Föderalismus in der Schweiz
Der Föderalismus gehört zu den Grundpfeilern der schweizerischen Staatsordnung. Das föderalistische System ist aus drei Ebenen aufgebaut: Zuoberst steht der Bund, dann die Kantone und schliesslich die Gemeinden. Wie in einem Bundesstaat üblich werden die Staatsaufgaben auf die drei Staatsebenen aufgeteilt. Diese Aufgabenteilung beruht auf dem Prinzip der Subsidiarität: Eine Aufgabe darf nur dann von einer höheren Instanz übernommen werden, wenn sie die Kraft der unteren Stufe übersteigt. Im Idealfall führt das zu Gesetzen und Regelungen, die auf lokale Bedürfnisse zugeschnitten sind, was einerseits deren Akzeptanz erhöhen und anderseits eine fruchtbare Konkurrenz zwischen Kantonen und Gemeinden um niedrigere Steuern, effizientere öffentliche Verwaltung und andere Standortvorteile bewirken soll. Neben der Subsidiarität sieht die Bundesverfassung ein System der Einzelermächtigung vor. Der Bund übernimmt nur jene Aufgaben, die ihm von der Verfassung zugeschrieben werden; alle anderen kommen automatisch den Kantonen zu.
Der Schweizer Föderalismus ist durch die weitreichende Autonomie der Gliedstaaten (Kantone) geprägt. Die Kantone verfügen über voll ausgebaute staatliche Strukturen und damit über eigene politische Institutionen für die Exekutive (ausführende Gewalt), die Legislative (gesetzgebende Gewalt) und die Judikative (rechtsprechende Gewalt). Quantitativ ist es die wichtigste Aufgabe der Kantone, das Recht, das auf Bundesebene geschaffen wird, umzusetzen, wobei ihnen möglichst viel Freiheit eingeräumt werden soll. Die Autonomie existiert aber immer nur im Rahmen des Bundesrechts. Den Gemeinden kommt ebenfalls Autonomie zu, deren Ausprägung das kantonale Recht bestimmt.
Die Kantone verfügen über umfassende Mitwirkungsrechte auf Bundesebene: Bei jeder Änderung der Bundesverfassung haben die Kantone das Recht, ein Veto einzulegen; auf Bundesebene existiert ein Parlament aus zwei Kammern, deren eine die Kantone repräsentieren soll (Ständerat); sie können eine Standesinitiative oder ein Kantonsreferendum ergreifen; und sie wirken an der Rechtsetzung im Bund mit (Vernehmlassung). Die Verfassung geht von einer grundsätzlichen Gleichstellung der Kantone aus.
Ein Wesensmerkmal des Schweizer Föderalismus ist die intensive Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Staatsebenen. Sowohl die vertikale (Bund–Kantone, Kantone–Gemeinden) als auch die horizontale Kooperation (Kantone–Kantone, Gemeinden–Gemeinden) ist im internationalen Vergleich stark ausgeprägt. Dadurch versuchen die Kantone, dem Schwinden ihres Einflusses auf Bundesebene entgegenzuwirken.
Der föderale und dezentrale Staatsaufbau ist ein tragendes Strukturprinzip des politischen Systems der Schweiz. Seit geraumer Zeit ist der Föderalismus jedoch mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, weshalb er von Teilen der Lehre als der am stärksten gefährdete Grundwert erachtet wird. Vor allem die schleichende Zentralisierung, also die zunehmende Übernahme von eigentlich kantonalen Aufgaben durch den Bund, stellt ein substanzielles Problem dar. Mit dem Abschluss interkantonaler Konkordate versuchen die Kantone, dem entgegenzuwirken. Die Zentralisierung erfolgt aber nicht nur innerstaatlich. Immer häufiger werden die Politik und die Rechtsetzung auf eine neue, internationale Ebene verlagert, wodurch der Bund, der über umfassende Kompetenzen im Bereich der völkerrechtlichen Verträge verfügt, immer mehr Bereiche regelt.