Potenzieren (auch Dynamisieren) bezeichnet eine in der Homöopathie angewandte Methode zur Herstellung von homöopathischen Arzneimitteln. Bei diesem Zubereitungsverfahren wird die Arzneisubstanz schrittweise mit Wasser oder Alkohol verschüttelt oder mit Milchzucker verrieben und dabei teilweise so extrem verdünnt, dass der Ausgangsstoff nicht mehr nachweisbar ist. Durch das Zubereitungsverfahren soll die erwünschte Wirkung verstärkt werden.
Die behauptete pharmakologische Wirkung von Verdünnungen sowie der so erzeugten „Hochpotenzen“ ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar. Das Potenzierungsverfahren und das hahnemannsche Ähnlichkeitsprinzip widersprechen den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Wirksamkeit durch Potenzieren hergestellter homöopathischer Arzneimittel konnte trotz umfangreicher Studien nicht nachgewiesen werden. Eine wahrgenommene Wirkung homöopathischer Behandlungen beruht nach heutigem Erkenntnisstand auf psychologisch erklärbaren Placeboeffekten.
Quellen der Vorschriften
Samuel Hahnemann führte die Potenzierung um 1798 ein. Nach seinen Anweisungen sollten die Arzneimittel in Hunderterschritten verdünnt werden. Die Verdünnung 1:100 wurde als „C1-Potenz“ bezeichnet. Das Dezimalsystem zur Potenzierung (D1 entspricht 1:10) wurde im 19. Jahrhundert von dem Heilpraktiker und späteren Arzt Arthur Lutze entwickelt und von Constantin Hering in die Behandlung eingeführt. Dieses System ist heute am weitesten verbreitet.
Das Potenzieren erfolgt in der Regel entweder nach den Vorschriften von Hahnemann oder nach denen des europäischen (Ph. Eur.) bzw. des Homöopathischen Arzneibuches (HAB), die zum Teil voneinander abweichen. Hahnemanns Methoden finden sich in seinen Werken Organon der Heilkunst, Reine Arzneimittellehre und Die Chronischen Krankheiten. Die Vorschriften des HAB bilden die gesetzliche Grundlage für die Herstellung homöopathischer Arzneimittel in Deutschland. Dort sind sowohl die Verfahren als auch die zu verwendenden Substanzen beschrieben.
Verschüttelung (Dilution)
Ausgangsprodukt ist eine Urtinktur (Symbol: Ø), die zunächst im Verhältnis 1:10, das sind 1 Teil Urtinktur und 9 Teile Lösungsmittel (zusammen also 10 Teile, daher D-Potenzen), 1:100, das sind 1 Teil Urtinktur und 99 Teile Lösungsmittel (zusammen also 100 Teile, daher C-Potenzen) oder 1:50.000, das sind 1 Teil Urtinktur und 49.999 Teile Lösungsmittel (zusammen also 50.000 Teile, daher LM- oder Q -Potenzen) verdünnt und anschließend mit einer festgelegten Zahl von Schlägen geschüttelt wird. Diese Kombination aus Verdünnung und Schütteln wird jeweils pro Potenzierungsschritt durchgeführt. Man unterscheidet dabei zwischen Mehrglas- und Einglasmethode. Bei der Mehrglasmethode (nach Hahnemann) wird für jeden Potenzierungsschritt ein ungebrauchtes (neues) Glas verwendet. Bei der Einglasmethode (Korsakoff-Methode) wird jeder Potenzierungsschritt im selben Glas ausgeführt. In Deutschland ist nach HAB die Herstellung nur mit der Mehrglasmethode erlaubt.
Die Herstellung von Dilutionen (flüssig verschüttelten Substanzen) ist im HAB in der Vorschrift 5 beschrieben.
Hahnemann glaubte den Kern des Potenzierens im Verschütteln und nicht im Verdünnen. Die Anmerkung zu § 269 des Organon zeigt, dass bereits seine Zeitgenossen die „homöopathischen Arznei-Potenzen bloß Verdünnungen nennen“. Dagegen bezeichnet er auch das Verschütteln ohne Verdünnung als Potenzieren und setzt es mit der Absicht ein, die Potenz des Mittels zwischen den einzelnen Gaben jeweils zu erhöhen.
Verreibung (Trituration)
Substanzen, die nicht in Alkohol oder destilliertem Wasser aufgelöst werden können (z. B. Mineralien), werden zunächst bis zur dritten oder vierten Potenz verrieben (trituriert). Bei der Verreibung wird die Ausgangssubstanz (Symbol O) je Potenzierungsschritt dreimal mit Milchzucker in einem Mörser verrieben und aufgescharrt. Das Verhältnis zwischen Ausgangssubstanz und Milchzucker entspricht pro Potenzierungsschritt in der Regel 1:100 (C-Potenz).
Die Herstellung von Triturationen (Verreibungen) ist im HAB in der Vorschrift 6 beschrieben. Triturationen bis zur dritten oder vierten Potenz werden auch zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet, deren Ausgangssubstanz sich auch auflösen lässt. Viele Homöopathen gehen davon aus, dass zunächst verriebene Arzneimittel eine bessere Wirkung haben. Ab der fünften Potenz wird grundsätzlich nur noch verschüttelt.
Potenzierungsarten
In der folgenden Tabelle werden die gebräuchlichen Potenzierungsarten dargestellt. Homöopathische Arzneimittel werden in der Regel mit dem Ausgangsstoff und einer Angabe über die Potenz bezeichnet. Bei der Angabe zur Potenz wird zwischen D-, C- und Q- (bzw. LM-) Potenzen unterschieden. Nach dem Buchstaben folgt die Angabe über die Anzahl der Potenzierungsschritte (D6 bedeutet 6 Potenzierungsschritte nach dem Verfahren für D-Potenzen, C30 bedeutet 30 Potenzierungsschritte nach dem Verfahren für C-Potenzen).
Potenzart | Herstellung | Geschichte, Anwendung |
---|---|---|
D-Potenzen Dezimalpotenzen |
Verdünnung 1:10 + 10 Schüttelschläge |
Das Verfahren zur Herstellung wurde von C. Hering 1833 zum ersten Mal veröffentlicht. D-Potenzen sind vor allem in Deutschland gebräuchlich und werden bis zu einer Potenz von D1000 hergestellt. Wegen ihrer vergleichsweise geringen Verdünnung enthalten sie bis etwa D24 noch chemische Bestandteile der Ausgangssubstanz. Im angelsächsischen Raum werden D-Potenzen auch mit 'x' bezeichnet (z. B. 30×) |
C-Potenzen Centesimalpotenzen |
Verdünnung 1:100 + 10 Schüttelschläge |
Nachdem Hahnemann zu Beginn der Entwicklung der homöopathischen Methode mit Urtinkturen und verdünnten Substanzen arbeitete, erfand er ab ca. 1810 die Methode zur Herstellung von C-Potenzen. C-Potenzen werden heute noch am häufigsten verwendet. Dazu gehören die Potenzen der so genannten Kent-Reihe: C6, C12, C30, C200, C1000. Im Ausland sind durch die Einglasmethode nach Korsakoff und die dadurch mögliche Maschinenverschüttelung auch höhere Potenzierungen möglich. Diese werden mit dem Kürzel CK (C-Potenz nach Korsakoff) bezeichnet oder einfach nur mit römischen Zahlen: CK1000 (M), CK10.000 (XM), CK50.000 (LM), CK100.000 (CM), CK1.000.000 (MM). |
Q-Potenzen / LM-Potenzen Quinquaginta-Millesimal-Potenzen |
Verdünnung 1:50.000 + 100 Schüttelschläge + Verwendung einer zusätzlichen Trägersubstanz (Q1 wird aus einer C3-Verreibung nach einem besonderen Verfahren hergestellt) |
Q-Potenzen entwickelte Hahnemann gegen Ende seines Lebens. Ihre Herstellung wurde erstmals in der 6. Auflage des Organon (erschienen 1821) beschrieben. Q-Potenzen sollen eine besonders sanfte Heilwirkung haben. Q-Potenzen müssen von den LM-Potenzen unterschieden werden. Q-Potenzen werden grundsätzlich aus der Verreibung (C1 bis C3) des jeweiligen Ausgangsstoffes – Trituration genannt – hergestellt. LM-Potenzen dagegen werden zum größten Teil aus alkoholischen Auszügen der jeweiligen Grundsubstanz (C1 bis C3) hergestellt. Diese werden Dilutionen genannt. Für einige Ausgangsstoffe ist die Herstellung der LM und Q-Potenzen allerdings gleich. So wird Aurum (Gold) in jedem Fall für die C1 bis C3 verrieben, um es in Lösung zu bringen. Weiter sind die LM-Potenzen nicht zu verwechseln mit der Potenz C50.000, die als lateinische Bezeichnung die Bezeichnung LM tragen könnte. |
Die Konzentration des Ausgangsstoffes in einer C6- und einer D12-Potenz ist die gleiche, nämlich jeweils Ausgangskonzentration/1012. Gemäß der homöopathischen Lehre haben die C6- und D12-Potenzen jedoch unterschiedliche Eigenschaften, da einer 12-fach potenzierten Substanz eine größere Wirkung zugeschrieben wird.
Beispielverdünnungen
D-Skala | C-Skala | Verdünnung / Mischung | Bemerkungen |
---|---|---|---|
Ø/O | Ø/O | unverdünnt |
|
D1 | — | 1:10 1:101 |
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D2 | C1 | 1:100 1:102 |
|
D4 | C2 | 1:10.000 1:104 |
|
D6 | C3 | 1:1.000.000 1:106 |
|
D8 | C4 | 1:100.000.000 1:108 |
|
D12 | C6 | 1:1.000.000.000.000 1:1012 |
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D24 | C12 | 1:1024 |
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D26 | C13 | 1:1026 |
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D60 | C30 | 1:1060 |
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D80 | C40 | 1:1080 |
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D400 | C200 | 1:10400 |
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D1000 | C500 | 1:101.000 |
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— | C1000 | 1:102.000 |
|
Legende: grün = Niedrigpotenzen, die eine toxikologische oder pharmakologische Wirkung besitzen können; gelb = Die Potenzierung und chemische Wirksamkeit stößt an die chemisch-physikalischen Grenzen; rosa = Hochpotenzen. Ein Vorhandensein des Ausgangsstoffes im Arzneimittel wird unwahrscheinlich.
Chemisch nachweisbarer Anteil von Ausgangssubstanzen
In den Potenzen D24 und C12 wird ein Verdünnungsverhältnis von 1:1024 erreicht. Gemäß der Avogadrozahl sind in einem Mol rund 6·1023 Moleküle enthalten. Das bedeutet zum Beispiel, dass in der einfachsten kohlenstoffhaltigen Verbindung diese Anzahl von Molekülen bei einem elementaren Kohlenstoffgehalt von 12 g enthalten ist. Aufgrund der Definition der Stoffmengenkonzentration entspricht ein elementarer Kohlenstoffgehalt von 12 g in einem Liter der einmolaren Lösung. Bei der Verbindung Methanol ergibt sich nach der Summenformel CH4O die molare Masse zu 12+4+16=32, das sind 32 g Methanol in einem Liter Wasser für die einmolare Lösung. Sofern diese einmolare Lösung als Urtinktur betrachtet wird, würde bei D23 die Lösung entsprechend nur noch sechs Moleküle enthalten, bei D24 enthielte das Endprodukt statistisch 0,6 Moleküle des Ausgangsstoffes. Bei den LM- oder Q-Potenzen ist dieser Wert bei der 6. Potenz überschritten. Mit jedem weiteren Potenzierungsschritt vermindert sich die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit von Molekülen der Ausgangssubstanz um den Faktor der Verdünnung, das heißt 10-mal, 100-mal oder 50.000-mal.
In einer C30-Zubereitung, deren Verdünnungsverhältnis 1:1060 beträgt, liegt die Wahrscheinlichkeit, in einem Mol Materie, welches etwa einem Arzneimittelfläschchen entspricht, ein Molekül der Urtinktur wiederzufinden, in etwa bei 1:1060 − 24 = 1:1036. Zum Vergleich beträgt die Wahrscheinlichkeit, mit einem einzelnen Tippfeld im Lotto 6 Richtige aus 49 mit Superzahl zu tippen, knapp 1:(1,4·108).
Die Forderung nach Verdünnung entstand ursprünglich, weil die Giftwirkung der verwendeten Stoffe vermindert werden sollte. Allerdings wurde in der Entstehungszeit der Theorie noch nicht zwischen Masse- und Volumenprozent unterschieden. Die Avogadrokonstante wird ausschließlich nach der Atommasse berechnet – ein Verfahren, das 100 Jahre vorher zu Hahnemanns Zeiten noch nicht bekannt war.
Aus Sicht der Physik handelt es sich bei der Potenzierung um eine reine Verdünnung der Ausgangssubstanz. Eine vermeintliche Übertragung einer Wirkung von Substanzen auf das Verdünnungsmittel ist durch keine bekannten physikalischen oder chemischen Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Dies betrifft insbesondere auch Erklärungsversuche unter Berufung auf die Quantenphysik.
Literatur
- Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. 6. Auflage. 1842, herausgegeben 1921. (Potenzieren ab §269)
- Homöopathisches Arzneibuch. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2006.
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Einzelnachweise
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- 1 2 FAQ des Homöopathikaherstellers DHU (Memento vom 6. März 2013 im Internet Archive).