Die Theaterpädagogik ist eine eigenständige Disziplin, die sich zwischen den Bereichen Theater und Pädagogik bewegt. Neben Hans Martin Ritter und anderen gilt Hans-Wolfgang Nickel als ihr Begründer.
Fachinhalte
Im Ursprung dem Schul- und Laientheater verpflichtet, spannt sich das Feld der Theaterpädagogik heute von der
- Arbeit an sozialen Brennpunkten und -themen (etwa Sucht- und gewaltpräventive Projekten, integrative Arbeit usw. (siehe auch Kunst im Sozialen)) über die
- Entwicklung freier Theaterprojekte (etwa in Zusammenarbeit von Laien und Schauspielern),
- Unterricht an Schulen und Schauspielschulen,
- Inhaltlicher Arbeit (etwa naturwissenschaftliche Fächer veranschaulicht durch die Mittel des Theaters, Sprachtrainings) bis hin zu
- Aufträgen in der Wirtschaft (Personalentwicklung, Rhetorik/Körpersprache, Motivationstrainings usw.),
- Vermittlung spezieller Theater-Methoden sowie
- Szenische Arbeitsformen wie etwa das Unternehmenstheater, oder Forum-Theater (Augusto Boal).
- Weiterhin beschäftigen inzwischen viele Theaterhäuser Theaterpädagogen, deren Aufgabe es ist, den Kontakt zwischen Theater und Publikum zu entwickeln und auszubauen. Es werden etwa Schülervorstellungen organisiert und mit den Klassen vor- oder nachbereitet, Publikumsgespräche und Diskussionsforen etabliert und sogenannte Jugendclubs (Theater mit jungen Laien unter den Voraussetzungen eines Theaterbetriebes) angeboten.
Im theaterpädagogischen Prozess können zahlreiche Lernfelder gestaltet werden, die es dem Theaterpädagogen ermöglichen, die Teilnehmer in ihrer persönlichen und eine Gruppe in ihrer strukturellen Entwicklung zu fordern und zu fördern. Dabei kommt es zu ganz unterschiedlichen Gewichtungen der ästhetischen, gruppendynamischen, inhaltlichen und pädagogischen Anteile.
Allen genannten Tätigkeiten gemein ist, dass Theaterpädagogen in der Regel situationsorientiert arbeiten und immer das Medium (Theater-)Spiel als Vehikel nutzen, um die jeweiligen Ziele zu erreichen. Für die Teilnehmer erhofft man sich dadurch einen direkten Zugang zu eigenen Ideen und Impulsen und die Steigerung von Kommunikation und Interaktion in Bezug auf die eigene Person und deren (soziales und kulturelles) Umfeld.
In den letzten Jahren hat sich der Beruf des „Theaterpädagogen“, der „Theaterpädagogin“ als eigenes Berufsbild entwickelt. Es umfasst sowohl künstlerische, als auch pädagogische Aspekte. Im Hinblick auf die Qualifikation spricht man von fünf Kernkompetenzen:
- Leitungskompetenz
- künstlerische Kompetenz
- organisatorische Kompetenz
- vermittelnde Kompetenz
- theoretische Kompetenz
Zu einer Konkretisierung des Begriffs resp. einer begrifflichen Schärfe der Einzelwissenschaft haben unterschiedliche Entwicklungen beigetragen wie beispielsweise die Etablierung eigener institutionalisierter Ausbildungsgänge, die Erarbeitung eines Spezialwörterbuchs, das Herausbringen einer Fachzeitschrift (ZfTP – Korrespondenzen) sowie die Gründung von fachlichen Verbänden und die Verabschiedung des Übereinkommens über das Verhalten und zur Ethik von Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen (ÜVET) im Jahre 2011.
Das SAFARI-Modell
Das SAFARI-Modell wurde von der Theaterpädagogin Gabriele Czerny entwickelt. Dabei steht hinter jedem Buchstaben ein Grundsatz der Theaterpädagogik. Sie sind voneinander abhängig und geben den theaterpädagogischen Rahmen vor.
S = Stoff
Der Stoff dient als Spielimpuls für das Theaterspiel. Er muss durch die pädagogische Fachkraft genau untersucht werden, um die wichtigsten Merkmale festzustellen. Diese Untersuchung bildet die Grundlage für alle weiteren Impulse. Der Stoff sollte die Fantasie der Kinder ansprechen, sie zu sinnlich-körperlichen Darstellungen bewegen und sie zur Selbstreflexion anregen.
A = Auftakt
Bevor man sich an einen Text heranwagt, sollte man mit den Kindern Aufwärmübungen für Körper, Atem, Stimme, Rhythmus, Raum und Bewegung durchführen. Dabei soll ein Gespür für den eigenen Körper entwickelt werden, damit die Kinder diesen auf verschiedene Weisen kennenlernen können.
F = Figur
Die Kinder sollen die Möglichkeit haben sich in andere Figuren hineinzuversetzen. Durch Fantasie- oder Traumreisen können die Kinder nicht nur Entspannung finden, sondern sich auch in das Erinnerte verwandeln (z. B. „Weißt du noch, wie die Wellen gerauscht haben?“).
A = Aktion
Hier geht es hauptsächlich um Improvisationen. Die Kreativität und Spontanität der Kinder steht im Mittelpunkt. Aus den Improvisationen können anschließend ganze Szenen entwickelt werden.
R = Reflexion
Bisherige Erfahrungen mit der Geschichte werden aufgegriffen. Die Kinder können sich nun eine eigene Geschichte ausdenken.
I = Inszenierung
Die improvisierte Szenen werden nun zu einer zusammenhängende Geschichte. Bei der Darstellung sollen alle Kinder mitwirken. Die Bewegung spielt hier eine zentrale Rolle für die Ausdrucksfähigkeit der Szenen. Auch die Sprache der Kinder soll gefördert werden, so besteht die Möglichkeit für solistisch, aber auch chorisch gesprochene Textpassagen.
Die Aus- und Weiterbildung zum Theaterpädagogen
Der Ausbildungsgang zum Beruf des Theaterpädagogen ist nicht durch staatliche Vorgaben geregelt. Folgende Formen der Aus- und Weiterbildung sind anzutreffen:
- Theaterpädagogik wird in grundständigen oder Aufbaustudiengängen an Hochschulen und Fachhochschulen gelehrt und schließt mit einem Diplom-, Bachelor- oder Masterabschluss ab.
- An zertifizierten Instituten wird Theaterpädagogik als ein- bis vierjährige Fortbildung/Ausbildung nach den Rahmenrichtlinien des Bundesverbandes Theaterpädagogik (BuT) gelehrt, die an Hochschulstudiengängen orientiert sind. Hierbei werden zwei anerkannte Qualifikationen unterschieden:
- die Grundlagen-Fortbildung (mindestens 600 Unterrichtsstunden). Sie wird berufsbegleitend angeboten und richtet sich vorwiegend an Menschen, die Theaterpädagogik in ihr bereits bestehendes Berufsbild (z. B. offene Jugendarbeit) integrieren möchten. Häufig vergeben die Institute der Grundlagen-Fortbildung den Titel „Spielleiter/in“ der jedoch nicht verbindlich festgelegt ist.
- die Ausbildung zum „Theaterpädagogen/in BuT®“ (mindestens 1700 Unterrichtseinheiten (UE)). Sie wird in vier Modellen angeboten:
- Als Aufbau-Fortbildung im Anschluss an die Grundlagen-Fortbildung (mindestens 1100 UE)
- Berufsbegleitend als integrierte Vollausbildung (Grundlagen und Aufbau in Einem) über zwei bis vier Jahre verteilt
- Als Ausbildung in Vollzeit, 1700 UE in einem Jahr komprimiert
- Als Ausbildung in Vollzeit, deutlich mehr als 1700 UE in zwei bis vier Jahren.
Der Titel „Theaterpädagoge/In BuT®“ ist als Wortmarke geschützt und darf nur von Absolventen der Aufbau- bzw. Vollausbildung geführt werden. Er ist seinen inhaltlichen Vorgaben nach mit dem Diplom/Bachelor des Aufbaustudienganges vergleichbar.
- In vielen deutschen Städten haben sich Theaterpädagogische Zentren (TPZ) etabliert, die Theaterpädagogik auch in zeitlich kürzeren Fortbildungen anbieten.
Siehe auch
Literatur
- Fu Li Hofmann: Theaterpädagogisches Schauspieltraining. Ein Versuch. Transcript, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8376-3009-1
- Jessica Höhn: Theaterpädagogik. Grundlagen, Zielgruppen, Übungen. Henschel, Leipzig 2015. ISBN 978-3-89487-776-7
- Hans Martin Ritter: Wort und Wirklichkeit auf der Bühne. LIT, Münster 1997, 2. Auflage 2003, 3. Auflage 2014, ISBN 3-8258-3128-0
- Hans Martin Ritter: Nachspielzeit. Aufsätze zu theaterästhetischen und theaterpädagogischen Fragen. Berlin 2014, ISBN 978-3-8442-9577-1
- Christoph Nix, Dietmar Sachser, Marianne Streisand (Hrsg.): Lektionen 5 Theaterpädagogik. Verlag Theater der Zeit, Berlin 2012, ISBN 978-3-942449-39-7
- Hans Hoppe: Theater und Pädagogik. Grundlagen, Kriterien, Modelle pädagogischer Theaterarbeit. LIT, Münster 2003, 2. Auflage 2011, ISBN 3-8258-7130-4
- Hans Martin Ritter: Sprechen auf der Bühne. Henschel, Berlin 1999, Neuauflage 2009, ISBN 978-3-89487-323-3
- Jürgen Weintz: Theaterpädagogik und Schauspielkunst. Ästhetische und psychosoziale Erfahrung durch Rollenarbeit. Schribri, Berlin/Milow 2007, ISBN 3-937895-64-7
- Tanja Bidlo: Theaterpädagogik. Einführung. Oldib, Essen 2006
- Marianne Streisand, Ulrike Hentschel, Andreas Poppe, Bernd Ruping (Hrsg.): Generationen im Gespräch. Archäologie der Theaterpädagogik I. Schibri, Berlin/Milow 2005
- Hans Martin Ritter, Ulrike Henschel: Entwicklungen und Perspektiven der Spiel- und Theaterpädagogik. Schibri, Berlin/Milow 2003, ISBN 3-933978-83-1
- Gerd Koch, Marianne Streisand (Hrsg.): Wörterbuch der Theaterpädagogik. Schibri, Berlin/Milow 2003
- Felix Rellstab: Handbuch Theaterspielen. Band 4, Theaterpädagogik. Stutz Druck AG, CH-Wädenswil 2000
- Hans Martin Ritter: Das gestische Prinzip bei Bertolt Brecht. Prometh, Köln 1986, ISBN 3-922009-84-0
- Raimund Pousset: Handwörterbuch Frühpädagogik. Cornelsen, ISBN 978-3-589-24863-6
- Kristin Linklater: Meisterwerk Stimme: Entfaltung und Pflege eines natürlichen Instruments 5. Auflage, Irmela Beyer (Übersetzer), Michael Petermann (Übersetzer). Ernst Reinhardt Verlag, München, 2019, ISBN 978-3-497-02902-0
Periodika
- Oliver Bidlo (Hrsg.): Thepakos. Interdisziplinäre Zeitschrift für Theater und Theaterpädagogik. Erscheint dreimal jährlich, Oldib, Essen
- Theaterpädagogik e. V., Bundesverband Theaterpädagogik e. V., BAG Spiel + Theater e. V. (Hrsg.): Zeitschrift für Theaterpädagogik. Erscheint halbjährlich. Schibri, Berlin/Milow