Tullimonstrum

Abdruck von Tullimonstrum im Museo Civico di Storia Naturale di Milano. Positiv- und Negativseite. Der Schwanz zeigt nach oben, der unten liegende Kopf mit dem Rüssel nach innen.

Zeitliches Auftreten
Pennsylvanium (Oberkarbon)
309 bis 307 Mio. Jahre
Fundorte
Systematik
Gewebetiere (Eumetazoa)
Bilateria
Tullimonstrum
Wissenschaftlicher Name
Tullimonstrum
Richardson, 1966
Art

Tullimonstrum gregarium

Tullimonstrum (umgangssprachlich auch Tully-Monster) ist ein ausgestorbenes Tier aus dem Oberkarbon, dessen systematische Zugehörigkeit rätselhaft (incertae sedis) ist. Fossilien von Tullimonstrum wurden in der Fossillagerstätte von Mazon Creek in der Nähe von Morris in Illinois gefunden. Es wurde nach seinem Entdecker, dem Fossilsammler Francis Tully benannt und ist das Staatsfossil von Illinois. Seitdem wurden von professionellen Paläontologen und von Amateursammlern tausende von Fossilien der Gattung gefunden.

Die einzige beschriebene Art ist Tullimonstrum gregarium, wobei sich dessen Name ‚gemeines Tullimonstrum‘ auf die häufigen Funde bezieht.

Merkmale

Die Fossilien von Tullimonstrum weisen eine Körperlänge von 15 bis 43 Zentimeter auf, die meisten Exemplare sind zwischen 31 und 35 Zentimeter lang. Tullimonstrum hatte einen spindelförmigen Körper mit einer rautenförmigen, senkrecht stehenden Schwanzflosse am Hinterende. Am Kopfende befand sich ein Rüssel, an dessen Ende ein mit 14 kleinen, scharfen Zähnen besetzter Kiefer lag. Der Kiefer war zwischen 5,5 und 16,5 mm lang und zwischen 3,5 und 6 mm breit. Die Zähne hatten eine Länge von 0,5 bis 2,4 mm. Am Übergang vom Körper zum Rüssel kann man eine sichelförmige Struktur erkennen, dahinter liegen zwei gestielte Augen. Tullimonstrum war ein schwimmendes, räuberisch lebendes Tier, das wahrscheinlich eine ähnliche Lebensweise wie die heutigen Pfeilwürmer hatte.

Systematik

Die systematische Zugehörigkeit von Tullimonstrum ist umstritten und es wurde vorgeschlagen, dass es zu den Conodonten, den Weichtieren, den Schnur- oder den Ringelwürmern gehört. Bei genaueren Untersuchungen von mehr als 1200 Fossilien des rätselhaften Tieres fand ein Wissenschaftlerteam eine Chorda dorsalis, Kiementaschen, Muskelsegmente wie bei Neunaugen und anderen primitiven Chordatieren und Zähne, die denen von Neunaugen und Schleimaalen ähneln. Tullimonstrum wird von ihnen als primitives Wirbeltier angesehen. Nach einer phylogenetischen Analyse steht es an der Basis der Linie, die zu den Neunaugen (Petromyzontiformes) führt.

Jedoch geben neuere Forschungen Zweifel an dieser These. 2017 wurde von einem Team um Lauren Sallan von der University of Pennsylvania Kritik geäußert und postuliert, dass Tullimonstrum keineswegs eindeutig ein Wirbeltier sein müsse. Einerseits hätte die bisher als Beweis angebrachte Analyse der Augen keinen Hinweis auf Linsenaugen ergeben, zudem sei, da nur weiches Gewebe in den Fossilien konserviert war, die Behauptung eines harten Rückgrates nicht ausreichend beweisbar. Außerdem hätten sich Merkmale wie komplexe Augen und Zähne auch in einigen Klassen wirbelloser Tiere gebildet.

Eine noch aktuellere Studie stützt dagegen wiederum die Annahme, dass es sich bei der Art um ein Wirbeltier handelt. Mithilfe der Raman-Spektroskopie analysierten Wissenschaftler die chemischen Rückstände auf den Fossilien und verglichen sie mit denen anderer Wirbeltier- und Wirbellosen-Fossilien im Mazon Creek. Das untersuchte Gewebe enthielt kein Chitin, das Bestandteil des Exoskeletts bei Wirbellosen ist, dafür aber Überreste von Proteinen, aus denen das Keratin und Kollagen von Wirbeltieren besteht.

Literatur

  • Ralph Gordon Johnson, Eugene Richardson, Jr.: Pennsylvanian invertebrates of the Mazon Creek Area, Illinois: the morphology and affinities of Tullimonstrum. In: Field Museum of Natural History (Hrsg.): Fieldiana. Geology. Band 12, Nr. 8, 1969, S. 119–150, doi:10.5962/bhl.title.5171 (archive.org).
  • Paul Selden, John Nudds: Fenster zur Evolution – Berühmte Fossilfundstellen der Welt, Elsevier Spektrum Akademischer Verlag, München 2007, ISBN 978-3-8274-1771-8.

Einzelnachweise

  1. Frank Patalong: Mysteriöses Fossil: Monster bleibt Monster. In: Spiegel Online. 21. Februar 2017 (spiegel.de [abgerufen am 3. Juni 2018]).
  2. Victoria E. McCoy, Erin E. Saupe, James C. Lamsdell, Lidya G. Tarhan, Sean McMahon, Scott Lidgard, Paul Mayer, Christopher D. Whalen, Carmen Soriano, Lydia Finney, Stefan Vogt, Elizabeth G. Clark, Ross P. Anderson, Holger Petermann, Emma R. Locatelli, Derek E. G. Briggs: The ‘Tully monster’ is a vertebrate. In: Nature. Band 532, Nr. 7600, 16. März 2016, ISSN 0028-0836, S. 496–499, doi:10.1038/nature16992.
  3. Lauren Sallan, Sam Giles, Robert S. Sansom, John T. Clarke, Zerina Johanson, Ivan J. Sansom, Philippe Janvier: The ‘Tully Monster’ is not a vertebrate: characters, convergence and taphonomy in Palaeozoic problematic animals. In: Palaeontology. Band 60, Nr. 2, 20. Februar 2017, ISSN 0031-0239, S. 149–157, doi:10.1111/pala.12282.
  4. Victoria E. McCoy, Jasmina Wiemann, James C. Lamsdell, Christopher D. Whalen, Scott Lidgard: Chemical signatures of soft tissues distinguish between vertebrates and invertebrates from the Carboniferous Mazon Creek Lagerstätte of Illinois. In: Geobiology. n/a, n/a, ISSN 1472-4669, doi:10.1111/gbi.12397.
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