Karl Stumpp (* 12. Mai 1896 in Alexanderhilf, Russisches Kaiserreich; † 20. Januar 1982 in Stuttgart) war ein deutscher Ethnograph schwarzmeerdeutscher Herkunft, der sich den Auslandsdeutschen in Osteuropa und Südosteuropa widmete. Während des Deutsch-Sowjetischen Krieges leitete er in der SS das nach ihm benannte Sonderkommando Dr. Stumpp, das die Bewohner volksdeutscher Siedlungen klassifizierte. In der Nachkriegszeit war er langjähriger Vorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland.

Leben

Stumpps Eltern waren Jakob Stumpp (1864–1918) und seine Ehefrau Katharina Stumpp geb. König (1864–1945). Nach dem Abitur am deutschen Gymnasium in Odessa studierte er zwischen 1918 und 1922 an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Dort beteiligte er sich an der Gründung des Vereins Deutscher Studierender Kolonisten.

Da Stumpps Heimat inzwischen zur UdSSR gehörte und er nicht zurückkehren konnte, ging er ins benachbarte Bessarabien im Königreich Rumänien. Von 1922 bis 1933 war er Lehrer an der höheren Mädchenschule in Tarutino. Er untersuchte ehrenamtlich die Geschichte der Bessarabiendeutschen durch Nachforschungen in Gemeinde- und Kirchenbüchern. Von den Dörfern forderte er die Namen der Personen an, die aus Bessarabien ausgewandert waren. Ebenso machte er Erhebungen zur Fläche des Landbesitzes der Bessarabiendeutschen. Stumpp hielt Vorträge vor der deutschstämmigen Bevölkerung in Bessarabien und gründete eine Hochschulbücherei in Tarutino, was zur Gründung von deutschsprachigen Büchereien in weiteren bessarabiendeutschen Siedlungen führte. 1922 promovierte er zum Doktor der Philosophie.

1933 ging Stumpp ins nationalsozialistische Deutschland, wo er bis 1938 Landesgeschäftsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland war. Danach leitete er die russlanddeutsche Geschäftsstelle des Deutschen Ausland-Instituts in Stuttgart. Er war auch Mitarbeiter der Forschungsstelle des Russlanddeutschtums in Berlin.

Während des Deutsch-Sowjetischen Krieges führte Stumpp im Auftrag des Deutschen Auslandsinstituts und des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete (RMO) in volksdeutschen Dörfern der besetzten Ukraine ethnologische und genealogische Untersuchungen durch. Das von ihm geleitete 80-köpfige Sonderkommando Dr. Stumpp operierte als halbmilitärische Einheit von Sommer 1941 bis Sommer 1943 in der Ukraine. Im Jahr 1942 firmierte Stumpp auch als Leiter eines SonderkommandosSippenkunde und Volksbiologie“ beim Reichskommissar Ukraine, das dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, ERR, zugeordnet war und insbesondere Archivalien zu rauben hatte.

Er fertigte zu mehr als 300 Dörfern im von der Wehrmacht besetzten Gebiet „Dorfberichte“ an. Die detaillierten demographischen, kulturellen und rassischen Untersuchungen für die NS-Bürokratie und die SS stellten eine Grundlage für die bevölkerungspolitische Kontrolle ukrainischer Dörfer und der ethnischen Absonderung ihrer Bevölkerung dar. Auch das Archivgut der umgesiedelten Russlanddeutschen sicherte das Kommando. Auf diesem Material und diesen Studien beruhten viele seiner späteren Werke. Stumpps Vorgesetzter im RMO in Berlin war sein Landsmann und Bundesbruder Georg Leibbrandt. In seinem Tagebucheintrag vom 6. August 1941 sprach Stumpp von der „Befreiung Deutschlands und Europas von der bolschewistischen-jüdischen Pest“, für die deutsche Soldaten ihr Leben opferten. Weiter behauptete er im selben Eintrag, dass einem jungen deutschstämmigen Fliegerleutnant, der bei der Roten Armee gedient hatte, „ein Licht aufging“, als er aufgrund Stumpps Hinweise erkannt habe, dass „kein Jude“ bei der Roten Armee als Flieger sein Leben riskiere, „weil dazu Mut gehört“.

Bei seinem Einsatz in der Ukraine und damit auch in Transnistrien (rumänisches Besatzungsgebiet) 1941 beteiligte sich Stumpp an der Ermordung der Juden durch die Einsatzgruppe C, die Einsatzgruppe D und deren Helfer. Stumpp wird vorgeworfen, im Rahmen seiner ethnologischen Untersuchungen dort eine Liste mit 42.000 „untragbaren Juden“ aufgestellt und zudem selbst an der Ermordung von Juden teilgenommen zu haben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Stumpp bis 1957 Gymnasiallehrer in Tübingen. Für die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland war er Schriftleiter der Verbandszeitschrift „Volk auf dem Weg“.

Ehrungen

Veröffentlichungen

  • Von der Urheimat und Auswanderung der Deutschen aus Bessarabien. 1938.
  • Jahrbuch für auslandsdeutsche Sippenkunde. Inhaltsverzeichnis.
  • Ostwanderung der Württemberger 1816 bis 1822.
  • Die Auswanderung aus Deutschland nach Russland in den Jahren 1763 bis 1862. 1974 Übersetzung in englisch.
  • Die Russlanddeutschen – zweihundert Jahre unterwegs. 1965.
  • Ein Leben für mein Volkstum. Heimatkalender der Bessarabiendeutschen 1978, Hannover 1978.

Literatur

  • Meir Buchsweiler: Volksdeutsche in der Ukraine am Vorabend und Beginn des Zweiten Weltkriegs – ein Fall doppelter Loyalität? aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Bleicher, Gerlingen 1984, ISBN 3-88350-452-1. (Dissertation am Institut für Deutsche Geschichte der Universität Tel Aviv)
  • Michael Fahlbusch: Im Dienste des Deutschtums in Südosteuropa: Ethnopolitische Berater als Tathelfer für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In: Mathias Beer, Gerhard Seewann (Hrsg.): Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches. Institutionen, Inhalte, Personen. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2004, ISBN 3-486-57564-3, S. 175–214.
  • Eric J. Schmaltz, Samuel D. Sinner: The Nazi Ethnographic Research of Georg Leibbrandt and Karl Stumpp in the Ukraine, and Its North American Legacy. In: Michael Fahlbusch, Ingo Haar (Hrsg.): German scholars and ethnic cleansing: 1919–1945. Berghahn Books, New York 2006, ISBN 1-84545-048-5, S. 51–85.
  • Eric J. Schmaltz, Samuel D. Sinner: Karl Stumpp. In: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. Saur, München 2008, ISBN 978-3-598-11778-7, S. 678–682.
  • Samuel D. Sinner: Sonderkommando Dr. Stumpp. In: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. Saur, München 2008, ISBN 978-3-598-11778-7, S. 647–651.
  • Andreas Zellhuber: „Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe zu …“. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941–1945. Vögel, München 2006, ISBN 3-89650-213-1 (Zugleich Dissertation an der Universität Augsburg, 2005).
  • Hans-Christian Petersen: The Making of Russlanddeutschtum. Karl Stumpp oder die Mobilisierung einer ‚Volksgruppe‘ in der Zwischenkriegszeit, in: Minderheiten im Europa der Zwischenkriegszeit. Wissenschaftliche Konzeptionen, mediale Vermittlung, politische Funktion. Kieler Studien zur Volkskunde und Kulturgeschichte, 12. Hgg. Cornelia Eisler, Silke Götsch-Elten. Waxmann, Münster 2017, S. 163–190

Einzelnachweise

  1. Karl Stumpp: Die deutschen Kolonien im Schwarzmeergebiet, dem früheren Neu- (Süd-) Russland, – ein siedlungs- und wirtschaftsgeographischer Versuch. Dissertation
  2. Eric J. Schmaltz, Samuel Sinner: Karl Stumpp. In: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen–Institutionen–Forschungsprogramme–Stiftungen. Saur, München 2008, S. 680.
  3. Nazarii Gutsul: Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg und seine Tätigkeit in der Ukraine 1941-1944, Dissertation Gießen, 2013, S. 251ff.
  4. Samuel D. Sinner: Sonderkommando Dr. Stumpp. In: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen–Institutionen–Forschungsprogramme–Stiftungen. Saur, München 2008, S. 648.
  5. Diese sog. „Stumpp-Erhebungen 1941-1942“ wurden z. B. im „Heimatbuch der Deutschen aus Rußland“ in den Jahren 1956 bis 1964 publiziert, dem Nachfolger seines Blattes Volk auf dem Weg (ISSN 0438-9255). Es gibt unkritische Leute, welche dieses Material bis heute unkommentiert verwenden, z. B. eine Webseite "Mennonitische Geschichte und Ahnenforschung", Beispielseite mit positivem Bezug auf Stumpp
  6. Samuel D. Sinner: Sonderkommando Dr. Stumpp. In: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. Saur, München 2008, S. 650.
  7. Ingo Haar: Historiker im Nationalsozialismus und die Historisierung des „Dritten Reiches“ als Forschungsproblem, bei Hsozkult, 27. September 2000
  8. Eric J. Schmaltz, Samuel D. Sinner: The Nazi Ethnographic Research of Georg Leibbrandt and Karl Stumpp in Ukraine, and Its Norh American Legacy. In: Ingo Haar, Michael Fahlbusch (Hrsg.): German Scholars and Ethnic Cleansing, 1919–1945. Berghahn Books, 2005, ISBN 1-57181-435-3, S. 74. Dort unter Berufung auf Joseph S. Height: Dr. Georg Leibbrandt: Scholar, Author, Publisher. In: derselbe: Homesteaders on the Steppe: Cultural History of the Evangelical Lutheran Colonies in the Region of Odessa, 1804–1945. North Dakota Historical Society of Germans from Russia, Bismarck, N.D 1975, S. 396.
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