Regenpfeiferartige | ||||||||||||
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Kampfläufer (Calidris pugnax) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Charadriiformes | ||||||||||||
Huxley, 1867 |
Die Regenpfeiferartigen (Charadriiformes) sind eine Ordnung der Vögel. Zu ihr gehören sehr verschiedene Familien und Gattungen. Im Deutschen werden zahlreiche Arten und Gattungen der Regenpfeiferartigen auch als Limikolen oder Watvögel bezeichnet.
Merkmale
Die Regenpfeiferartigen sind eine im Aussehen vielgestaltige Gruppe, doch ähneln sie sich in einigen grundlegenden Merkmalen.
Bei allen Arten sind das Gaumendach und der Stimmapparat nahezu gleich, das Brustbein trägt keine nach innen weisenden Knochenfortsätze; außerdem gibt es Ähnlichkeiten im Aufbau des Fußes, genauer: Ähnlichkeiten bei den in Unterschenkel und Fuß liegenden Sehnen. Der Flügel zählt elf Handschwingen, Steuerfedern sind mindestens zwölf, aber bis zu sechsundzwanzig vorhanden. Die Federn am Rumpf besitzen einen Afterschaft. Die Bürzeldrüse ist durch einen langen Federschopf gekennzeichnet. Besonders wichtig sind die großen Nasendrüsen, die bei den am Meer lebenden Arten der Ausscheidung von überschüssigem Salz dienen. Sehr ausgeprägt sind sie bei den Scheidenschnäbeln. Während die drei Vorderzehen normal gebaut sind, setzt die Hinterzehe weiter oben am Fuß an, ist gewöhnlich kurz und berührt oft nicht den Boden; sie kann auch fehlen. Letzteres ist der Fall bei Säbelschnäblern und Stelzenläufern, einigen Regenpfeifern, Alkenvögeln und der Dreizehenmöwe. Die meisten Arten der Unterordnungen Charadrii und Scolopaci besitzen freie Zehen, doch sind Schwimmhäute ansatzweise bei Säbelschnäblerverwandten vorhanden, und die drei Wassertreter-Arten, der Reiherläufer und alle Möwen, Raubmöwen und Alkenvögel haben vollständige Schwimmhäute zwischen den Zehen.
Da der Großteil der Regenpfeiferartigen Zugvögel oder zumindest gelegentliche Langstreckenflieger sind, besitzen sie meist lange, dünne Flügel, die spitz zulaufen. Ausnahmen sind die Kiebitze mit ihren zur Spitze verbreiterten (engl. Lapwing) und die Alken mit stark verkürzten Flügeln als Anpassung an das Leben als Taucher auf offenem Meer. Ein extremes Beispiel hierfür ist der ausgerottete, flugunfähige Riesenalk.
Mit einer Körperlänge von 11 Zentimetern und einem Gewicht von 23 bis 37 Gramm ist der Wiesenstrandläufer die kleinste Art, am größten ist die Mantelmöwe, die 64 bis 78 Zentimeter lang und 1,3 bis 1,8 Kilogramm schwer wird. Bis auf die Goldschnepfen, Wassertreter, Stelzenläufer und Kampfläufer tritt kein Geschlechtsdimorphismus im Gefieder auf. Bei einigen Familien sind die Weibchen aber größer (z. B. Blatthühnchen, Austernfischer).
Hybridisierungen zwischen einzelnen Arten innerhalb der Unterordnungen Charadrii und Scolopaci sind zwar selten, aber möglich. Die Mischlinge sind intermediär gefärbt und gebaut. Es gibt Beobachtungen von Hybriden von Calidris-Strandläufern, Kiebitzen, Pluvialis-Regenpfeifern, Säbelschnäblerverwandten und Austernfischern. Bei Möwen kommt es häufiger zu Mischehen und Kreuzungen verschiedener Arten.
Entwicklung und Mauserzyklus
Auf dem Weg zum Flüggewerden durchlaufen die Jungvögel einen ersten Gefiederwechsel. Die feinen, verzweigten Daunenfedern werden gegen ein Jugendkleid mit vollständig ausgebildeten Flugfedern eingetauscht. Als nächste Mauser erfolgt die postjuvenile Mauser. Sie ist in der Regel partiell, es werden nur die Körperfedern und einige wenige Flugfedern gewechselt, bei Blatthühnchen, Brachschwalbenartigen und dem Grasläufer ist es allerdings eine Komplettmauser. Das nun erworbene Gefieder besteht also nur aus neuen Federn – oder aus neuen und alten Federn. Letztere sehen deutlich abgetragen aus, die Altersbestimmung ist entsprechend leicht. Die Mauser vom ersten Winterkleid zum ersten Sommerkleid ist oft auch partiell. Die kleineren Watvogel-Arten brüten bereits im zweiten Kalenderjahr, größere Arten wie Austernfischer erst nach zwei bis drei Jahren. Bei Möwen gibt es drei Entwicklungstypen. Kleine Arten wie die Lachmöwe sind im zweiten Jahr ausgewachsen (Zweijahres-Möwen), mittelgroße wie die Sturmmöwe mit drei Jahren (Dreijahres-Möwen) und die größten erreichen erst im vierten Jahr die Maturität (Vierjahres-Möwen). Bei Störungen des Hormonzyklus können immature Vögel zu einer unpassenden Jahreszeit im Winter- oder Sommerkleid beobachtet werden.
Nach Vollendung des Anlegens des Jugendkleids wächst der Schnabel bei vielen Watvögeln noch über mehrere Monate weiter. Der Unterschied ist zwar nicht sehr groß, aber bei Vergleichen zwischen Alt- und Jungvögeln im Freiland deutlich zu sehen, besonders gut bei langschnäbligen Arten wie den Brachvögeln.
Für die Altersbestimmung von noch nicht geschlechtsreifen Vögeln können außerdem die Farbe der Iris und Größe und Farbe des nackten Augenrings (falls vorhanden) herangezogen werden.
Lebensweise
Gefiederpflege
Zum typischen Repertoire der Gefiederpflege zählen das Baden an geeigneten Gewässerstellen und das Zurechtzupfen der Federn mit dem Schnabel. Aus der Bürzeldrüse wird mit dem Schnabel öliges Sekret im gesamten Gefieder verteilt, um eine wasserabweisende Oberfläche zu erzielen. Kopf und Hals, also Stellen, die nicht mit dem Schnabel erreicht werden können, werden mit dem Fuß bearbeitet. Zum Kratzen wird der Fuß je nach Art ober- oder unterhalb des Flügels herumgeführt.
Aktivität
Die meisten Regenpfeiferartigen, insbesondere Regenpfeifer, Schnepfenvögel und Möwenverwandte, sind tagsüber aktiv. Daneben gibt es aber auch einige Arten, die bevorzugt nachts oder in der Dämmerung jagen. Zum Beispiel sind Goldschnepfen hauptsächlich morgens und abends aktiv, und auch Feenseeschwalben jagen in der Dämmerung. Fast ausschließlich in der Nacht liegen die Aktivitätsphasen von Schnepfen der Gattung Gallinago, von Trielen und dem Reiherläufer. Vögel, die an Wattflächen leben, gehen unabhängig vom Tag-Nacht-Rhythmus bei Niedrigwasser auf Nahrungssuche, da nur dann die Beutetiere enthaltenden Meeresböden trockenfallen.
Ernährung
Die Nahrung der Regenpfeiferartigen ist hauptsächlich tierisch, nur die südamerikanischen Höhenläufer fressen ausschließlich Sämereien und besitzen einen angepassten Verdauungstrakt. Brachvögel nehmen auch Beeren von niedrigen Sträuchern zu sich und Scheidenschnäbel und Raubmöwen erbeuten nahezu alles bis zur Größe von Kleinvögeln. Die Watvögel, besonders Schnepfenvögel, schreiten durch seichtes Wasser und über Schlammflächen und stochern mit dem Schnabel im Boden. An ihren Schnabelspitzen sitzen viele Nervenenden, denn beim Aufspüren der Beute spielt der Tastsinn eine große Rolle. Zusätzlich sind die Schnabelhälften sehr biegsam, was das Stochern erleichtert.
Verschiedene Varianten des Nahrungserwerbs:
- Steppenschlammläufer beim Stochern
- Watender Grünschenkel
- Säbelschnäbler beim Durchseihen des Wassers und Schlamms
- Küstenseeschwalbe hält aus der Luft nach Fischen Ausschau.
- Schmarotzerraubmöwe betätigt sich als Aasfresser an einem Tierkadaver.
- Regenpfeifer (hier: Sandregenpfeifer) laufen am Spülsaum entlang und picken ihre Beute vom Boden.
- Scherenschnäbel fangen mit verlängertem Unterschnabel Fische.
Die Nahrungssuche erfolgt häufig in Gemeinschaft von Artgenossen. Amerikanische Säbelschnäbler laufen zum Beispiel in geschlossenen Gruppen im Wasser herum und fangen kleine Fische. Regenpfeifer haben einen kurzen Schnabel zum Aufnehmen der Nahrung vom Boden. Sie halten nach Insekten und anderen Kleintieren Ausschau, laufen dann schnell auf ihre Beute zu und picken danach. Ab und zu treten sie auf der Stelle, um wirbellose Tiere aufzuscheuchen.
Neben den Wassertretern, die immer schwimmend auf Nahrungssuche gehen, zeigen Säbelschnäbler und Wasserläufer der Gattung Tringa dieses Verhalten. Eine besondere Art der Nahrungssuche haben der Steinwälzer und der Schiefschnabel-Regenpfeifer. Ersterer schiebt mit seinem flachen Spatelschnabel Steine umher, um die darunter verborgenen Kleintiere aufzusammeln, Letzterer dreht mit dem einseitig – meist nach rechts – gebogenen Schnabel geschickt Steine um. Raubmöwen betätigen sich bei der räuberischen Jagd, zum Beispiel zwingen sie andere Vögel zum Hochwürgen verschlungener Beute. Die meisten Seeschwalben sind Sturztaucher.
Fortpflanzung
Viele Regenpfeiferartige brüten in Kolonien. Das Nest ist fast immer eine Bodenmulde, die spärlich mit Nistmaterial ausgelegt werden kann. Nur tropische Seeschwalben und der Waldwasserläufer brüten in Bäumen. Es werden gewöhnlich ein bis sechs Eier gelegt, die Brutdauer beträgt zweieinhalb bis vier Wochen. Bei Verlust des ersten Geleges kann es zu einer Ersatzbrut kommen, allerdings mit geringerer Eizahl. Der Rennvogel brütet zweimal im Jahr. Als einzige Art gräbt der Reiherläufer eine Brutröhre in den Sand, seine Jungen sind Nesthocker. Die Jungvögel aller anderen Regenpfeiferartigen sind Nestflüchter, welche schon nach wenigen Stunden oder Tagen das Nest verlassen, oder zumindest Platzhocker, die in der Nähe des Nests bleiben. Alle Küken haben nach dem Schlupf ein Daunengefieder. Sie werden nach dem Verlassen der Niststätte weiterhin von den Eltern mit Nahrung versorgt. Die Jungenaufzucht wird von beiden Geschlechtern besorgt, bei den Calidris-Strandläufern und dem Mornellregenpfeifer ist es vorwiegend das Männchen. Bei den Wassertretern und Goldschnepfen sind die klassischen Geschlechterrollen vertauscht. Hier wirbt das Weibchen um das Männchen, welches alleine die Jungen aufzieht. Krokodilwächter und tropische Seeschwalben kühlen bei großer Hitze ihren Nachwuchs mit im Bauchgefieder herangetragenem Wasser.
Lebensraum und Verbreitung
Regenpfeiferartige sind weltweit anzutreffen, sogar in den kalten Regionen in Polnähe. Viele leben in Wassernähe an Meeresküsten, Seen, Flüssen und in Sümpfen, aber auch in trockenen Regionen wie Halbwüsten, Steppen und Hochgebirgen. Fast alle Arten sind Zugvögel.
Innere Systematik
Klassisch wurden die Regenpfeiferartigen früher in drei Unterordnungen aufgespalten, die Watvögel, Möwenvögel und Alkenvögel. Gelegentlich wurden diese Taxa auch als eigene Ordnungen interpretiert.
Neue phylogenetische Analysen ergaben, dass es innerhalb der Regenpfeiferartigen drei Hauptlinien gibt, die Lari (Möwen und Verwandte), die Scolopaci (Schnepfenvögel und Verwandte) und die Charadrii (Regenpfeifer und Verwandte):
- Regenpfeiferartige (Charadriiformes)
- Lari
- Alkenvögel (Alcidae)
- Raubmöwen (Stercorariidae)
- Laridae (Möwen, Seeschwalben und Scherenschnäbel)
- Brachschwalbenartige (Glareolidae)
- Reiherläufer (Dromadidae)
- Laufhühnchen (Turnicidae)
- Scolopaci
- Schnepfenvögel (Scolopacidae)
- Blatthühnchen (Jacanidae)
- Goldschnepfen (Rostratulidae)
- Steppenläufer (Pedionomidae)
- Höhenläufer (Thinocoridae)
- Charadrii
- Regenpfeifer (Charadriidae)
- Säbelschnäbler (Recurvirostridae)
- Austernfischer (Haematopodidae)
- Ibisschnäbel (Ibidorhynchidae)
- Krokodilwächter (Pluvianidae)
- Triele (Burhinidae)
- Scheidenschnäbel (Chionididae)
- Magellanregenpfeifer (Pluvianellidae)
- Lari
Die genauen verwandtschaftlichen Beziehungen nach Černý & Natale (2022) werden in folgendem Kladogramm dargestellt:
Regenpfeiferartige |
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Die früher den Kranichvögeln zugeordneten Laufhühnchen und der Steppenläufer werden nun in verwandtschaftliche Nähe zu den Möwen bzw. zu den Schnepfenvögeln gestellt. Die Seeschwalben, Möwen und Scherenschnäbel können nicht mehr als voneinander getrennte Familien bestehen.
Einzelnachweise
- ↑ Jahn, S. 89
- 1 2 Niethammer, S. 138 (G. Niethammer)
- ↑ Jahn, S. 149
- 1 2 Jahn, S. 161
- ↑ Forshaw, S. 102
- ↑ Jahn, S. 91
- ↑ Chandler, S. 21
- ↑ Olsen, Larsson, S. 14–17
- ↑ Chandler, S. 16
- ↑ Chandler, S. 17
- ↑ Chandler, S. 19
- ↑ Chandler, S. 15
- ↑ Chandler, S. 13
- ↑ Chandler, S. 33–34
- ↑ Forshaw, S. 107
- ↑ Forshaw, S. 112
- ↑ Jahn, S. 156
- ↑ Chandler, S. 23
- ↑ Chandler, S. 24
- ↑ Chandler, S. 29–30
- ↑ Chandler, S. 31
- ↑ Chandler, S. 32
- ↑ Forshaw, S. 109
- ↑ Forshaw, S. 111
- ↑ G. H. Thomas, M. A. Wills, T. Szekely: A supertree approach to shorebird phylogeny. In: BMC Evolutionary Biology. London 2004; 4: 28. ISSN 1471-2148
- ↑ John Harshman, Joseph W. Brown: Charadriiformes. Shorebirds and relatives. In: The Tree of Life Web Project. 2008.
- 1 2 David Černý, Rossy Natale: Comprehensive taxon sampling and vetted fossils help clarify the time tree of shorebirds (Aves, Charadriiformes). Molecular Phylogenetics and Evolution, Band 177, Dezember 2022, doi: 10.1016/j.ympev.2022.107620
Literatur
- Peter Colston, Philip Burton: Limicolen. Alle europäischen Watvogel-Arten, Bestimmungsmerkmale, Flugbilder, Biologie, Verbreitung. BLV Verlagsgesellschaft, München 1988, ISBN 3-405-13647-4.
- Richard Chandler: Shorebirds of the Northern Hemisphere. Christopher Helm, 2009.
- Klaus Malling Olsen, Hans Larsson: Gulls of Europe, Asia and North America. Christopher Helm, 2003.
- Günther Niethammer u. v. a.: Die Wat- und Möwenvögel – Regenpfeiferartige – Möwenartige und Alken. In: Bernhard Grzimek (Hrsg.): Grzimeks Tierleben. Enzyklopädie des Tierreiches. Band 8: Vögel 2 (hrsg. von Bernhard Grzimek, Wilhelm Meise, Günther Niethammer, Joachim Steinbacher). Kindler Verlag, Zürich 1969, S. 138–235 (= Kapitel 6–8) (Taschenbuchausgabe: dtv, München 1980 und 1993).
- Theo Jahn: Brehms neue Tierenzyklopädie. Herder, Freiburg im Breisgau, Prisma, Gütersloh 1982, ISBN 3-570-08606-2.
- David Burnie: Tiere. Die große Bild-Enzyklopädie. Dorling Kindersley, München 2001, ISBN 3-8310-0202-9.
- Colin Harrison, Peter Castell: Jungvögel, Eier und Nester der Vögel Europas, Nordafrikas und des Mittleren Ostens. 2. Auflage. Aula Verlag GmbH, Wiebelsheim 2004.
- Joseph Forshaw: Enzyklopädie der Vögel. Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1999, ISBN 3-8289-1557-4.
- Svensson, Grant, Mullarney, Zetterström: Der neue Kosmos Vogelführer. Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 1999, ISBN 3-440-07720-9.