung Narma Gadya wurde in stark editierter oder zensierter Form als Schulbuch verwendet, sein Gedicht Jai Jai Garavi Gujarat (1873) wird als Staatshymne von Gujarat verwendet.
Der 2000 Seiten umfassende Roman Saraswatichandra (1887) von Govardhanram Tripathi (1855–1907) zeichnet trotz seiner Handlungsarmut ein umfassendes Bild der westlichen Einflüsse auf die Hindu-Gesellschaft. Seit 1968 wurde er mehrfach verfilmt, aber erst 2015 wurde er ins Englische übersetzt.
Vom Gujarati spaltete sich im Mittelalter das Rajasthani ab, dessen alte Bardentradition vor allem durch die Heldenepen des Dichters Suryamal Misran (Suryamall Meesan, 1815–1868) radikal erneuert wurde.
Marathi-Literatur
Missionare wie William Carey trugen zur Standardisierung auch des Marathi bei. Zudem war Bombay mit seinen vielen Zeitungen und Zeitschriften in Marathi eine Geburtsstätte der indischen Journalismus. Seit den 1840er Jahren entwickelte sich neben dem klassischen Theater eine spezielle Form des Musikdramas, das Sangit Natya, das unter europäischem Einfluss sozialromantische Züge erhielt. Krishnaji Prabhakar Khadilkar (1872–1948) schuf mit dem wegen der Anspielung der Titelfigur auf den Vizekönig Lord Curzon von der Zensur verbotenen Stück Kichaka-Vadh (Die Ermordung des Kichak, 1910) das moderne indische Politdrama.
Kannada-Literatur
Die Literatur in Kannada, einer drawidischen Sprache, schöpfte aus westlichen Einflüssen. Unter dem Einfluss der Modernisierer am Hofe des gelehrten Maharajas Krishnaraja Wodeyar III von Mysore und seiner Nachfolger entstanden neue säkulare Genres wie der Roman und die Kurzgeschichte. Schon 1823 erschien der erste Roman in Kannada, Kempu Narayanas Mudramanjusha („Der veriegelte Sarg“). 1843 gab der Missionar Hermann Mögling die erste Zeitung in Kannada heraus. Er und britische Kolonialbeamte übersetzten viele Klassiker aus dem Kannada. Der Pastor und Indologe Ferdinand Kittel gab 1894 ein Kannada-Englisch-Wörterbuch heraus und verfasste selbst Gedichte in der Sprache.
Andere Sprachen
Auch andere indische Regionalliteraturen erlebten Ende des 19. Jahrhunderts eine Renaissance, so die Tamil- und die Panjabi-Literatur.
Fakir Mohan Senapati (1843–1918) gilt als der Vater der Oriya-Prosa. Sein Roman Six Acres and a Third (1902), der erst 2005 in einer englischen Übersetzung erschien, verfasste er den ersten Roman in Oriya über die Ausbeutung der kleinen Pächter durch Landlords, Pachtaufseher und Geldverleiher. 1898 erschien seine Kurzgeschichte Rebati über die Bildungshemmnisse, vor denen Mädchen in den rückständigen Dörfern Orishas stehen. Der Aufschwung der Regionalsprachen war auch Ausdruck der wachsenden literarischen Aktivitäten von Angehörigen der unteren Kasten und Autoren ohne klassische Bildung, die sich nicht mehr auf die Dichterikonen des Sanskrit beriefen, aber zugleich den Verlust der lokalen Traditionen durch die Kolonialherren beklagten. Senapati, der selbst in Einrichtungen der Kolonialverwaltung ausgebildet und beschäftigt war, zeichnet ein genaues Bild des Lebens auf dem Lande nach 1803, das auch auf die Rolle der Frauen und die Rivalitäten zwischen den Kasten, die rassistische Strafjustiz sowie die Folgen der Mechanisierung der Baumwollindustrie eingeht. Das Buch kann trotz satirischer Zuspitzungen geradezu als Quelle zum Verständnis des Geschichte Indiens im 19. Jahrhundert gelten.
Englischsprachige Literatur
Unter dem Einfluss der Briten entstand auch eine englischsprachige Literatur indischer Autoren, und zwar zuerst in Bengalen. Die ersten Autoren des frühen 19. Jahrhunderts waren vom Geist der europäischen Romantik inspiriert. Vertreter dieser reformerischen Strömung der Bengalischen Renaissance, die sich gegen Auswüchse des Kastenwesens und Witwenverbrennung (seither ein häufiges Thema in der indischen Literatur) wandten, waren der vom Christentum und Islam beeinflusste Brahmane Ram Mohan Roy, der neben aufgeklärt-religionskritischen Sanskrit-Texten auf Bengali und Persisch schrieb, der vielgelesene, aus Bengalen stammende Bankim Chandra Chattopadhyay (sein Werk Rajmohan’s Wife 1864 war der erste Bengali-Roman überhaupt) sowie Henry Louis Vivian Derozio (1809–1831), der portugiesische und bengalische Vorfahren hatte.
Die in Bengalen geborene, schon als Kind von der christlichen Mission beeinflusste Toru Dutt (1856–1877) bereiste Europa schon im Alter von 13 Jahren. Es gelang ihr, Vorlesungen in Cambridge zu besuchen. Mit 17 kehrte sie nach Kalkutta zurück, wo sie Gedichte in englischer und französischer Sprache veröffentlichte und aus dem Französischen übersetzte. Sie orientierte sich an der Form englischer Balladen, die sie mit indischen Inspirationen und Legenden füllte. Sehr früh verstarb das Sprachtalent im Alter von 21 Jahren und hinterließ zwei teils unvollendete Romane sowie zahlreiche aus dem Sanskrit übersetzte Gedichte, die posthum veröffentlicht wurden. Der ebenfalls aus Bengalen stammende Manmohan Ghose (1869–1924), ein Bruder von Sri Aurobindo, erhielt sein Ausbildung in England und gehörte ebenfalls zur ersten Generation indischer Lyriker, die in englischer Sprache dichteten. Krupabai Satthianadhan aus Maharashtra, Tochter von zum Christentum konvertierten Hindus, verfasste seit den 1880er Jahren zwei englischsprachige Bildungsromane. wobei sie eine reformerische Perspektive zu Fragen der Frauenbildung einnahm und sich gegen die Beschränkung der Rolle der Frauen auf den Haushalt aussprach.
Seit dem späten 19. Jahrhundert etablierte sich das Englische, ursprünglich nur Kolonialsprache in Britisch-Indien, als wichtige Literatursprache Indiens. Zum einen begannen in Indien ansässige britische Journalisten und Autoren, englischsprachige Artikel, Essays, Kurzgeschichten und Fortsetzungsromane für indisches Publikum zu verfassen. Populäre Texte wurden später auch im britischen Heimatland veröffentlicht. Zu dieser anglo-indischen Literatur, die zwischen Exotik und kolonialem Alltag angesiedelt ist, zählen unter anderem Rudyard Kiplings Romane wie Kim (1901) oder Edward Morgan Fosters A Passage to India (1924). Mit dem Rückzug der britischen Kolonialmacht aus Indien lief diese Literatur aus. Doch noch nie wurde die Literatur einer großen Kulturnation so stark und nachhaltig von der Sprache und Literatur einer Kolonialmacht geprägt wie in Indien, während diese Sprache gleichzeitig nur von einer Minderheit gesprochen wurde.
1900–1947: Konflikte zwischen Tradition und Moderne
Seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre dominierte eine nationalistische Tendenz in der indischen Prosa, und zwar in allen Hauptsprachen, in denen sich zu dieser Zeit eine publizistische und literarische Öffentlichkeit gebildet hatte. In der Lyrik dominierte hingegen seit den 1920er Jahren eine romantische, eher private Tonlage. In den 1940er Jahren wuchs der Einfluss westlicher, vor allem britischer Autoren wie T. S. Eliot. Wichtige indische Autoren der ersten Jahrhunderthälfte waren zwar von diesen beeinflusst, schrieben aber meist in ihren regionalen Sprachen bzw. in der klassischen Bildungssprache Urdu. Demgegenüber nahm der Einfluss der angepassten Hofdichtung an der lokalen Fürstenhöfen in dem Maße stark ab, in dem sich ein städtischer Buchmarkt entwickelte. Doch noch Jahrzehnte lang stritt man über die Modernisierung und Normierung der Sprachen Indiens, eine Notwendigkeit, die sich aus der Verbreitung neuer Medien ergab. Im Süden widersetzten sich vor allem die Telugu-Dichter der Modernisierung ihrer besonders lebendigen, aber komplizierten Sprache.
Bengali
Der über Indien hinaus bekannteste Vertreter der Bengalischen Renaissance ist der Schriftsteller Rabindranath Thakur (anglisierte Schreibweise: Tagore), der einer reichen Brahmanenfamilie entstammte, in England studiert hatte und sich einem deistisch beeinflussten Reformhinduismus zuwandte. Seine umfangreiche literarische Produktion, die er teils selbst ins Englisch übersetzte, begann gegen 1880 und hielt 60 Jahre an. Thakur erhielt 1913 als erster Asiate (und bisher einziger Inder) den Nobelpreis für Literatur, nachdem sein naturmystischer, von Liebessehnsucht und Religiosität zeugender Gedichtband Gitanjali (1910; dt. Sangesopfer 1914, Neuausgabe 2016), der durch seine alltägliche Sprache die klassischen Sanskrit-Formen sprengt, in der schwärmerisch gestimmten westlichen Öffentlichkeit rasch bekannt wurde. Allerdings hatte William Butler Yeats bei der englischen Übersetzung große Freiheit walten lassen. In Thakurs 1984 verfilmten Roman Ghare baire (1916; engl. The Home and the World 1919, dt. Das Heim und die Welt 1920) projiziert er seine eigenen inneren Konflikte zwischen der Befürwortung westlich-säkularer Reformideen und dem Widerstand dagegen, zwischen Rationalität und Mystik, Nationalismus und Religion auf zwei Hauptfiguren, einen Landbesitzer und einen radikalen Antiimperialisten, die vor dem Hintergrund der Konflikte der Region über die Anwendung von Gewalt streiten. Die Frau des Landlords steht zwischen diesen beiden und versucht, sich aus ihrer traditionellen Rolle zu befreien. Die Figur des jungen Radikalen wurde von Georg Lukács, der die literarische Qualität des Romans stark kritisierte, fälschlicherweise mit Gandhi identifiziert, der jedoch erst 1915 aus Südafrika nach Indien gekommen war, wo er noch wenig bekannt war. Außer durch seine realistische aber hintergründige Prosa, seine Dramen und Essays, in denen sich die Aggressivität des westlichen Einbruchs in die indische Welt spiegelt, wurde Thakur vor allem durch über 2000 komponierte Lieder berühmt. Von diesen wurden später zwei als Nationalhymnen für Westbengalen (Jana Gana Mana) und für Bangladesch (Amar Shonar Bangla) verwendet. 1921, 1926 und 1930 besuchte Thakur Deutschland, wo er Einfluss auf die Reformpädagogik und die Wandervogel-Jugendbewegung ausübte.
Rokeya Sakhawat Hussain („Begum Rokeya“, 1880–1932), die als gebildete Muslima Urdu als Muttersprache nutzte, erlernte erst als junge Frau und gegen den Willen ihrer Eltern Bengali und Englisch. Sie gehörte zu den frühen Pionierinnen der bengalischen Frauenbewegung, was sich in ihren Romanen und Essays spiegelt, die die Geschlechtsrollen in Frage stellen. Neben Werken in Bengali, die zum Teil soziale Themen wie das Elend der Witwen behandelten, schrieb sie die feministische Utopie Sultana’s Dream (1905) über ein Land, in dem die Parda, die körperliche Abschottung, nur für Männer gilt.
Hindi
In Hindi-Sprachgebiet setzte sich der Prozess der Reinigung des alten Hindustani vom persischen Einfluss fort. Zu den wichtigen Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehört Munshi Premchand (1880–1936), der zunächst in Urdu schrieb, aber zum bedeutendsten Vertreter der modernen sozialrealistischen Hindi-Literatur wurde. In seinem ersten Roman Prema (1907) setzt er sich für die Wiederheirat von Witwen ein. Er verfasste insgesamt 300 Kurzgeschichten und zwölf Romane, darunter sein mit 70 Jahren Verspätung ins Deutsche übersetztes Hauptwerk Godaan (1936), in dem die Folgen der Vergiftung einer Kuh durch den Bruder eines armen Bauern beschrieben werden. In leichter und lebendiger, realistischer bis satirischer Prosa erzählt der von Gandhi, Tolstoi und Marx beeinflusste Premchand Geschichten aus dem ländlichen indischen Norden und dem Leben der städtischen Mittelschichten. Als Anwalt der unteren Kasten kritisierte er die Willkür und Grausamkeit der Brahmanen und die Leichtgläubigkeit der Armen, aber auch den Ausbruch irrationaler Aggressionen gegenüber den verwestlichten Reichen. Seine kritische Haltung gegenüber den britischen Kolonialherren musste er in seinen Texten wegen drohender Zensur teilweise verschleiern. Mit Gandhi kämpfte er gegen die Ausbeutung der Bauern durch die lokalen, von den Briten geförderten oder geduldeten Herrscher, die muslimischen Nawabs und nicht-muslimischen Maharadschas. Auch die Folgen der Industrialisierung nahm er in den Blick: Der sozialkritische Film Mazdoor („Der Arbeiter“), für den er das Drehbuch schrieb und in dem er selbst in der Rolle eines Arbeiterführers auftrat, wurde 1934 nach Arbeiteraufständen verboten, löste jedoch weitere Streikaktionen aus. Bekannt wurde Premchand auch durch seinen Kampf gegen die puristische Reinigung des Hindi von Urdu-Vokabeln. Die Romane des Marxisten Yashpals (1903–1976), der als Mitglied der bewaffneten Hindustan Socialist Republican Association wegen Bombenattentaten in den 1930er Jahren im Gefängnis saß, handelten vom revolutionären Kampf, von der Gleichstellung der Frau, aber auch von historischen Themen. Bis in die 1970er Jahre veröffentlichte er über 50 Bücher in Hindi.
Im einfachen Hindi-Dialekt verfasste Maithili Sharan Gupt (1886–1964) Gedichte, die Themen aus den klassischen Epen und religiösen hinduistischen und buddhistischen Texten aufgriffen. Seine nationalistische Gedichtsammlung Bharat Bharati (1912) wurde sehr populär.
Urdu
Ein wichtiger Vertreter der islamischen Renaissance im gesamten Südasien und Vorkämpfer der Unabhängigkeit Pakistans war Muhammad Iqbal (1870–1931), der Gedichte in Urdu, Persisch und Panjabio schrieb und heute als pakistanischer Dichter gilt. Daneben veröffentlichte er zahlreiche politische, philosophische und religiöse Schriften.
Die Urdu-Literatur hatte nach der Teilung Britisch-Indiens insgesamt einen schweren Stand, weil sie oft mit panislamischen Strömungen verbunden war. Josh Malihabadi (1898–1982) emigrierte 1956 nach Pakistan, weil er um die Zukunft seiner Sprache fürchtete. Ismat Chughtai (1915–1972), die schon in den 1940er Jahren sexuelle Tabuthemen berührt hatte (Lihaaf, 1942) und dafür angeklagt würde, publizierte weiter realistische Urdu-Prosa über die Lage muslimischer Frauen in Nordindien.
Gujarati
Das Zentrum des Wirkens Mahatma Gandhis nach seiner Rückkehr nach Indien im Jahr 1915 war Gujarat. Mit der von ihm initiierten Gründung einer Universität wurde er zum Bezugspunkt der intellektuellen Aktivitäten der Region. Einer seiner wichtigsten Anhänger war Ramnarayan V. Pathak (1887–1955), der Gedichte, Erzählungen und Kritiken verfasste. Der polyglotte, vom europäischen und nordamerikanischen Denken beeinflusste Swami Anand (1887–1976) gab Gandhis Zeitschriften heraus und veröffentlichte neben fiktionalen Texten und Biographien zahlreiche philosophische und politische Schriften sowie Biographien. Zeitlebens lehnte er es ab, für seine Bücher bezahlt zu werden. Zu erwähnen ist ferner der politische Aktivist Kanaiyalal Maneklal Munshi (1887–1971), der vor allem historische Romane über die Geschichte Gujarats und die indische Frühzeit und das indische Mittelalter in Gujarati sowie in Hindi und Englisch schrieb.
Malayalam
Auch einige Autoren, die nicht in Urdu schrieben, wandten sich traditionellen literarischen Formen zu und bemühten sich um deren Renaissance, was oft mit einem radikalen Engagement für nationalistische Bewegungen verbunden war. Dazu zählt der in Malayalam schreibende Vallathol Narayana Menon (1878–1958), der den traditionellen Tanz in Kerala wiederbelebte. Vaikom Muhammad Basheer (1908–1994), ein muslimische Kämpfer für die Unabhängigkeit, bereiste in den 1930er Jahren auf der Flucht Asien und Afrika und arbeitete in vielen Berufen. Er schrieb seine Romane und Kurzgeschichten über das Leben der einfachen Leute Keralas in Malayalam. Sein erster Roman Premalekhanam, „Der Liebesbrief“, entstand 1943 im Gefängnis. Basheers Sprache ist einfach, aber unkonventionell.
Tamil
Der populäre nationalistische Dichter und Verfechter von Sozialreformen und einer kastenlosen Gesellschaft Subramanya Bharati (1882–1921) kritisierte die traditionelle angepasste Hofdichtung und entwickelte einen neuen, einfachen Stil in Tamil. In seinen Gedichten erwies er Respekt und Verehrung der Natur und allen Religionen gegenüber. In seinen Oden ehrte er die Vorkämpfer der Unabhängigkeit. Vieler seiner Gedichte wurden später vertont und gingen in die Populärkultur ein. Wegen seiner Schriften musste er 1908 in das damals französische Pondicherry fliehen. Erst nach einer Amnestie 1920 durfte er sich wieder frei bewegen. Zu Tode kam er durch den Angriff eines Tempelelefanten, den er täglich gefüttert hatte. Der Film Bharathi (2000) erzählt seine Biographie in tamilischer Sprache.
Kannada
Als der bedeutendste Kannada-Lyriker gilt D. V. Gundappa (1887–1975) mit seinem Werk Mankuthimmana Kagga (1943), einer Sammlung von 945 spirituell-meditativen Gedichten („Stoff zum Nachdenken“) mit je vier Versen, die er nach mittelalterlichen Vorbildern konzipierte. Posthum wurden weitere 825 seiner Gedichte herausgegeben. Der Nationalist machte sich auch als politischer Denker und Biograph einen Namen. 1922 veröffentlichte er unter dem Titel Vasantha Kusumanjali seine erste Gedichtsammlung mit Porträts bekannter Persönlichkeiten.
Als Vater der modernen Kannada-Dichtung gilt B. M. Srikantaiah (bekannt als B. M. Sri, 1884–1946). In seinen Gedichten und Theaterstücken ließ er die archaische Formenwelt hinter sich. Auch trug er wesentlich zur Standardisierung der Schriftsprache bei.
Andere Regionalsprachen
Die bedeutende Lyrikerin und Romanautorin Amrita Pritam (1919–2005) schrieb ihre Gedichte in Panjabi, der Sprache einer von religiösen Konflikten zerrissenen Region, die jedoch durch den Einfluss des Sikhismus durch eine stärkere Gleichberechtigung der Frau geprägt ist. Ihr Roman Pinjar (1950) ist ein Klassiker der indischen Literatur zum Geschlechterverhältnis und zur religiösen Spaltung, der auch verfilmt wurde. Ein weiteres Thema von Pritams Romanen ist die Teilung des Landes 1947. Das Panjabi-Theater, das seine Hochburgen im heutigen Pakistan in Lahore und Lyallpur hatte und durch halbimprovisierte Komödien glänzte, erholte sich nach der Teilung des Subkontinents nur langsam.
Assamesisch (Assami) hatte große Probleme, als eigenständige Literatursprache neben dem Bengali Anerkennung zu finden. In Assam existierte eine romantische Theatertradition, die 1906 durch die Gründung des Baan Theatre in Tezpur gefördert wurde. Zu den dort wirkenden Autoren, die in Assami schrieben, gehörte Jyoti Prasad Agarwala (1903–1951), der auch als Schauspieler, Sänger und Filmemacher bekannt wurde. Bishnu Prasad Rabha (1909–1969) war als revolutionärer Marxist Vorkämpfer für die Unabhängigkeit Indiens und Leitfigur der Kulturbewegung Assams. Er wirkte als Dichter, Dramatiker, Tänzer und Musiker. Die Regierung Assams ehrte ihn durch die Vergabe des Kalaguru Bishnu Rabha Award.
Englischsprachige Literatur
Einer der Begründer der englischsprachigen Literatur auf indischem Boden war der Mystiker und Yoga-Theoretiker Aurobindo Ghose. Seine Werke erschienen zunächst in einer von ihm seit 1914 herausgegebenen Monatszeitschrift und wurden später in viele Sprachen wie Hindi, Bengali, Oriya, Gujarati, Marathi, Sanskrit, Tamil, Telugu, Kannada und Malayalam, aber auch in Französisch, Deutsch, Italienisch, Niederländisch, Spanisch, Chinesisch, Portugiesisch, Slowenisch und Russisch übersetzt. Auch Ghose floh wegen der politischen Verfolgung durch die Engländer in das französische Pondicherry.
In den 1930er Jahren war Mulk Raj Anand der erste Romanautor, der die sozialen Verhältnisse und die Gedankenwelt des Pandschab in Romanen in englischer Sprache für eine europäische Leserschaft verfügbar machte, die er von seinem Philosophiestudium in London gut kannte. Sein erster Roman Untouchable (1935) über einen Tag im Leben eines Toilettenreinigers basiert auf traumatischen Erfahrungen von Familienangehörigen mit dem Kastensystem, die er auch den indischen Mittelschichten zu vermitteln suchte. Auch die zahlreichen anderen realistischen Romane des Sozialisten und Anhängers der Unabhängigkeitsbewegungen wie Coolie (1936) oder Two Leaves and a Bud (1937) behandeln das Schicksal von Marginalisierten und Unterdrückten, die nicht nur der Ausbeutung durch die Grundbesitzer, sondern auch der Willkür der britischen Offiziere ausgesetzt sind. Dennoch arbeitete er auch für die BBC. Er schrieb auch kulturhistorische Bücher und war Mitglied sowohl der britischen Labour Party als auch des Indian National Congress.
Raja Rao, ein weiterer Begründer des indischen Romans in englischer Sprache und wie Mulk Raj Anand ein Anhänger Gandhis, stammt aus einer Kannada sprechenden Brahmanenfamilie und studierte in Frankreich. Rao forderte (ebenso wie Anand) und betrieb eine aktive Appropriation bzw. nativisation der englischen Sprache. In Kanthapura (1938) stellt er den Unabhängigkeitskampf gegen die Briten in einem Zentrum des Gewürzhandels im ländlichen Südindien dar, das im Laufe des Kampfes zerstört wird. Unsicher darüber, welcher Sprache er sich bedienen sollte, schreibt im Vorwort des Buches:
“One has to convey in a language that is not one’s own, the spirit that is one’s own. One has to convey the various shades and omissions of a certain thought–movement that looks maltreated in an alien language.”
„Man muss den eigenen Geist in einer fremden Sprache vermitteln. Man muss die verschiedenen Schattierungen und Auslassungen einer bestimmten Gedankenbewegung vermitteln, die in einer fremden Sprache malträtiert erscheint.“
Sein teils autobiographischer, stilistisch herausragender Roman The Serpent and the Rope (1960), der auf einer Legende der Mahabharata basiert, wurde vielfach ausgezeichnet. Der Held schildert seine Suche nach Wissen und Erkenntnis auf seiner Reise zwischen Tradition und westlicher Moderne, auf der er zahlreiche philosophische Fragen aufwirft, aber nicht beantwortet. Seit 1966 lehrte Rao an der University of Texas in Austin.
Einer der führenden in englischer Sprache schreibenden Lyriker Indiens war Nissim Ezekiel (1924–2004), der zu der jüdischen Marathi sprechenden Gemeinde in Bombay gehörte. Er führte die anglo-indische Lyrik durch die Verwendung freier Verse und die Behandlung von Alltagsthemen in die Moderne (Time to Change, 1952). In seinem lyrischen Plädoyer The Patriot (1977) kritisierte er Indira Gandhis undemokratischen Herrschaftsstil.
1947–1990: Von den Wunden des Nation Building zur Postmoderne
Charakteristisch waren für die 1950er und 1960er Jahre nach K. Satchidanandan, einem traditionskritischen Dichter, der in Malayalam schreibt, eine sprachliche und thematische Modernisierungsbewegung, verbunden mit einem verstärkten literarischen Engagement für die Volkskultur, das er auf den Kulturschock nach den Wirren der Unabhängigkeit zurückführt. Landflucht und Verstädterung, Entwurzelung und Verunsicherung der Massen, Arbeitslosigkeit und Hunger, Kritik am Kastensystem sowie das Verschwinden traditioneller religiöser Werte, aber auch der Werte Gandhis förderten eine realistisch-demokratische Literatur, die in den stärker industrialisierten Bundesstaaten wie Kerala oder in Teilen West-Bengalens seit den 1970er Jahren unter marxistischen Einfluss geriet. Darin spiegeln sich die Suche nach einer neuen Identität als Reaktion auf den vorübergehenden kollektiven Identitätsverlust nach 1947 oder sogar ein Clash of Civilizations, der bis in die kleinsten lokalen Milieus der Gesellschaft hineinwirkte. Die in dieser Phase entstandene realistische Literatur wurde oft als oberflächlich kritisiert, ihre unzureichende psychologische Vertiefung wurde bemängelt.
Einen Einschnitt bildete die Phase der Emergency, der Ausnahmezustand von 1975 bis 1977 unter Indira Gandhi, der auf Unruhen wegen Wahlbetruges folgte. Zahlreiche Autoren, vor allem in tamilischer Sprache und Malayalam schreibende, kritisierte die diktatorische Herrschaft durch Dekret und die Verfolgung von Muslimen und Parsen in offener, satirischer oder versteckter Form.
In den 1980er Jahren kam es zu einem internationalen Durchbruch der indischen Literatur in englischer Sprache, vor allem durch den Erfolg von Salman Rushdies Roman Midnight's Children (1981), der zum Modell der magisch-realistischen Verklärung eines mythisch-bunten Indiens wurde, obwohl sein Protagonist Opfer der Zwangssterilisierungs- und mit großflächigem Häuserabriss verbundenen „Stadtverschönerungs“programme unter Indira Gandhi und ihrem Sohn Sanjay Gandhi wurde, bei dem allein in Delhi 700.000 Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben wurden. Dieser erste erfolgreiche englischsprachige postmoderne Roman eines Non-Residents, der seine Popularität nicht zuletzt seinen phantasievollen anglo-indischen Wortschöpfungen (Hinglish) verdankte, wurde jedoch in Indien selbst weniger rezipiert.
Hindi: Die skeptische Generation
Nach der Unabhängigkeit verlor die nationalromantische und metaphysische Strömung angesichts der Mühen des Nation building und drängender sozialer Konflikte an Bedeutung. Die für viele Hindi-Autoren dieser Zeit charakteristische Hinwendung zum Subjekt schlug sich in entsprechenden Erzähltechniken wie dem inneren Monolog nieder. Nirmal Verma (1929–2005) begründete eine psychologisch-realistische Erzähltradition in Hindi (Nayi Kahani, dt. „neue Erzählung“), indem er individuelle Seelenlandschaften und melancholische Vereinsamung in sensibler Weise nachzeichnete. Weitere wichtige Vertreter der Nayi-Kahani-Bewegung von Hindi-Autoren in den 1950er und 1960er Jahren waren Mohan Rakesh (1925–1972) und Rajendra Yadav (1929–2013). Die Kurzgeschichten der traditionskritischen, generell skeptischen Nayi-Kahani-Bewegung, die meist um 1960 entstanden, handelten oft von Problemen zwischen den Geschlechtern, die mit der Emanzipation und zunehmender Berufstätigkeit der Frauen eskalierten, aber auch mit den Problemen der Urbanisierung und Industrialisierung. Die Enttäuschung darüber, dass die Unabhängigkeit das Problem der Arbeitslosigkeit in keiner Weise gelöst hatte und dass auch die (zahlenmäßig immer noch recht kleinen) Mittelschichten immer mehr Schwierigkeiten mit der Wohnraumversorgung und der Korruption der Beamten hatten, schlug sich in Themen und Stil des Nayi Kahani nieder. Die Kurzgeschichten schildern oft das ermüdende Aushandeln und Schachern in Alltags- und Arbeitssituationen, das nicht mehr nur die Arbeiter und Bauern betraf, sondern auch die Mittelschichten, die von den Linksparteien vernachlässigt worden waren, während sie von konservativer Seite für die Vernachlässigung der Traditionen gescholten wurden. Eine der Hindi-Autorinnen, die Fragen der weiblichen Identität und Sexualität aufgriff, war Krishna Sobti (1925–2019). Ihre Texte erregten in den 1960er und 1970er Jahren Aufsehen; ihren Schreibstil und Wortschatz passte sie regionalen Gegebenheiten und Idiomen an.
Doch hat es den Anschein, als ob seit jeher jede Generation schreibender Frauen in Indien die Themen des Kampfes gegen das Patriarchat für sich neu finden und entwickeln musste, ohne auf Ideen ihrer Vorgängerinnen zurückgreifen zu können. Ja sogar das Recht zu Lesen und zu Schreiben musste immer wieder neu erkämpft werden. Erst die Institutionalisierung von feministischen und postkolonialen Studien haben diese Situation verändert.
Der populäre Bhisham Sahni (1915–2003), Dramatiker, Schriftsteller, Übersetzer, Gewerkschaftler und Kommunist, beschreibt in seinem Roman Tamas („Dunkelheit“, 1974) die Gewalt- und Hassausbrüche bei der Teilung Indiens, die er selbst erlebt hatte. Das Buch wurde aus dem Hindi in viele Sprachen übersetzt. Die berühmte Kurzgeschichte Amritsar Aa Gaya Hai (engl.: The Train Has Reached Amritsar) schildert die Ankunft einer Gruppe von Flüchtlingen aus Pakistan in der indischen Grenzstadt Amritsar; die Zugreise ist eine Metapher des Lebens. Sein historischer Roman Mayyadas ki Marhi (1988; engl. Ausgabe The Mansion 1998; dt.: „Mayyadas' Schloss“) schildert die britische Machtübernahme im Pandschab und den damit verbundenen Austausch der lokalen Eliten, verbunden mit dem Aufstieg neuer Gruppen, die sich den Briten als Dienstleister anbieten und dadurch neue Privilegien erwerben. Sahni schrieb realistisch und leidenschaftlich zugleich auf Basis seiner eigenen Erfahrungen, ohne dass sein Stil simpel oder banal wirkt. Für den im heutigen Pakistan geborenen Krishna Baldev Vaid (1927–2020) stellte die blutige Teilung Indiens, die ein kulturelles Kontinuum mit fließenden Übergängen durch scharf gezogene Grenzen trennte, ein Hauptthema seiner Romane dar, mit denen er oft provozierte und Traditionen herausforderte. Beeinflusst von der europäischen Moderne und vom Existenzialismus, entwickelte er einen magisch-realistischen Stil. Zeitweise lehrte er in den USA. Viele seiner Bücher wurden (teils von ihm selbst wie der Klassiker Steps in Darkness, 2014, über ein in Armut und inmitten von Gewalt aufwachsendes Kind) ins Englische, Französische oder Italienische übersetzt. In Deutschland erschien das Tagebuch eines Dienstmädchens (2012), einer jungen ungebildeten, aber scharf beobachtenden Frau, die ihre Erfahrungen mit ihren großstädtischen Arbeitgebern niederschreibt.
In den späten 1970er Jahren verstummten viele Vertreter der skeptischen Generation der Hindi-Autoren; immer häufiger lebten sie vom Schreiben von teils banalen Drehbüchern für den Film (so z. B. Kamleshwar, 1932–2007).
Urdu: Die bedrohte Identität der islamischen Kultur in Indien
Nach der Unabhängigkeit Indiens blieb Urdu in Uttar Pradesh, Bihar, Telangana und in den heutigen Unionsterritorien Delhi und Jammu und Kaschmir Amtssprache; doch war es in gesprochener Form für Hindi-Sprecher auch in anderen Regionen meist verständlich. Unter den muslimischen Prosaautorinnen und -autoren, die in Urdu schrieben und in Indien blieben, ragt Qurratulain Hyder (1927–2007) hervor. Schon als Kind begann sie Geschichten für ihre Puppen zu schreiben. Ihre Themen sind der Untergang der alten muslimischen Kultur im modernen Indien und die Folgen des damit verbundenen Identitätsverlusts sowie der Teilung des Subkontinents. Bekannt geworden ist vor allem ihr melancholischer Roman Ag Ka Darya (1959; engl. River of the Fire, von ihr selbst übersetzt, 1999, Neuausgabe 2019), in der sie mit vielfältigen Stilmitteln wie Zitaten, Briefen, Zeitungsartikeln und philosophischen Erörterungen die Geschichte des Subkontinents über vier Epochen und 2400 Jahre hinweg nachzeichnet. Sie drückt ihre die Trauer über die religiöse und kulturelle Spaltung aus und kann insbesondere mit diesem Werk als Vorläuferin der indischen Postmoderne gelten.
Weitaus zahlreicher als Romanautoren sind im heutigen Indien Urdu-Poeten vertreten. Zu diesen zählte Krishan Mohan (1922–2004), der seine 28 Bände mit Urdu-Gedichten – Ghaselen ebenso wie Dohas und andere Naẓms – sowohl in Urdu- als auch in Hindi-Schrift verfasste.
Gujarati
Ein Leben in Armut führte lange Zeit der Gujarati-Poet Mareez (Abbas Abdul Ali Vasi, 1917–1983), dessen Ghazelen zum Teil erst nach seinem Tod populär wurden. Zu den modernistischen Autoren, die in Gujarati schrieben, gehörte Suresh Joshi (1921–1986), der mit acht Jahren sein erstes Gedicht publizierte. Er gilt mit seinem in Briefform verfassten Liebesroman Chhinnapatra (1965) als Begründer der modernen Prosa und experimentellen Lyrik in Gujarati und trat auch als Essayist, Literaturkritiker und Übersetzer hervor. Auch Anil R. Joshi (* 1940) schrieb Gedichte und Essays in Gujarati, pflegte jedoch die traditionelle Form der Ghaselendichtung. Volkstümliche Kurzerzählungen in Rajasthani verfasste Vijaydan Detha (1926–2013).
Bengali
Thakurs Skepsis gegenüber Säkularismus, Modernismus und Nationalismus wurde in Bengalen, wo die Erinnerung an die antikolonialen Kämpfe des 19. und 20. Jahrhunderts besonders lebendig ist, nicht allgemein geteilt. Der in Bengali schreibende Lyriker Bishnu Dey (1909–1982), zugleich marxistisch orientierter Unabhängigkeitskämpfer, wandte sich gegen patriarchale Symbolfiguren und literarische „Überväter“ wie Tagore, obwohl er ihn sehr verehrte, und orientiert sich an westliche Vorbildern wie T. S. Eliot.
Mahasweta Devi (1926–2016) befasste sich mit der Situation benachteiligter Menschen im postkolonialen Westbengalen; sie schrieb Kurzgeschichten und journalistisch recherchierte Romane aus beinahe ethnographischer Perspektive in bengalischer Sprache mit Dialektfärbung. Der Heldin des ersten indischen Unabhängigkeitskrieges von 1857/58, der Königin (Rani) Lakshmibai von Jhansi, die auch in britischen Romanen immer wieder eine Rolle spielte, setzte sie ein Denkmal in Form einer Biographie, die zahlreiche historische Dokumente, Volkserzählungen und Gedichten enthält und durch Informationen von Angehörigen Lakshmibais gestützt wurde. Aber auch über das Elend vieler Adivasi, die Härten der Schuldknechtschaft oder die maoistischen Terroristen in Bengalen schrieb Devi. Ihre Werke wurden in viele Sprachen übersetzt. Armut, Religionskonflikte und Terrorismus in Westbengalen und vor allem in Kolkata behandelt der im heutigen Bangladesch geborene Marxist Sunil Gangopadhyay (1934–2012), der auch als Lyriker bekannt wurde. Da in Indien und in Bangladesch je über 100 Millionen Menschen Bengali sprechen, wird diese Literatur in beiden Ländern gelesen.
Kannada
Das Verbreitungsgebiet des Kannada ist seit 1956 fast identisch mit dem damals neu abgegrenzten Bundesstaat Karnataka, in dem auch die IT-Metropole Bengaluru liegt. Die Bedeutung der neueren Literatur in Kannada wird daran deutlich, dass seit 1965 kannadasprachige Autoren achtmal den Jnanpith Award, den wichtigsten indischen Literaturpreis, gewannen, zuletzt der Drehbuchautor und Regisseur Girish Karnad (1998), U. R. Ananthamurthy (1994) und Chandrashekhara Kambara (2010). Malayalam-Autoren erzielten sechsmal den Jnanpith Award. Im Vergleich dazu ging der Preis bis 2017 nur an 12 Autoren der ungleich größeren Hindi-Sprachgemeinschaft.
Der sozial engagierte Ananthamurthy, der aus einer Brahmanenfamilie stammt, schrieb psychologische Romane und Kurzgeschichten, die Menschen zwischen Tradition und Moderne, zwischen den Fallstricken des komplizierten Rituals und der ausufernden Bürokratie zeigen. Sein Roman Samskara (1965, dt. 1984) über den Streit zwischen konservativen und reformerischen Brahmanen verursachte einen Eklat.
Jayant Kaikini (* 1953) schildert Alltagsepisoden zwischen Konventionen und Konsumzwang. Der Romanautor und Erzähler Kumbar Veerabhadrappa (* 1953), bekannt als KumVee, gab den Sahitya Akademi Award, den er 2007 erhalten hatte, aus Protest gegen die Intoleranz in Indien 2015 zurück.
Marathi
Baburao Bagul (1930–2008), ein durch Marx beeinflusster Buddhist, der das Leben der Armen in Maharashtra beschrieb, gilt als Pionier der Marathi-Literatur in den 1960er Jahren. Bhalchandra Nemade (* 1938) schrieb mit Koala in einfacher Umgangssprache eine fiktive, aber an eigene Erfahrungen anknüpfende Autobiographie eines Jugendlichen aus dem ländlichen Maharashtra, der in Pune studiert.
Mumbai hat nicht so viele bedeutende Literaten hervorgebracht wie etwa Kolkata, aber die Stadt hat zahlreiche Autoren inspiriert. Allen Ginsberg besuchte die Stadt zweimal und verfasste über seine Reisen die Indian Journals (1970). Arun Kolatkar (1932–2004) nahm die Einflüsse der amerikanischen Beat-Generation und des europäischen Surrealismus auf. Als experimenteller, vielfach ausgezeichneter Marathi-Poet entdeckte er den Mythos im Alltag. Er schrieb im Marathi-Argot der Migranten und der Unterwelt Mumbais mit vielen Hindi-Einsprengseln, die den starken Einfluss des Hindi-Films zeigen. Nach langem Zögern entschloss er sich, Gedichte auch in englischer Sprache zu schreiben.
Malika Amar Sheikh veröffentlichte 1984 eine Autobiographie, in der sie ihre Gewalterfahrungen in der Ehe mit dem Marathi-Dichter Namdeo Dhasal beschrieb und sich kritisch mit der Dalit-Bewegung auseinandersetzte, der beide angehörten. Shantaram Athavale, der schon in den 1930er Jahren als Lyriker und Liedtexter bekannt wurde, Dilip Chitre, Vishram Bedekar, Balchandra Nemade (Kosla, 1963) und Kiran Nagarkar schrieben Bücher und Drehbücher in Marathi, teils auch in Hindi. Nagarkar, der das Leben im Moloch Mumbai mit schwarzem Humor beschreibt, wechselte später von Marathi zum Englischen. In deutscher Übersetzung wurde sein Erstlingswerk, der dramatische Entwicklungsroman Sieben mal sechs ist dreiundvierzig (1974), bekannt.
Malayalam
Durch die rasche industrielle, urbane und soziale Entwicklung Keralas seit den 1960er und 1970er Jahren unter marxistischen Regierungen befreite sich die süddrawidischen Sprache Malayalam aus ihren traditionellen Bindungen und von sentimental-romantischen Vorbildern. O. V. Vijayan (1930–2005) wurde bekannt durch seinen Erstlingsroman Khasakkinte Itihasam (1968, engl. 1994), der die Geschichte eines jungen Lehrers erzählt, der seine Laufbahn in einem abgelegenen Dorf in Malabar beginnt und dort auf eine moralfreie Welt und unverständliche Mysterien stößt, die sich mit seiner rationalen Art nicht erklären lassen. Der Protagonist beginnt ebenfalls in Metaphern zu denken; am Ende verlässt er das Dorf. Das figurenreiche und humorvolle Buch wird oft dem Magischen Realismus zugerechnet, was wohl auch auf die stark veränderte Tonalität in der englischen Übersetzung zurückzuführen ist. Zugleich drückt Vijayan darin seine Desillusionierung über den Kommunismus aus. Sein Roman Dharmapuranam ist eine subversive Satire auf das indische politische System. Andere Autoren wandten sich in den 1970er Jahren von den Vorbildern der politisierten Vorgängergeneration um Basheer ab. Die Romane und Drehbücher von M. T. Vasudevan Nair (* 1933) stellten die psychologischen Traumata und Irritationen in den Mittelpunkt, die aus dem Zerfall der feudalen Dorfgesellschaft resultierten.
Auch der Autor von Kurzgeschichten Thinakkal Padmanabhan (* 1931) schreibt in Malayalam. Er lehnte die Annahme mehrerer Literaturpreise ab, u. a. weil die von ihm bevorzugte Form der Kurzgeschichte von den Verleihern des Preises unzureichend gefördert werde. K. Satchidanandan (* 1946) schuf Gedichte in freien Rhythmen mit gewagten Metaphern und übersetzte wichtige politische Schriften der damaligen Zeit. Als feministische Autorin von Kurzgeschichten mit provozierenden Themen wurde Kamala Surayya (verh. Kamala Das) (1934–2009) bekannt, die zum Islam übertrat und Lyrik auch in englischer Sprache schrieb.
Tamil
Nach der Unabhängigkeit Indiens kehrten viele Tamilen aus der Diaspora in den ehemaligen englischen Kolonien wie Burma und Ceylon, wo sie seit dem 19. Jahrhundert meist als Plantagenarbeiter, aber auch als Kolonialbeamte und Händler gelebt hatten, in den neugegründeten Bundesstaat Tamil Nadu zurück. Später gab es Rückwanderungswellen aus Malaysia und Singapur. Viele dieser Rückwanderer beherrschten die tamilische Sprache kaum noch. Innerhalb des neuen Indiens wurde die tamilische Literatur zunächst wenig beachtet.
Zu den bekanntesten in Tamil schreibenden Autoren der Zeit nach der Unabhängigkeit gehört Sundara Ramaswamy (1931–2005), der sich an den großen indischen Sozialreformern und am Sozialistischen Realismus orientierte, bevor er in den 1970er Jahren zu experimenteller Lyrik und Prosa fand. Seine Themen sind der Traditions- und Werteverlust des Südens als Folge der Modernisierung, die Naturzerstörung (The Tamarind Tree) oder die Konkurrenz zwischen Mensch und Maschine. Ramaswamy starb in den USA.
Ashokamitran (1931–2017) wuchs im islamisch geprägten Hyderabad auf, wo er Zeuge der lokalen religiösen und politischen Auseinandersetzungen würde. Später übersiedelte er nach Chennai. In diesen beiden Städten spielen seine von Humanität geprägten Romane, in denen er das Leben der Armen und der unteren Mittelschicht porträtiert. Als erster tamilischer Autor wurde er 1973 an eine US-Universität eingeladen.
Der tamilische Autor Ra Su Nallaperumal projizierte in seinem Roman Marukkozhunthu Mangai den Ausnahmezustand unter Indira Gandhi ins 8. Jahrhundert in Südindien, wo eine verwitwete Königin der Pallava-Dynastie, dir eine Namensähnlichkeit mit Gandhi aufweist, nach einem Aufstand ihrer Untertanen deren Freiheit einschränkte.
Andere Regionalsprachen
Jagadish Mohanty (1951–2013) verfasste vom Existenzialismus beeinflusste Romane und Kurzgeschichten in Oriya (Odia). International bekannt wurde vor allem Binapani Mohantys Erzählung Asru Anala (Tears of Fire) über den Zusammenhang zwischen sexueller Repression und Auflehnung und ihre Sammlung von Kurzgeschichten Patadei (1986) – eines von etwa dreißig Büchern, darunter auch drei Romane. Mohantys Erzählungen wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, einige wurden verfilmt.
Zu den bekanntesten in assamesischer Sprache schreibenden Autoren gehört die aus einer begüterten religiösen Familie stammende Indira Goswami (1942–2011), die 16 Romane und drei Erzählbände veröffentlichte, welche den Blick auf Menschen am Rande der Gesellschaft richten und die Folgen unmenschlicher religiöser Gebote, der Rituale der Witwenschaft und des Kastensystems aufzeigen, die sie selbst an den Rand des Suizids brachten. Einen Namen machte sie sich auch als politische Mediatorin und Friedensaktivistin im Konflikt zwischen der Regierung und den assamesischen Separatisten.
In englischer Sprache
In den 1940er Jahren galt vielen Literaten die Verwendung des Englischen noch als unpatriotisch und seine elegante Beherrschung als zu schwierig. Mit der indischen Nationalbewegung und der Unabhängigkeit Indiens gewannen sozialkritische oder aktuelle Themen und damit westliche stilistische Vorbilder an Bedeutung: das Leben der Armen und Unberührbaren (in den Romanen von Mulk Raj Anand der 1930er Jahre), später die Alltagsrealität der indischen Mittelschicht wie etwa im Werk von Anita Desai, die als Tochter einer deutschen Mutter einen europäischen Blick auf die indischen Familienstrukturen hat und diese später auch mit US-amerikanischen Familien vergleicht. Ihre Romane (wie Clear Light of Day, 1980) spiegeln autobiographische Erfahrungen ebenso wie die historischen Nachwehen der Teilung Indiens 1947. Dreimal wurden ihre Bücher für den Booker Prize nominiert. Die Familie als Rückzugsraum und Schauplatz von Gewalt wird auch von der aus Südindien stammenden Shashi Deshpande (* 1938) durchleuchtet, die in jüngster Vergangenheit die Hindu-Nationalisten vor dem Wiederaufflammen religiöser Gewalt warnte.
Der in Pakistan geborene Khushwant Singh, ein Meister der Kurzgeschichte, erinnert in seinen historischen Romanen an die indoislamische Vergangenheit Delhis oder an das dörfliche Leben zur Zeit der Teilung des Subkontinent entlang der Bahnlinie Delhi – Lahore (Train to Pakistan, 1956). Lange wurde der Sikh wegen seines politischen Einsatzes für religiöse Toleranz von Fundamentalisten bedroht. In The End of India (2003) kritisiert er den zunehmenden Hindu-Nationalismus. Auch die Gedichte und Kurzgeschichten von Keki N. Daruwalla (* 1937 in Lahore im heutigen Pakistan), ein Parse und früherer Polizeibeamter, zeugen von einem starken Geschichtsbewusstsein, aber auch vom Engagement für Minderheiten und von der Empathie für Opfer von Diktaturen.
Upamanyu Chatterjees Bestseller English, August: An Indian Story (1988, mit anschließender Verfilmung) erzählt die Geschichte eines jungen, verwestlichten indischen Beamten, der in eine kleine südindische Provinzstadt Madna abkommandiert wird und – wie die gesamte dortige Verwaltungselite – mit Ignoranz auf Korruption, Ungerechtigkeit und Leid in der neuen, ihnen auch sprachlich nicht vertrauten Umgebung reagiert. Zugleich wird die von der britischen Kolonialherrschaft quasi vererbte, vom britischen System der Elitenausbildung geförderte Gefühllosigkeit einer apathischen Bürokratie gegenüber den Dorfbewohnern kritisiert. Der postmoderne und postkoloniale Roman ist zugleich eine Erinnerung an Macaulays immer noch aktuelle Prophezeiung, wonach das imperishable Empire als Folge der britischen imperialistischen Zivilisierungsmission ewig fortleben werde, und an die nie eingelöste Forderung Gandhis, dass die städtischen Eliten servants of the Nation werden sollten, um sich die Achtung auch der Menschen auf dem Lande zu erwerben.
R. K. Narayan, der aus einer Brahmanenfamilie stammte und mit Graham Greene befreundet war, siedelte seine zahlreichen englischsprachigen Romane, die teils einen autobiographischen Hintergrund haben, in der fiktiven südindischen Kleinstadt „Malgudi“ mit ihrer kulturellen Vielfalt, aber einer bedrückend konventionellen Moral an. Sein Stil, der die Feinheiten der tamilischen Volkssprache reflektiert, wurde abwechselnd mit dem von Tschechow, Guy de Maupassant, O. Henry, Frank O’Connor, Nikolai Gogol oder Faulkner verglichen; er verstand es, Charaktere durch ihre Handlungen darzustellen, ohne tief in die Psychologie einzudringen. Vordergründig hielt er sich von politischen Themen fern; die Politik wirkt jedoch auf die Protagonisten seiner Romane, die sich stoisch den Verhältnissen fügen:
“I returned from the village. The house seemed unbearably dull. But I bore it. ‘There is no escape from loneliness and separation…’ I told myself often. ‘Wife, child, brothers, parents, friends…. We come together only to go apart again. It is one continuous movement. They move away from us as we move away from them. The law of life can't be avoided.’”
„Ich kehrte aus dem Dorf zurück. Das Haus wirkte unerträglich langweilig. Aber ich ertrug es. ‚Aus Einsamkeit und Trennung gibt es kein Entrinnen…‘, sagte ich mir oft. ‚Ehefrau, Kind, Brüder, Eltern, Freunde…. Wir kommen zusammen, um uns wieder zu trennen. Es ist eine kontinuierliche Bewegung. Sie entfernen sich von uns, während wir uns von ihnen entfernen. Das Gesetz des Lebens kann nicht umgangen werden.‘“
Mehr als 50 Jahre nach der Teilung Britisch-Indiens im Jahr arbeitete die feministische Autorin, Herausgeberin und Verlegerin Urvashi Butalia in The other side of silence: Voices from the partition of India (2000) präzise die Grausamkeiten der Flucht von 12 Millionen Menschen und die schwerwiegenden sozialen Verwerfungen auf, die sie auch als Folgen der Bevorzugung der muslimischen Partei durch die britische Verwaltung ansieht. Ein Dauerthema der neueren indischen Literatur sind die repressiven Familienstrukturen. In ihrer gemeinsam mit Ritu Menon herausgegebenen Anthologie In Other Words: New Writing by Indian Women (1994), die auch ins Deutsche übersetzt wurde, lässt sie Autorinnen zu Wort kommen, die die Schwierigkeiten des Lebens indischer Frauen von der arrangierten Heirat bis zur ihnen entgegengebrachten offenen Missachtung beschreiben. 2017 wurde Butalia mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive untersucht Leela Gulati die Folgen der männlichen Arbeitsmigration für die zurückbleibenden Frauen und dokumentiert diese in Interviews mit 10 Frauen aus Kerala (In the Absence of their Men: The Impact of Male Migration on Women, 1993). Diese Technik verwendete sie auch in A Space of Her Own: Personal Narratives of Twelve Women (2005).
Mit zunehmender Mobilität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts pendelten immer mehr Autoren zwischen Indien und westlichen Kulturen. Aus dieser Gruppe haben viele Namen internationale Berühmtheit erlangt und werden zur Weltliteratur gezählt wie z. B. Salman Rushdie und Vikram Seth. Seths erstes Werk ist ein Versepos im Reimschema des sog. Puschkin-Sonetts über das Leben der Yuppies in San Francisco (The Golden Gate, 1986). Sein bisheriges Hauptwerk ist das mit über 1400 Seiten und 200 Figuren monumental-opulente Epos A suitable boy (1993; dt. „Eine gute Partie“, 1995), eines der umfangreichsten Bücher in englischer Sprache. Der Autor, der in Oxford und in den USA studierte und zeitweise in England lebt, behandelt in realistisch-satirischer Form die sozialen Probleme nach der Unabhängigkeit, die Problematik der Mischehe zwischen Hindus und Moslems und die Widerstände gegen die Abschaffung der Landrechte der Aristokratie sowie deren Niedergang. Vier Familien repräsentieren vier soziale Schichten: die Hindis-sprechende politische Elite, die anglisierte geschäftstüchtige Mittelschicht, die sich nach Europa orientiert, die exzentrischen bengalischen Intellektuellen und die muslimische, Urdu sprechenden Landbesitzeraristokratie. Trotz seiner poetischen Sprache und seines innovativen Stils ist das Buch, das mit dem Commonwealth Writers’ Prize ausgezeichnet wurde, gut lesbar. Nicht zu übersehen sind die Parallelen zu den religlösen Spannungen der Gegenwart.
Der 1956 in London geborene indische UN-Diplomat, Ökonom und Politiker Shashi Tharoor veröffentlichte 1989 mit The Great Indian Novel eine dreiste Satire auf das Mahabharata, dessen Handlung er in der indischen Politik von den Anfängen der Befreiungsbewegung bis zur Gegenwart ansiedelte. Zahlreiche Figuren aus dem Epos stehen für bekannte indische Politiker. Auch Mahatma Gandhi wird mit wenig Respekt behandelt. Tharoor wendet sich an die indische Elite, wenn er zu Beginn des Buches sagt:
„Sie erklären mir, Indien sei ein unterentwickeltes Land. Sie besuchen Seminare, treten im Fernsehen auf […] und verkünden, während sie ihre Achthundert-Rupien-Anzüge glattstreichen und ihre Hartschalenköfferchen umklammern, in grenzenlos verständnisvollem Ton, dass Indien sich noch entwickeln müsse. Natürlich alles dummes Zeug. Das ist der Schlag von Leuten, die ihre 'kundalini' [vitale Energie, dargestellt als Wurm am Ende des Rückgrats] nicht von einem verwesenden Regenwurm unterscheiden können. […] Ich erkläre ihnen, wenn sie nur einmal das 'Mahabharata' und das 'Ramayana' läsen, […] dann würden sie begreifen, daß Indien kein unterentwickeltes, sondern ein hoch entwickeltes Land im Zustand fortgeschrittenen Verfalls ist.“
Indien sei in Bezug auf Politik, Verwaltung und vor allem Bürokratie sogar überentwickelt. Diese „lähmendste aller indischen Krankheiten und höchste aller indischen Kunstformen vollziehe ihre Rituale mit hohem Ethos in Vollendung“.
Die Globalisierungskritikerin Arundhati Roy wurde international bekannt durch ihren in „chutneyfiziertem“ Englisch verfassten Roman The God of Small Things („Der Gott der kleinen Dinge“), dessen Handlung Ende der 1960er Jahre in Kerala angesiedelt ist. Sie kritisiert darin das Kastensystem und die religiöse Intoleranz, an denen Liebesbeziehungen und Menschenleben zerbrechen. 1997 erhielt sie dafür den Man Booker Prize.
Zeitgenössische Literatur: Zwischen Hochtechnologie und Fundamentalismus
Mit dem Niedergang des Realsozialismus nach 1990 wurde auch sozialistisches Gedankengut in Indien zurückgedrängt. Es kam zur umfassenden wirtschaftlichen Liberalisierung mit einer rapiden Entwicklung der Hochtechnologie. Damit gewann die englische Sprache weiter an Boden, zumal die Menschen im drawidische Sprachraum sich gegen die Dominanz des Hindi wehren und eher Englisch als lingua franca benutzen. Dennoch sprachen noch 2014 nur 4 Prozent aller Inder fließend Englisch, 20 Prozent nutzten Englisch als Zweitsprache. Viele englischsprachige Autoren leben im Ausland und erreichen neben den ausländischen Lesern nur die indische Elite, während die anspruchslose Unterhaltungsliteratur meist in den Regionalsprachen publiziert wird. Fraglich ist jedoch, ob die ehemalige Kolonialsprache geeignet ist, die vielfältige postkoloniale Wirklichkeit zu repräsentieren.
Trotz der ökonomischen Liberalisierung nahmen die konservativen, ja fundamentalistischen Tendenzen in Kultur und Gesellschaft eher zu. Die indische Postmoderne ist tiefer in die Geschichte und Mythologie des Volkes eingebettet als etwa die europäische. Immer häufiger werden seit den 1990er Jahren die englische Sprache ebenso wie die aus dem Westen importierten literarischen Formen als einengend, ja unterdrückend empfunden.
Hindi
Die wohl meistgelesene zeitgenössische Autorin Indiens ist wohl Mridula Garg (* 1938), die in 45 Jahren über 30 Bücher in Hindi veröffentlicht hat, aber auch in englischer Sprache schreibt und als Kolumnistin wirkt. Ihr Themenspektrum ist breit, sie schreibt über Kinderarbeit, Frauen- und Umweltthemen und Literatur. Ihr Roman Chittacobra (1979, engl. 1999) brachte ihr ein Verfahren wegen Obszönität ein.
Der Hindi-Dichter und Literaturkritiker Ashok Vajpeyi (* 1941) war zeitweise ein einflussreicher Kulturpolitiker der Kongresspartei im Bundesstaat Madhya Pradesh. Selbst Teil der Kulturbürokratie zur Zeit Indira Gandhis, legte er sich später mit den Vertretern des neuen Hindu-Establishments an und kritisierte die Haltung der Hindus gegenüber den Dalit. Er verfasste 24 Bände mit Gedichten. Uday Prakash (* 1952) ist ein Romanautor (Das Mädchen mit dem gelben Schirm, dt. 2009), Lyriker, Essayist, Journalist und Fernsehproduzent, der in Hindi schreibt und sich kritisch mit dem Postkolonialismus, der ineffizienten Verwaltung und der Hindutradition auseinandersetzt. Geetanjali Shree erhielt den Booker-Preis 2022 für Tomb of Sand, die englische Übersetzung ihres 2018 in Hindi erschienenen Romans über eine alte, depressiv gewordene Frau, die zu den Orten ihrer Traumatisierung durch die Teilung Indiens zurückkehrt.
Auch muslimische Schriftsteller wie der Marxist Abdul Bismillah (* 1949) schreiben gelegentlich in Hindi, auch um zu zeigen, dass Hindi nicht allein den Hindus „gehört“. Sein Roman Jhini Jhini Bini Chadariya thematisiert in relativ kunstloser Sprache das Leben armer Seidenweber in dem immer wieder von religiösen Konflikten geprägten Varanasi.
Regionalsprachen
Die dem Säkularismus verpflichtete Journalistin Nirupama Dutt veröffentlicht Lyrik und sozial engagierte Kurzprosa überwiegend auf Pandjabi. Entschieden trat sie gegen religiösen Fundamentalismus ein. In Bengali verfasst Anita Agnihotri (* 1956) Erzählungen und Essays, in denen sich das ländliche Elend, aber auch die landschaftliche Schönheit der östlichen Bundesstaaten Indiens spiegeln. Zu den modernen Urdu-Autoren gehören Rahman Abbas (* 1972), der Romane und Kurzgeschichten u. a. zu den individuellen Folgen des Dauerkonflikts zwischen Hindus und Moslems verfasst, und der Lyriker Munawwar Rana (* 1952), der statt arabischer und persischer Begriffe oft Hindi-Worte verwendet, um seine Gedichte für Menschen, die Urdu nicht beherrschen, besser lesbar zu machen. Dhwanil Parekh (* 1976) schreibt Dramen in Gujarati und gibt Anthologien mit Gujarati-Dichtung heraus.
Die feministische Sozialhistorikerin C. S. Lakshmi (* 1944) schreibt unter dem Namen Ambai Kurzgeschichten und dokumentiert Lebensgeschichten von Frauen in Tamil und englischer Sprache.
Als Förderer des Tulu-Dramas und -Films wurde der Schriftsteller M. K. Seetharam Kulal (1940–2019) bekannt. Tulu, eine dravidische Sprache, verfügt bisher kaum über eine literarische Tradition. Sie fürchtet wie andere drawidische Sprachen den zunehmenden Druck des Kulturmarktes und die Verdrängung durch die englische Sprache.
Das in Malayalam verfasste Werk des Erzählers und Romanciers, Essayisten, Reise-, Kinderbuch- und TV-Drehbuchautors Paul Zacharia (* 1945) wird oft mit dem von Jorge Luis Borges verglichen. Der Bauernsohn ist Christ und führte christliche Figuren in die indische Literatur ein. Zugleich ist er ein auch mit dem Mittel der Satire arbeitender Gegner jedes Fundamentalismus. Ins Deutsche übersetzt wurde der Sammelband Bhaskara Patellar und anderen Geschichten (2004).
Daneben gibt es eine „Stammesliteratur“ in über 30 Sprachen, in der die Rebellion der Stammesvölker gegen ihre Marginalisierung zum Ausdruck gebracht wird.
In englischer Sprache
Die zeitgenössische indische Literatur schwankt zwischen dem Nachvollzug der konservativen religiös-politisch-ästhetischen Wende und dem Aufbegehren gegen die verkrusteten sozialen Strukturen. Viele Bücher, die kritisch auf die Traditionen blicken, erscheinen heute zuerst in den USA oder England und zielen auf das Lesepublikum der Non-Residents. Manche Autoren sehen die Globalisierung der indischen Literatur als Gefahr, durch die die Dominanz des Englischen als Bildungs-, Aufstiegs- und Herrschaftssprache weiter gefestigt wird. Manjula Padmanabhan (* 1953), die als Diplomatentochter im Ausland aufwuchs und kosmopolitisch erzogen wurde, war schockiert über den Hindu-Traditionalismus, der ihr begegnete, als sie mit 16 Jahren nach Indien zurückkehrte. Dieser Erfahrung verarbeitet sie in ihrem Roman Getting There (2002). Ihr Drama Harvest (2003) thematisiert den Organhandel zwischen dritter und erster Welt. Sie verfasst auch pointierte Kurzgeschichten und arbeitet als Comic-Texterin und -Zeichnerin sowie als Buchillustratorin. Auch Bulbul Sharma (* 1952) schreibt Geschichten für Kinder und Jugendliche und beteiligt sich an Leselernkampagnen. Ihre Kurzgeschichten handeln auch vom Schicksal von Frauen, die auf einen Mann, auf den ersten Sohn oder auf die Scheidung warten, von Witwen oder von ihren Schwiegermüttern terrorisierten sweet nothings. Für viele Frauen ist Essen eine kompensatorische Obsession – Sharma fügt ihren Kurzgeschichten Rezepte bei (Anger of Aubergines, 1997; Eating Women Telling Tales, 2009).
Die umstrittenen Romane von Raj Kamal Jha (* 1966) malen ein erschreckendes, mit düsteren Assoziationen behaftetes, filmisch-surreales Bild von Gewalt – vor allem gegen Frauen und Muslime – und Armut (The City and the Sea, 2019). 2012/13 weilte er als Stipendiat in Berlin.
Der Psychoanalytiker und Religionspsychologe Sudhir Kakar (* 1938), der in Frankfurt studierte und durch seine Sachbücher bekannt wurde (Die Inder, Die Gewalt der Frommen), verfasste psychologische Romane (Ecstasy, 2003) und den historischen Roman The Crimson Throne (2010) über die Entmachtung Shah Jahans, des Erbauers des Taj Mahal, durch seinen Sohn Aurangzeb im Jahr 1658, dargestellt aus der Perspektive eines Italieners am Hofe. Die Erzählungen und Romane des abwechselnd in Mumbai und den USA lebenden Vikram Chandra (* 1961) stehen in der Tradition des mündlichen Erzählens. Sein in viele Sprachen übersetzter Erfolgsroman Tanz der Götter (dt. 1997) kombiniert Geschichten mit einer Rahmenhandlung, die Elemente der alten Götterwelt wie der modernen Technik nutzt. Der in London und Oxford ausgebildete Brahmane Amir Chaudhuri (* 1962), der lange in England lehrte, bildet mit seinen leisen Romanen und Gedichten, die – orientiert an der bengalischen Tradition – detailreichen Beobachtungen und sensible Stimmungsbilder enthalten, einen Gegenpol zum magisch-realistischen Prosa Salman Rushdies und anderer. Als Komponist und Sänger setzt er die klassische Tradition Nordindiens fort.
Indischstämmige Autoren im Ausland
Agha Shaid Ali (1949–2001), ein schiitischer Muslim aus Delhi, lebte seit 1976 in den USA. Beeinflusst von der modernistischen amerikanischen Prosa, versuchte er gleichsam im Austausch mit dem Westen das Ghazal in der englischsprachigen Lyrik heimisch zu machen. Mit dem von ihm herausgegebenen Werk Ravishing DisUnities: Real Ghazals in English (2000) setzte er Standards für die strenge Form des Ghazals in englischer Sprache.
Zwei der meistgelesenen zeitgenössischen indischen Autoren in Ausland, die in englischer Sprache schreiben und deren Werke ins Deutsche übersetzt wurden, sind der 1952 geborene, aus einer Mumbaier Parsenfamilie stammende und heute in Kanada lebende Rohinton Mistry (Such a long journey, 1991; A Fine Balance, 1996, dt.: „Das Gleichgewicht der Welt“, 1998) und der in New York lebende polyglotte Diplomatensohn, Sozialanthropologe, Sachbuch- und Romanautor Amitav Ghosh (* 1956). Goshs panoramatische Romane verbinden Historie mit Exotik und Abenteuer, Politik, Erotik und Familiensaga (Bengalisches Feuer, Der Glaspalast). Sie spielen in Indien, Bangladesh (dort ist Ghosh aufgewachsen), Ägypten, Birma, England oder den USA. Seine Protagonisten sind Migranten, Nomaden oder Flüchtlinge. Mistry zeichnet in Such a long journey die Situation einer parsischen Mittelschichtfamilie zur Zeit des Indisch-Pakistanischen Krieges 1971 und der Befreiung Bangladeschs nach, eine chaotische Situation, die die heile Welt des Protagonisten bedroht. A Fine Balance behandelt die Situation armer Parsen während des Ausnahmezustands 1975, in der Menschen, die ihre Kaste verlassen wollten, besonders unterdrückt wurden. Unter den jüngeren, bereits in England geborenen angloindischen Sachbuchautoren wurde Rana Dasgupta bekannt, der sich in Im Rausch des Geldes (2014) mit den Mentalitäten der indischen Oberschicht befasst.
Neel Mukherjees gesellschaftskritisch-pessimistischer Roman The Lives of Others (deutsch: Das Leben in einem Atemzug) setzt sich mit dem politischen Extremismus auseinander. Das Buch und andere Werke Mukherjees wurden mehrfach ausgezeichnet; der Autor lebt heute in London. Die terroristische Bedrohung ist auch ein Thema des Romans „In Gesellschaft kleiner Bomben“ (dt. 2017) von Karan Mahajan (* 1984), der in New York lebt. Preti Tanejas Familiensaga That we are young (2017; dt.: „Wir die wir jung sind“, 2019) stellt das patriarchalische Machtgefüge in Frage und verwendet dabei Motive aus König Lear. Kavita Daswani behandelt aus eigener Erfahrung Themen der arrangierten Heirat und der Emigration („Love happens oder Heirat auf indisch“, dt. 2007); sie lebt in den USA. Kiran Desai verließ Indien mit 14 Jahren und lebt heute ebenfalls in den USA. Für den Roman The Inheritance of Loss (2006, dt.: „Erbin des verlorenen Landes“) erhielt sie 2006 den Booker-Preis. Kiran Desai (* 1971) lebt in den USA. 2006 erschien ihr Roman The Inheritance of Loss über Migration und postkolonialen Identitätsverlust, der mit dem Man-Booker-Preis ausgezeichnet wurde.
Indischer Buchmarkt, Buchmessen und Literaturpreise
Der zeitgenössische Buchmarkt Indiens entwickelte sich rasant. Nach Schätzungen gab es 2006 in Indien 16.000 Verlage mit etwa 70.000 Neuerscheinungen pro Jahr, davon entfällt fast die Hälfte auf englische Veröffentlichungen, der Rest auf indische Regionalsprachen. Speziell mit Schulbüchern wird ein großer Umsatz gemacht. Die Rezeption der regionalsprachlichen Literatur außerhalb ihrer Ursprungsregionen bzw. Sprachgemeinschaften wird allerdings behindert durch fehlende Übersetzungen. Der 1957 gegründete National Book Trust (NBT), ein staatlicher Verlag und Messeveranstalter, fördert Autoren in allen Sprachen und die Verbreitung indischer Literatur im Ausland. Seit 1982 veranstaltet der NBT im November jedes Jahres die Nationale Buchwoche.
Der internationale Verlagskonzern Penguin Random House vertritt vor allem die englischsprachige Literatur Indiens, die auch innerhalb des Landes dominiert. Literatur in Regionalsprachen gilt immer noch – häufig zu Unrecht – als provinziell oder gar als „Mundart“ (vernacular); selbst Salman Rushdie behauptete das in Unkenntnis vieler Autoren, die er nicht im Original lesen konnte, und brachte so die indische Literatur in Misskredit, was Widerspruch auslöste. Die englischsprachige Literatur dominiert nicht zuletzt wegen der kulturellen Arroganz der Eliten; sie ist oft für den Weltmarkt bzw. für die von Kanada bis Neuseeland lebenden Indischstämmigen geschrieben und lässt kaum ein Klischee aus, wogegen Hindi-Autoren oft polemisieren. Viele im Ausland lebende Autoren haben sich den Realitäten Indiens weit entfremdet. Allerdings betreiben Autoren wie Rushdie erfolgreich weiter die Hybridisierung („Chutneysierung“) der englischen Sprache und Stilistik.
Als höchster Literaturpreis Indiens gilt der Jnanpith Award (seit 1965). Der 1954 begründete Sahitya Akademi Award, einst ein wichtiger Literaturpreis für Autoren, die in den offiziellen Regionalsprachen oder Englisch schreiben, wurde seit 1973 von mindestens 30 früheren Preisträgern, u. a. von Rahman Abbas, Munawwar Rana, Keki N. Daruwalla und Anil R. Joshi, zurückgegeben. Dies erfolgte teils aus religiösen Gründen oder wegen Auseinandersetzungen um die Urheberrechte, seit 2015 jedoch vor allem aus Protest gegen den intoleranten Hindu-Chauvinismus der Regierung Narendra Modis, wegen der Ermordung des Kannada-Autors und Gelehrten M. M. Kalburgi im Jahr 2015, der sich gegen Aberglauben und Idolatrie der Hindus und ihre Diskriminierung der Dalit gewandt hatte. Unter den Trägern des Protests waren allerdings nur wenige Hindi-Autoren wie Uday Prakash und Ashok Vajpeyi. Das Kollegium der Sahitya Akademi Fellows besteht aus maximal 21 Autoren gleichzeitig; hier waren Autoren, die in englischer Sprache schreiben, bei weitem in der Minderzahl. Der erste Fellow war 1968 der indische Philosoph und Präsident Sarvepalli Radhakrishnan. Neu aufgenommen wurde zuletzt (2021) der Bengali-Autor Shirshendu Mukhopadhyay (* 1935), dessen Romane die Grundlage für zahlreiche Filme und Comics bilden.
Zahlreiche Literaturpreise werden von Institutionen verliehen, die die jeweiligen Regionalsprachen pflegen, so Z. B. der Bangla Academy Literary Award für Bengali-, der Muttathu Varkey Award für Malayalam- und der Kalaguru Bishnu Rabha Award für Assami-Literatur.
Zwei der weltgrößten Buchmessen finden jährlich in Indien statt, die Kolkata Book Fair in Kalkutta und die New Delhi World Book Fair (seit 1972) in Neu-Delhi. Die Frankfurter Buchmesse lud Indien als Gastland bereits zwei Mal ein: 1986 und 2006.
Siehe auch
Literatur
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- Amit Chaudhuri (Hrsg.): The Vintage Book of Modern Indian Literature. New York 2004, ISBN 0-375-71300-X.
- Peter Gaeffke: Die neuindischen Literaturen. In: Walter Jens (Hrsg.): Kindlers Neues Literatur-Lexikon. München 1996, Band 20, S. 557–564.
- Helmuth von Glasenapp: Die Literaturen Indiens. Von ihren Anfängen bis zur Gegenwart (= Kröners Taschenausgabe. Band 318). Kröner, Stuttgart 1961, DNB 363784993.
- Jan Gonda (Hrsg.): A History of Indian Literature. 10 Bände. Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1973–1987.
- Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. In: Walter Jens (Hrsg.): Kindlers Neues Literatur-Lexikon. München 1996, Band 20, S. 548–556.
- Eberhard Kreutzer, Ansgar Nünning (Hrsg.): Metzler Lexikon Englischsprachiger Autorinnen und Autoren. 631 Porträts – Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Metzler, Stuttgart/ Weimar 2002, ISBN 3-476-01746-X.
- Martin Kämpchen (Hrsg.): Indische Literatur der Gegenwart. edition text + Kritik, 2006, ISBN 3-88377-846-X.
- Klaus Mylius: Geschichte der altindischen Literatur. Scherz, Bern 1988, ISBN 3-502-16480-0.
- Francesca Orsini, Katherine Butler Schofield (Hrsg.): Tellings and Texts. Literature and Performance in North India. Open Book Publishers, 2015 (eprints.soas.ac.uk, PDF).
- Susie Tharu, K. Lalita (Hrsg.): Women Writing in India. Vol. 1: 600 B.C to the Present. Feminist Press, New York 1991. Vol. 2: The Twentieth Century. Feminist Press, New York 1993.
- Moriz Winternitz: Geschichte der Indischen Literatur. Band I–III, Leipzig 1905–1922. (Band 1 archive.org, Band 2 archive.org, Band 3 archive.org; Reprint in englischer Übersetzung: Maurice Winternitz: History of Indian Literature. Motilal Barnarsidass, Delhi 1985, Band I–III.)
- Cornelia Zetzsche (Hrsg.): Zwischen den Welten. Geschichten aus dem modernen Indien. Anthologie. Insel Verlag, Frankfurt, Leipzig 2006. Mit einem Essay von K. Satchidanandan: Signaturen in verschiedenen Schriften: Literaturen im unabhängigen Indien. S. 23–32.
Weblinks
- Kathleen McCaul: Subcontinental shift. In: The Guardian. 13. Februar 2007, Zugriff am 28. Februar 2018.
Einzelnachweise
- ↑ Cornelia Zetzsche, Einleitung zu: Zwischen den Welten. 2006, S. 13.
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- ↑ Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. 1996, S. 549.
- ↑ Martin Kämpchen: Indiens Literaturakademie: Sind so viele Muttersprachen. In: FAZ.NET. 17. Februar 2009, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 28. Februar 2018]).
- 1 2 3 4 5 Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. 1996, S. 549, 551.
- ↑ Hanns W. Eppelsheimer: Handbuch der Weltliteratur. 3. Auflage. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1960, S. 20–21.
- ↑ Erwin Laaths: Geschichte der Weltliteratur. Deutscher Bücherbund, Stuttgart/ Hamburg 1953, DNB 1100888187, S. 172.
- 1 2 Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. 1996, S. 548.
- ↑ Sisi Kumar Das: Die indische Literatur – ein historischer Überblick. In: Martin Kämpchen (Hrsg.): Indische Literatur der Gegenwart. edition text+kritik, München 2006, ISBN 3-88377-846-X, S. 29.
- ↑ Hanns W. Eppelsheimer: Handbuch der Weltliteratur. 3. Auflage. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1960, S. 22–23.
- ↑ Dharma in Encyclopædia Britannica
- 1 2 Hanns W. Eppelsheimer: Handbuch der Weltliteratur. 3. Auflage. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1960, S. 23.
- ↑ Sisi Kumar Das: Die indische Literatur – ein historischer Überblick. In: Martin Kämpchen (Hrsg.): Indische Literatur der Gegenwart. edition text+kritik, München 2006, ISBN 3-88377-846-X, S. 36.
- ↑ Hanns W. Eppelsheimer: Handbuch der Weltliteratur. 3. Auflage. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1960, S. 24–26.
- ↑ Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. 1996, S. 555.
- ↑ Gaeffke: Die neuindischen Literaturen. 1996, S. 558.
- 1 2 Hanns W. Eppelsheimer: Handbuch der Weltliteratur. 3. Auflage. Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1960, S. 26.
- 1 2 3 Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. 1996, S. 553.
- ↑ Erwin Laaths: Geschichte der Weltliteratur. Deutscher Bücherbund, Stuttgart/ Hamburg 1953, S. 181–183.
- ↑ Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. 1996, S. 554.
- ↑ John L. Brockington: Righteous Rāma. The Evolution of an Epic. Oxford UP, Delhi 1984.
- ↑ Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. 1996, S. 550.
- ↑ Andrew Ollett: Language of the Snakes: Prakrit, Sanskrit, and the Language Order of Premodern India. University of California Press, 2017, S. 7.
- ↑ Helmut Hoffmann: Die alt- und mittelindischen Literaturen. 1996, S. 554 f.
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- ↑ Sisi Kumar Das: Die indische Literatur – ein historischer Überblick. In: Martin Kämpchen (Hrsg.): Indische Literatur der Gegenwart. edition text+kritik, München 2006, ISBN 3-88377-846-X, S. 37–38.
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- ↑ Thibaut d’Hubert: Literary History of Bengal. In: David Ludden (Hrsg.): The Oxford Research Encyclopedia of Asian History. Oxford UP, New York 2018.
- 1 2 3 4 Gaeffke: Die neuindischen Literaturen. 1996, S. 560.
- ↑ Sisi Kumar Das: Die indische Literatur – ein historischer Überblick. In: Martin Kämpchen (Hrsg.): Indische Literatur der Gegenwart. edition text+kritik, München 2006, ISBN 3-88377-846-X, S. 39–40.
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- ↑ Romila Thapar, Percival Spear: Indien: Von den Anfängen bis zum Kolonialismus. Magnus Verlag, Essen 1975, S. 427–429.
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- ↑ Gaeffke: Die neuindischen Literaturen. 1996, S. 559.
- ↑ Romila Thapar, Percival Spear: Indien: Von den Anfängen bis zum Kolonialismus. Magnus Verlag, Essen 1975, S. 429.
- ↑ Sisi Kumar Das: Die indische Literatur – ein historischer Überblick. In: Martin Kämpchen (Hrsg.): Indische Literatur der Gegenwart. edition text+kritik, München 2006, ISBN 3-88377-846-X, S. 46–47.
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- ↑ Inder Jit Lall: Suroor Jahanabadi: An Urdu Poet of Renaissance. In: Indian Literature, Vol. 10 (1967), No. 1, S. 102–109.
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- ↑ Nikhil Govind: Nayi Kahani, in: Routledge Encyclopedia of Modernism, 2016 Online
- ↑ Siehe die beiden Bände der von Susie J. Tharu und K. Lalita herausgegebenen Anthologie Women Writing in India im Literaturverzeichnis, z. B. Band 1, S. 63, 202.
- ↑ The Face's Memory, Memory's Face auf outlookindia.com, Nachruf, 19. Juli 2003.
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- ↑ K. Satchidanandan in: Zetzsche, 2006, S. 24 f.
- ↑ So im Fortsetzungsroman Das Mädchen aus der Fremde von Robert Kraft (1896).
- ↑ Mahasweta Devi: The Queen of Jhansi. Aus der bengalischen Ausgabe 1956 übers. von Sagaree und Mandira Sengupta. Seagull Books, Calcutta 2000.
- ↑ Biographische Notiz in Zetzsche, 2006, S. 614.
- ↑ Textauszug und biograph. Notiz in Zetzsche 2006, S. 452 ff.
- ↑ Vgl. zu den Malayalam-Autoren aus Kerala die Beiträge malayalam-und biograph. Notizen in Zetzsche 2006, s. S. 497–549.
- ↑ Biograph. Notiz in Zetzsche 2006, S. 497.
- ↑ Biographische Notiz in Zetzsche, 2006, S. 562.
- ↑ Biographische Notiz in Zetzsche, 2006, S. 575.
- ↑ Biographische Notiz in Zetzsche, 2006, S. 643.
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- ↑ Biographie und Auswahl von Gedichten auf poemhunter.com
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- ↑ Harish Trivedi: The progress of Hindi. Part 2: Hindi and the nation. In: S. Pollock (Hrsg.): Literary Cultures in History: Reconstructions from South Asia. Berkeley 2003, darin der Abschnitt The Early Hindi Novel: The Tyranny of the Form. S. 1002–1007.
- ↑ C. S. Lakshmi: The Face behind the mask: Women in Tamil literature. Stosius Inc/Advent Books Division. Eliot (Maine) 1984
- ↑ So z. B. die Autorin Volga (* 1950), die auf Telugu über die Versuche auch gut gebildeter Mittelschichtsfrauen schreibt, die kämpfen müssen, um patriarchale Strukturen zu überwinden. Vgl. die biographische Notiz in Zetzsche (2006), S. 586.
- ↑ Biographische Notiz in: Cornelia Zetzsche (Hrsg.): Zwischen den Welten. Geschichten aus dem modernen Indien. Frankfurt, Leipzig 2006, S. 243.
- ↑ Biographische Nptiz in: Zetzsche 2006, S. 328.
- ↑ Martin Kämpchen: Indische Literatur der Gegenwart. edition text+kritik, München 2006, ISBN 3-88377-846-X.
- ↑ Biographische Notiz in Zetzsche (2006), S. 369.
- ↑ Jaydipsinh Dodiya (Hrsg.): The Fiction Of Rohinton Mistry: Critical Studies. Sangam, London 1998.
- ↑ Martin Kämpchen: Der indische Buchmarkt: Im bunten Chaos des Geistes. In: FAZ.NET. 28. September 2006, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 28. Februar 2018]).
- ↑ Website des National Book Trust India
- ↑ Cornelia Zetzsche, Einleitung zu: Zwischen den Welten, 2006, S. 14.
- ↑ Frühjahrsbuchwoche München 2002
- ↑ Iliya Trojanov: Zwischen Bombay und Berlin. In: faz.net, 24. September 2006.
- ↑ Sahitya Akademi protest: Complete list of writers who returned their award Award, in: International Business Times, abgerufen am 6. Juli 2022
- ↑ Indien rüstet sich für die Buchmesse 2006 auf Deutsche Welle, 2006