Die siebzig oder zweiundsiebzig Jünger waren frühe Jünger Jesu.
Sie werden nur im Lukasevangelium (Lk 10,1–24 ) erwähnt. Dort wurden sie von Jesus ausgewählt und paarweise ausgesandt, um seine Botschaft zu verkünden. In der westlichen Kirche werden sie normalerweise als Jünger bezeichnet, während die orthodoxen Kirchen von Aposteln sprechen.
Das Ereignis wird in den orthodoxen Kirchen die Synaxis der siebzig Apostel genannt und am 4. Januar gefeiert. Die Gedenktage der einzelnen Jünger oder Apostel sind über das ganze Kirchenjahr verteilt.
Analyse
Lk 10,1–24 ist die einzige Erwähnung der Gruppe in der Bibel. Die Zahl wird in Manuskripten in der alexandrinischen (wie etwa dem Codex Sinaiticus) und der cäsareanischen Texttradition mit siebzig angegeben, in den meisten anderen alexandrinischen und westlichen (römischen) Texten mit zweiundsiebzig. Möglicherweise ist die Anzahl von den 70 Nationen in Gen 10 (und vielen anderen Erwähnungen der Zahl 70 in der Bibel) oder von den 72 Übersetzern der Septuaginta im Aristeasbrief abgeleitet. Hieronymus wählte für die Edition der Vulgata die Lesart 72.
Unter den synoptischen Evangelien enthält nur das Lukasevangelium zwei Perikopen, in denen Jesus seine Jünger aussendet. Der erste Bericht (Lk 9,1–6 ) lehnt sich eng an den Aussendungsbericht im Markusevangelium (Mk 6,6b–13 ) an und erzählt wie der Markustext von der Aussendung der zwölf Apostel und nicht der Siebzig. In den Details gibt es aber Übereinstimmung mit dem Bericht von der Aussendung der Siebzig. Die Parallelen – auch zu Mt 9,35 ; 10,1.7–11 legen einen gemeinsamen Ursprung in der Quelle Q nahe. In Lk 22,35 gibt es von der Wortwahl her einen deutlichen Rückbezug auf Lk 10,4 , obwohl sich Jesus an die Zwölf wendet. Der Rückbezug auf Lk 9,3 ist weniger direkt:
„Dann sagte Jesus zu ihnen: ‚Als ich euch ohne Geldbeutel aussandte, ohne Vorratstasche und ohne Schuhe, habt ihr da etwa Not gelitten?‘ Sie antworteten: ‚Nein.‘“
Listen der Siebzig
Die orthodoxe Tradition, den siebzig Jüngern Namen zuzuschreiben, wird auf Dorotheos von Tyros (Pseudo-Dorotheos), der mit einem gleichnamigen legendarischen Bischof und Märtyrer des 4. Jahrhunderts gleichgesetzt wurde, zurückgeführt, dem eine Liste der Siebzig zugeschrieben wird. Der die Liste enthaltende Text stammt aber frühestens aus dem 8. Jahrhundert. Eine ähnliche Liste wird auch Hippolyt von Rom zugeschrieben (Pseudo-Hippolytus). Auch das Chronicon Paschale, eine byzantinische Weltchronik (um 630), enthält in zwei Teilen eine solche Liste. Im 13. Jahrhundert nahm Solomon von Basra eine Liste der Siebzig in sein Buch der Biene auf. Dimitri von Rostow überarbeitete nach eigenen Angaben für seine Heiligenviten (Kiew 1689–1705) die Liste des (Pseudo-)Dorotheos, in dem er unter anderem die Namen der Apostel Nikolaus, Phygellus, Hermogenes und Demus, die später den Glauben verraten haben sollen, strich und die Namen der als heilig verehrten und von der Kirche den Siebzig zugerechneten Männer Timotheus, Titus, Epaphras, Archippus, Aquila, Olympas, Quadratus und Achaicus hinzufügte.
Die Listen gelten als historisch unergiebig. Eusebius schloss die Existenz einer solchen Liste explizit aus und erwähnt von den Siebzig nur Barnabas, Sosthenes, Kephas, Matthias, Thaddäus und Jakobus. Viele der in den Listen erwähnten Personen haben auch unabhängig davon Bedeutung. Das gilt z. B. für die Evangelisten Markus und Lukas.
Die verschiedenen überlieferten Listen unterscheiden sich zum Teil in den aufgenommenen Namen. Die folgende Liste – inklusive der Zuordnung von Bischofsstühlen, soweit angegeben – entspricht der des Dimitri von Rostow.
- Achaicus
- Agabus der Prophet
- Amplias, Bischof von Diospolis
- Andronicus, Bischof von Pannonien
- Apelles, Bischof von Herakleia
- Apollos, Bischof von Caesarea Maritima
- Aquila, Bischof von Heracleia
- Archippus, Bischof von Kolossai
- Aristarchus, Bischof von Apameia am Orontes i. Syrien
- Aristobulus, Bischof von Britannien
- Artemas, Bischof von Lystra
- Asyncritus, Bischof von Hyrcania in Kleinasien
- Barnabas, Bischof von Mailand
- Carpus, Bischof von Beröa i. Makedonien
- Clemens, Bischof von Sardes
- Crescens
- Crispus, Bischof von Aegina
- Dionysios der Areopagit, Bischof von Athen
- Epaenetus, Bischof von Karthago
- Epaphras, Bischof von Kolossai
- Epaphroditus, Bischof von Hadriacus
- Erastus, Bischof von Paneas
- Euodius, Bischof von Antiochien
- Fortunatus
- Gaius, Bischof von Ephesos
- Hananias, Bischof von Damaskus
- Hermas, Bischof von Philippi
- Hermes, Bischof von Dalmatien
- Herodion, Bischof von Patras
- Jakobus, Bruder des Herrn, erster Bischof von Jerusalem
- Jason, Bischof von Tarsus
- Johannes Markus (meist mit dem Evangelisten Markus gleichgesetzt), Bischof von Byblos
- Joseph Justus, Bischof von Eleutheropolis
- Kleopas
- Linus, zweiter Bischof von Rom und erster Nachfolger Petri
- Lucius von Cyrene, Bischof von Laodicea i. Syrien
- Lukas, der Evangelist
- Marcus von Apollonia, Bischof von Apollonia
- Markus, der Evangelist, Bischof von Alexandria
- Narcissus, Bischof von Athen
- Nikanor, einer der sieben Diakone
- Olympas
- Onesiphorus, Bischof von Kyrene
- Onesimus
- Parmenas, einer der sieben Diakone
- Parrobus, Bischof von Pottole
- Philemon, Bischof von Gaza
- Philologus, Bischof von Sinope
- Philippus der Evangelist, einer der sieben Diakone, Bischof von Tralleis i. Kleinasien
- Phlegon, Bischof von Marathon
- Prochorus, einer der sieben Diakone, Bischof von Nikomedia in Bithynien
- Pudens
- Quadratus, Bischof von Athen
- Quartus, Bischof von Berytus
- Rufus, Bischof von Theben i. Böotien
- Silas, Bischof von Korinth
- Silvanus
- Simeon, zweiter Bischof von Jerusalem
- Sosipater, Bischof von Iconium
- Sosthenes, Bischof von Kolophon
- Stachys, Bischof von Byzantion
- Stephanus, einer der Sieben Diakone der Apostelgeschichte und der erste Märtyrer
- Simeon, genannt Niger
- Tertius, Schreiber für Paulus (Römerbrief) u. Bischof von Ikonium
- Thaddäus, Bischof von Edessa
- Timon, einer der sieben Diakone
- Timotheus, Bischof von Ephesus
- Titus, Bischof von Gortyn auf Kreta
- Trophimus
- Tychicus, Bischof von Kolophon
- Urban, Bischof von Makedonien
- Zenas, Anwalt und Bischof von Diospolis
Matthias, der später Judas Iskariot als Apostel ersetzen sollte, wird ebenfalls oft zu den Siebzig gezählt.
Literatur
- Theodor Schermann: Propheten und Apostellegenden. Nebst Jüngerkatalogen des Dorotheus und verwandter Texte (= Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 31, 3). Hinrichs, Leipzig 1907, DNB 365068101.
- Theodor Schermann: Prophetarum vitae fabulosae. Indices apostolorum discipulorumque domini Dorotheo, Epiphanio, Hippolyto aliisque vindicate. Teubner, Leipzig 1907 (Volltext).
Einzelnachweise
- ↑ Bruce Metzger: Textual Commentary on the Greek NT
- ↑ Migne: Patrologia Graeca XCII 1061–1065.
Jürgen Dummer: Dorotheos von Tyros (II). In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 3. Herder, Freiburg im Breisgau 1995, Sp. 349. - ↑ Migne: Patrologia Graeca X 953–958.
- ↑ Migne: Patrologia Graeca XCII 521–524 und 543–545.
- ↑ Solomon von Basra: Book of the Bee, Kapitel XLIX.
- ↑ Peter Hauptmann: Dimitrij, Metropolit v. Rostov. In: Walter Kasper (Hrsg.): Lexikon für Theologie und Kirche. 3. Auflage. Band 3. Herder, Freiburg im Breisgau 1995, Sp. 234.
- ↑ Demetrius of Rostov: The Synaxis of the Holy Seventy Apostles. (Memento vom 28. September 2007 im Internet Archive) Aus: The Great Collection of the Lives of the Saints, Band 5: Januar, zusammengestellt von St. Demetrius von Rostow. Olympas findet sich allerdings schon in der Liste des Pseudo-Dorotheos.
- ↑ Eusebius folgt Clemens darin, dass er den in Gal 2,11–21 erwähnten Kephas vom Apostel Petrus unterscheidet. Ein Konflikt zwischen den Aposteln wurde wohl als anstößig empfunden.
- ↑ Eusebius, Kirchengeschichte 1, 12.
- ↑ So zum Beispiel sowohl Pseudo-Doretheus wie Pseudo-Hippolytus.