Befähigungsansatz
Der Befähigungsansatz oder Verwirklichungschancenansatz (auch Fähigkeitenansatz, englisch Capability Approach) ist ein Konzept, das der Darstellung und Messung der individuellen und gesellschaftlichen Wohlfahrt dient. Es wurde im Ursprung von dem indischen Ökonomen und Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften Amartya Sen ab 1979 entwickelt und in verschiedenen von den Vereinten Nationen unterstützten Projekten weiter ausgebaut. Der Befähigungsansatz liefert die theoretischen Grundlagen für den Index der menschlichen Entwicklung und den – seit 2010 durch den Index der mehrdimensionalen Armut abgelösten – Human Poverty Index, über die in den Weltentwicklungsberichten seit 1990 und zunehmend in anderen Berichterstattungen über Wohlstand und Armut Rechenschaft abgelegt wird.
Ziel des Befähigungsansatzes ist es, den Wohlstand in einer Gesellschaft mit mehreren Kenngrößen zu erfassen – bis dahin war es in der Wohlfahrtsökonomik üblich, eine Einkommensgröße als eindimensionalen Maßstab zu verwenden. Im Vordergrund steht die Frage, was der Mensch für ein gutes, erfüllendes Leben benötigt. Materielle Güter und Ressourcen werden für diesen Zweck als wichtige Mittel – aber nicht als Selbstzweck – betrachtet. Darüber hinaus geht es um Befähigungen (gleichbedeutend: Verwirklichungschancen), über die der Mensch verfügen muss, damit er sein Leben erfolgreich gestalten kann. Die Frage nach den Befähigungen geht über die Konzepte, die sich auf den Lebensstandard und die Menschenrechte konzentrieren, insoweit hinaus, als sie die Forderung an die Gesellschaft beinhaltet, aktiv zur Entwicklung eines besseren Lebens aller ihrer Mitglieder beizutragen. Der Ansatz ist geeignet, Ungleichheit und Armut mehrdimensional unter Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren zu beschreiben und Zielsetzungen sowie deren Erreichung für gesellschaftliche Entwicklungen darzustellen. Aus diesem Grunde wird der Ansatz insbesondere in der Entwicklungspolitik sowie in Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit zunehmend diskutiert und verwendet.
Bei der Entwicklung des Konzepts hat Sen mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und weiteren Einrichtungen der Vereinten Nationen zusammengearbeitet. An seinen Forschungen waren unter anderem die Moralphilosophin Martha Nussbaum, der Entwicklungsökonom Sudhir Anand und der Wirtschaftstheoretiker James Foster beteiligt. Zur weiteren Verbreitung des Konzepts haben Sen und Nussbaum im Jahr 2004 die Human Development and Capability Association gegründet, eine Organisation, der schon nach wenigen Jahren über 700 Wissenschaftler in über 40 Ländern angehörten.