Wiktar Hantschar (belarussisch Віктар Ганчар; russisch Виктор Гончар; Wiktor Gontschar; * 7. September 1958 in Roditschewo, Minskaja Woblasz; † 1999 (?)) war ein belarussischer Politiker. Er fiel am 16. September 1999 dem Verschwindenlassen von Regierungsgegnern in Belarus zum Opfer.

Leben

Wiktar Hantschar wurde am 7. September 1958 im Dorf Radsitschawa in der Minskaja Woblasz geboren. Er absolvierte ein Jurastudium an der Weißrussischen Staatsuniversität und arbeitete am Institut für Philosophie und Recht an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Weißrusslands. Hantschar war Dozent am Weißrussischen Wirtschaftsinstitut und leitete die Wirtschafts- und Rechtsabteilung des Staatlichen Wirtschaftsplanungsausschusses. Zudem war er erster stellvertretender Vorsitzender des Exekutivkomitees der Stadt Maladsetschna sowie kurzzeitig stellvertretender Premierminister von Belarus. Er war Generalsekretär des Wirtschaftsgerichts der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Von 1990 bis 1995 war er Abgeordneter des Obersten Sowjets von Belarus.

1996 wurde Hantschar zum Vorsitzenden der Zentralen Wahlkommission ernannt und war Vizepräsident des 1996 von Staatspräsident Aljaksandr Lukaschenka aufgelösten Parlaments. Hantschar weigerte sich das Ergebnis des umstrittenen von Lukaschenka initiierten Verfassungsreferendums von 1996 anzuerkennen. Er sollte am 19. September 1999 vor dem im Jahr 1996 aufgelösten Parlament eine Rede über die politische Situation im Land halten. Auf dieser Versammlung sollte auch eine Delegation der Opposition gewählt werden, die auf Vermittlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Gespräche mit der belarussischen Regierung aufnehmen sollte.

Entführung

Am Nachmittag des 16. Septembers 1999 wurde Wiktar Hantschar zusammen mit seinem Freund Anatol Krassouski, der die Opposition finanzierte, vor einem Badehaus in der Fabrytschnajastraße (Вуліца Фабрычная) in Minsk entführt. Am Ort wurden später Glasfragmente von Krassouskis Auto sowie Blutspuren von Hantschar gefunden. Die Täter konnten nicht ermittelt werden.

Untersuchungen

Im Jahr 2004 kam ein Sonderermittler des Europarats zu dem Ergebnis, dass eine Spezialeinheit des belarussischen Innenministeriums hinter der Entführung von Juryj Sacharanka, Hantschar und Krassouski stecke. Im Dezember 2019 veröffentlichte die Deutsche Welle einen Dokumentationsfilm, in dem Juryj Harauski, ein ehemaliger Angehöriger der belarussischen Spezialeinheit, bestätigte, dass seine Einheit Hantschar und Krassouski entführt und ermordet habe. Gemäß den Erzählungen von Harauski fuhr man Krassouski und Hantschar eine Stunde außerhalb von Minsk, wo die beiden mit derselben Pistole erschossen worden seien, die auch bei der Ermordung Sacharankas verwendet worden war. Danach wurden die Leichen ausgezogen und in eine Grube geworfen, welche seine Komplizen zuvor dafür ausgehoben hatten.

Am 19. September 2023 begann in St. Gallen nach dem Weltrechtsprinzip der Gerichtsprozess gegen Juryj Harauski. Harauski hatte sich im Rahmen seines Asylantrags in der Schweiz selbst belastet, indem er angab Mitglied der genannten Spezialeinheit gewesen zu sein. Es handelt sich um den ersten Fall, bei dem derartige Verbrechen in Belarus im Zentrum eines Prozesses stehen. Harauski bestritt aber jede persönliche Beteiligung an Tötungen, für die er den Anführer der Spezialeinheit, Dmitri Pawlitschenko, verantwortlich machte. Am 28. September 2023 sprach das Schweizer Gericht den Angeklagten wegen nicht ein deutig nachzuweisender Schuld bei widersprüchlichen Aussagen frei. Der Freispruch stieß bei den Angehörigen der Ermordeten zum Teil auf Unverständnis.

Ehrung

Hantschar wurde im Jahr 2000 posthum mit dem Theodor-Haecker-Preis ausgezeichnet.

Einzelnachweise

  1. Biografie auf ciwr.org
  2. 1 2 Drohende Misshandlung und Folter / Drohendes „Verschwindenlassen“. amnesty.de, 25. November 1999, archiviert vom Original am 12. Juli 2016; abgerufen am 12. Juli 2016.
  3. Jan Maksymiuk: „Where are Belarus’s Disappeared Oppositionists?“, hri.org, 19. Mai 2000.
  4. „Kidnapping of Hanchar and Krasouski: authorities have something to hide“, Charta 97, 16. September 2009.
  5. „Die Morde von Minsk – Ein Kronzeuge bricht sein Schweigen“, DW, 16. Dezember 2019.
  6. Der Mörder von Minsk: Wie ein Weissrusse fürs Vaterland Oppositionelle ausschaltete – und warum er nun Asyl in der Schweiz will. Abgerufen am 25. März 2021.
  7. Belarusse steht in der Schweiz vor Gericht. In: Der Spiegel. Abgerufen am 20. September 2023.
  8. Sarah Rainsford, Michael Ertl: Former Belarus 'hit squad member' found not guilty. In: BBC News. 28. September 2023, abgerufen am 28. September 2023 (englisch).
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.