Ein Sensillum (von lateinisch sensus ‚Empfindung, Gefühl, Sinn‘; Plural: Sensilla), auch Sensille (Plural: Sensillen), ist in der Physiologie ein außenliegendes haarähnliches Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Umweltreizen. Bei Gliederfüßern werden Sensilla als Teil des Exoskeletts aus einem Borstenhaar oder Poren und zwei Sinneszellen (Rezeptor) durch die Cuticula ausgebildet. Bei einigen Reptilien befinden sich Sensilla als haarähnliche Beschuppung, überwiegend am Schwanz. Die Weiterleitung der chemischen, thermischen, optischen oder mechanischen Reize erfolgt über multiterminale ganglionale Rezeptorzellen.

Gliederfüßer

Aufbau und Funktion

Da Gliederfüßer ein starres Exoskelett (Außenskelett) besitzen, müssen äußere mechanische Reize anders als beispielsweise bei Wirbeltieren an eine erregbare Membran geführt werden. Dazu bilden Epithelzellen einen dünnen Chitinfaden, in dessen Basis mindestens ein Dendrit einwächst. Dieser Chitinfaden überträgt den mechanischen Reiz mit einem Sternit der Cuticula am Gelenk auf die erregbare Membran. Der adäquate Reiz ist ein transversaler Druck auf die Dendritenmembran.

Je nach Reizart kann die Form des Reizüberträgers in vielfältiger Weise abgewandelt werden: zu Stiften, Platten, Kappen etc. (siehe Abbildung).

Arten von Sensilla

Mechanosensilla

Haarsensilla

Typische Mechanorezeptoren werden durch die Haarsensilla repräsentiert. Sie bedecken den ganzen Körper, vornehmlich aber die Beine. Es sind zumeist einfache Tasthaare und spezialisierte Trichobothrien, die auf Luftbewegungen und auch auf Schalldruckwellen reagieren.

Ein Haarsensillum ähnelt in der Funktion einer Haarzelle:

  • Das Außenglied des Dendriten gleicht einem starren Zilium und ist dicht mit Mikrotubuli versehen. Wo es zur Kraftübertragung in Chitinstrukturen des Gelenks eingezwängt ist, bildet es einen sogenannten Tubularkörper (besteht aus besonders vielen Mikrotubuli). Die Außengliedmembran wird mit dem darunter liegenden Mikrotubuli-Mantel durch Molekülzapfen (Konen) und nach außen mit der Dendritenscheide durch Brücken mechanisch verbunden. Die Chitinstrukturen des Gelenks, die die Hebelkraft auf die Dendritenmembran übertragen, liegen unmittelbar auf der Dendritenscheide. In der Dendritenmembran liegen mechanosensitive Ionenkanäle, die in ihrer Funktion bislang aber noch nicht erforscht sind.
  • Es reagiert richtungsspezifisch, da transversaler Druck zu einer Depolarisation und transversaler Zug zu einer Hyperpolarisation führt.
  • Für das reizspezifische Außenglied entsteht durch ionendichte Verbindungen mit benachbarten Epithelzellen ein abgetrennter Rezeptorlymphraum, dessen Ionen anders zusammengesetzt sind als in der Hämolymphe, die den proximalen (körpernahen) Teil der Sinneszelle umspült. So entsteht über dem Sensillum ein Gleichspannungpotential, das durch den Rezeptorstrom moduliert wird.
  • Sensilla reagieren schon auf kleinste Krafteinwirkungen. An den Beinen von Insekten antworten sie schon auf Vibrationsamplituden von wenigen Nanometern. Die elektrische Arbeit an der Erregungsschwelle beträgt etwa 10 bis 16 Ws. Ähnlich für die Auslenkung der Haarsensilla reizen Partikelbewegungen durch Luft oder Wasser, die durch Reibung (visköse Kopplung) die Haare bewegen.
  • Haarsensilla haben eine bestimmte Masse und Steife, somit eine bestimmte mechanische Resonanzfrequenz, die von der Art des Hebelgelenks und den eigenen dynamischen Eigenschaften beeinflusst wird. Typisch liegt diese Frequenz im Bereich von 100 bis 200 Hz und ergibt sich aus:
    • der von der Auslenkung abhängigen Steife (10 bis 12 N/rad),
    • der von der Geschwindigkeit der Haarbewegung abhängigen Reibung,
    • der von der Beschleunigung abhängigen Massenwirkung (9 bis 10 mg pro Sensillum).

Es gibt zwei Typen:

  • Fadenhaare: Aktivierung durch Druck oder Zug, daher richtungssensitiv
  • Borsten: reiner Berührungsrezeptor

Borstenfelder haben die Funktion, die Gelenkstellungen zu übermitteln. An vielen Gelenken stehen ganze Felder solcher Borsten, die je nach Gelenkstellung mehr oder weniger abgebogen werden.

Kuppel- oder Campanisensilla

Sensilla in Kuppel- oder Campaniformen messen über Mechanosensoren die Verformung der Cuticula und registrieren so selbst geringe mechanische Reize. Sie sind durch Querkompression (Belastung oder Muskelkraft) aktivierbar.

Scolopidialsensilla

Scolopidialsensilla enden unter dem Epithel und reagieren im Körperinneren auf Druck oder Zug.

Spaltsensilla

Spalt- oder Lyriforme Sensilla haben dieselben Aufgaben wie Kuppelsensilla, jedoch sind sie auf den Vibrationssinn besonders bei Spinnentieren spezialisiert. Sie werden durch zahlreiche parallele Spalten in der Exocuticula (äußerst liegende Cuticulaschicht) gebildet. Im Zentrum eines jeden Spaltes befindet sich ein sogenannter Kopplungszylinder, eine zylinderförmige Vertiefung, an der der Dendrit (Cytoplasmafortsatz einer Nervenzelle) der zugehörigen Sinneszelle angreift. Spaltsensilla dienen zur Wahrnehmung von Boden- und bei Spinnen von Netzvibrationen, reagieren aber auch auf Luftschall im Frequenzbereich zwischen 100 und 2500 Hz (optimal zwischen 300 und 700 Hz).

Chemosensillum

Ein Geruchssensillum ist ein Sensillum zur Wahrnehmung chemischer Reize geringer Konzentration auf den Antennen von Insekten. Es handelt sich dabei um cuticuläre Sinnesorgane. Die Riechstoffe gelangen über Poren (150 bis 50.000 pro Sensillum) zu den 1 bis 45 Sinneszellen. Ein Geschmackssensillum ist ein Sensillum zur Wahrnehmung chemischer Reize höherer Konzentration. Sie befinden sich

Chemosensilla auf ihren Antennen ermöglichen Ameisen (Camponotus japonicus) die Unterscheidung von Individuen des eigenen Baues von fremden.

Hygro- und Thermosensillum

Einige Sansilla sind feuchte- und temperaturempfindlich.

Tubularsensillum

Die Funktion der Tubularsensilla ist ungeklärt.

Reptilien

Bei vielen Geckos, einigen Agamen und Leguanen finden sich haarähnliche Rezeptoren der Beschuppung, besonders am Schwanz. Es handelt sich dabei um Mechano- oder Thermorezeptoren, einige werden auch mit Geräuschentwicklungen in Verbindung gebracht. Ihnen wird häufig die Funktion zugesprochen, die Stelle zum Abwurf des Schwanzes im Gefahrfall zu determinieren und die zuckenden Bewegungen des Schwanzteiles zu initiieren. Sie haben sich entwickelt aus feinen Ausläufern der Schuppen, die durch einen Lotuseffekt die Benetzungsfähigkeit mit Wasser vermindern.

Einzelnachweise

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