Das Zwerchhaus, auch Zwerchgiebelhaus, Zwerghaus und Luchte genannt, ist ein Aufbau an der Traufseite eines geneigten Daches, der einen Giebel und ein eigenes Dach besitzt. Die Bezeichnung rührt vom mittelhochdeutschen zwerch für „quer“ her, denn der First des Zwerchhauses liegt quer zum First des Hauptdaches. Zwerchhäuser entwickelten sich aus den Lukarnen, auch Kappfenster genannt, kleinen Dacherkern mit meist nur einem senkrecht stehenden Fenster. Beiden Elementen ist gemein, dass sie direkt auf der Fassadenmauer oder dem Traufgesims bzw. in einer Flucht mit der Fassadenmauer stehen. Dadurch unterscheiden sie sich von der Gaube, die unabhängig von den Außenwänden auf dem Dach positioniert ist.
Beschreibung und Abgrenzung
Zwerchhäuser und Lukarnen sind steinerne oder aus Fachwerk (seltener Holz) bestehende Dachaufbauten mit Fenstern, die in die Gliederung der darunterliegenden Fassade mit einbezogen sind, indem sie als einzelnes, akzentuierendes Bauteil eine bestimmte Partie des Gebäudes (meist dessen Mitte) betonen oder die Fensterachsen der tiefer liegenden Geschosse nach oben fortführen. Sie verlängern die Fassade des Gebäudes und sind mit ihrem Giebelfeld Teil derselben. Dabei muss nicht jede Fensterachse auf diese Weise nach oben erweitert werden, manchmal finden sich diese Aufbauten auch nur in jeder zweiten Achse. Sie lockern den schweren Eindruck großer, gleichförmiger Dachflächen auf und vermitteln zwischen der langen Horizontalen des Dachs und vertikalen Formen. Reich dekorierte Lukarnen und große Zwerchhäuser zielten früher darüber hinaus auch als repräsentatives Zeichen auf Fernwirkung ab.
Der Giebel eines Zwerchhauses, Zwerchgiebel oder Zwerchhausgiebel genannt, nimmt, ebenso wie der Giebel einer Lukarne, Fenster zur Beleuchtung des dahinterliegenden Dachinnenraums auf und steht in der Flucht der Gebäudeaußenwand. Dies ist das grundlegende Kriterium zur Unterscheidung von einer Dachgaube, die gegenüber der Traufmauer zurückgesetzt ist. Die Anzahl der Fenster und die Größe des Dachaufbaus sind Kriterien zur Unterscheidung einer Lukarne von einem Zwerchhaus. Die kleineren Lukarnen haben den Charakter eines Dach- bzw. Fenstererkers und weisen meist nur ein Fenster auf, während Zwerchhäuser überwiegend mehrere Fenster besitzen und im Gegensatz zur Lukarne auch mehrgeschossig sein können. Der Übergang von Lukarne zum Zwerchhaus ist jedoch fließend, und in der Literatur werden die beiden Begriffe häufig synonym verwendet. Zwerchgiebel können auch als selbständiges Architekturelement ohne Geschossaufbau auftreten. Sie unterscheiden sich vom Frontispiz aber durch ihre Lage, denn im Gegensatz zu einem Frontispiz ist ihre Position nicht auf den Mittelteil eines Gebäudes reduziert.
Das Dach ist bei Zwerchhäusern häufig als Satteldach ausgebildet, kann aber auch ein Walm- oder Zeltdach sein. Bei Lukarnen ist es immer ein Satteldach. Der First eines Zwerchdaches verläuft quer (zwerch) zum First des Hauptdachs. Entsprechend steht die Traufe von Zwerch- und Lukarnendach rechtwinkelig zum Hauptdach. Der First von Lukarnen und Zwerchhäusern ist in der Regel nicht bis zum First des Hauptdaches hochgezogen; dadurch unterscheidet sich das Zwerchdach vom Kreuzdach.
Die Breite von steinernen Lukarnen aus der Zeit des Barocks ist um ein Fünftel oder ein Sechstel geringer als die der unter ihnen in derselben Achse liegenden Fassadenfenster. Hölzerne Lukarnen waren schmaler und besaßen eine um 25 Prozent geringere Breite als die Fassadenfenster. Als Richtlinie für die Lukarnenhöhe galt im Barock die Maßgabe von 150 Prozent der Breite.
Lukarnen und Zwerchhäuser weisen oft eine reich dekorierte Fenster- und Giebelrahmung in Form von Fialen, Kreuzblumen, Strebebögen, Säulenstellungen, Lisenen und Voluten auf. Bei mehrgeschossigen Zwerchhäusern besitzen diese oft eigene Gesimse. Der Giebel von barocken Lukarnen hat meist die Form eines Segmentbogens oder eines Rundbogens.
- Lukarnen an der Hoffassade der Albrechtsburg in Meißen
- Lukarne am Palais Jacques-Cœur in Bourges
- Lukarne am Schloss Amboise
- Lukarne mit zwei Fenstern am Schloss Jumilhac
- Lukarne am Hôtel de Sully in Paris
- Lukarne am Schloss Saint-Geniès
- Zwerchhaus des Alten Rathauses in Leipzig im Stil der Sächsischen Renaissance
- Mehrgeschossiges Zwerchhaus am Alten Rathaus in Altdorf bei Nürnberg
- Zwerchhaus des Jagdschlosses Friedrichsmoor in Neustadt-Glewe
- Zwerchhaus des Annahofs in Althofen
- Zwerchhaus am Schloss Ehrenstein in Ohrdruf
- Mehrgeschossiges Zwerchhaus in Ulm
Herkunft und Entwicklung
In der Spätromanik und Gotik entwickelten sich immer steiler werdende Dachformen, die oft mehrere Geschosse hoch waren. Um den damit gewonnenen Raum als Speicher nutzbar zu machen, wurden ab dem 14. Jahrhundert in den Städten des späten Mittelalters Zwerchhäuser mit Luken oder Türen gebaut, über die das Speichergut mittels Kräne in den Dachboden gebracht werden konnte. Mehrgeschossige Zwerchhäuser, wie sie zum Beispiel an der Mauthalle in Nürnberg vorkamen, besaßen entsprechend mehrere Ladeöffnungen übereinander.
Lukarnen entwickelten sich zuerst in der französischen Profanarchitektur. Dort traten sie erstmals im ausgehenden 14. Jahrhundert auf, um im Dachgeschoss von Schlössern und Palais zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Bei hohen Dachstühlen ermöglichten tragende Binder das Einfügen der Quergiebel und damit eine bessere Belichtung des Dachraums. Erst nur vereinzelt anzutreffen, entwickelten sich Lukarnen zu einem wesentlichen Element der französischen Schlossbaukunst in der Spätgotik und Renaissance, das in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in einer Aneinanderreihung vieler nebeneinanderstehender Lukarnen gipfelte. Erste Beispiele für Lukarnen im Stil des Flamboyants finden sich zum Beispiel am Palais Jacques-Cœur in Bourges und dem Logis Royal des Schlosses Loches. Von Frankreich aus fand die Lukarne Verbreitung in der europäischen Architektur und entwickelte sich zu den größeren Zwerchhäusern mit Fenstern, die ein charakteristisches Architekturelement der deutschen und niederländischen Renaissance und des Barocks waren. Früheste Beispiele für Lukarnen in Deutschland finden sich an der Albrechtsburg in Meißen, an der die französischen Vorbilder noch deutlich erkennbar sind, auch wenn die lotrechte Anordnung über den darunter liegenden Fenstern nicht ganz eingehalten wird. Bei späteren Bauten wie zum Beispiel dem Celler Schloss und Schloss Hartenfels in Torgau hat sich die schlanke Lukarne schon zu einem breiten Zwerchhaus verändert. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden die Zwerchhäuser schließlich von der Mansarde abgelöst, sind aber bis heute auch noch an Gebäuden jüngeren Datums zu finden.
Dachaufbauten mit Zwerchhäusern verändern eine Dachlandschaft wesentlich stärker als einfache Gauben oder Dachflächenfenster. Ein nachträglicher Dachaufbau kann daher bei Baubewilligungsbehörden oder der Denkmalpflege auf Einwände stoßen.
Literatur
- Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur (= Kröners Taschenausgabe. Band 194). 4. Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 978-3-520-19404-6, S. 314.
- Sabine Lietz: Das Fenster des Barock. Fenster und Fensterzubehör in der fürstlichen Profanarchitektur zwischen 1680 und 1780. Deutscher Kunstverlag, München 1982, ISBN 3-422-00739-3, S. 30–32.
- Barbara Schock-Werner: Zwerchgiebel, -haus. In: Horst Wolfgang Böhme, Reinhard Friedrich, Barbara Schock-Werner (Hrsg.): Wörterbuch der Burgen, Schlösser und Festungen. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-010547-1, S. 237, doi:10.11588/arthistoricum.535.
- Kleines Wörterbuch der Architektur. Mit 113 Abbildungen. 10. Auflage. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-009360-0, S. 80, 144.
- Seemanns Lexikon der Architektur. Tosa, Wien 2004, ISBN 3-85492-895-5, S. 158, 262.
Weblinks
Fußnoten
- ↑ Barbara Schock-Werner: Zwerchgiebel, -haus. In: Horst Wolfgang Böhme, Reinhard Friedrich, Barbara Schock-Werner (Hrsg.): Wörterbuch der Burgen, Schlösser und Festungen. 2004, S. 237.
- 1 2 3 Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Archiektur. 2005, S. 314.
- ↑ Sabine Lietz: Das Fenster des Barock. Fenster und Fensterzubehör in der fürstlichen Profanarchitektur zwischen 1680 und 1780. 1982, S. 30.
- 1 2 Adolf Göller: Die Entstehung der architektonischen Stilformen. Eine Geschichte der Baukunst nach dem Werden und Wandern der Formgedanken. Konrad Wittwer, Stuttgart 1886, S. 339 (Digitalisat).
- ↑ Wilfried Koch: Baustilkunde. Orbis, München 1994, ISBN 3-572-00689-9, S. 494.
- 1 2 Matthias Müller; Turm. In: Handbuch Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Bilder und Begriffe. (= Residenzenforschung. Band 15.II). Thorbecke, Ostfildern 2005, ISBN 3-7995-4519-0, S. 398 (online).
- ↑ Kleines Wörterbuch der Architektur. Mit 113 Abbildungen. 10. Auflage. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-009360-0, S. 144.
- 1 2 Wilfried Koch: Baustilkunde. Orbis, München 1994, ISBN 3-572-00689-9, S. 466.
- ↑ Adolf Göller: Die Entstehung der architektonischen Stilformen. Eine Geschichte der Baukunst nach dem Werden und Wandern der Formgedanken. Konrad Wittwer, Stuttgart 1886, S. 340 (Digitalisat).
- ↑ Vergleiche zum Beispiel das Bildwörterbuch der Architektur von Hans Koepf und Günther Binding oder das von Klaus-Jürgen Schneider und Rüdiger Wormuth herausgegebene Baulexikon, siehe Klaus-Jürgen Schneider, Rüdiger Wormuth (Hrsg.): Baulexikon. Erläuterung wichtiger Begriffe des Bauwesens. 3. Auflage. Beuth, Berlin 2016, ISBN 978-3-410-24655-8.
- ↑ Arne Franke (Hrsg.): Kleine Kulturgeschichte der schlesischen Schlösser. Band 1: Niederschlesien. Bergstadtverlag Wilhelm Gottlieb Korn, Görlitz 2015, ISBN 978-3-87057-336-2, S. 340.
- ↑ Wortherkunft: Gerhard Wahrig: Deutsches Wörterbuch. Bertelsmann Lexikon-Verlag, Gütersloh 1971, ISBN 3-570-06588-X, S. 4179.
- ↑ "Zwerchdach" im Baulexikon (Memento vom 27. Dezember 2016 im Internet Archive)
- ↑ Sabine Lietz: Das Fenster des Barock. Fenster und Fensterzubehör in der fürstlichen Profanarchitektur zwischen 1680 und 1780. 1982, S. 31.
- ↑ Kleines Wörterbuch der Architektur. Mit 113 Abbildungen. 10. Auflage. Reclam, Stuttgart 2005, ISBN 3-15-009360-0, S. 80.
- ↑ Sabine Lietz: Das Fenster des Barock. Fenster und Fensterzubehör in der fürstlichen Profanarchitektur zwischen 1680 und 1780. 1982, S. 32.
- ↑ Hans Vogts: Dach. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Band 3. Metzler, Stuttgart 1953, Sp. 911–968 (online).
- 1 2 Cordula Nolte (Hrsg.): Principes: Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Thorbecke, Stuttgart 2002, ISBN 3-7995-4514-X, S. 109.
- ↑ Werner Müller, Gunther Vogel: dtv-Atlas zur Baukunst. Band 2: Baugeschichte von der Romanik bis zur Gegenwart. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1981, ISBN 3-423-03021-6, S. 367.