Die Wegwarten war ein Versuch von Rainer Maria Rilke der Herausgabe eines kostenlosen Periodikums während seiner früher Prager Phase 1896, das bereits nach kurzer Zeit wieder eingestellt wurde.

Entstehungsgeschichte

Die Besonderheit der Wegwarten besteht darin, dass Rilke sein Periodikum noch unter seinem Geburtsnamen René Maria Rilke herausgab. Er versuchte sich an einem Periodikum, das er im Eigenverlag herausgab und kostenlos an öffentlichen Einrichtungen und an öffentlichen Plätzen unter dem Volk verteilte. Rilke engagierte sich während dieser frühen Schaffensperiode in Prag für das einfache Volk. Seine Nähe zu den ärmeren Bevölkerungsschichten war Teil eines Naturalismus, den Rilke für eine neue ästhetische Richtung der 1890er Jahre hielt. In dem Versuch, ein Massenpublikum erreichen zu wollen, vereinfachte Rilke seine Sprache und gestaltete sie melodischer. Deshalb wird ihm auch heute noch immer von Kritikern vorgeworfen, seine Verse seien zu alliterationsfreudig und „stellten einen Rückfall in die frühe Spieldosen-Lyrik dar“. Doch es gibt auch andere Stimmen, die Rilke „recht gelungene impressionistische Skizzen“ bescheinigen. Vorbild war für Rilke Karl Henckells Sonnenblumen. Es handelte sich dabei um ein Mappenwerk, das dieser in Zürich als Periodikum herausgebracht hatte. Rilke kannte dieses Werk, da er es gewesen war, der es im Prager Abendblatt besprochen hatte. Rilke teilt Henckells Begeisterung für das einfache Volk, jedoch nicht dessen sozialistische Intentionen.

Rilke finanzierte sein idealistisches Projekt mit einem Teil des Geldes, das er von seiner Verwandtschaft väterlicherseits erhielt. Er nannte sein Periodikum Wegwarten und bezog sich damit auf eine Sage, die Paracelsus, dem berühmten Arzt aus dem 16. Jahrhundert zugeschrieben wird: alle Jahrhunderte, so die Sage, verwandele sich die Wegwarte zu einem lebendigen Wesen. Wie die Pflanze, so sollten auch die Gedichte seines Werkes „in der Seele des Volkes zu höherem Leben aufwachen“.

Dennoch war den Wegwarten nur ein kurzes Leben beschieden. Trotz Hilfen Dritter, unter anderem des Schriftstellers Richard Zoozmann, der Rilkes nächstes Buch finanzieren sollte, stellte sich nach seinem Empfinden ein literarischer Erfolg für die Wegwarten nicht ein, da er glaubte, die ärmeren Bevölkerungsschichten nicht erreichen zu können. Nachdem Rilke zwei weitere Bände seiner kleinen Reihe veröffentlicht hatte, stellte er sein Projekt, das er zunächst mit viel Engagement betrieben hatte, wieder ein. Dies lag zum einen Teil darin begründet, dass der Großteil der Prager Bevölkerung nicht aus Deutschen, sondern aus Tschechen bestand, die an der deutschen Dichtung kaum interessiert waren. Rilke konnte folglich nur einen kleinen Teil der Bevölkerung erreichen. Zum anderen richtete sich Rilke weniger an die ärmeren Bevölkerungsschichten als vielmehr an seinesgleichen, indem er in seinem Vorwort des ersten Bandes seine Schriftstellerkollegen dazu auffordert, ebenfalls ihre Schriften zu verschenken.

Die einzelnen Bände

  • Band 1: Lieder dem Volke geschenkt (1896)
  • Band 2: Jetzt und in der Stunde unseres Absterbens (1896)
  • Band 3: Deutsch-moderne Dichtungen (1896)

Beschreibung des Druckes

Das Periodikum Wegwarten ist auf in dieser Zeit üblichem billigem Papier gedruckt. Die Bändchen bestehen aus jeweils acht Blatt Papier, die ursprünglich mittig mit Metallklammern, wie man sie mit einem „Klammeraffen“ verwendet, zusammengeheftet waren. Somit bestehen die Bände aus jeweils 16 Seiten, die an den Seitenrändern eine leichte Vergilbung aufweisen.

Verleger/Drucker

Bei diesem Projekt versuchte sich Rilke selbst als Verleger. Er benutzte die Wohnung eines Bekannten in der Prager Wassergasse als Büro und finanzierte den Druck durch die Druckerei der Gebrüder Stiepel mit dem Geld seiner Verwandten väterlicherseits.

Gedichte des ersten Bandes

Titel Erster Vers Bemerkung Entstehung
Das VolksliedEs legt dem Burschen auf die StirneNach einer Kartonskizze des Herrn Liebscherwahrscheinlich: Prag, Spätherbst 1895
MorgenDer Frühwind kommt. – Dem Scheinwohl 1895
Falter und RoseEin Falter, der begehrtePrag, 1894
Der GespensterturmDort steht ein Turm, ein kleiner
Künstler-LosRasch rollt das Zelt!
MittagWie über dem blauenden Waldsee schwerPrag, Sommer 1894
Die RoseDie Rose hier, die gelbePrag, um den 1. Mai 1894
Eine alte GeschichteEine alte Geschichte trauertPrag, 17. Mai 1895
TrostIm hohen HimmelsraumPrag, 1893
Abend im DorfeSieh, wie fern im dämmerdüsternLautschin, Ende Juli 1894
AbendwolkenAbend … Stille die Fernen. – Ich schauPrag, 1894
IrrlichtDu sahst ein Lichtlein schimmernPrag, Ende 1894
Königin SeeWenn lang der rote Tag verflammt sichvermutlich: Misdroy, August 1895
SterneSeliger Sterne schimmernde Scharenwahrscheinlich: Prag, Ende 1894
NachtgedankenWeltenweiter WandrerPrag, Frühjahr 1894
Im DunkelWenns im Zimmer dunkel istPrag, Frühjahr 1895
Durch einen Wald von Ungemach …Durch einen Wald von Ungemach
SehnsuchtEin Aar, dem niemand Halt gebotzuerst gedruckt: März 1894
Mir geschah … (Lied)Mir geschah, so wie dem Kinde
ZukunftEi, schummert die Leinwand des Lebens mir grau
Zum LichtNur nicht im Dunkelwahrscheinlich: Prag, Ende 1894

Siehe auch

Literatur

  • Ralph Freedman: Rainer Maria Rilke: Der junge Dichter 1875 bis 1906. Frankfurt am Main [u. a.]: Insel-Verlag, 1996. 434 S.
  • Wolfgang Leppmann: Rilke: Sein Leben, seine Welt, sein Werk. Bern [u. a.]: Scherz, 1993. 483 S.
  • Manfred Engel, Dorothea Lauterbach (Hrsg.): Rilke-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: Metzler, 2004. 570 S.
  • Horst Nalewski (Hrsg.): Rilke – Leben, Werk und Zeit in Texten und Bildern. Frankfurt am Main: Insel-Verlag, 1992. 256 S.
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