Technischer Imperativ ist ein Begriff aus der Ethik und Philosophie. In Anlehnung an den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant steht er für eine Handlungsmaxime, die nicht das ethisch Vertretbare, sondern das technisch Machbare zum Ziel hat: „Handle so, dass keine der Dir zu Gebote stehenden technischen Möglichkeiten ungenutzt bleibt.“
Ursprung
Der Begriff geht unter anderem auf den deutschstämmigen, aber aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1933 nach London und 1935 nach Palästina ausgewanderten Ethiker und Philosophen Hans Jonas zurück. Dessen 1979 erschienenes Werk Das Prinzip Verantwortung – Versuch einer Ethik für die technische Zivilisation, von ihm selbst 1982 in dem Aufsatz „Warum die Technik ein Gegenstand für die Ethik ist: fünf Gründe“ nochmals zusammengefasst, dient als eine der Grundlagen der wissenschaftlichen Diskussion um den Widerspruch zwischen technischer Machbarkeit und ethischer Vertretbarkeit. Der Widerspruch entsteht insbesondere daraus, dass der technische Ansatz eher auf die kurzfristige Lösung von Problemen abzielt, während der ethische Ansatz auch die nachhaltigen Auswirkungen des Handelns in Betracht zieht.
Beispiele
Gebiete, in denen dieser Widerspruch regelmäßig und deutlich zu Tage tritt, sind insbesondere Medizin, Gentechnik und Kerntechnik. Hier wird deutlich, dass die rasant fortschreitende technologische Entwicklung dem Menschen Handlungsmöglichkeiten und somit Machtmittel in die Hand gegeben hat, deren Auswirkung und Nachhaltigkeit mit den Begriffen der traditionellen Philosophie und Ethik nur unzureichend beizukommen ist.
Medizin
Das traditionelle Selbstverständnis eines Arztes fordert, alles Menschenmögliche zu unternehmen, um das Leben zu verlängern. Gleichzeitig gibt ihm die moderne Medizintechnik die Mittel in die Hand, dieser Forderung beinahe unbegrenzt lange nachzukommen. Ob es jedoch in jedem Einzelfall sinnvoll und ethisch vertretbar ist, dem technischen Imperativ („Setze alles ein, was Dir zur Verfügung steht und fahre das volle medizinische Programm“) uneingeschränkt zu folgen, ist Gegenstand vieler zum Teil äußerst kontrovers geführter Diskussionen.
Gentechnik
Der rasante Fortschritt der Gentechnik hat zum Beispiel das Klonen von Menschen in den Bereich des technisch Möglichen gerückt. Hier fordert der technische Imperativ, diese neu geschaffenen Möglichkeiten zu therapeutischen oder forschungsbezogenen Zwecken zu nutzen, da es aus rein technischer Sicht nicht zu vertreten wäre, auf die unmittelbaren und zeitnahen Vorteile, die eine solche Handlungsweise bringen würde, zu verzichten.
Kerntechnik
Die zivile Nutzung der Kernenergie ist eines der deutlichsten Beispiele für die Auswirkungen des technischen Imperativs: Hier hat der Fortschritt dem Menschen eine technische Fähigkeit (die beinahe unbegrenzte Gewinnung elektrischer Energie) in die Hand gegeben, die zum einen ein akut drängendes Problem (die ständig steigende Nachfrage nach elektrischer Energie) zu lösen im Stande ist, zum anderen aber für die Zukunft weitere Probleme schafft, die dem zukunftsethischen Grundsatz der Nachhaltigkeit widersprechen. Der technische Imperativ steht zunehmend in Konkurrenz zum ethischen Imperativ.
Quelle
- Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt/M., 1979. Neuauflage als Suhrkamp Taschenbuch, 1984 [u.ö.], ISBN 3-518-39992-6 Es gibt englische und französische Übersetzungen.