Martin Winterkorn (* 24. Mai 1947 in Leonberg) ist ein ehemaliger deutscher Manager. Er war vom 1. Januar 2007 bis zum 23. September 2015 Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG und vom 25. November 2009 bis zum 31. Oktober 2015 Vorstandsvorsitzender bei der Porsche Automobil Holding SE. Außerdem war er vom 1. Januar 2007 bis 11. November 2015 Aufsichtsratsvorsitzender der Audi AG. Im Zuge des Abgasskandals bei VW steht Winterkorn seit Februar 2021 zusammen mit vier weiteren ehemaligen Volkswagen-Beschäftigten wegen des Verdachts des schweren gewerbs- und bandenmäßigen Betruges vor Gericht.
Leben und Wirken
Ausbildung
Im Jahr 1966 begann Martin Winterkorn ein Studium der Metallkunde und Metallphysik an der Universität Stuttgart. Von 1973 bis 1977 war er Doktorand am Max-Planck-Institut für Metallforschung. 1977 wurde er zum Dr. rer. nat. promoviert.
Karriere
Audi
Nach Tätigkeiten im Forschungsbereich bei der Robert Bosch GmbH wechselte er 1981 als Assistent des Vorstands für Qualitätssicherung zu Audi. Anfang 1988 wurde er Bereichsleiter der „Zentralen Qualitätssicherung“ und zwei Jahre danach Leiter der Audi-Qualitätssicherung.
Am 1. März 2002 wurde Winterkorn Vorstandsvorsitzender der Audi AG. Er leitete die zum 1. Januar 2002 neu gebildete Markengruppe Audi, zu der neben Audi die Marken Seat und Lamborghini gehörten. Außerdem leitete er dort seit dem 16. Januar 2003 den Geschäftsbereich „Technische Entwicklung“. In seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender der Audi AG saß Winterkorn seitdem im Vorstand der Volkswagen AG. Am 6. Dezember 2006 wurde auf der vierten ordentlichen Hauptversammlung 2006 der ehemalige Vorstand des Geschäftsbereiches Finanz und Organisation, Rupert Stadler, zum Nachfolger Winterkorns als Vorstand der Audi AG erklärt.
Volkswagen
1993 wechselte Winterkorn als Leiter der „Konzern-Qualitätssicherung“ zu Volkswagen. Im März 1994 wurde er zum Generalbevollmächtigten der Volkswagen AG, im Juni 1995 zusätzlich zum Verantwortlichen für das Produktmanagement des Volkswagen-Konzerns ernannt. Im Januar 1996 wurde Winterkorn Markenvorstand für die „Technische Entwicklung“ bei der Marke Volkswagen. Ab Juli 2000 war er Mitglied des VW-Konzernvorstands für den Geschäftsbereich „Forschung und Entwicklung“.
Nach der Zustimmung des Aufsichtsrats vom 17. November 2006 trat er am 1. Januar 2007 die Nachfolge von Konzern-Chef Bernd Pischetsrieder als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG an. Hier nahm er einen kompletten Stab an Mitarbeitern mit, darunter u. a. den Chefdesigner Walter Maria de Silva und den damaligen Entwicklungschef Ulrich Hackenberg. Als direkter Vorgesetzter leitete er weiterhin die Geschäftsbereiche Vertrieb sowie Forschung und Entwicklung im Volkswagenwerk Wolfsburg.
Als Vorstandschef von Volkswagen verdiente Winterkorn im Geschäftsjahr 2011 17,456 Millionen Euro – so viel wie noch kein anderer Vorstandsvorsitzender eines DAX-Unternehmens vor ihm. Infolgedessen entbrannte eine scharfe Diskussion um überhöhte Managervergütungen und deren Unverträglichkeit in einer sozialen Marktwirtschaft, verbunden mit der Forderung, die Regeln zur Ausgestaltung der Vorstandsvergütung gesetzlich weiter zu verschärfen, nachdem das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung die Gehaltsexzesse nicht verhindern konnte. Der Pensionsanspruch Winterkorns beträgt 1,33 Millionen Euro pro Jahr, dafür hat VW 28,6 Millionen zurückgestellt.
Im April 2015 kritisierte ihn der damalige Vorsitzende des VW-Aufsichtsrates Ferdinand Piëch für die Öffentlichkeit überraschend mit dem Statement „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“ wegen der Schwierigkeiten am US-Markt und des Verschleppens eines Einstiegs in den Markt mit Billigfahrzeugen.
Für seine 400 Quadratmeter große VW-Villa in Groß Schwülper zahlte Winterkorn der VW-Immobilienfirma nur fünf Euro Miete pro Quadratmeter. Die Immobilienfirma begründete die im Vergleich zu marktüblichen Preisen günstige Miete damit, dass Winterkorn nur gut die Hälfte der Fläche privat genutzt habe. Die anderen Räume der Villa hätten für die Bewirtung von Gästen des Unternehmens zur Verfügung gestanden. Den Garten der Villa habe man umgebaut und dabei einen Teich für Kois angelegt. Allein die von der Volkswagen Immobilien GmbH bezahlte Heizanlage im Teich für Winterkorns Kois habe 60.000 Euro gekostet.
Am 23. September 2015 trat Winterkorn aufgrund des VW-Abgasskandals als VW-Konzernchef zurück, nachdem US-Behörden Manipulationen bei Dieselautos aufgedeckt hatten. Am 17. Oktober 2015 trat er auch vom Vorstandsvorsitz der Porsche Automobil Holding SE zurück sowie am 11. November 2015 vom Aufsichtsratsvorsitz der Audi AG.
Mandate
Winterkorn wurde nach der beschlossenen Verschmelzung der Konzerne Volkswagen und Porsche am 13. August 2009 auch zum Vorstandsvorsitzenden der Porsche Automobil Holding berufen. Er hatte ein Aufsichtsratsmandat bei der FC Bayern München AG. Winterkorn hatte zudem einen Sitz im Aufsichtsrat der Infineon Technologies AG.
Weitere Tätigkeiten
2003 wurde Winterkorn Honorarprofessor der Technischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest. Zum 1. August 2004 erfolgte seine Bestellung zum Honorarprofessor an der Technischen Universität Dresden für das Fachgebiet Leichtbauwerkstoffe im Fahrzeugbau. Er war zudem an der TU Dresden von 2002 bis 2015 Mitglied zunächst des Kuratoriums und dann des Hochschulrates. Winterkorn war außerdem von 2007 bis 2015 Mitglied des Hochschulrates der TU Braunschweig und ist Mitglied der Atlantik-Brücke e. V., eines Vereins zur Förderung des deutsch-amerikanischen Verständnisses.
Privates
Winterkorn hat einen Sohn aus erster und einen Sohn aus zweiter Ehe. Im August 2015 gründete er in München zusammen mit seiner zweiten Frau Anita zwei Firmen, die OGH Immo GmbH und M+A OGH Immo GmbH & Co. KG. Unternehmensziel ist die „Verwertung eigener Immobilien“. Seine Frau ist alleinige Geschäftsführerin und die einzige haftende Gesellschafterin. Mit den Unternehmensgründungen transferierte Winterkorn Teile seines Vermögens kurz vor Bekanntwerden des VW-Abgasskandals an seine Frau.
Strafverfahren im Zuge des VW-Abgasskandals
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig teilte am 27. Januar 2017 mit, dass sie gegen Winterkorn im VW-Abgasskandal neben Ermittlungen wegen des Verdachts der strafbaren Werbung gemäß § 16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) nun auch wegen des Anfangsverdachts des Betruges ermittele.
Am 3. Mai 2018 gab eine Große Bundesjury (Federal Grand Jury) in Detroit (USA) bekannt, dass sie am 14. März 2018 Anklage gegen Winterkorn erhoben habe. Ihm werden Betrug in drei Fällen und Verschwörung gegen den Clean Air Act vorgeworfen. Außerdem wurde ein Internationaler Haftbefehl gegen ihn erlassen.
Im April 2019 erhob die Staatsanwaltschaft Braunschweig unter anderem wegen schweren Betrugs Anklage.
Das Landgericht Braunschweig ließ am 9. September 2020 eine Anklage gegen Winterkorn und vier weitere Volkswagen-Beschäftigte zu. Die Richter sehen einen hinreichenden Tatverdacht und damit eine „überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit“, dass die fünf Manager „einen gewerbs- und bandenmäßigen Betrug“ begangen haben. Die Staatsanwaltschaft hatte lediglich den Vorwurf des besonders schweren Betruges erhoben. Das Landgericht Braunschweig ließ auch eine Anklage gegen Winterkorn wegen des Verdachts der Marktmanipulation zu. Im Januar 2021 wurde das Verfahren hierzu auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellt. Die Hauptverhandlung wegen Betrugs sollte am 25. Februar 2021 beginnen; Winterkorn beantragte über seinen Anwalt im Januar 2021 eine Verschiebung aus gesundheitlichen Gründen.
Im August 2021 wurde bekannt, dass Winterkorn dringend alsbald an der Hüfte operiert werden muss, um irreparable Schäden zu vermeiden. Zu diesem Ergebnis kamen auch die vom Gericht bestellten Ärzte. Wann er danach wieder verhandlungsfähig sein wird, ist unklar. Da das Gericht eine weitere Verschiebung des Prozesses vermeiden will, wurde den übrigen Angeklagten und der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen, den Prozess ohne Winterkorn durchzuführen und erst nach Ende des ersten Prozesses nachzuholen.
Auszeichnungen
- 2006: Bayerischer Verdienstorden des Freistaates Bayern
- 2007: Ehrenprofessor der Tongji-Universität in Shanghai, zu der Volkswagen seit Jahren enge wissenschaftliche Kontakte unterhält
- 2008: Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg
- 2009: Ehrenring der Stadt Garbsen
- 2011: Ehrendoktor der Technischen Universität Chemnitz
- 2012: Manager des Jahres des Manager Magazin
- 2012: Ehrendoktor der Technischen Universität München
- 2013: Dresdner Sankt Georgs Orden in der Kategorie Wirtschaft
- 2014: Großkreuz des Ordens Isabellas der Katholischen
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ VW-Abgasaffäre: Winterkorn gibt Vorstandsvorsitz der Porsche-Holding auf. Spiegel Online, 17. Oktober 2015.
- ↑ porsche-se.com
- ↑ Unternehmen. audi.com
- ↑ Manfred Bergmann: Der Perfektionist kennt jede Schraube: Audi-Chef Martin Winterkorn soll Volkswagen-Konzern wieder auf Kurs bringen (Memento vom 16. April 2015 im Internet Archive), Main-Echo, 8. November 2006, abgerufen am 28. Oktober 2009
- ↑ Top-Manager verlieren ihre Freunde, VW-Chef Martin Winterkorn erhält 17 Millionen Euro an Gehalt: Skandal! Rufen nicht die Linken. Sondern Deutschlands Unternehmer, F.A.Z. 17. März 2012.
- ↑ Bezahlung von Topmanagern in der Kritik, heise online 19. März 2012.
- ↑ Wie viel Geld bekommt Martin Winterkorn? F.A.Z. 28. September 2015
- ↑ Dietmar Hawranek: Ich bin auf Distanz zu Winterkorn. In: Spiegel Online. 10. April 2015, abgerufen am 3. Februar 2020.
- ↑ Gerhard Schröder macht sich stark für Ferdinand Piëch. Handelsblatt, 22. April 2015.
- ↑ VW soll Winterkorn 60.000 Euro teure Heizung für Fischteich gezahlt haben. FAZ.net, 13. Januar 2017; abgerufen am 18. Februar 2017
- ↑ Winterkorn ließ Koi-Karpfenteich auf VW-Kosten beheizen. Spiegel Online, 13. Januar 2017; abgerufen am 18. Februar 2017
- 1 2 Abgasaffäre: VW-Chef Winterkorn tritt zurück. Spiegel Online, 23. September 2015.
- ↑ Im Wortlaut: Das ist die Rücktrittserklärung von Martin Winterkorn. Focus, 23. September 2015, abgerufen am 12. September 2015.
- ↑ Analyse: Was Winterkorn wirklich sagt - und was nicht. In: Manager Magazin Online. 23. September 2015, abgerufen am 9. Juni 2016.
- ↑ Club. FC Bayern München.
- ↑ Frau Winterkorn, die Königin von Wolfsburg stern.de vom 29. September 2015, abgerufen am 23. September 2017
- ↑ Martin Winterkorn: Immobiliengeschäfte mitten im Abgasskandal. In: Die Welt. Abgerufen am 15. Januar 2017.
- ↑ Zahl der Beschuldigten steigt. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Presseinformation der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 27.01.2017. Archiviert vom am 28. Januar 2017; abgerufen am 27. Januar 2017.
- ↑ US indictment alleges top VW exec knew of emissions cheating (Memento vom 4. Mai 2018 im Internet Archive), The Washington Post, 3. Mai 2018
- ↑ Anklageschrift (PDF; 1,4 MB)
- ↑ Nach Anklage in den USA – US-Haftbefehl gegen Winterkorn. Tagesschau (ARD), 5. Mai 2018; abgerufen am 22. Januar 2021
- ↑ Frank Dohmen, Simon Hage, Dietmar Hawranek, Martin Hesse, Gerald Traufetter: Absturz der Autobosse. In: Der Spiegel. Nr. 17, 2019, S. 60–64 (online).
- ↑ Ex-VW-Chef Winterkorn auch in Deutschland angeklagt. Tagesschau (ARD).
- ↑ Winterkorn kommt vor Gericht. Tagesschau (ARD)
- ↑ Darum ist diese Anklage gegen Winterkorn so ungewöhnlich. Tagesschau (ARD)
- ↑ Weiterer Prozess gegen Ex-VW-Chef Winterkorn. Tagesschau (ARD), abgerufen am 24. September 2020.
- ↑ Nur noch wegen Betrugs angeklagt. Tagesschau (ARD), 15. Januar 2021.
- ↑ Ex-VW-Chef Winterkorn reicht Atteste ein. Tagesschau (ARD), 7. Oktober 2020; abgerufen am 22. Januar 2021.
- ↑ Prozessbeginn gegen Winterkorn fraglich. Tagesschau (ARD), 7. Januar 2021; abgerufen am 22. Januar 2021
- ↑ VW-Abgasskandal – Winterkorn erst 2024 vor Gericht? Tagesschau (ARD), 25. August 2021; abgerufen am 25. August 2021.
- ↑ Stefan Winter: Freundeskreis Garbsen zeichnet Winterkorn aus. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 28. Oktober 2009, S. 11
- ↑ Ehrendoktorwürde für VW-Konzernchef. In: NewFleet. Abgerufen am 23. September 2017.
- ↑ Der Ingenieur im Unternehmer. Abgerufen am 23. September 2017.
- ↑ Dresdner Opernball-Orden für VW-Chef Winterkorn. In: Welt Online. 19. Januar 2013, abgerufen am 23. September 2017.