94. Sinfonie (Haydn)

Die Sinfonie Nr. 94 in G-Dur (Hob. I:94) komponierte Joseph Haydn im Jahr 1791. Das Werk zählt zu den Londoner Sinfonien: es entstand im Rahmen der ersten Londoner Reise, wurde am 23. März 1792 uraufgeführt und trägt den Titel mit dem Paukenschlag bzw. Surprise (englisch: Überraschung), und wird deshalb auch als Paukenschlagsinfonie bezeichnet. Insbesondere der langsame Satz zählt zu den bekanntesten Werken Haydns.

Der deutsche Titel mit dem Paukenschlag bezieht sich auf einen unerwarteten Fortissimoschlag im zweiten Satz. Er ist insofern „etwas unpräzise“, als sich neben den Pauken auch alle anderen Instrumente an dem entsprechenden Schlag beteiligen. In England wurde die Sinfonie mit dem Titel The Surprise (Die Überraschung) bekannt, wobei dieser Titel vermutlich auf den Flötisten Andrew Ashe zurückgeht.

Die beiden zeitgenössischen Haydn-Biographen, Georg August Griesinger und Albert Christoph Dies, berichten in verschiedener Weise zum Hintergrund des Andante:

„Ich fragte ihn [Haydn] einst im Scherz, ob es wahr wäre, daß er das Andante mit dem Paukenschlage komponirt habe, um die in seinem Konzert eingeschlafenen Engländer zu wecken? Nein, erhielt ich zur Antwort, sondern es war mir daran gelegen, das Publikum durch etwas Neues zu überraschen, und auf eine brillante Art zu debütieren, um mir nicht den Rang von Pleyel, meinem Schüler, ablaufen zu lassen, der zur nämlichen Zeit bey einem Orchester in London angestellt war (im Jahr 1792) und dessen Konzerte acht Tage vor den meinigen eröffnet wurden.“

„Haydn machte mit Verdruß die Bemerkung, daß selbst im zweiten Akt [der Konzerte] der Gott des Schlafs seine Flügel über die Versammlung ausgebreitet hielt. Er sah das für eine Beschimpfung seiner Muse an, gelobte, dieselbe zu rächen, und komponierte zu diesem Endzwecke eine Symphonie, in welcher er da, wo es am wenigsten erwartet wird, im Andante, das leiseste Piano mit dem Fortissimo im Kontrast brachte. Um die Wirkung so überraschend als möglich zu machen, begleitete er das Fortissimo mit Pauken. (…) Haydn hatte die Paukenschläger vorzüglich gebeten, dicke Stöcke zu nehmen und recht unbarmherzig dreinzuschlagen. Diese entsprachen auch völlig seiner Erwartung. Der urplötzliche Donner des ganzen Orchesters schreckte die Schlafenden auf, alle wurden wach und sahen einander mit verstörten und verwunderten Mienen an. (…) Da aber während dem Andante ein empfindsames Fräulein von der überraschenden Wirkung der Musik hingerissen, derselben nicht hinlängliche Nervenkräfte entgegenstellen konnte, deswegen in eine Ohnmacht fiel und an die frische Luft geführt werden mußte, so benützten einige diesen Vorfall als Stoff zum Tadel und sagten, Haydn habe bisher immer auf eine galante Art überrascht, doch dieses Mal sei er sehr grob gewesen. Haydn bekümmerte sich wenig um den Tadel; sein Endzweck, gehört zu werden, war vollkommen und selbst für die Zukunft erreicht.“

Die große Bekanntheit der Sinfonie beruht in erster Linie auf dem zweiten Satz. Dieser war auch für sich in zahlreichen Instrumentierungen und Bearbeitungen verbreitet, von denen die meisten noch in den ersten Jahren nach der Uraufführung entstanden. U. a. handelt es sich dabei um Textierungen der Hauptmelodie und z. T. auch einiger Variationen in verschiedenen Sprachen. Eine der frühesten Bearbeitung für Klavier und Gesang ist in Englisch und Italienisch mit den Texten Hither com ye blooming fair bzw. Per compenso offir non sò. Das Menuett wurde 1811 als Teil eines Quodlibets unter dem Namen Rochus Pumpernickl in Bonn veröffentlicht. Hier ist die Melodie verändert und mit einem fremden Trio zusammengestellt worden. Auch Haydn selbst hat den Satz bearbeitet: In der Arie seines 1801 komponierten Oratoriums Die Jahreszeiten lässt er den Ackermann die Melodie dieses Satzes bei der Arbeit auf dem Felde flöten.

Unklar ist, ob Haydn die Melodie des Andante vollständig selbst komponiert oder ganz bzw. teilweise aus einem Volkslied übernommen hat. Einerseits eignet sich die Melodie ihren einfachen Intervallen und wiederholten Tönen gut zum Vortrag eines Textes, andererseits sprechen aber gerade die vielen Textierungen gegen die Existenz eines allgemein bekannten Liedes.

In der ersten Fassung des zweiten Satzes war der namensgebende Paukenschlag nicht vorgesehen. Nachdem allerdings gemäß den zeitgenössischen Zeitungsberichten der Paukenschlag bei der ersten Aufführung eine große Wirkung erzielte, muss Haydn ihn schon vorher angebracht und den zweiten Satz aus dem Autograph entfernt haben. Die betreffende Seite ist im enthaltenen Fragment auch durchgestrichen, aber die geänderte Fassung in der Eigenschrift des Komponisten ist bis heute nicht aufgefunden worden.

Beispiele für Aussagen zur Sinfonie Nr. 94:

„Die Symphonie […] weist […] eine einfache und klare tonale Struktur auf. Von ihren vier Sätzen stehen drei in der Haupttonart, G-Dur. Die Einfachheit geht so weit, dass selbst die Einleitung zum ersten Satz und das Trio des Menuetts in G-Dur geschrieben sind. Allein für den zweiten […] Satz wählte Haydn eine andere Tonart, nämlich die Subdominant-Tonart C-Dur, und dieser Satz ist auch der einzige, in dem ein längerer Moll-Abschnitt vorkommt. Im ganzen Werk werden also tonale Spannungen geradezu vermieden.“

„Insgesamt ist die Sinfonie Nr. 94 zwar nicht übermäßig komplex, aber doch auch weniger leicht zu durchschauen, als dies der Beiname suggeriert, der nicht wenige Interpreten dazu bewog, sich allein dem Überraschungseffekt des Paukenschlags zuzuwenden. Die im Vergleich zu den früher angeführten „Londoner Sinfonien“ schwerere Verständlichkeit der Nr. 94 dürfte auch der Grund sein, warum Haydn die schon 1791 komponierte Sinfonie zunächst zurückhielt und erst 1792 als fünfte Sinfonie der Serie aufführen ließ.“

„[Die Sinfonie] hat im Laufe der Haydn-Rezeptionsgeschichte eine für ein tieferes Verständnis dieses Werkes geradezu ruinöse Popularität erlangt: Die ‚Paukenschlag‘-Symphonie nimmt im gängigen Haydn-Repertoire etwa dieselbe Stelle ein wie ‚Eine kleine Nachtmusik‘ im Mozart- oder die ‚Schicksalssymphonie‘ im Beethoven-Repertoire.“

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